Qualitätsmessung: W. Plumpe: Stellungnahme zum Rating des Wissenschaftsrates aus Sicht des Historikerverbandes

Von
Werner Plumpe, Historisches Seminar, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Beim nachfolgenden Beitrag handelt es sich um meine Stellungnahme für den Historikerverband im Rahmen eines am 4. April 2009 vom Wissenschaftsrat in Bonn abgehaltenen Workshops über disziplinäre Forschungsratings.

I.
Die Diskussion zum Forschungsrating wird im Historikerverband seit dem Sommer 2008 intensiv geführt. Ende Juni 2008 lehnten Vorstand und Ausschuss des Verbandes eine Teilnahme einstimmig ab, übergaben das Problem der letztgültigen Entscheidung aber der Mitgliederversammlung in Dresden und den dort neuzuwählenden Leitungsgremien. Im Vorfeld des Dresdner Historikertages wurde der Wissenschaftsrat über den Stand der Diskussion im Verband informiert. Die angebotene Möglichkeit, das Verfahren in Dresden erneut zu erläutern, nahm der Wissenschaftsrat an. Im Anschluss an diese Erläuterungen kam es zu einer kontroversen Diskussion in der Mitgliederversammlung, die ohne Entschließung endete. Insofern blieb der Beschluss vom Sommer 2008 in Kraft. Anfang Dezember 2008 führten Vorstand und Ausschuss des Verbandes mit Peter Strohschneider, dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, eine offene und konstruktive Diskussion zur Frage des Ratings und sagten zu, im Anschluss an eine öffentliche Debatte im Sommer 2009 endgültig zu entscheiden, ob der Historikerverband das Rating unterstützen wird. Der Verband informierte daraufhin seine Mitglieder über das Verfahren und bat um Stellungnahmen auch von Seiten der Historischen Institute.1 Bis heute ist eine Anzahl von Stellungnahmen eingegangen, die in der großen Mehrzahl das Verfahren ablehnen bzw. sehr skeptisch sehen und eine Teilnahme von erheblichen Vorbedingungen abhängig machen. Die Zahl der Befürworter, die es gibt, ist geringer; auch hier wird das Rating zumeist nur unter bestimmten Bedingungen befürwortet. Von acht Seminaren, die sich bisher geäußert haben, lehnen sechs eine Teilnahme ab. Die Debatte wird fortgeführt werden; Ende Mai 2009 soll in Berlin auf einer Podiumsdiskussion zum Thema noch einmal öffentlich diskutiert werden, bevor am 4. Juli 2009 in der gemeinsamen Sitzung von Vorstand und Ausschuss des Historikerverbandes eine endgültige Entscheidung über die Unterstützung bzw. Ablehnung des Ratings durch den Verband fallen wird. Auch ein zustimmendes Votum würde aber nicht bedeuten, dass alle Institute zu einer Beteiligung bereit sein werden. Eine Anfrage an den Wissenschaftsrat wäre, wie mit der Möglichkeit, dass eine nicht ganz geringe Zahl von Instituten sich verweigert, umgegangen werden soll.

II.
Die Befürworter des Verfahrens argumentieren in aller Regel ex negativo, das heißt, sie beurteilen eine Nichtteilnahme des Verbandes am Rating als nachteilig für das Fach Geschichtswissenschaft im bundesweiten Wettbewerb um die Zuweisung von Ressourcen und öffentlicher Reputation. Da das Rating des Wissenschaftsrates zudem durch Fachkollegen getragen werde, könne in diesem Rahmen außerdem ein mäßigender Einfluss auf das Bewertungsverfahren ausgeübt werden, der in konkurrierenden, durchweg abgelehnten Ranking- und Ratingverfahren fehle. Zur Frage, ob Ratings und dann auch ggf. das angestrebte Rating des Wissenschaftsrats an sich sinnvoll seien, wird in der Regel keine Stellung bezogen. Die Argumentation geht folgerichtig in die Richtung zu sagen, da Ratings nicht vermeidbar und unter Umständen folgenreich seien, sei es das beste, wenn man ein Verfahren wie das des Wissenschaftsrates unterstütze, da man sich hiermit auch gegen konkurrierende Verfahren wertender und messender Amateure wehren könne.

