München Displaced. Heimatlos nach 1945

Veranstalter
Münchner Stadtmuseum
PLZ
80331
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.07.2023 - 07.01.2024

München Displaced. Der Rest der Geretteten

Veranstalter
Jüdisches Museum München
PLZ
80331
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.07.2023 - 17.03.2024
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Höschler, Stadtarchiv Rosenheim

Seit die geschichtswissenschaftliche Forschung zu den Displaced Persons (DPs) im Nachkriegsdeutschland Mitte der 1980er-Jahre ihren Anfang nahm, ist international, vor allem aber im deutsch- und englischsprachigen Raum eine stetig wachsende Zahl an Publikationen erschienen.1 Diese spannen den Bogen von Überblicksdarstellungen bis hin zu Untersuchungen spezieller Aspekte der DP-Thematik und lokalhistorischen Arbeiten. Trotz des inzwischen bemerkenswerten Umfangs an Forschungsliteratur zu den Überlebenden der NS-Verfolgung und ihrer Situation nach Kriegsende sind die DPs im Geschichtsbewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit wie auch in der Erinnerungskultur noch immer unterrepräsentiert. Daher besteht neben diversen Forschungsdesideraten besonders in der Vermittlungsarbeit zur DP-Thematik noch viel Handlungsbedarf.


Abb. 1: Die Doppelausstellung „München Displaced“ präsentiert neue Erkenntnisse zur Stadtgeschichte Münchens und leistet gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung der DP-Thematik allgemein.
(Foto: Eva Jünger / Jüdisches Museum München)

In München unternimmt ein Gemeinschaftsprojekt zweier Museen derzeit passenderweise den Versuch, neueste Rechercheergebnisse über die lokale und zugleich immer transnationale DP-Geschichte in zwei parallel laufenden, konzeptionell aufeinander abgestimmten Ausstellungen zu dokumentieren: Im Münchner Stadtmuseum greift die Sonderschau „München Displaced. Heimatlos nach 1945“ die Geschichten von DPs verschiedenster Herkunft auf, wobei hier thematisch und chronologisch eine stärkere historische Kontextualisierung erfolgt, als es für so manche Darstellung zur DP-Geschichte üblich ist. Im benachbarten Jüdischen Museum stehen bei der Ausstellung „München Displaced. Der Rest der Geretteten“ die Lebenswege jüdischer DPs im Mittelpunkt, was sowohl der besonderen Situation von Holocaust-Überlebenden im besetzten Nachkriegsdeutschland wie auch ihrem Stellenwert in der bisherigen Erforschung der DP-Thematik entspricht. Durch die räumliche Nähe der zwei Einrichtungen am Sankt-Jakobs-Platz und das Angebot eines Kombitickets ist es möglich, beide Ausstellungen nacheinander zu besuchen. Eine solche direkte Kooperation der beiden Häuser findet hier erstmals statt.

Mit Blick auf die Reihenfolge bietet sich aufgrund der breiteren Makroperspektive zuerst der Besuch von „München Displaced. Heimatlos nach 1945“ im Münchner Stadtmuseum an. Die Ausstellung beginnt mit einer Einführung zur DP-Geschichte und vermittelt dabei wesentliche Eckdaten – von der Gesamtzahl der DPs im Nachkriegseuropa (ca. 11 Millionen) über die verschiedenen Gruppen, aus denen sich die DP-Population zusammensetzte (vor allem ehemalige Zwangsarbeiter:innen und befreite KZ-Häftlinge), bis hin zu den wichtigsten Entwicklungen hinsichtlich der Repatriierung bzw. Emigration von DPs. Für München ist die genaue Zahl an DPs schwer zu rekonstruieren, auch deshalb, weil nicht alle durch die Alliierten registriert wurden. Für die unmittelbare Nachkriegszeit ist jedoch von über 100.000 Personen mit DP-Status auszugehen, die sich in der Landeshauptstadt aufhielten. Ein Grund für diese hohe Zahl war die vormalige Omnipräsenz von Zwangsarbeit in München und Umgebung2, die in der Ausstellung mit der griffigen Formel „von BMW bis zum Bäcker um die Ecke“ veranschaulicht wird.

