Qualitätsmessung: R. Bloch / C. Würmann: Vermessen? Qualitätsmessung und Evaluation von Hochschullehre

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Roland Bloch und Carsten Würmann, Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Lohnt gute Lehre?
Um die Lehre in den Geisteswissenschaften habe sich ein „Schweigekartell“ (Ulrich Herbert) gebildet. Bereits das öffentliche Reden über die Qualität von Lehre werde als Ausdruck unakademischer Gesinnung gebrandmarkt.1 Dieses Kartell will der Wissenschaftsrat zerschlagen. Die Hochschulen sollen „im Rahmen von indikatorenbasierten und direkten Bewertungsverfahren Daten und Informationen über die Lehrpraxis erheben und veröffentlichen“ und so „Transparenz über die verschiedenen Leistungsniveaus“ schaffen. Ziel ist es, „an den deutschen Hochschulen eine veränderte Lehrkultur zu schaffen, die sich durch einen erhöhten Stellenwert von Studium und Lehre, durch die Wertschätzung für ein Engagement in diesem Bereich und durch ein permanentes Streben nach Verbesserungen auszeichnet“.2

Um dies zu erreichen, schlägt der Wissenschaftsrat neben weiteren Maßnahmen wie beispielsweise die Einführung von Professuren mit Schwerpunkt Lehre die Qualitätsmessung und Evaluation der Hochschullehre vor. Transparenz, Wertschätzung und Optimierung stehen dabei unter wettbewerblichen Vorzeichen, geht es doch um das Sichtbarmachen „verschiedener Leistungsniveaus“. Ganz in diesem Sinne lobten der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und die Kultusministerkonferenz einen „Wettbewerb exzellente Lehre“ aus, bei dem mittlerweile 24 Finalisten ausgewählt wurden und der Ende 2009 zur Entscheidung kommen wird. 108 Antragsteller, darunter 57 Universitäten und 47 Fachhochschulen, zeigen, dass ein Exzellenzwettbewerb in der Lehre die Hochschulen zu einer ähnlich breiten Beteiligung motiviert wie die Exzellenzinitiative.3 Dass für die Spitzenforschung 1,9 Milliarden Euro, für exzellente Lehre hingegen nur 10 Millionen Euro Preisgeld winken, verdeutlicht die hochschulpolitische Prioritätensetzung. Auch wenn die Analogie in den Superlativen ein Streben nach Spitzen in beiden Bereichen der Universitäten, in Forschung und Lehre, suggeriert, so geht es lediglich bei der Förderung von Forschung um Exzellenz, bei der Lehre hingegen um Kapazitäten. Allen Bemühungen der (wettbewerblichen) Differenzierung zum Trotz stehen die deutschen Hochschulen – auch aufgrund des Kapazitätsrechts – in der Breite vor der Herausforderung, zusätzliche Lehrkapazitäten für die erwartete steigende Studiennachfrage bereitzustellen.

Nicht für exzellente, sondern für ‚Massenlehre’ sollen mit dem sogenannten Hochschulpakt 275.000 zusätzliche Studienplätze geschaffen werden. Als innovativ gilt aus dieser Perspektive die möglichst kostenneutrale Erschließung neuer Kapazitäten für die Lehre. Das betrifft beispielsweise Wissenschaftler in außeruniversitären Einrichtungen und in Nachwuchsgruppen, Stipendiaten und aus Drittmitteln finanziertes Personal, die verstärkt in die grundständige Lehre einbezogen werden sollen.4

Für die Hochschulen sind solcherlei ‚kreative Lösungen’ nichts Neues, müssen sie doch schon länger mit ihrer Unterfinanzierung zurechtkommen. Allein für die Universitäten hat der Wissenschaftsrat den jährlichen Mehrbedarf für die Qualitätsverbesserung von Studium und Lehre mit rund 1,1 Milliarden Euro beziffert. Solange die Ressourcen für ihr Tagesgeschäft dermaßen beschränkt bleiben, werden Versuche zur Messung und Steigerung der Qualität der Lehre – jenseits ‚billiger’ Exzellenzwettbewerbe – unter den Hochschulen kaum ‚Aufbruchsstimmung’ erzeugen.

