Forum: Diskussionsbeitrag zum Konzept für die Ausstellung der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“

Von
Sabine Vogel, Berlin

Historische Museen und Ausstellungen haben sich in den zurückliegenden 30 Jahren als Orte des öffentlichen Nachdenkens über Geschichte und Gegenwart etabliert. Den Büchern, Dokumentarfilmen, Zeitungsartikeln, Radio- und Fernsehberichten, Vorträgen, Podiumsdiskussionen und den vielen anderen Formen der institutionalisierten Kommunikation innerhalb unserer Gesellschaft fügen sie eine einzigartige und faszinierende Komponente hinzu: Museen sind gestaltete Räume, in denen sich Menschen und Dinge begegnen und in einen Dialog über Geschichte und Gegenwart treten können. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Bedeutung der Museen durch ihre lange Tradition gestärkt.1 Sie können sich auf den gesellschaftlichen Konsens stützen, dass das, was in einem Museum aufbewahrt und gezeigt wird, wichtig ist. Der Titel „Museum“ wirkt wie ein Gütesiegel für die dort gezeigten Themen und Objekte.

Gleichzeitig sind „Museum“ und „Ausstellung“ keine geschützten Begriffe. Eine „Ausstellung“ kann Poster mit wissenschaftlichen Ergebnissen in Wort und Bild in einem Universitätsflur zeigen, Einbauküchen in einem Möbelhaus oder faszinierende historische Objekte, ausgewählt unter einer spannenden Fragestellung, sorgfältig arrangiert und präsentiert in einem stimmig gestalteten Ausstellungsraum. Nicht anders ist es mit einem „Museum“. Es kann ein historisches oder modernes Gebäude sein, das eigens für den Zweck des Sammelns, Forschens, Bewahrens und Präsentierens von historischen Objekten errichtet worden ist. Es kann aber auch die Scheune in Brandenburg sein, in der ein Privatsammler seine zahlreichen historischen Landmaschinen geparkt hat, die er mit Enthusiasmus zusammengetragen und liebevoll geputzt hat. Ein Gang in der Mitte, Öffnungszeiten nach Bedarf. Mit dem Schild „Museum“ am Scheunentor unterstreicht er den Qualitätsanspruch seiner Sammlung. Eine Einschätzung, die von anderen Landmaschinensammlern sicher geteilt wird. Ein wenig Ordnung in dieses weite Feld der Begriffe und Inhalte zu bringen, Parameter und Kriterien zu entwickeln, mit denen man Ausstellungen beschreiben und analysieren kann, wäre eine lohnende Aufgabe. Anders als beim Film, beim Theater oder bei der Literatur gibt es bislang nur eine sehr diffuse wissenschaftliche Reflexionsebene, auf der Ausstellungen als eine eigenen Präsentationsform, als eigenes Medium kritisiert werden können.2 Gegenwärtig kritisieren – kurz gesagt – Wissenschaftler vor allem die Inhalte einer Ausstellung, Gestalter die Gestaltung und auch in den Feuilletons geht es häufig eher um die Inhalte, als um die Angemessenheit der Präsentation.

Tatsächlich hat sich das Ausstellungswesen in den letzten Jahrzehnten sehr professionalisiert. Durch „Learning by doing“ haben Museumswissenschaftler, Historiker, Restauratoren, Architekten, Grafiker, Medienplaner und Lichtdesigner gemeinsam das Präsentieren von Dingen (und / oder Themen) in gestalteten Räumen zu einem Medium entwickelt, das die unterschiedlichsten Besucherkreise anspricht. Es sind nicht mehr nur die Wechselausstellungen großer Häuser, die eine sorgfältige Gestaltung erfahren. Auch in Stadtmuseen und Gedenkstätten, zumal wenn sie saniert, renoviert oder neu errichtet werden, besteht ein wesentlicher Teil der Arbeit im Vorfeld einer Neueröffnung nicht nur im Sammeln, Forschen und Bewahren, sondern darin, eine publikumsgemäße Präsentationsform zu entwickeln, die dem Ort und dem Thema angemessen ist. Ein wenig lässt sich die Arbeit in einem Ausstellungsteam inzwischen mit der eines Filmteams vergleichen. Auch für Ausstellungen gilt: Eine gute „Story“ allein reicht nicht. Erst aus der Verbindung von interessanten Fragestellungen, guter Objektauswahl, stringenter Gliederung, adäquatem Medieneinsatz und konsequenter Ausstellungsgestaltung entstehen die Räume, in denen sich das Publikum zum Mitdenken verleiten lässt. Jede Ausstellung ist das Ergebnis eines kreativen Verständigungsprozesses aller am Projekt beteiligten und damit einzigartig.