Nach dem Prolog zur Ausstellung geht es in den Hauptraum, an dessen Außenwänden zahlreiche DP-Lager und sonstige DP-Einrichtungen Münchens steckbriefartig als Teil einer lang gezogenen Sequenz präsentiert werden. An manchen Orten hielten sich bereits während des Krieges NS-Verfolgte auf – so etwa in der Bibliothek des Deutschen Museums, wo ab Frühjahr 1944 ausländische Zwangsarbeiter:innen untergebracht waren. Neben kleineren, vielfach noch nicht näher erforschten Lagern werden die größeren, mitunter bereits bekannten Orte der Münchner DP-Geschichte präsentiert. Hierzu zählt die „Funkkaserne“ im Norden der Stadt. Dieses Transitzentrum – das erste DP-Lager Münchens überhaupt – durchliefen wöchentlich etwa 5.000 Personen, anfangs vor allem im Kontext von Repatriierungstransporten. Später wandelte sich die Einrichtung zu einem Auswanderungszentrum für DPs. Der individuelle Aufenthalt wurde zunehmend zur Geduldsprobe, da für die Emigration zahlreiche Formalitäten und Vorbereitungsmaßnahmen vor Ort absolviert werden mussten.

In der Mitte des Raumes können Besucher:innen thematische Module erkunden, die sich mit unterschiedlichen Aspekten befassen, unter anderem mit der Rolle von (internationalen) Hilfsorganisationen, der Gründung besonderer DP-Einrichtungen jenseits typischer Lagerstrukturen, dem reichhaltigen Kulturleben von DPs, individuellen (Familien-)Biografien sowie mit dem Handeln von DPs als aktiven Gestaltern ihres Alltags im viel zitierten „Wartesaal“ der DP-Lager.

Vorgestellt wird zum Beispiel die UNRRA-Universität (United Nations Relief and Rehabilitation Organization), die im Deutschen Museum untergebracht war. Deren Rektor, Otmar Pirkmajer (Pirkmayr)3, wollte selbst nicht nach Jugoslawien zurückkehren. Anhand von Fotos, Dokumenten und Objekten (darunter Lehrbücher) werden die Geschichte und die Aufgaben der Einrichtung gezeigt. Die UNRRA-Universität bestand zwar nur zwei Jahre, war aber ein wichtiger Baustein der edukativen Rehabilitation von DPs in München: Im Herbst 1946 wies die Einrichtung über 2.000 Studierende und knapp 150 Dozent:innen auf.

Auch sonst vermittelt die Ausstellung ein beeindruckendes Panorama kultureller Aktivitäten im Münchner DP-Kosmos: So lernen Besucher:innen diverse DP-Publikationen kennen (etwa die anfangs mehrsprachige Zeitschrift „D.P. Express“), erfahren aber auch viel über Kindererziehung, Schulwesen und Ausbildungsaktivitäten in den DP-Lagern. Letzteres war nach den Jahren der Verfolgung zwar ein dringendes Anliegen, blieb trotz der Unterstützung durch Hilfsorganisationen jedoch eine Herausforderung, da es einen eklatanten Mangel an geeignetem Lehrpersonal und Unterrichtsmaterialien gab. Ein beeindruckendes Exponat stellt das großflächig präsentierte Gemälde „Displaced Persons“ des Ukrainers Jacques Hnizdovsky dar. Es entstand 1948 im DP-Lager Weyarn und greift verschiedene Facetten des Lageralltags künstlerisch auf. Im Jahr 1949 emigrierte Hnizdovsky (1915–1985) in die USA und wurde dort unter anderem als Grafikdesigner tätig.

Im Kontext der DP-Forschung ist es nicht selbstverständlich, den Zeithorizont jenseits der operativen Tätigkeiten der UNRRA (1945–1947) und der IRO (International Refugee Organization, 1947–1951) anzusetzen. An diesem Punkt stellt die Ausstellung eine löbliche Ausnahme dar: Relativ ausführlich geht sie auch auf die Situation der „Heimatlosen Ausländer“ ein – so die Bezeichnung für ehemalige DPs in deutscher Verwaltungszuständigkeit ab 1951. „Heimatlose Ausländer“ fanden unter anderem in der „Siedlung Ludwigsfeld“ ein neues Zuhause, die auf dem früheren Gelände des Dachauer KZ-Außenlagers Allach errichtet wurde. Am Stadtrand Münchens entstand hier, in isolierter Lage, eine lebendige Schicksalsgemeinschaft, zu der knapp 3.000 Bewohner:innen mit mehr als 30 Nationalitäten bzw. auch Staatenlose gehörten.

