Archiv 451. Trikont Verlag

Veranstalter
Haus der Kunst
PLZ
80538
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2023 - 18.02.2024
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benedikt Sepp, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Obwohl Archive die Orte sind, aus deren Beständen der Großteil des historischen Wissens zusammengesetzt wird, werden sie von der an diesem Wissen interessierten Öffentlichkeit nur selten aufgesucht; es braucht üblicherweise die Zwischeninstanz der Historikerinnen und Historiker, um aus (wenngleich kuratierten) Beständen an Rohmaterial die Geschichten erst zur Geschichte zu machen, die dann publikumswirksam aufbereitet und präsentiert werden kann. Die Ausstellungsreihe „Archives in Residence“ im Münchner Haus der Kunst möchte diesen Zwischenschritt überspringen: Seit 2020 werden in der Archiv Galerie neben einer Ausstellung über die Geschichte des 1933–1937 erbauten Hauses1 Bestände vor allem von autonomen Archiven gezeigt, die alternative oder vom Vergessen bedrohte Geschichten erzählen wollen und sollen. Nach Ausstellungen von Kunstsammlungen im Kontext geistiger Beeinträchtigung2 und über die Bestände des Queeren Archivs München3 widmet sich die Reihe seit Juli 2023 nun dem Archiv eines mit der linken Geschichte der Bundesrepublik eng verbundenen Verlages, der heute als Musiklabel fungiert: Trikont.4 Die Kuratorin Sabine Brantl hat mit dem Bureau Borsche für die Ausstellungsgrafik, mit Kalle Aldis Laar für die Hörstationen und mit Veronika Günther für die Szenographie zusammengearbeitet.


Abb. 1: „Keine Macht für Niemand“? Die Ausstellung über den Trikont-Verlag bietet ein buntes Panorama vor allem der 1970er-Jahre zwischen Chile-Solidarität, Frauenemanzipation, Umweltbewegungen, „Gastarbeit“ und vielen anderen Themen.
(Installationsansicht Haus der Kunst, 2023 / Foto: Maximilian Geuter)

Der 1967 ins Leben gerufene Verlag (benannt nach dem Begriff Trikont, der in der Linken den belasteten Begriff „Dritte Welt“ für Afrika, Asien und Lateinamerika ersetzen sollte), zog kurz nach seiner Gründung durch zwei SDS-Mitglieder von Köln nach München. Er war das vermutlich wichtigste und bekannteste Publikationshaus der zerfallenden antiautoritären Bewegung und des späteren alternativen Milieus der Bundesrepublik. Seine Bücher illustrieren vor allem die Ausdifferenzierung des linken Themenspektrums der Zeit: Während der Fokus zunächst auf Übersetzungen der wichtigsten Autoren der Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“ lag – Schriften von Fidel Castro, Che Guevara und Ho Chi Minh gehörten neben der „Mao-Bibel“ zu den Bestsellern dieser Zeit –, publizierte Trikont später auch deutsche Autorinnen und Autoren des alternativen Milieus der 1970er-Jahre, gab mit „AUTONOMIE. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft“ eine wichtige Sponti-Zeitschrift heraus und veröffentlichte Bücher zu und aus feministischen, homosexuellen, alternativen und regionalistischen Bewegungen. Unter dem Namen Dianus-Trikont verschob sich der Schwerpunkt des Verlages ab 1980 hin zu esoterischen und New-Age-Themen.