III.
Die ablehnenden Stimmen erkennen an, dass der Versuch des Wissenschaftsrates durch die Bereitschaft der Einbeziehung qualitativer Beurteilungen aufgrund des Oeuvres zu einen Rating zu kommen, ihn deutlich von vergleichbaren Unternehmen absetzt. Dennoch haben sie vielfältige Bedenken. Zunächst wird grundsätzlich der Sinn und die Bedeutung des Ratings in positiver Hinsicht bezweifelt. Hier könne es allein aufgrund der Unmöglichkeit, ein dynamisches Fach wie die Geschichtswissenschaft parametrisch gleichsam in einer Momentaufnahme abzubilden und wertend zu erfassen, zu keinen sinnhaften Resultaten kommen. Was dabei herauskomme, seien teilweise quantifizierte, immer aber parametrisierte Informationen für politische Diskussions- und Entscheidungsprozesse, die gemessen an der Realität des Faches unterkomplex seien, der Politik aber das Gefühl des Informiertseins durch die Wissenschaft selbst vermittelten. Auf diese Weise bediene der Wissenschaftsrat letztlich die politische Illusion, Wissenschaft lasse sich parametrisch durch das Setzen bestimmter Anreize steuern, und fördere damit die Herausbildung und Verfestigung strategischer Verhaltensweisen, die zumindest in den Geisteswissenschaften die akademische Kultur zerstörten. Das Fach habe es aber weder nötig noch sei es im eigenen Interesse verpflichtet, die gefährlichen Illusionen der derzeit politisch hegemonialen Strömungen zu bedienen. Sodann fragen sich viele Kollegen, wie – unterstellt, ein Rating sei an sich möglich – es unter den vorgesehenen Bedingungen überhaupt zu sinnvollen Ergebnissen kommen könne. Zumindest müsste das Rating von nun an in regelmäßigen Abständen wiederholt und zu identischen Bedingungen durchgeführt werden, um das sich dauernd ändernde Fach überhaupt abbilden und einigermaßen zutreffende Aussagen machen zu können. Punktaufnahmen, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung schon nicht mehr aktuell seien, könne niemand ernsthaft wollen, würden aber faktisch zementiert, da die Daten nach ihrer Publikation nicht mehr kontrollierbar seien, obgleich auch der Wissenschaftsrat anerkenne, dass das Verfahren noch in einem Versuchsstadium ist. Wenn überhaupt, sei ein solches Verfahren nur in einem regelmäßigen Rhythmus durchzuführen. Dies aber absorbiere derart große Kapazitäten, dass sich viele Historikerinnen und Historiker nicht nur fragen, ob Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis stehen, sondern wie unter diesen Bedingungen gleichzeitig exzellente Forschung, vorzügliche Lehre und eine verbesserte Selbstverwaltung bei gleichzeitiger laufender Änderung der Lehr- und Studienordnungen und deren permanenter Evaluation überhaupt praktisch durchgeführt werden können. Das Rating sei mithin nicht nur problematisch; bezogen auf die Verbesserung der Bedingungen an den Universitäten sei es geradezu kontraintentional. Sodann machen sich unsere Kolleginnen und Kollegen große Sorgen darüber, ob die sachliche, gegenständliche und methodische Vielfalt, ja Heterogenität unserer Disziplin in einem schematischen und schematisierenden Verfahren überhaupt angemessen zum Ausdruck gebracht werden kann. Insgesamt bestehen mithin neben der grundsätzlichen Skepsis auch erhebliche Zweifel an der Praktikabilität des vorgesehenen Ratings. Skepsis und Zweifel begründen daher zusammen die Haltung, den Verband zur Ablehnung des geplanten Ratings aufzufordern.

IV.
Nimmt man die vielen skeptischen Stimmen und Überlegungen zusammen, dann schält sich eine Anzahl von Punkten heraus, die in jedem Fall zu berücksichtigen sind, sollte es trotz aller Zweifel zum Rating kommen. Ich benenne nur einige prominente Punkte, andere können in der Diskussion ergänzt werden:

- die jeweilige finanzielle und institutionelle Lage der zu begutachtenden Einheiten ist differenziert ins Kalkül zu nehmen;
- die spezifischen Standortfaktoren der unterschiedlichen Universitäten und Forschungsstätten sind zu berücksichtigen;
- es ist genau anzugeben, auf welche Ressourcen der historischen Seminare das Forschungsrating zugreifen wird;
- die Zahl der gutachtenden Kollegen ist entsprechend der Heterogenität des Faches hoch anzusetzen; die gutachtenden Kolleginnen und Kollegen benötigen ausreichend Zeit für ihre Arbeit, insbesondere durch die Gewährung zusätzlicher Freisemester;
- die Beteiligung von Emeriti am Verfahren ist zu vermeiden;
- eine Begrenzung der herangezogenen Texte auf 50 Seiten ist nicht sinnvoll; gerade umfangreiche Monographien können den Höhepunkt eines wissenschaftlichen Oeuvres bilden und sind in den meisten Teilen der Geschichtswissenschaft international besonders anerkannt. Sie müssen daher angemessen einbezogen werden, was durch eine pröbchenweise Lektüre nicht geschehen kann; bei der Bewertung von Beiträgen in Zeitschriften ist auf dort u.U. genutzte Rankinglisten zu verzichten;
- die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses ist gesondert zu berücksichtigen;
- die Situation der kleinen Fächer ist angemessen zu berücksichtigen, u.a. bei der Gutachterauswahl;
- es ist sicherzustellen, dass die Ergebnisse des Ratings transparent verwendet werden;
- insgesamt ist das Verhältnis von Aufwand und Ertrag genau zu bedenken.

Zusammenfassend kann ich daher im Moment nur sagen, dass der Diskussionsprozess läuft, die Stellungnahmen außerordentlich heterogen sind, aber insgesamt Skepsis und Zweifel doch überwiegen. Keinesfalls kann der Historikerverband zum jetzigen Zeitpunkt seine Beteiligung zusagen; es ist sehr gut denkbar, aber nicht prognostizierbar, dass er im Sommer zu einem negativen Ergebnis kommt. Wir hoffen, in der Diskussion der kommenden Wochen mehr Klarheit zu gewinnen, damit dann im Sommer eine verantwortliche Entscheidung fallen kann.

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Werner Plumpe ist seit 1999 Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Hauptforschungsgebiete sind die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Neuzeit, Unternehmens- und Industriegeschichte und die Geschichte der ökonomischen Theorie. Er ist seit Herbst 2008 Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD).

Anmerkung:
1 Ein PDF-Kopie des Schreibens an die Mitglieder des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands und Geschäftsführenden Direktoren der Historischen Institute und Seminare an deutschen Hochschulen findet sich auf der Webseite der Historikerverbandes unter der URL: http://www.vhd.gwdg.de/pdf/2009-01-mitgliederbrief2.pdf.