Jedes Museum und jede Gedenkstätte ist während der Vorbereitung einer Neueröffnung mit den Erwartungen des Publikums konfrontiert und muss sich mit ihnen auseinander setzen. Das gilt für kleine Stadtmuseen ebenso wie für große Bundeseinrichtungen. Wenn Museen Orte der Auseinandersetzung und Selbstvergewisserung sein wollen, ist es sehr zu begrüßen, wenn sie als solche von Anfang an wahrgenommen werden. Schwierig ist in dieser Phase vor der Eröffnung allerdings, dass noch nicht zu sehen ist, worüber man eigentlich redet. Jeder, der sich zu Wort meldet, hat ein Bild der zukünftigen Ausstellung im Kopf, das sich aus seinen eigenen Erfahrungen mit Museen und Ausstellungen speist. Das gilt für die wissenschaftlichen und gestaltenden Mitglieder des Ausstellungsteams ebenso wie für die des Beirats, für die Geldgeber und die interessierte Öffentlichkeit. Bei dieser Auseinandersetzung um die noch unsichtbare Ausstellung erweist sich das weitgehende Fehlen von Beschreibungskriterien als hinderlich.

In diesem Zusammenhang sehe ich die „Konzeptionellen Überlegungen“. Sowohl die „Überlegungen“ selbst, als auch die ergänzenden und erweiternden Beiträge der Forumsdebatte sind sehr verdienstvolle, wertvolle Arbeiten ausgewiesener Wissenschaftler, verfasst für ein Publikum von Wissenschaftlern. Der erfahrene Ausstellungskurator der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, der Historiker Michael Dorrmann, kann sich glücklich schätzen, diesen großen Wissensfundus nutzen zu können. Weniger eindeutig wird es, wenn sich die Verfasser der „Konzeptionellen Überlegungen“ über Methoden und Medien der Darstellung äußern. Ihre Vorschläge zeigen, dass sie offenbar schlechte Erfahrungen mit inszenierten Ausstellungen gemacht haben und diese ablehnen. Auf welche Ausstellungen sie sich beziehen, was sie im Einzelnen für ablehnenswert halten und warum sie einen emotionalen Zugang für ein emotional besetztes Thema kritisch beurteilen, wird nicht ausgeführt – vielleicht mangels Beschreibungskriterien (siehe oben). Die Alternative, stattdessen eine begehbare historische Dokumentation mit Texten, ggf. Fotos und Filmen, Karten und Grafiken anzubieten, überzeugt mich ebenso wenig wie Wolfram von Scheliha und Reinhard Rürup.3 Wie soll ein Besucher, der meist ohne Notizblock und Stift in einer Ausstellung unterwegs ist, die komprimierten Daten und Fakten behalten, wenn er keine memotechnische Hilfestellung bekommt? Ausstellungen haben den großen Vorteil, mehr Ankerpunkte für die Erinnerung zu bieten, als ein Text. Sie finden in Räumen statt, die – sofern sie entsprechend gestaltet sind – im Gedächtnis bleiben und es dem Besucher nach dem Verlassen der Ausstellung ermöglichen, seine Eindrücke zu ordnen und zu memorieren. Warum sollte man sich dieser Möglichkeit berauben?

