Forum: Diskussionsbeitrag zum Konzept für die Ausstellungen der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“

Von
Markus Krzoska, Osteuropäische Geschichte, Justus-Liebig-Universität Gießen

Die Initiatoren und Autoren der neuen konzeptionellen Überlegungen für die Ausstellungen der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sind sehr für ihre Initiative und ihren Mut zu loben, dieses ‚erinnerungspolitische Minenfeld‘ zu betreten und konkrete Vorschläge zur Umsetzung ihrer Ideen gemacht zu haben. Sie knüpfen hierbei an Ausgangsüberlegungen an, die das „Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität“1 – vielleicht zur falschen Zeit – ebenfalls bereits angestellt hatte, ohne sie weiter zu konkretisieren.

Der Rekurs auf eine innerdeutsche wissenschaftlich-museumspädagogische Ebene unter Einbeziehung internationaler Experten bietet nun die Chance, ein Projekt voranzutreiben, das zunächst einmal innerhalb der deutschen Gesellschaft popularisiert und mehrheitsfähig gemacht werden sollte. Die aktuelle politische Entwicklung zeigt, dass die konzilianten Äußerungen eines Teils der Führung des Bundes der Vertriebenen (BdV) möglicherweise nur taktisch bedingt waren. Die schleichende Selbstauflösung des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und der Rückzug Erika Steinbachs aus dem CDU-Präsidium ermöglichen nun hoffentlich eine weniger emotional geführte Debatte zu einem nach wie vor wichtigen Thema, dessen Bedeutung für die deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts gar nicht hoch genug angesetzt werden kann.

In der Überzeugung, dass die grundsätzliche Schwerpunktsetzung des vorliegenden Konzeptpapiers die richtigen Fragen stellt und gerade in seiner mikrohistorisch-topographischen Dimension wichtige neue Anregungen gibt, erlaube ich mir dennoch, auf einige Punkte kritisch einzugehen.

1.) Die Bedeutung gesellschaftlicher Organisationen für das Zustandekommen von Begegnungen in der Zeit des Kalten Krieges ist in den letzten Jahren zu Recht umfassend gewürdigt worden. Kaum untersucht – und aufgrund der Quellenlage mitunter auch nur schwer fassbar – sind die Zusammentreffen alter und neuer Bewohner der historischen deutschen Siedlungsgebiete, die schon seit den 1950er Jahren auf vielfältigen Wegen auf individueller Basis stattfanden und die durchaus nicht nur vereinzelten Charakter hatten. Über Reise- und Erlebnisberichte in Buch-, Aufsatz- und Artikelform ließe sich hier ein ergänzendes Bild zum bisherigen Kenntnisstand erzeugen und vielleicht auch der Befund teilweise relativieren, erst die Entspannungspolitik der 1960er und 1970er Jahre habe Kontakte wirklich möglich gemacht.

2.) Da die Initiatoren des Konzepts dem Zusammenleben von Menschen verschiedener Nationalitäten breiten Raum beimessen, sollte an einer Stelle auch auf die großen regionalen Unterschiede verwiesen werden. Das Leben der deutschsprachigen Bevölkerung in der Backa verlief letztlich deutlich anders als das der Deutschen in Nordböhmen oder im ländlich geprägten Wolhynien. Zudem birgt die Konzentration auf die genannten Beispielstädte Breslau, Aussig und Wilna die Gefahr, dem Element des Nationalismus zu große Bedeutung beizumessen. Bei aller Konflikthaftigkeit scheint es doch auf dem Land letztlich weniger Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen gegeben zu haben, wenngleich auch dort häufig sicher eher von einem Neben- als einem Miteinander zu sprechen ist.

3.) Die Darstellung der innenpolitischen Entwicklung Polens in der Zwischenkriegszeit ist etwas zu schematisch geraten. Dies ist zugegebenermaßen nur ein Thema am Rande, doch auch hier sollte meiner Meinung nach alles dafür getan werden, dass das Geschichtswissen derjenigen, die künftige Ausstellungen besuchen, vertieft wird. Letztlich tauchen nicht nur in den Leserbriefspalten überregionaler Tageszeitungen, sondern verstärkt auch in Internetblogs historisch unhaltbare Bewertungen der Geschichte Polens auf (beispielsweise zur Zusammensetzung der Bevölkerung in den polnischen Ostgebieten oder bzgl. der Präventivkriegsthese). Die aktuellen Einlassungen von Erika Steinbach zum März 1939 sind in diesem revisionistischen Milieu nichts Besonderes.2

4.) Die Zerstörung sozialer Beziehungen durch den Krieg, die durch diesen bedingte allgemeine Verrohung der Sitten und das partielle Rachebedürfnis der vormaligen Opfer stellen zweifellos wichtige Ansatzpunkte bei der Erklärung der Umstände der Durchführung der Zwangsaussiedlungen und Vertreibungen der deutschen Bevölkerung seit dem Kriegsende im Jahr 1945 dar. Ergänzend sollte aber auch der Konnex zwischen Aussiedlungen und Neuansiedlungen noch stärker als bisher dargestellt berücksichtigt werden. Ökonomische Motive spielten bekanntlich hier meist eine wesentlich größere Rolle als ethnische. Dies wird umso deutlicher, wenn man neben dem Schicksal der Deutschen das der aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern oder der Emigration im Osten zurückkehrenden Juden in den Staaten Ostmitteleuropas nach Kriegsende mit berücksichtigt.