Abb. 2: Schriften aus Kuba oder die direkt aus China bezogene „Mao-Bibel“ gehörten zu den ersten Erfolgen des Trikont-Verlages.
(Installationsansicht Haus der Kunst, 2023 / Foto: Maximilian Geuter)

Fast von Beginn an waren auch Schallplatten von Bands wie „Ton Steine Scherben“ Teil des Trikont-Angebots gewesen, bevor der Verlag 1972 mit der Platte „Wir befreien uns selbst“ der „Gruppe Arbeitersache“ selbst begann, linke Musik zu veröffentlichen. Das Musikgeschäft wurde immer wichtiger und 1980 schließlich ausgegliedert; auf der offiziellen Website bezeichnet sich Trikont heute daher als das „wahrscheinlich älteste Indielabel der Welt“ (https://trikont.de, 22.01.2024). Im Laufe der 1980er-Jahre bildeten sich mehrere Schwerpunkte wie alternative bayerische Dialektmusik, vor allem aber die kuratierten Samples oft mit einem regionalen bzw. politischen Schwerpunkt heraus. Zu den bekanntesten Trikont-Veröffentlichungen gehört etwa die 2013 erschienene Zusammenstellung „Songs of Gastarbeiter“ (mit einem Folgealbum im Jahr 2022), die in Deutschland entstandene Lieder türkischer Migrantinnen und Migranten umfasst.

Während das Musiklabel Trikont bis heute besteht, meldete der Buchverlag 1986 Konkurs an. Einige Jahre später gründete die ehemalige Lektorin Christine Dombrowsky aus den Beständen des Verlagsarchivs das nach dem Film „Fahrenheit 451“ benannte „Archiv 451“, das die rund 250 Bücher des Verlagskatalogs, Plakate, Zeitschriften und anderes Material verschiedener Bewegungen aus München versammelt. Nach Dombrowskys Tod im Jahr 2010 wurde das Archiv 451 in das „Archiv der Münchner Arbeiterbewegung“ eingegliedert (https://www.arbeiterarchiv.de, 22.01.2024) und bildet nun den Schwerpunkt der Ausstellung.

Die Reihe „Archives in Residence“ und damit auch die aktuelle Ausstellung besteht nur aus einem halben Raum. Die andere Hälfte wird von der Ausstellung über die Geschichte des Hauses eingenommen, weshalb man zunächst an Videos marschierender Wehrmachtssoldaten vorbeimuss, bevor man in die Verlagsgeschichte eintauchen kann. Präsentiert werden vor allem Teile des Trikont-Katalogs, und zwar auf Tapetentischen – sicher nicht zufällig erinnert dieses Arrangement an die in den 1970er- und 1980er-Jahren vor den Universitäten üblichen Büchertische mit linken Raubdrucken. Ein Zeitstrahl mit den wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, kurze Angaben zur Verlagsgeschichte sowie eine Auswahl an Plakaten, Buttons, Aufklebern, die parallel zu den Tischen an der Wand angebracht sind, betten die Bücher und später die Schallplatten in den historischen Kontext ein.


Abb. 3: Die Ausstellung zu Trikont teilt sich den Raum mit der Ausstellung zur Geschichte des Hauses der Kunst. Zu sehen ist hier die unterschiedliche Präsentation der Geschichte des Verlages (an der Wand und auf den Tischen, begleitet von einem Zeitstrahl) und des gegenwärtigen Musiklabels (dessen Schallplatten-Hüllen im Raum hängen).
(Installationsansicht Haus der Kunst, 2023 / Foto: Maximilian Geuter)

Die Konjunktur an Themen, Ästhetiken, Milieus und Subströmungen, die die linke Szene seit Mitte der 1960er-Jahre prägte, wird sehr deutlich: Vom Protest gegen die Notstandsgesetze, der Mao-Bibel und Dokumenten von Guerillabewegungen über operaistische Texte aus Italien und feministischen Werken wandelte sich der Schwerpunkt des Verlages später hin zu Büchern über „alternative“ Technologien und esoterisches Wissen, zu Berichten aus dem „Freiheitskampf der Korsen“ und Weisheiten der „Indianer“. An von der Decke hängenden Gestellen – als ob sich die Musik von den angestaubten Tapeziertischen emanzipieren müsste – sind mitten im Raum zudem Schallplatten-Cover des Labels angebracht. Ein Audioguide bietet darüber hinaus kurze Ausschnitte aus Interviews mit Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern sowie mit Menschen aus dem Umfeld von Verlag und Label, die gesellschaftliche oder technische Hintergründe erläutern oder Anekdoten erzählen.5