Denn wie könnten die Hochschulen derzeit von guter Lehre profitieren? Wenn die Qualität der Lehre überhaupt ein Kriterium für die Hochschulwahl ist, so wären jene Hochschulen, an denen gut gelehrt wird, attraktiver und könnten sich – sofern es nicht an Interessenten mangelte – die besten Studierenden aussuchen. Die Zahl der Studierenden, die sie aufnehmen müssen, aber bleibt unverändert und mit mehr Geld wird dieses Engagement in der Lehre jedenfalls nicht belohnt.

Auf Seiten des Lehrpersonals kann die Bereitschaft für ein verstärktes, aber „kostenneutrales“ Engagement in der Lehre kaum vorausgesetzt werden. Gute Lehre verspricht wenig zusätzliches Geld – mit ihr lassen sich kaum jene Drittmittel einwerben, die mittlerweile als Nachweis von Exzellenz (miss)verstanden werden. Konnte ein deutscher Professor im 19. Jahrhundert einen Teil seines Einkommens über Hörergelder erzielen, so geriet im Zuge der Hochschulexpansion die Lehrberechtigung zunehmend zu einer Lehrbelastung, die nicht mehr Geld, sondern mehr Arbeit einbrachte. Sich der Lehre zu entziehen wurde Anreiz und Voraussetzung für eine reputations- und nicht zuletzt auch drittmittelträchtige Forschungstätigkeit.

Denn die Lehre verfügt in der scientific community über ein deutlich geringeres Prestige als die Forschung. Nachweisbar gute Lehrleistungen sind für eine Hochschulkarriere von untergeordneter Bedeutung, es fehlen Anreize zur Verbesserung der Qualität der Lehre und die Vernachlässigung der Lehre wird in der Regel nicht sanktioniert. Der hohe Zeitaufwand für die Lehre beeinträchtigt in vielen Fällen entweder die Forschungstätigkeit oder die Qualität der Lehre. Lehre, gar noch mit verstärktem Engagement, geht in der Wahrnehmung der Betroffenen zu Lasten der Forschung. Solange Forschungsleistungen entscheidend für Karriere und Prestige bleiben, muss auch die vom Wissenschaftsrat vorgeschlagene Lehrprofessur mit bis zu zwölf Semesterwochenstunden Lehre als Karriere zweiter Wahl erscheinen.

Unbekannte Lehrende
Unlängst veröffentlichte die Christian-Albrechts-Universität Kiel zwei fast identische Stellenausschreibungen.5 Gesucht werden zwei wissenschaftliche Mitarbeiter für eine auf zwei Jahre befristete Teilzeitbeschäftigung (50 Prozent), erwartet wird die Mitarbeit in laufenden Forschungsprojekten und die Anfertigung einer Dissertation. Gleiche Bezahlung, gleiche Arbeitszeit, gleicher Arbeitgeber, gleiches Ziel – mit einer Ausnahme: die eine Stelle – jene mit „Zielrichtung Promotion“ – umfasst zwei Semesterwochenstunden Lehrverpflichtung, die andere – mit „Tätigkeitsschwerpunkt in der Lehre“ – acht Semesterwochenstunden.

In der Diskussion um die Qualität der Lehre wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Hochschullehre von Hochschullehrern erbracht wird – neben den Professoren lehren aber auch Privatdozenten, Juniorprofessoren, wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrkräfte für besondere Aufgaben, Lehrbeauftragte usw. All diese Wissenschaftler unterhalb der Professur gelten als wissenschaftlicher Nachwuchs, der in der Regel weder unbefristet beschäftigt noch mit reinen Lehraufgaben betraut wird. Ob sie aber gut lehren, ist für diese Nachwuchswissenschaftler zweitrangig, da sie sich primär über Forschungsleistungen für eine Professur qualifizieren müssen.

