Ausgestopft und Ausgestellt? Versuch einer Begegnung mit Jüdischen Museen

Ausgestopft und Ausgestellt? Versuch einer Begegnung mit Jüdischen Museen

Veranstalter
GRASSI Museum Leipzig
PLZ
04103
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.07.2023 - 26.11.2023

Publikation(en)

Cover
Heimann-Jelinek, Felicitas; Sulzenbacher, Hannes (Hrsg.): "Ausgestopfte Juden?". Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Jüdischen Museen. Göttingen 2022 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-5259-9 431 S., 143 farb. Abb. € 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Roos, Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow, Leipzig

Selten hat die Übernahme einer Sonderausstellung durch ein anderes Museum auf den ersten Blick so überrascht; selten sich die Neuverortung auf den zweiten Blick als so produktiv erwiesen. Von Juni 2022 bis März 2023 zeigte das Jüdische Museum Hohenems die Ausstellung „“Ausgestopfte Juden?“ Geschichte, Gegenwart und Zukunft Jüdischer Museen“. Zu sehen ist diese aktuell im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, dort unter dem Titel „Ausgestopft und Ausgestellt? Versuch einer Begegnung mit Jüdischen Museen“.

Der zunächst irritierende Titel greift ein Zitat des damaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Paul Grosz, auf, der angesichts der dortigen Pläne, ein Jüdisches Museum zu gründen, die bittere Gegenfrage stellte, ob hier Jüdinnen und Juden „wie ausgestopfte Indianer“ bestaunt werden sollten. Folgerichtig fragen Felicitas Heimann-Jelinek und Hannes Sulzenbacher, die die Ausstellung kuratierten, danach, was in Jüdischen Museen nun eigentlich zu sehen ist. Hierzu haben sie nicht nur die Hohenemser Bestände gründlich durchleuchtet, sondern Objekte aus weltweit über 30 Einrichtungen zusammengetragen.

Unterteilt in 14 Abschnitte stellen sie Sammlungs- und Ausstellungspraktiken auf den Prüfstand: Was ist jüdisch? Wie ist jüdisch? Folgt die Ausstellung dem „Jüdischen System“, stellt sie also die Geschichte von Juden getrennt von einem dann überzeitlich und überörtlich erscheinenden Ritus dar? Beginnt sie in biblischen Zeiten? Woher kommen die Objekte, was ist zu sehen – und was nicht? Wie kann es gelingen, die jüdische Erfahrung, insbesondere, aber eben nicht nur, von Ausgrenzung, Verfolgung und Holocaust, zu visualisieren? Wie verorten sich Jüdische Museen im Spannungsfeld zwischen Partikularismus und Universalismus, wie wird Israel thematisiert, wie die Jüdische Frau? Wie sammeln Museen die Gegenwart?

Wichtige Gestaltungselemente der Ausstellungsarchitekten Martin Kohlbauer und Stefanie Diwischek, wie die Bodenflächen voller „Davidsternkonfetti“ aus Hohenems, konnten nicht übertragen werden. Vielleicht wirkt die Leipziger Variante deswegen auf den ersten Blick fast klassisch: originale Objekte in Vitrinen mit einleitendem Text und dezent gehaltenen Beschriftungen – ohne deren genaue Lektüre sich der Sinn der Objektarrangements nicht erschließt. In ihrer konzeptuellen Anlage und inhaltlichen Ausrichtung ist die Ausstellung jedoch alles andere als klassisch; eher im Gegenteil: Sie wirft grundsätzliche Fragen an Museen auf. Themenabschnitt für Themenabschnitt, Objekt für Objekt, wird Herkunft und Aussagekraft, die Entstehungs-, aber auch die Wirkungsgeschichte von Ausstellungen analysiert und das Bild von Juden, das auch Museen mit ihren Sammlungen und deren Präsentation geschaffen haben, selbstreflexiv hinterfragt.

Prominent platziert ist beispielsweise ein Fenster aus der Hohenemser Sammlung; man meint, einen Davidstern darin zu erkennen. Das Museum hatte es, kurz vor seiner Eröffnung, bei einem Antiquitätenhändler als „Dachfenster einer zerstörten Synagoge“ erworben. Doch blieb die Herkunftsgeschichte des Fensters unklar. Zudem waren sechszackige Sterne bereits im Mittelalter im süddeutschen Raum, in Tschechien und in der Schweiz als Symbol für Brauereien weit verbreitet. Als Davidstern missverstanden, gelangten Objekte mit Hexagramm – egal ob Fenster oder Bierkrug – häufig in die Sammlungen Jüdischer Museen. Im Hintergrund kommentiert eine Installation aus Neonröhren ironisch die Präsentation: „If it's Jewish we have it!“


Abb. 1: Blick in die Ausstellung „Ausgestopft und Ausgestellt? Versuch einer Begegnung mit Jüdischen Museen“: im Vordergrund das Fenster mit David- oder Brauereistern; im Hintergrund das Ladenschild von Abe's Jewish Bookstore
(© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Foto: Tom Dachs)

Gestalterisch sticht insbesondere der erste Raum heraus. Bis auf eine Handpuppe, die vermeintlich einen Rabbiner darstellt, sind hier keine originalen Objekte zu sehen, sondern eine großformatige Fotocollage von Figurinen, die überall auf der Welt in Jüdischen Museen zu sehen sind: die eines Betenden in Moskau, die eines Rabbiners in Athen oder die eines Viehhändlers in Bouxwiller.