5.) Die Integration der geflohenen und vertriebenen deutschen Bevölkerung in der Bundesrepublik und der DDR muss ganz natürlich ein zentrales Element der künftigen Präsentation darstellen. Dieser Aspekt wird bereits bisher in einer Reihe von – hauptsächlich durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderten – Museen ausführlich dargestellt. Diese Darstellungen kranken zum Teil daran, dass nicht ganz zufällig den Vertriebenenorganisationen die entscheidende Bedeutung für die gelungene Integration nach 1945 zugewiesen wird. Die Geschichtspolitik des BdV scheint hier Erfolg gehabt zu haben. Meines Erachtens muss in Zukunft noch viel stärker als bisher gezeigt werden, dass die Landsmannschaften und Sozialverbände zwar durchaus einen wichtige Rolle spielten, gleichzeitig aber auch zur Verschärfung der Spannungen massiv beitrugen. Parallel dazu zeigt die Debatte um die – möglicherweise viel zu hoch angesetzten – Mitgliederzahlen dieser Organisationen3, dass beileibe nicht alle Vertriebenen diesen Verbänden angehörten und dass selbst ein Großteil der Millionen, die die alljährlichen Heimattreffen besuchten und besuchen, sich keineswegs immer im Einklang mit der revisionistischen Ideologie des BdV befand, sondern letztlich „nur“ die sozialen Kontakte zu den ehemaligen Nachbarn und Freunden suchte.

6.) Wichtig scheint mir der Hinweis zu sein, dass die künftige Ausstellung im Herzen der deutschen Hauptstadt auch eine Anlaufstelle für nichtdeutsche Besucher sein wird. Hierin sehe ich die Chance, divergierende nationale Diskurse in Ansätzen zusammenzuführen und den Gästen zu zeigen, dass sie als Vertreter ihrer jeweiligen Nationen, die sie letztlich sind, ernst genommen und mit dem gebührenden Respekt behandelt werden. Dazu gehört eine umfassende sprachliche und inhaltliche Betreuung in allen medial möglichen Formen. Gerade deutsche Erinnerungsstätten für die Zeit des Zweiten Weltkriegs kranken – mit Ausnahme der ehemaligen Konzentrationslager und einiger anderer Beispiele – bisher häufig daran, dass sie fast ausschließlich auf Besucher aus den westlichen Staaten ausgerichtet sind. Ein negatives Beispiel stellt hier etwa die Ausstellung auf dem durch das Land Sachsen betriebenen Schloss Colditz (Oflag IV C) dar, wo zwar jeder einzelne Fluchtversuch eines englischen Offiziers thematisiert wird, aber nirgends davon die Rede ist, dass hier Teile der militärischen Führung Polens zeitweise interniert waren. Solche Fehler sollten in Berlin unbedingt vermieden werden.

Alles in allem ist zu hoffen, dass die politischen Entscheidungsträger das nun vorliegende Konzept und die veränderten Begleitumstände nutzen, um ein Projekt voranzubringen, das in den letzten zehn Jahren fast nur negative Schlagzeilen gemacht hat. Dabei verlor man die Sache an sich zum Zwecke politischer und wissenschaftlicher Profilierung weitgehend aus den Augen. Die Chance auf einen Neuanfang ist da, ob sie genutzt wird, hängt aber eher von der Politik als von der Wissenschaft ab.

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Markus Krzoska ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Vorsitzender der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen e.V. Zum Thema veröffentlichte er: Deutsche aus Wolhynien im Zweiten Weltkrieg, in: Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsumsiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Detlef Brandes (u.a.), Wien 2010, S. 195-197; Kalte neue Heimat? Anmerkungen zum Schicksal der deutschen Vertriebenen nach 1945 und zu dessen Rezeption, in: Dialog 90 (2009/2010), S. 76-78; Wypedzenie Niemców z Polski. Debata publiczna w Polsce i najnowsze wyniki badan naukowych (Die Vertreibung der Deutschen aus Polen. Die öffentliche Debatte in Polen und die neuesten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen), in: Slaski Kwartalnik Historyczny Sobótka 56 (2001), Nr. 2, S. 191-211.

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Die Beiträge zum Diskussionsforum „Vertreibungen ausstellen. Aber wie? Debatte über die konzeptionellen Grundzüge der Ausstellungen der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ können Sie auf der Webseite von H-Soz-u-Kult einsehen unter der Adresse: http://www.hsozkult.de/index.asp?pn=texte&id=13501350.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu den Artikel von Matthias Weber, dem Koordinator des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für die gleichnamige Stiftung, Gemeinsam Erinnern. Das Europäische Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/02/2010-02-18-europaeisches-netzwerk-erinnerung-solidaritaet.html.
2 Siehe dazu etwa: Stefan Scheil, Fünf plus Zwei. Die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des Zweiten Weltkriegs, Berlin 2003, 4. Auflage 2009.
3 Vgl. dazu http://www.tagesschau.de/inland/bdvmitglieder100.html unter Berufung auf eine Telefonumfrage der ddp (Stand: 06.01.2010). Dagegen aber die offizielle Stellungnahme des BdV vom Folgetag: http://www.bund-der-vertriebenen.de/presse/index.php3?id=971.