Dabei halte ich die Frage, ob und wie viele dreidimensionale Objekte präsentiert werden, für weniger entscheidend. Wichtiger ist es, dass die Ausstellung Thesen, Objekte und Forschungsergebnisse so aufbereitet, dass eine anregende Atmosphäre entsteht, die den verschiedensten Publikumskreisen die Möglichkeit eröffnet, sich selbst mit dem vorgestellten Thema in Beziehung zu setzen. Wie das gehen kann, zeigt seit Jahren das Stapferhaus in Lenzburg (Schweiz) mit seinen „Denkräumen“ zu abstrakten Themen wie „Glauben“, „Strafen“, „Sterben“ oder „Zeit“.4 Die eindrucksvoll inszenierten Ausstellungen des Stapferhauses führen vor Augen, dass bei gesellschaftlich umstrittenen Themen das Publikum über ein großes Vorwissen verfügt. Die Kunst der Schweizer Ausstellungsmacher besteht darin, ihre Themen so zu inszenieren, dass die differenzierten zusätzlichen Informationen von den Besuchern als Ergänzung ihrer eigenen Kenntnisse wahrgenommen werden. Es gelingt ihnen, die Besucher in einen Dialog mit den vorgestellten Thesen und auch untereinander zu bringen. Damit diese wegweisende Vermittlungsform gelingen kann, sind meines Erachtens zwei Faktoren grundlegend: Zum Einen, dass die Ausstellungsmacher eine klare Position zu ihrem präsentierten Thema einnehmen. Ebenso wichtig ist das Wissen darum, dass die Besucher als Individuen aus einer Ausstellung das mitnehmen, was für sie in der jeweiligen Lebenssituation von Belang ist – und nicht unbedingt das, was von den Ausstellungsmachern beabsichtigt ist. Der Themenkomplex Flucht und Vertreibung bietet sich für eine derartige dialogische Ausstellung an.

Doch macht das Unbehagen der ausgeschiedenen Mitglieder des Stiftungsrates und auch die gegenwärtige Forumsdebatte deutlich, dass die Gesamtkonstruktion von Stiftung, Thema und vorgesehener Ausrichtung der Stiftungsarbeit noch nicht stimmig ist. Zur Erinnerung: 1999 trat Erika Steinbach mit ihrem Vorhaben, einen öffentlichen Gedenkort für das Leiden der deutschen Vertriebenen mit angeschlossenem „Zentrum gegen Vertreibungen“ einzurichten, erstmals an die Öffentlichkeit. Die Mauer war gerade 10 Jahre gefallen und unter der westdeutschen historisch interessierten Öffentlichkeit wuchs erst langsam die Einsicht, dass es zu so wichtigen Bezugspunkten der deutschen Geschichte wie Reformation, Barock, Aufklärung und Arbeiterbewegung reale Orte gibt, die bereist werden können, nämlich Wittenberg, Dresden, Weimar und Gotha. Die „mental map“ der meisten westdeutschen Nachkriegsgeborenen endete an der Mauer.5 Die private Erinnerung an die deutsche Geschichte der Orte jenseits der polnischen Westgrenze entwickelte zaghaft neue Formen. Viele Familien nutzten vermehrt die nun unkomplizierte Möglichkeit, mit den Eltern und Großeltern ostwärts zu fahren, um alte Erinnerungen und neue Eindrücke zu verbinden. In der Enkelgeneration wuchs das Interesse an der Geschichte der Vorfahren, was sich nicht zuletzt an historischen Untersuchungen mit neuen und interessanten Fragestellungen zeigt.6 Städtepartnerschaften zwischen deutschen und polnischen Städten wurden gegründet, bestehende lebten auf. Erste Kontakte zwischen Museen entstanden. 7