Weiß in der Regel die Verwaltung eines Fachbereiches noch mehr oder weniger genau, wer bei ihnen was unter welchen Bedingungen lehrt, so bildet die offizielle Personalstatistik die Verteilung der Lehrtätigkeit nicht einmal in Ansätzen ab. Bislang erfasst werden finanzierte Stellen (in Vollzeitäquivalenten) nach Personalkategorie, nicht aber die Anteile einzelner Personengruppen an der akademischen Lehre, das heißt die vorliegenden Daten geben keinen Aufschluss über die tatsächlich lehrenden Personen. Die im Fall der Kieler Stellenanzeigen immerhin zwischen zwei und acht Semesterwochenstunden variierenden Lehrverpflichtungen werden ebenso wenig erfasst wie Forschungssemester und Lehrdeputatsreduktionen von Professoren. Lehrbeauftragte werden nur bei Bezahlung in die Personalstatistik aufgenommen. Zwar existieren verstreut lokale Erhebungen der Lehrtätigkeit des Personals. Diese sollen aber die Lehrauslastung dokumentieren und zielen daher auf den Nachweis der Einhaltung kapazitätsrechtlicher Vorgaben und nicht auf die Qualitätsverbesserung der Lehre. Solange nicht bekannt ist, wer was unter welchen Bedingungen lehrt, sind gezielte Personalentwicklung ebenso wie systematische Qualitätsverbesserung der Lehre an den Hochschulen kaum möglich.

Wer misst wen?
Das Zusammenspiel dieser drei Bereiche – Unterfinanzierung der Hochschulen, Dominanz von Forschungsleistungen, Nichtwissen über das Lehrpersonal – hat zu einer nachhaltigen Devaluation der Hochschullehre geführt, die auch Maßnahmen zur Qualitätsmessung und Evaluation nicht beheben können. Vielmehr müssen solche Maßnahmen als realitätsferne Übung gelten, solange sie nicht die strukturellen Bedingungen der Hochschullehre reflektieren.

Es erscheint vermessen, die Qualität der Lehre zu messen, wenn nicht eine bestimmte Grundausstattung gegeben ist, die Qualität in der Lehre überhaupt erst möglich macht. Genauso wie für eine bestimmte Zahl von Studierenden entsprechende Räume und Arbeitsplätze vorhanden sein müssen, so darf auch ein Mindeststandard in den Betreuungsrelationen zwischen Studierenden und Lehrenden nicht unterschritten werden. Gute Lehre muss überhaupt erst einmal machbar sein.

Um eine ungenügende Grundausstattung zu ermessen, bedarf es weniger komplizierter Verfahren, als der Bereitschaft, unzumutbare Zustände zu erkennen. Hierfür reichte es in der Regel, sich während des Semesters eine Woche den Lehrbetrieb an einem Fachbereich anzuschauen, an dem mit personeller Unterausstattung eine Überlast an Studenten unterrichtet wird. Akzeptiert man, dass nicht Unwille oder Inkompetenz, sondern vor allem Überlastung der Fachbereiche gute Lehre behindern, erledigen sich Verfahren zur Messung unterschiedlicher Leistungsniveaus von selbst. Wer nicht bereit ist, ausreichend Lehrpersonal zu finanzieren, kann an den Konsequenzen auch durch Qualitätsmessung und Evaluation nichts ändern.

Dass es gut und sinnvoll ist, für eine gute Lehre zu sorgen und sich beständig zu bemühen, sie wo möglich zu fördern und zu verbessern, wird niemand ernsthaft bestreiten. Die erforderliche Grundausstattung für die Lehre ist quantifizierbar – zur Einhaltung von Mindeststandards und nicht für den wettbewerblichen Leistungsvergleich. Ebenso vorstellbar sind Kennziffern für eine differenzierte Erfassung der Lehrbelastung (Prüfung, Betreuung, Vor-/Nachbereitung). Kaum quantifizierbar hingegen ist die Qualität der Lehre. Kriterien wie Drittmittelvolumen oder Publikationsindizes, bereits in der Forschung umstritten, stehen für die Lehre nicht zur Verfügung. Ähnliches gilt für Messungen, die mit fraglichen Kausalitätsannahmen operieren, beispielsweise wenn aus Absolventenstudien Schlüsse über die Qualität der Lehre gezogen werden. Denn vielleicht war die Qualität der Lehre entscheidend für den beruflichen Erfolg der Absolventen, vielleicht aber auch nicht.

