Ideengeschichte und Ideenpolitik der Säkularisierung in der russischen und sowjetischen Kulturgeschichte

Konferenz zu Ideengeschichte und Ideenpolitik der Säkularisierung in der russischen und sowjetischen Kulturgeschichte

Veranstalter
Christian Zehnder, Clemens Günther (Otto-Friedrich-Universität Bamberg)
Ausrichter
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltungsort
Obere Karolinenstraße 8, Raum 02.04
Gefördert durch
Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschafstförderung
PLZ
96049
Ort
Bamberg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
13.06.2024 - 15.06.2024
Von
Clemens Günther, Osteuropa-Institut, Abt. Kultur, FU Berlin

Vom 13.-15.06.2024 findet an der Universität Bamberg eine interdisziplinäre Tagung zur "Ideengeschichte und Ideenpolitik der Säkularisierung in der russischen und sowjetischen Kulturgeschichte" statt.

Konferenz zu Ideengeschichte und Ideenpolitik der Säkularisierung in der russischen und sowjetischen Kulturgeschichte

Säkularisierung gehört zu den notorisch unscharfen Begriffen der Geistesgeschichte. Obwohl Säkularisierung im engeren juristischen Sinne als staatlicher Entzug kirchlichen Eigentums klar definiert und auch historiographisch für verschiedene Kontexte untersucht werden kann (und auch untersucht worden ist), so fungiert die Deutungskategorie der Säkularisierung in der Geistesgeschichte doch primär als „ideenpolitischer Begriff“ (Hermann Lübbe 1965), der „in einer unverbindlichen Vieldeutigkeit und auf Präzision gar nicht angelegten Okkasionalität“ (Hans Blumenberg 1983) verwendet wird. An solchen impliziten Referenzen herrscht auch in Arbeiten zur russischen Kulturgeschichte kein Mangel, wohl aber an expliziten Erklärungen, was wo in welcher Weise säkularisiert wird.

Ist von Säkularisierung die Rede, dann geht es zumeist um normative Fragen der (Il-)Legitimität einer geschichtlichen Entwicklung und einer gegenwärtigen Situation oder um geschichtsphilosophische Konstruktionen struktureller Analogien zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Säkularisierung als diskursiver Begriff und ideenpolitisches Narrativierungsangebot unterliegt dabei Konjunkturen, die sich in identitären Krisensituationen konzentrieren. In diesen werden grundlegende Fragen nach historischen Trajektorien und moralischen Orientierungsquellen einer Gesellschaft thematisiert. Idealtypisch steht hierfür die deutsche Säkularisierungsdebatte nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, deren ideengeschichtliche „Aufarbeitung“ anhand der Säkularisierungsthese (Lübbe 1965, Blumenberg 1983, Flasch 2017 u.a.) konzeptuell für die Untersuchung der russischen Kultur- und Intellektuellengeschichte herangezogen werden soll.

Eben dieser Nexus von Ideengeschichte und Ideenpolitik der Säkularisierung steht im Zentrum der Tagung zur Ideengeschichte und Ideenpolitik der Säkularisierung in der russischen und sowjetischen Kulturgeschichte. Diese verfolgt ein primäres Interesse an (werk)biographischen, generischen, ästhetischen und epochalen Konstellationen, in denen die Bezugnahme auf die religiös geprägte Vergangenheit von zentraler ideenpolitischer Bedeutung für individuelle und kollektive Identitätsbildungen sowie für ästhetische Um(be)setzungen ist. Besonders interessieren in diesem Zusammenhang die normativen und rhetorischen Gehalte der Reflexion über Prozesse der Verweltlichung sowie die mit diesen verbundenen metaphorologischen und argumentativen Schemata und ihre werkimmanenten und diskursgeschichtlichen Funktionen. Eine untergeordnete Rolle spielen hingegen soziologische Fragen nach dem Stellewert religiöser Praktiken und Institutionen oder historische Fragen nach der Gültigkeit von Säkularisierungsdiagnosen.

Auf Basis eines breiten Untersuchungsfokus vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart werden folgende Schwerpunkte fokussiert werden:
1) Diskursivierungen von Säkularisierung an ausgewählten „Epochenschwellen“
2) (Anti)-Säkularisierungsnarrative der russischen Literatur
3) Konzeptuelle Substitutionen religiöser Denkfiguren
4) Metaphorologische Schemata

Programm

DONNERSTAG, 13. JUNI 2024

Panel 1: Säkularisierung in Russland: Grundlagen

14.30 Begrüßung (Kai Nonnenmacher, Dekan der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften)
Einführung (Clemens Günther, Christian Zehnder)

15.00 Lilia Berezhnaya (Münster)
Säkularisierung in Russland als historiographisches Forschungsthema

15.45 Aage A. Hansen-Löve (München/Wien)
Säkularisierung und Remythisierung – am Beispiel der russischen Literatur vom Realismus zur Postmoderne. Typologische Konstanten und Varianten

Panel 2: Topographien

17.00 Josephine von Zitzewitz (London)
Literatur als Religion und die Russisch-Orthodoxe Kirche: Das Religiös-Philosophische Seminar (Leningrad 1974–1980)

17.45 Eliane Fitzé (Fribourg)
Belovod’e, Bujan, Kitež: Insel-Tropen als Antisäkularisierungsnarrative in der russischen Literatur und im Film von der Sowjetzeit bis heute

FREITAG, 14. JUNI 2024

Panel 3: Säkularisierung und Macht

9.00 Regula M. Zwahlen (Fribourg)
Theokratie im post-konstantinischen Zeitalter

9.45 Rainer Goldt (Mainz)
Die Wiederkehr des verborgenen Herrschers: Die Legende vom Starcen Fedor Kuz’mič als Antisäkularisierungsnarrativ

Panel 4: Verweltlichung
11.00 Heinrich Kirschbaum (Freiburg)
„Die große Verweltlichung der Sprache“: Osip Mandel’štams Säkularisierungsbegriff zwischen Kulturkritik und Poetik

11.45 Dirk Uffelmann (Gießen)
Verweltlichte Inkarnation. „Sorokin“ in Dachau

Panel 5: Sonderwege? Säkularisierungsnarrative in Russland

14.00 Clemens Günther (Berlin)
Gott und Golem – Kybernetik, Säkularisierung und die Frage nach einem sowjetischen Sonderweg

14.45 Christian Zehnder (Bamberg)
Säkularisierungsnarrative der spätsowjetischen Geisteswissenschaften

15.30 Nikolaj Plotnikov (Bochum)
Kontroversen um das normative Menschenbild in der russischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts

SAMSTAG, 15. JUNI 2024

Panel 6: Tolstoj und die (Il-)Legitimität der Moderne

9.00 Lina Steiner (Bonn)
Leo Tolstoy on the Path to Secular Modernity

9.45 Jens Herlth (Fribourg)
Nataša betet: Legitimitätsproblematiken in Vojna i mir

Panel 7: Jenseits des Christentums

11.00 Michał Mrugalski (Tübingen)
Schamanische Depression: Über das Schweben zwischen Säkularisierung und Sakralisierung

11.45 Klaus Buchenau (Regensburg)
Die russische Islamdebatte. Russlands indigener Islam als Argument für und wider die Säkularisierung

Kontakt

clemens.guenther@fu-berlin.de

Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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