Die Schweiz und die Shoa - Von Kontroversen zu neuen Fragen

Die Schweiz und die Shoa - Von Kontroversen zu neuen Fragen

Veranstalter
Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der PH FHNW am Zentrum für Demokratie Aarau sowie Professur für die Didaktik der Gesellschaftswissenschaften und ihre Disziplinen der PH FHNW
Veranstaltungsort
Zentrum für Demokratie, Villa Blumenhalde, Küttigerstrasse 21, 5000 Aarau, Schweiz
Ort
Aarau
Land
Switzerland
Vom - Bis
22.01.2011 - 22.01.2011
Deadline
13.01.2011
Von
Schneider, Claudia

Das Erinnern an die Shoa in der Schweiz war lange massgeblich von einer Identitätspolitik bestimmt, die davon ausging, dass weder Staat noch Zivilgesellschaft in die Shoa involviert gewesen seien. Demgegenüber zeigte die historische Forschung insbesondere zu den Wirtschaftsaktivitäten der Schweiz, dass die weltweit verflochtene Wirtschaft und ihre international agierenden Akteure im nationalsozialistisch kontrollierten Europa einen Umgang mit Partnern und Konkurrenten entwickelten und pflegten. Sie analysierte, dass dieser nur teilweise den damals geltenden Massstäben ethisch vertretbaren Wirtschaftsgebarens entsprach und erst
recht nicht den heutigen. Ebenso zeigte sich, dass die Respektierung der Neutralität der Schweiz durch Dritte weniger den militärischen Bemühungen als vielmehr dem allseitigen Nutzen geschuldet war, den die Kriegsparteien und insbesondere die Nationalsozialisten in ihr erkannten. So wurde deutlich, dass die Vorstellung einer zivilen wie politischen Distanz der Schweiz zum damaligen Weltgeschehen eine Fiktion war, was das Feld für die Diskussion der Frage öffnete, welchen Anteil die Schweiz an der Shoa habe.

Diese Frage ist eine historisch drängende, sie stösst aber auch ins Zentrum der heutigen Identitätssuche von Schweizerinnen und Schweizern bzw. der Schweiz. Und dies in dreifacher Weise:
Zum einen fordert sie Erinnerungsgemeinschaften zur Befragung ihrer Selbstvergewisserungen und zur teilweise konsequenten Neubeleuchtung ihrer Erinnerungen bzw. zu einer schmerzhaften Neudefinition ihrer Identität(en) auf. Diese Herausforderung ist umso grundsätzlicher, als sie auf die historische Gleichzeitigkeit von Massenmord und Vernichtung (Shoa) und relativ friedlichem Alltag in der Schweiz zwischen 1933 und 1945 zurückgreift. Gerade dieser Gleichzeitigkeit hat sich demgegenüber die Geschichtswissenschaft als einer Forschungsfrage verstärkt zu stellen, hat sie sich doch bislang zuwenig um die historische Aufarbeitung des Alltags und der diskursiven Durchdringung der unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Milieus während dieser Jahre bemüht.
Des weitern verbindet sie sich mit der heutigen Identitätssuche und Handlungssicherheit einer Gesellschaft, die ihre weltweite Vernetztheit in einer globalisierten Welt nicht nur hinsichtlich Wirtschaft und Politik neu einordnen muss sondern auch hinsichtlich eines globalisierten Denkens. Dieses beleuchtet und bewertet über die Orientierung am Völkerrecht und am Menschenrechtsdiskurs Gegenwart und auch Vergangenheit neu – und insbesondere aus der Perspektive der Opfer.
Schliesslich machen heutige Kontroversen und Kommunikationslosigkeiten bezüglich Erinnerung an die Zeit des Zweiten Weltkrieges deutlich, dass der zwischenzeitliche geschichtskulturelle und vor allem geschichtspolitische Umgang mit der belasteten Zeit deren heutige Verarbeitung zusätzlich erschweren. Sie werfen damit die Frage auf, in welchem Verhältnis die jeweilige Interpretation zu den dann aktuellen politischen Verhältnissen gestanden hat.

Gegenwärtige Suchbewegungen für eine kollektive Identität der Schweiz kombinieren sich also mit dem Ringen um Erinnerung. Dabei gerät insbesondere die Interpretation des Anteils der Schweiz und der schweizerischen Gesellschaft an der Entrechtung und Ermordung der Juden und Jüdinnen in Europa in den Fokus.