Wer aber könnte die Lehre qualitativ einschätzen? Professoren, die wechselseitig ihre Lehrveranstaltungen bewerten? Oder Studierende, am besten noch mit Sanktionspotential wie zum Beispiel Studiengebühren versehen? Sollen zukünftige Arbeitgeber befragt, externe Experten beauftragt (und bezahlt)6 oder doch lieber intern neue Abteilungen und Qualitätsmanagementsysteme installiert werden?

Die Frage, was gute Lehre ist, wer gut lehrt und wie die Lehre verbessert werden kann, sollte in erster Linie und vor allem von denen beantwortet werden, die es betrifft: den Studierenden und den Lehrenden. Genauso, wie es der Fachwissenschaft zugestanden wird, in erster Linie selbst über ihre Forschungsqualität zu befinden, ist es sinnvoll, die Bewertung der Qualität der Lehre in einem Fach denen zu überlassen, die damit unmittelbar zu tun haben.

Ob sie wollen oder nicht, an Lehrveranstaltungen sind immer Lehrende und Studierende beteiligt. Es handelt sich um eine gemeinsame Praxis, die eben auch nur gemeinsam verbessert werden kann. Der Student will nicht lediglich ‚eine Lehrveranstaltung besuchen’ und der Dozent nicht lediglich ‚eine Vorlesung halten’. Lehrende und Studierende wollen miteinander ins Gespräch kommen, beide haben ein Interesse an guter Lehre, beide würden, mit Humboldt gesprochen, sich gegenseitig aufsuchen, wenn sie sich nicht von selbst versammelten.

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Roland Bloch ist Politikwissenschaftler, Carsten Würmann Literaturwissenschaftler. Beide sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und arbeiten derzeit an dem vom BMBF geförderten Projekt „Wer lehrt was unter welchen Bedingungen? Untersuchung der Struktur akademischer Lehre an deutschen Hochschulen“.

Anmerkungen:
1 Ulrich Herbert / Jürgen Kaube: Die Mühen der Ebene. Über Standards, Leistung und Hochschulreform, in: H-Soz-u-Kult, 14.05.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1100&type=diskussionenonen> (09.06.2009).
2 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium, 2008, vgl. <http://www.wissenschaftsrat.de/texte/8639-08.pdf> (09.06.2009), S. 15, 54.
3 An der Exzellenzinitiative hatten sich in der ersten Runde 74 Universitäten mit 319 Antragsskizzen, in der zweiten Runde 67 Universitäten mit 261 Antragsskizzen beteiligt.
4 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zu einer lehrorientierten Reform der Personalstruktur an Universitäten, 2007, vgl. <http://www.wissenschaftsrat.de/texte/7721-07.pdf> (09.06.2009), S.46f; siehe auch Hochschulrektorenkonferenz: Eckpunkte für die künftige Zusammenarbeit von Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen, 2007, vgl. <http://www.hrk.de/de/download/dateien/Beschluss_Eckpunkte.pdf> (09.06.2009).
5 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/chancen/id=3666&type=stellenllen> und <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/chancen/id=3667&type=stellenllen> (09.06.2009).
6 Aber handelt es sich auch um Experten für die Qualität von Hochschullehre? So wunderte sich ein Professor an einer englischen Universität nach erfolgter Lehrevaluation: „You know if you say ‚We’re being visited for teaching quality’ then most people would assume, naturally, that some professional people were coming to the classes and to see how people teach. But it’s not that, it’s the paperwork which is inspected. The problem now is that you have to have an inordinate amount of paperwork saying that the review has taken place, and giving, you know, sort of details about what has happened, when it happened, how it happened, the outcomes, the follow up and so on” (zitiert bei Louise Morley, Quality and Power in Higher Education, Buckingham 2003, S. 116f).