Die politische Debatte über den Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichte wurde hingegen weiterhin vom Bund der Vertriebenen dominiert. Vertreibung, Verlust und Unrecht waren seit dem Ende des Krieges die Schlagworte gewesen, die sich auch im Konzept des „Zentrums gegen Vertreibungen“ wieder finden. Als neuer Aspekt war bereits im ersten Entwurf des „Zentrums“ die Einordnung der Vertreibung der Deutschen in den Kontext der europäischen Vertreibungen des 20. Jahrhunderts vorgesehen. Diese Europäisierung erweist sich als perfider Akzeptanzköder, der von wissenschaftlichen Kritikern des Projekts „Zentrum gegen Vertreibungen“ bereitwillig geschluckt wurde – statt das Thema selbst neu und anders zu besetzen. Wie lässt sich sonst verstehen, dass weder der frühe Gegenvorschlag der Kopernikus-Gruppe8 noch unsere aktuelle Debatte die Perspektive des BdV auf das Thema grundsätzlich in Frage gestellt hat. Stets bleibt „Flucht und Vertreibung“ im Fokus, mehr oder weniger europäisch umrahmt. Doch indem durch die Europäisierung die Vertreibung der Deutschen in eine allgemeine Geschichte der Vertreibungen eingeordnet wird, schreibt sie die Blickrichtung des BdV für die öffentliche Erinnerung fest: Vertriebene sind immer Opfer der Politik, damit sind auch die deutschen Vertriebenen Opfer. In welchem Ausmaß sie als Täter an der Entwicklung beteiligt waren, tritt bei dieser Betrachtung in den Hintergrund.

Nachdrücklich haben Historiker daher schon in den ersten Kritiken des „Zentrums gegen Vertreibungen“ eingefordert, die Vertreibung der Deutschen nicht ohne Einbeziehung der Vorgeschichte darzustellen. Dieser Einwand ist in die Satzung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung eingearbeitet worden, die „Konzeptionellen Überlegungen“ sowie die Kommentare dazu bestärkten ihn. Nur: Ob man die Vertreibung der Deutschen unter Einbeziehung der Vorgeschichte, unter besonderer Einbeziehung der Vorgeschichte oder schließlich unter ganz besonderer Einbeziehung der Vorgeschichte darstellt, ändert nichts daran, dass der Schwerpunkt nach wie vor falsch gesetzt ist. Die Betrachtung der Geschichte von ihrem Ende her verzerrt die Wahrnehmung. Es ist an der Zeit, das Thema vom Kopf auf die Füße zu stellen und die Geschichte der Deutschen im östlichen Europa von Anfang an chronologisch zu erzählen. Das kann in einem zentralen Museum sicher nur exemplarisch geschehen, denn nur am konkreten Beispiel wird fassbar, welcher Verlust von Heimat und Kultur zu betrauern ist. Im regionalen Kontext kann in Anknüpfung an die Vorgeschichte nachvollziehbar gemacht werden, wie mit Unterstützung der großen Mehrheit aller Deutschen, auch der vor Ort, das NS-Regime durch seine verbrecherische Vernichtungspolitik das Ende dieser Epoche herbeiführte. Flucht und Vertreibung stünden so an einem Scharnier der Geschichte, zwischen einem Vorher und einem ebenfalls zu thematisierenden Nachher, nicht am Anfang.