Abb. 2: Blick in die Ausstellung „Ausgestopft und Ausgestellt? Versuch einer Begegnung mit Jüdischen Museen“. Eine Fotocollage im ersten Raum zeigt Figurinen, die aktuell in Jüdischen Museen zu sehen sind. Über der Collage links erkennt man die Handpuppe „Rabbiner“, die das Jüdische Museum Hohenems vor seiner Eröffnung erwarb, wobei weder der historische Kontext recherchiert noch die Zuschreibung als Rabbiner überprüft wurde.
(© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Foto: Tom Dachs)

Im zweiten Raum wird daran deutlich, wie produktiv der Transfer der Ausstellung nach Leipzig ist: Léontine Meijer-van Mensch und Marc Wrasse haben sie im Bereich „West-Asien“ des Völkerkunde-Museums neu verortet. Die Vitrinen der Dauerausstellung von 2009, die im Rahmen von „REINVENTING GRASSI“ Stück für Stück erneuert wird, sind zugeklebt, doch ermöglichen Gucklöcher einen Einblick: Zu sehen sind „ethnographische Ausstellungshilfen" in Form von Figurinen, die Alltag und Kultur in außereuropäischen Ländern veranschaulichen sollten. Dass dies aktuell, in Jüdischen wie Ethnologischen Museen, stark in der Kritik steht, zeigen die Vitrinen gegen Ende der Ausstellung: Die Figurinen dort sind zur Seite gedreht, scheinen das Museum gerade zu verlassen.


Abb. 3: Blick in die Ausstellung „Ausgestopft und Ausgestellt? Versuch einer Begegnung mit Jüdischen Museen“. Die Ausstellung wurde im Bereich „West-Asien“ des Völkerkundemuseums verortet. Die Vitrinen der alten Dauerausstellung sind zwar größtenteils übergeklebt, doch ermöglichen Gucklöcher einen punktuellen Einblick und stellen so ungeahnte Sichtbeziehungen zwischen den Präsentationsweisen Jüdischer und Ethnologischer Museen her.
(© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Foto: Tom Dachs)

Die inhaltliche Ebene der Ethnologischen Museen fällt durch deren Gestaltung in einem hellen Pink deutlich ins Auge. Beispielsweise sind einzelne Worte auf den Texttafeln der alten Dauerausstellung in pink überklebt und deuten an, dass auch hier eine Aktualisierung notwendig ist. Die Auswahl, was noch lesbar, was bereits gestrichen ist, erscheint zunächst willkürlich; man sieht „work in progress“ und damit eher den Beginn eines Wandels als konkrete Ergebnisse. Dass auch die ethnologische Ebene einem klaren Konzept folgt, macht eine, ebenfalls in pink gestaltete, Broschüre deutlich, die am Eingang zur Ausstellung kostenfrei ausliegt. Hier zeigt sich ein vollständig verändertes Verständnis der Aufgaben und Funktionen von Museen: Es wird keine Orientierung geboten, sondern in Frage gestellt und damit an der Glaubwürdigkeit von Museen gerüttelt, statt scheinbar gesichertes Wissen vermittelt.

Da man die Ausstellung durch den selben Raum verlässt, durch den man sie betritt, steht am Anfang und am Ende die gleiche leere Vitrine: ein Nachbau der Vitrine, die im Rahmen der Ausstellung „Die ganze Wahrheit … was Sie schon immer über Juden wissen wollten“ im Jüdischen Museum Berlin 2013 weltweit Schlagzeilen machte. In Berlin lebende Jüdinnen und Juden waren eingeladen, sich in die Vitrine zu setzen und mit den Ausstellungsgästen ins Gespräch zu kommen. Zu Beginn hält man sie für einen Auftakt, einen durchaus polarisierenden Weg, wie die Vielfalt jüdischer Geschichte und Gegenwart ausgestellt werden kann. Am Ende wirft sie eher Fragen auf: Bleiben die Vitrinen zukünftig leer – weil die Herkunft der Objekte durch Raub und Gewalt belastet ist oder sie stereotype Vorstellungen reproduzieren statt zu widerlegen?