Neben der Darstellung thematischer Aspekte und der Topografie zur Münchner DP-Geschichte liegt eine wesentliche Stärke der Ausstellung in der konsequenten Einbettung von Biografien. Durch deren Erzählung kommen individuelle Lebenswege und persönliche Erfahrungen vor, während und nach der Verfolgung zum Ausdruck. Bei Besucher:innen kann so Empathie jenseits von Statistiken zur DP-Geschichte entstehen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der Prolog zur Ausstellung mit einer Großaufnahme des polnischen Schriftstellers Tadeusz Borowski (1922–1951) beginnt, der im DP-Lager Freimann seine Erzählung „Wir waren in Auschwitz“ verfasste. Die Ausstellung berücksichtigt auch Biografien aus dem Umfeld bislang wenig beachteter DP-Gruppen, etwa DPs mit armenischem oder kalmückischem Hintergrund.

Auch die Co-Ausstellung „München Displaced. Der Rest der Geretteten“ im Jüdischen Museum setzt mit einer historischen Kontextualisierung ein, die der Darstellung der spezifisch jüdischen DP-Geschichte im Nachkriegsmünchen vorangestellt ist. Nach der Befreiung befanden sich in den westlichen Besatzungszonen knapp 50.000 bis 75.000 jüdische Überlebende, die zunächst, gemeinsam mit nicht-jüdischen DPs, gemäß ihrer jeweiligen Nationalität in verschiedenen DP-Lagern unterkamen. Erst die Veröffentlichung des berühmten Harrison-Reports (eines Untersuchungsberichts zur Situation jüdischer DPs im Auftrag von US-Präsident Harry S. Truman) ermöglichte es, dass für jüdische DPs, unabhängig von ihrer Nationalität, eigene Lager eingerichtet wurden. Die Zahl an jüdischen DPs erhöhte sich ab 1946 nochmals, als infolge gewalttätiger Ausschreitungen gegen jüdische Menschen in Osteuropa (zu erwähnen ist besonders das Pogrom im polnischen Kielce) über 100.000 Personen ins besetzte Deutschland und gerade in die US-Zone flohen.

München entwickelte sich nicht zuletzt hierdurch zu einem Zentrum der „Scheʼerit Hapleta“ (der „letzten Überlebenden“) und somit zu einem Mittelpunkt jüdischer DP-Geschichte nach der Befreiung.4 Zahlreiche jüdische Hilfsorganisationen ließen sich in der Stadt nieder und forcierten ein vor allem osteuropäisch-jüdisches Lebensgefühl, das sich neben dem politischen Diskurs, dem religiösen Neuanfang und praktischen Fragen der Zukunftsgestaltung auch im Kulturleben manifestierte. Besonders die Möhlstraße sowie diverse benachbarte Straßen im Stadtteil Bogenhausen wurden zum Lebensmittelpunkt jüdischer DPs und ihrer Einrichtungen. Zahlreiche Gebäude, die von den Besatzungsbehörden beschlagnahmt wurden, konnten durch Hilfsorganisationen wie das American Jewish Joint Distribution Committee (AJDC), die Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) und das Zentralkomitee der befreiten Juden bezogen werden.

Tagtäglich suchten Hunderte jüdische DPs aus München (aber auch aus dem Umland) das Viertel auf, um Lebensmittel und andere Hilfsgüter zu beziehen. Sie hofften zugleich, im Kontext der Vermisstensuche und Schicksalsklärung hier wertvolle Informationen über Angehörige und Freunde zu erhalten. Neben lokalen Dependancen von Hilfsorganisationen entstanden weitere Einrichtungen, darunter Büros jüdischer Zeitungsredaktionen, koschere Metzgereien und Lokale. Eine in der Ausstellung präsentierte Info-Broschüre der Hilfsorganisation ORT (Organization for Rehabilitation through Training) verdeutlicht den Umfang der Angebote und Anlaufstellen, die für den Alltag jüdischer DPs relevant waren.


Abb. 2: Info-Broschüre für jüdische DPs, die unter anderem Kontaktdaten für verschiedene Ämter des Zentralkomitees der befreiten Juden sowie Adressen jüdischer Cafés und Lebensmittelgeschäfte in München verzeichnete
(Foto: Eva Jünger / Jüdisches Museum München)

Zu den jüdischen DP-Lagern in München gehörte unter anderem das Lager Neu-Freimann an der Ingolstädter Straße. Es entstand aus der vormaligen „Reichskleinsiedlung Kaltherberge“, deren Bewohner:innen auf Anordnung der Besatzungsbehörden ihre Häuser vorübergehend räumen mussten. Insgesamt wurden hier ca. 20.000 jüdische DPs einquartiert. Erst im Mai 1950 kehrten die letzten deutschen Bewohner:innen in ihre Häuser zurück. Weitere wichtige Lager für jüdische DPs waren die bereits erwähnte „Funkkaserne“ (in ihrer Funktion als Auswanderungslager) sowie die im weiteren Umfeld von München gelegenen Lager Landsberg und Feldafing. Erst 1957 schloss das „Regierungsdurchgangslager für heimatlose Ausländer“ in Feldafing am Starnberger See – das letzte jüdische DP-Camp im Nachkriegsdeutschland.