Die zweite Tagung in der Reihe zu "Erinnerung - Verantwortung - Zukunft" organisiert sich entlang dreier Beobachtungsachsen: Erstens geht es um eine Geschichte der schweizerischen Gesellschaft zur Zeit des Nationalsozialismus und ihre Vermittlung in Geschichtskultur und Geschichtsunterricht. Zweitens interessieren unterschiedliche, zum Beispiel gruppenspezifische Erinnerungstraditionen mit ihren Strategien, Ausformungen und Wirkungen und ihre Bedeutung für die Geschichtskultur und den Geschichtsunterricht. Drittens wird die Geschichte der historischen Auseinandersetzung mit dem Thema «Schweiz – Zweiter Weltkrieg», in Verbindung mit den geschichtspolitischen Kämpfen der sie umgebenden Gesellschaft und ihren Wirkungen auf die Geschichtskultur und den Geschichtsunterricht, thematisiert.

Programm

08.30: Begrüssungskaffee

09.00: Eröffnung
Prof. Dr. Béatrice Ziegler, Leiterin Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik, PH FHNW, am ZDA, Aarau

09.15: 1. Workshop
Holocaust und politische Bildung – Überlegungen zu einem komplexen Zusammenspiel
(Dr. Miryam Eser Davolio, Institut Sozialplanung und Stadtentwicklung, Hochschule für Soziale Arbeit der FHNW, Basel)

Der Zweite Weltkrieg und die Moral der Geschichte.
Aspekte des Geschichtsbewusstseins von Schweizer Jugendlichen
(Prof. Dr. Carsten Quesel, Leiter Zentrum Bildungsorganisation und Schulqualität, Schwerpunkt Bildungsorganisation, PH FHNW, Aarau)

Holocaust-Erinnerung in der Schweizerischen Bevölkerung
(lic. phil. Nicole Burgermeister, lic. phil. Nicole Peter, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich)

Moderation: Prof. Dr. Peter Gautschi, Leiter der Professur für die Didaktik der Gesellschaftswissenschaften und ihre Disziplinen, PH FHNW, Aarau

11.15: 2. Workshop
Volkstheater als Medium der Kritik an der Flüchtlingspolitik?
(Dr. Beat Hodler, Neue Kantonsschule Aarau)

"Unbesungene Heldinnen"? Hilfe für Verfolgte zur Zeit des Nationalsozialismus in der Schweiz und geschlechtsspezifische Erinnerungsdebatten nach 1945
(lic. phil. Susanne Businger, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, ETH Zürich)

Zwei Bilder, eine Realität oder: eine Realität in zwei Bildern – Jüdische Gemeinschaft und Öffentlichkeit in der Schweiz am Ende des Zweiten Weltkrieges
(Dr. des. Zsolt Keller, Seminar für Kulturwissenschaften und Europäi-sche Ethnologie, Universität Basel)

Moderation: lic. phil. Bernhard Schär, Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik, PH FHNW, am ZDA, Aarau

12.45: Stehlunch

14.15: 3. Workshop
Die Schweiz im Zentrum der US-amerikanischen "Crusade for Justice"
(Dr. des. Jan Surmann, Dissertation abgeschlossen bei Prof. Dr. Jürgen Martschukat, Historisches Seminar, Universität Erfurt)

Erinnerungskultur und Psychotraumatologie: Der Wandel im Umgang mit NS-Verfolgten in der Schweiz zwischen 1960 und 2000
(Dr. Patrick Kury, Historisches Seminar, Universität Bern)

Moderation: Prof. Dr. Béatrice Ziegler

15.45.16.30: Tagungsrückblick und Abschluss der Tagung
Rückblick und Ausblick: Die Schweiz und der Holocaust
(Prof. Dr. Thomas Maissen, Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)

Moderation: Prof. Dr. Béatrice Ziegler

Kontakt

Auskunft zur Administration und Anmeldung: Daniela Prina, daniela.prina@fhnw.ch

Auskunft zu inhaltlichen Fragen: Claudia Schneider, claudia.schneider@fhnw.ch

http://www.fhnw.ch/ph/pbgd
Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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