Der Abschnitt zur Zukunft Jüdischer Museen, der immerhin Teil des Untertitels der Hohenemser Ausstellung war, besteht aus einem einzigen Objekt: einer Kohlezeichnung des Künstlers William Kentridge aus dem Fries „Triumphs and Laments“. Die Zeichnung greift eine Szene aus dem Titusbogen auf, die bereits im Ausstellungsteil „Der Ursprung des Jüdischen in der Antike“ zu sehen war. Doch ziehen bei Kantridge nicht stolze Sieger mit ihrer Beute aus dem Jerusalemer Tempel in Rom ein, sondern es sind Kriegsversehrte, die die Menora tragen. Ergänzt wird die Zeichnung um ein Zitat des Künstlers: „Die Triumphzüge der einen sind die Klagelieder der anderen“ und die Fragen: „Doch wer sind hier die einen und wer die anderen? Und sind sie es immer?“


Abb. 4: Blick in die Ausstellung „Ausgestopft und Ausgestellt? Versuch einer Begegnung mit Jüdischen Museen“. Im Abschnitt „Der Ursprung des Jüdischen in der Antike“ der Ausstellung ist ein Gipsabguss eines Ausschnitts des Titusbogens in Rom zu sehen. Er begegnet den Besuchenden wieder am Ende der Ausstellung und stellt in seiner künstlerischen Bearbeitung neue Fragen an Jüdische Museen.
(© Museo Nazionale dellèbraismo Italiano e della Shoha, Ferrara, Foto: Marco Caselli Nirmal)

Die Ausstellung lässt offen, ob die zukünftige gesellschaftliche Relevanz Jüdischer Museen, wie häufig gefordert, darin liegt, jüdische Geschichte als Folie zu nutzen, um die Klagelieder Anderer nachvollziehbarer zu machen, oder ob sich die Partikularität jüdischer Erfahrung eben jener Universalisierung versperrt. Sie zeigt aber, wie produktiv es sein kann, die Bilder „des Einen“ und „des Anderen“ als eindeutige und unveränderbare Größen zu hinterfragen.

Bemerkenswert ist, dass es insbesondere der zeitgenössischen Kunst gelingt, definitorischen Reduktionismus mit Vielschichtigkeit zu begegnen. Sie wird in der Ausstellung häufig herausgehoben, jenseits der Vitrinen, präsentiert, etwa Patrick Zachmanns „Portrait einer Holocaust-Überlebenden“, dem selbstironischen „Jüdischen Tittendruck“ von Annie Sprinkle oder einer Fotografie der Performance „Dancing Inside Out“ von Steven Cohen, die die Mehrfachzugehörigkeiten und -diskriminierungen des queeren, jüdischen und südafrikanischen Künstlers zum Ausdruck bringt.

Als Ausstellung über das Ausstellen ist die Schau eine Meta-Reflexion für Museumsfachleute, kein „Museum für alle“. Aufgrund ihrer spezifischen Fragestellungen wird sie vermutlich keine Massen erreichen, und dies trotz ihrer klaren Gliederung, den verständlich geschriebenen Texten und dem, dank der gut ausgewählten Objekte, hohen Grad an Anschaulichkeit. In Zeiten, in denen der Erfolg von Ausstellungen allzu oft ausschließlich anhand der Länge der Warteschlange vor den Kassen gemessen wird, ist es mutig und produktiv zugleich, dass eine Ausstellung die Erwartungen der Museumsgäste bewusst nicht erfüllt, sondern bricht. Sie lässt so die Wirklichkeit in Geschichte und Gegenwart komplexer werden anstatt sie aufgrund vermeintlich didaktischer Überlegungen zu reduzieren.

Besonders empfehlenswert ist auch der hervorragend gestaltete Katalog zur Hohenemser Ausstellung. Er gliedert sich in drei Teile: Der Aufsatzteil, die „Bestandsaufnahmen“, gibt unter anderem einen fundierten Überblick über erste Judaica-Sammlungen vor der Zäsur des Holocaust sowie über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte Jüdischer Museen in der Bundesrepublik. Der zweite Teil umfasst den eigentlichen Katalog und zeigt alle Objekte der Ausstellung in ausgezeichneter Bildqualität und ergänzt diese um detaillierte Informationen. Er ordnet sie anhand der zentralen Kapitel der Ausstellung, die übergreifend eingeleitet werden. Im letzten Abschnitt, den „Beziehungsgeschichten“, geben teils sehr persönliche Texte Antworten auf die Frage nach der Relevanz Jüdischer Museen. Besonders positiv fällt auf, dass es dem Katalog gelingt, einen weltweiten Blick einzunehmen und insbesondere die Brücke über den Atlantik zu schlagen. Einzig eine noch stärkere Verortung der Geschichte und Gegenwart Jüdischer Museen in der allgemeinen Museumsentwicklung, wie dies etwa der Beitrag von Barbara Kirshenblatt-Gimblett mit Blick auf die neu verabschiedete ICOM-Museumsdefinition tut, hätte an der ein oder anderen Stelle noch stärker vorgenommen werden können.

Der Untertitel der Leipziger Ausstellung spricht vom „Versuch einer Begegnung“, wohl auch mit Blick auf das Spannungsfeld, in dem sich eine Kooperation zwischen Jüdischen und Ethnologischen Museen aktuell bewegt: den teils erhitzten Debatten um die Präzedenzlosigkeit des Holocaust und der Notwendigkeit der Aufarbeitung der Verbrechen des Kolonialismus sowie den die postkoloniale Theorie sowie Praxis in Teilen prägenden Antisemitismus, wie er zuletzt bei der documenta 15 öffentlich sichtbar wurde. Eine Bilanz des Versuchs wird sich sicherlich erst später ziehen lassen. Anregend und sehenswert ist diese Begegnung aber definitiv.

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