Ein weiterer Ort mit Bezug zur jüdischen DP-Geschichte Münchens war das Ensemble Hebräisches Gymnasium mit Volksschule und Kindergarten in der Möhlstraße 45. Erziehungs- und Bildungsaktivitäten waren hier, in hebräischer Sprache, vor allem auf die Auswanderung nach Palästina (ab 1948 Israel) ausgerichtet. Von herausragender Bedeutung war auch die Wiedereinweihung der Synagoge in der Reichenbachstraße im Frühjahr 1947, als die Israelitische Kultusgemeinde das in der NS-Zeit verwüstete und zweckentfremdete Gebäude wieder übernehmen konnte. Bis zum Umzug an den Sankt-Jakobs-Platz 2006 war die Reichenbachstraße das Zentrum jüdisch-religiösen Lebens in München.


Abb. 3: Original-Einrichtungsgegenstände und erhaltene Sakralobjekte aus der Synagoge in der Reichenbachstraße gehören zu den beeindruckendsten Exponaten der Ausstellung im Jüdischen Museum.
(Foto: Eva Jünger / Jüdisches Museum München)

Die in der Forschung gut dokumentierte Selbstorganisation jüdischer DPs und der Wille zur aktiven Zukunftsgestaltung werden in der Ausstellung eindrücklich veranschaulicht: von der Gründung des Zentralkomitees der befreiten Juden über die Veröffentlichung von Namenslisten Überlebender, öffentliche Aufrufe zur Dokumentation der NS-Verbrechen und zur Abgabe von Zeitzeugenberichten bis hin zu jüdischen Kunstausstellungen in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus – jüdisches Leben und Überleben wurden im Nachkriegsmünchen deutlich sichtbar, trotz (oder gerade wegen?) der zeitlichen Nähe zur NS-Diktatur und der Rolle Münchens als vormaliger „Hauptstadt der Bewegung“. Zwischen jüdischen DPs und der einheimischen Bevölkerung kam es auch zu Spannungen, die in realen Auseinandersetzungen gipfelten. In einem Fall führte ein antisemitischer Leserbrief, der 1949 in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht wurde, zu einem Aufschrei innerhalb der jüdischen DP-Community. Daraufhin organisierten Hunderte von jüdischen DPs eine Demonstration, die in der Möhlstraße begann. Die Aktion verlief zunächst friedlich, eskalierte jedoch zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit der deutschen Polizei. Erst das Eingreifen der US-amerikanischen Militärpolizei konnte die Situation wieder unter Kontrolle bringen.

Die Kuratorinnen der beiden Ausstellungen (Hannah Maischein und Karolina Novinšćak Kölker für das Münchner Stadtmuseum sowie Jutta Fleckenstein und Ulrike Heikaus für das Jüdische Museum) haben ihre Darstellungen auf Basis eines gemeinsamen Konzepts erarbeitet. Inhaltlich verzahnen beide Ausstellungen in gelungener Weise den historischen Kontext der NS-Verfolgung mit Überblickswissen zur DP-Geschichte und lokalhistorischen Spezifika. Durch die Kombination von Lager- bzw. Einrichtungsdokumentationen, individuellen Fallgeschichten und einer Vielzahl an ortsübergreifenden Themen spiegelt die Doppelausstellung die dynamische Entwicklung der DP-Forschung in den letzten Jahrzehnten wider. Der administrative Rahmen der DP-Verwaltung unter anderem durch die Militärregierung sowie die UNRRA und die IRO tritt, so scheint es, bewusst etwas in den Hintergrund. Dies schafft Raum für eine umfassende Darstellung der sozialen und kulturellen Dimensionen der DP-Geschichte, die für die Lebenswege ehemaliger Verfolgter von hoher Bedeutung waren und deren Handlungsspielräume gut veranschaulichen. Auch die Gegenwartsrelevanz der DP-Geschichte wird zur Diskussion gestellt: Am Ende der Ausstellung im Stadtmuseum werden Besucher:innen zur Partizipation eingeladen, indem sie ihre Gedanken zu Fragen wie „Wo bist du zuhause?“ oder „Wann fühlst du dich nicht zuhause?“ schriftlich festhalten können. Im Jüdischen Museum wird hingegen gezielt auf Leerstellen bei den überlieferten Quellen zur Münchner DP-Geschichte hingewiesen. Bei einem Text zum Standort des Zentralkomitees der befreiten Juden in der Möhlstraße 12a etwa ist kein Foto vorhanden. Als Platzhalter stattdessen: „Hier fehlt etwas. Haben Sie Fotos von dem Gebäude und dem Zeitraum?“