Ihr Unbehagen mit der „Versöhnung“ im Titel der Stiftung haben schon verschiedene Beiträger der Debatte geäußert. Zu weit ist der Bedeutungsrahmen dieses moralisch aufgeladenen Begriffs. Die Äußerung des ausgeschiedenen Beiratsmitglieds Tomasz Szarota kann eine für das Stiftungsprojekt hilfreiche Eingrenzung des Begriffs bieten. Er sagte in einem Interview mit der Journalistin Gabriele Lesser: „Mir ist klar geworden, dass es bei dem Projekt gar nicht um die Versöhnung mit den Polen geht. … Nein, es geht um die Versöhnung der Deutschen mit sich selbst. ... Da kann ich als Pole nicht helfen“.9 Szarota verweist die Verantwortung für das Thema von der internationalen Ebene auf die nationale Ebene und rückt damit einen für die gegenwärtige Auseinandersetzung wesentlichen Aspekt in den Vordergrund: Die Vergangenheitspolitik der Vertriebenenverbände dominierte jahrzehntelang jedes Nachdenken über die deutsche Geschichte jenseits der Oder. Dies führte so weit, dass schon das Nennen der deutschen Ortsbezeichnungen in der Öffentlichkeit den Sprecher des Revanchismus verdächtig machte. Also sagte man besser nichts. Für weite Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft hat sie bewirkt, dass die gesamte Geschichte der ehemaligen deutschen Ostgebiete ausschließlich als Verlust der Heimat von denjenigen wahrgenommen wird, die dort bis 1945 lebten. Als wäre es allein deren Geschichte. Die deutschen Gebiete östlich der Oder sind dadurch heute als deutsche Geschichtslandschaften eine Leerstelle, viel mehr noch als die Gebiete der ehemaligen DDR. Ist etwa die Geschichte Berlins (z.B. „Goldene 20er“) allein die Angelegenheit der Berliner, die Geschichte Frankfurt am Mains (zum Beispiel Paulskirche) allein die der Frankfurter? Ebenso ist die Schlesische Geschichte nicht die Sache der Schlesier allein: Ohne die Porzellanisolatoren aus Waldenburg zum Beispiel wäre die Elektrifizierung des Deutschen Reichs nicht möglich gewesen. Ebenso ist auch die Geschichte des nationalsozialistischen Pommerns, Schlesiens und Ostpreußens ohne die der westlichen Reichsteile unvollständig.

Ein Museum, das sich in der Trägerschaft des Bundes dieses schwierigen Themas der deutschen Geschichte annimmt und es an einer zentralen Stelle in der Bundeshauptstadt präsentiert, ist ein politisches Statement. Es bringt zum Ausdruck, dass das Thema für die Gegenwart der bundesrepublikanischen Gesellschaft als wichtig erachtet wird, unabhängig davon, wie schwierig die Realisierung im Einzelnen ist. Die Chance der neuen Kulturinstitution in Berlin liegt meines Erachtens darin, das Wissen um diesen östlichen Teil der deutschen Geschichte in die kollektive Erinnerung einzubetten. Anders als die Landesmuseen für die einzelnen Regionen, wie etwa das Schlesische Museum in Görlitz oder das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm, unterstreicht ein Museum in der Hauptstadt, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte der ehemaligen deutschen Ostgebiete ebenso wie die mit dem Ende der deutschen Geschichte dort nicht die alleinige Angelegenheit der ehemaligen Bewohner sein kann. Die große Herausforderung für die neue Institution besteht darin, einerseits „dies alles so darzustellen, dass es der Wahrheit entspricht und auch für die Angehörigen der mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten akzeptabel ist“, wie Reinhard Rürup in seinem Beitrag formulierte. Andererseits, und das ist der für das Ausstellungsteam spannende Teil, eine Form der Darstellung zu finden, die es dem Publikum erlaubt, in einen Dialog über die Geschichte des „deutschen Ostens“ einzutreten, der über die gegenwärtigen Konfliktlinien hinausgeht. Gemeinsam mit den heutigen Bewohnern der Regionen die Geschichte bis in die Gegenwart fortzuschreiben, wäre ein wahrhaft europäisches Projekt.10 Einen „Denkraum“ zu schaffen, der es der interessierten Öffentlichkeit ermöglicht, die Geschichte und Gegenwart in ihrer Komplexität wahrzunehmen und eine eigene Position dazu zu formulieren, sollte meines Erachtens das Ziel der neuen Einrichtung sein. Das ist vielleicht einfacher, als es zunächst scheint, denn Schriftsteller, Filmemacher und zahlreiche Sachbuchautoren sowie Journalisten geben uns dafür schon lange die Mittel an die Hand. Ein historisches Museum mit einem innovativen, dialogischen Ausstellungskonzept, von einer Bundesstiftung getragen und in der Bundeshauptstadt gelegen, könnte dem öffentlichen Nachdenken über ein schwieriges Kapitel der deutschen Geschichte eine wichtige Facette hinzufügen.