Ohne Zweifel gewähren die Objekte (auf erläuternde Texte wird verzichtet) einen faszinierenden und kurzweiligen Einblick in die Entwicklung des linken Milieus der Bundesrepublik. Die Buchcover, Plakate, Aufkleber und Schallplatten-Hüllen erzählen zusammen mit den Berichten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eine eingängige Geschichte von linken Themen, Träumen und Schlagworten der 1970er- und 1980er-Jahre.


Abb. 4: Zahlreiche „Schriften zum Klassenkampf“, aber zum Beispiel auch „Der neue Antisemitismus. Die Liquidierung von Ausländerorganisationen in der BRD“ (1972) erschienen bei Trikont. Auf den Tapetentischen wird eine Auswahl von Publikationen des Verlages präsentiert – leider ist es nicht möglich, in den Büchern zu blättern oder die Klappentexte zu lesen.
(Installationsansicht Haus der Kunst, 2023 / Foto: Maximilian Geuter)

Die Frage ist nur, ob diese Geschichte nicht etwas zu eingängig ist. Die Narrative der letztlich dann doch in der Gesellschaft angekommenen Zeitzeugen und Zeitzeuginnen über „ʼ68“ und das linke Milieu der 1970er-Jahre prägen die öffentliche Wahrnehmung dieser Ära bis heute, und in gewisser Weise reproduziert die sich stark auf Buchcover und Schallplatten-Hüllen stützende Ausstellung diesen Blick: Linke Geschichte erscheint zwar von einer gewissen anfänglichen Revoluzzerhaftigkeit bestimmt, die aber schnell ins Kleinteilige, schließlich ins fast drollig-harmlose bis skurril-glückliche Scheitern abgleitet; das linke Milieu, für das Trikont hier steht, wirkt so eher als Vorgeschichte linksgrüner Bürgerlichkeit. Vielleicht ist eine Ausstellung nicht der Ort, um sich tiefergehend auch mit den Inhalten der Texte oder Songs zu befassen (einen Katalog oder Begleitband gibt es leider nicht), doch es wirkt geradezu symbolisch, dass sich die auf den Tapetentischen präsentierten Bücher – wenn auch vermutlich aus konservatorischen Gründen – nicht öffnen lassen. Eine ergänzende digitale Präsentation (etwa zum Blättern auf Tablets oder Monitoren) hätte Abhilfe schaffen können. Der Blick der Ausstellung auf Hüllen und Cover, auf Plakate und Aufkleber wiederholt fast zwangsläufig das etwas schablonenhafte Narrativ eines Milieus, das sich nach diversen Irrungen gut in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts angekommen fühlt. Um sich von den Inhalten der Debatten und Auseinandersetzungen, von Geschichten der geglückten oder gescheiterten Lebensentwürfe sowie von Fragen nach der Ver- oder Angemessenheit der Ziele und Träume dieser Zeit irritieren zu lassen, müsste man jedoch anfangen zu blättern.

Anmerkungen:
1 Siehe https://www.hausderkunst.de/eintauchen/archiv-galerie-2020-21-historische-dokumentation (22.01.2024).
2 Siehe https://www.hausderkunst.de/eintauchen/archiv-galerie-euward-archiv (22.01.2024).
3 Siehe https://www.hausderkunst.de/eintauchen/forum-queeres-archiv-muenchen (22.01.2024).
4 Die Geschichte des Verlages haben vor einigen Jahren Christof Meueler und Franz Dobler erforscht und dargestellt: Christof Meueler / Franz Dobler, Die Trikont-Story. Musik, Krawall & andere schöne Künste, München 2017.
5 Die O-Töne können auch außerhalb der Ausstellung abgerufen werden: https://hdk.currit.net/#/locations/24 (22.01.2024).