Das Gestaltungsbüro „gewerkdesign“ hat für beide Ausstellungen ein minimalistisches Konzept mit überwiegend aufgeklebten Papierträgerformaten gewählt, welches in seiner Schlichtheit, aber auch mit Blick auf den Werkstattcharakter der noch laufenden Forschungen zur Münchner DP-Geschichte überzeugt. Medial überwiegen Abdrucke historischer Fotografien und Dokumente. Objekte als Exponate finden sich nur wenige. Durch Hörstationen, Videosequenzen und faksimilierte Quellen, in denen Besucher:innen blättern können, sind aber wiederholt interaktive, immersive und haptische Elemente vorhanden.


Abb. 4: Eine multimediale Sequenz zeigt die Biografie des russischstämmigen Gleb Bulanow, der ab 1947 im DP-Lager Schleißheim lebte und 1951 in die USA emigrierte.
(Foto: Münchner Stadtmuseum)

Die Ausstellungen sind nicht überfrachtet. Zwischen den einzelnen Inhalten besteht großzügige Bewegungsfreiheit, was der Orientierung zuträglich ist. Geringfügige Unterschiede in der Umsetzung der beiden Ausstellungen sind vermutlich den Forschungshistorien und Sammlungsaufträgen beider Institutionen geschuldet. So finden sich in der Schau im Jüdischen Museum deutlich mehr Objekte als im Stadtmuseum. Insgesamt aber sind die beiden Ausstellungen durch die einheitliche Gestaltung als aufeinander abgestimmter Sinnzusammenhang wahrnehmbar. Durch ein Leitsystem am Boden wird eine für Besucher:innen sichtbare Verbindung zwischen den Orten der Münchner DP-Geschichte einerseits sowie relevanten Themen und Biografien andererseits hergestellt.


Abb. 5: Die schlichte, klare Gestaltung der Schau „München Displaced“ trägt dazu bei, dass sich Besucher:innen in der komplexen DP-Thematik leichter orientieren können.
(Foto: Münchner Stadtmuseum)

Zusammengefasst zeugt die hervorragende Doppelausstellung „München Displaced“ nicht nur von einem gelungenen Vermittlungskonzept (das auch Rundgänge im Stadtraum umfasst), sondern zugleich von einer fachhistorischen Kompetenz, welche der Umsetzung der beiden Ausstellungen spürbar zugutegekommen ist. Wer bis Anfang Januar noch Gelegenheit hat, sie zu besuchen, sollte dies rechtzeitig tun – leider gibt es keinen Katalog, und ab dem 8. Januar 2024 ist das Münchner Stadtmuseum „für eine mehrjährige und umfassende Sanierung“ vorerst geschlossen.

Anmerkungen:
1 Einen aktuellen Überblick zur deutschsprachigen Forschung geben Nikolaus Hagen u.a. (Hrsg.), Displaced Persons-Forschung in Deutschland und Österreich. Eine Bestandsaufnahme zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2022, https://doi.org/10.23665/DigiOst/HI-14 (30.09.2023); rezensiert von Anna Holian, in: H-Soz-Kult, 07.10.2022, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118132 (30.09.2023), mit Verweisen auf weitere, auch englischsprachige Literatur.
2 Siehe z.B. Andreas Heusler, Ausländereinsatz. Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939–1945, München 1996; Elsbeth Bösl / Nicole Kramer / Stephanie Linsinger, Die vielen Gesichter der Zwangsarbeit. „Ausländereinsatz“ im Landkreis München 1939–1945, München 2005.
3 Über ihn gab es 2022 eine eigene Ausstellung in Ljubljana: https://mgml.si/en/city-museum/exhibitions/595/dr-otmar-pirkmajer/ (30.09.2023).
4 Als ein übergreifendes Standardwerk siehe weiterhin Angelika Königseder / Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt am Main 1994, aktualisierte Neuausgabe 2004.