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Sabine Vogel studierte Geschichte und Romanistik an der Freien Universität Berlin. Sie promovierte 1996 über die französische Rezeption des Humanismus als frühneuzeitliches Wissenschaftsparadigma. Seit 1989 arbeitet sie als Ausstellungskuratorin für verschiedene Museen und Kulturinstitutionen, darunter das Deutsche Historische Museum, das Jüdische Museum Berlin und die Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen. Von 2005 bis 2009 leitete sie das Museum Tuch + Technik in Neumünster, das 2007 neu eröffnet wurde. Zurzeit kuratiert sie die neue Dauerausstellung für das Heinrich-Schütz-Haus in Weißenfels an der Saale, Eröffnung 2012. Gemeinsam mit der polnischen Kuratorin Agnieszka Jacobson-Cielecka organisiert sie eine Wanderausstellung zum zeitgenössischen polnischen Design, die von September 2011 bis Juni 2012 in mehreren deutschen Museen zu sehen sein wird.

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Anmerkungen:
1 Vgl. James J. Sheehan, Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München 2002; Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988.
2 Vgl. Joachim Baur (Hrsg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010; Markus Walz, Rezension zu: Joachim Baur (Hrsg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, in: H-Museum (H-NET, <http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=h-museum&month=1003&week=a&msg=0VbN6UIDJQF8LqLKzVqqww&user=&pwKzVqqww&user=&pw> (07.11.2010).
3 Wolfram von Scheliha, Forum: Diskussionsbeitrag zum Konzept für die Ausstellungen der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, in: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1371&type=diskussionenonen>, 22.09.2010 (07.11.2010); Reinhard Rürup, Forum: Kommentar zu den "Konzeptionellen Überlegungen für die Ausstellungen der Stiftung 'Flucht, Vertreibung, Versöhnung'", in: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1358&type=diskussionenonen>, 11.09.2010 (07.11.2010).
4 Vgl. <http://www.stapferhaus.ch/> (07.11.2010). Vgl. auch: Rosmarie Beier-de Haan / Marie-Paule Jungblut (Hrsg.), Das Ausstellen und das Immaterielle. Beiträge der 1. museologischen Studientage Neumünster, München 2007.
5 Die „Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen“ arbeitet daran, die Grenze dieser mental map ostwärts zu verschieben. „Aufgabe der Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen (KNK) ist es, den Erhalt und die Erschließung des kulturellen Erbes der im Blaubuch als „national bedeutend“ eingestuften Kulturinstitutionen in den ostdeutschen Bundesländern weiter zu befördern und zu sichern. Das Ziel ist, die Museen, Sammlungen, Archive und Gartenreiche nachhaltig im Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit zu verankern.“ Vgl. <http://www.konferenz-kultur.de/> (07.11.2010) und <http://www.konferenz-kultur.de/mitglieder/kulturelle_gedaechtnisorte.php> (07.11.2010).
6 Zum Beispiel: Philipp Ther, Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956, Göttingen 1999.
7 Vgl. die Tagung der Academia Baltica zum Thema „Heimat im Museum. Deutsch-polnische Geschichte in lokal- und Regionalmuseen“ im Juni und Oktober 2007, <http://www.academiabaltica.de/veranstaltungen/programm_2007/index.html> (07.11.2010)
8 Vgl. <http://www.deutsches-polen-institut.de/Projekte/Projekte-Aktuell/Kopernikus-Gruppe/raport6.php> (07.11.2010).
9 Vgl. Gabriele Lesser, „Da kann ich als Pole nicht helfen“. Interview mit Tomasz Szarota, in: die tageszeitung, 19.01.2010, S.4, vgl. <http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/da-kann-ich-als-pole-nicht-helfen/> (07.11.2010).
10 Vgl. Birgit Schwelling: Tagungsbericht zu: Nationales Gedächtnis in Deutschland und Polen – ein Vergleich. Kulturwissenschaftliches Europa-Kolloquium. 29.07.2010-30.07.2010, Bad Staffelstein, in: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3259>, 06.09.2010 (07.11.2010).

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