Alles fake? Materielle Kultur und Konsum zwischen Reinheit, Nachahmung und (Ver-)Fälschung

Alles fake? Materielle Kultur und Konsum zwischen Reinheit, Nachahmung und (Ver-)Fälschung

Veranstalter
Prof. Dr. Julia Schmidt-Funke und Ansgar Engels, Arbeitskreis Materielle Kultur und Konsum in der Vormoderne
Veranstaltungsort
Universität Leipzig
PLZ
04107
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
15.11.2024 - 16.11.2024
Deadline
30.06.2024
Von
Ansgar Engels, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Alles fake? Materielle Kultur und Konsum zwischen Reinheit, Nachahmung und (Ver-)Fälschung

Der interdisziplinäre Arbeitskreis Materielle Kultur und Konsum in der Vormoderne (AK MKKV) wurde 2016 gegründet und führt seitdem jährliche Arbeitstagungen durch (siehe https://mkkv.hypotheses.org/). In diesem Jahr steht die Arbeitstagung unter dem Titel „Alles fake? Materielle Kultur und Konsum zwischen Reinheit, Nachahmung und (Ver-)Fälschung“ und findet vom 15. bis 16.11.2024 an der Universität Leipzig statt.

Everything fake? Material culture and consumption between purity, imitation, and adulteration

The interdisciplinary working group Material Culture and Consumption in Premodernity (AK MKKV) was founded in 2016 and has been holding annual workshops ever since (see https://mkkv.hypotheses.org/). This year's conference is entitled "Everything fake? Material culture and consumption between purity, imitation, and adulteration" and will take place at Leipzig University from 15 to 16 November 2024.

Alles fake? Materielle Kultur und Konsum zwischen Reinheit, Nachahmung und (Ver-)Fälschung

Die Reinheit, Unverfälschtheit und Normgerechtigkeit von Gütern waren in der Vormoderne ein Gegenstand obrigkeitlicher bzw. genossenschaftlicher Kontrolle und gesellschaftlicher Aushandlung. Fleisch, Gewürze und Arzneien, Leinwand oder Wolltuche wurden zum Zweck der Lebensmittelsicherheit oder Qualitätskontrolle beschaut, Zunft- und Policeyordnungen legten Herstellungsarten und Eigenschaften fest und schrieben Kontrollen vor. Motive wie Produktsicherheit und Verbraucherschutz gingen dabei mit Marktaufsicht und Wettbewerbsregulierung Hand in Hand und waren ihrerseits an übergreifende Normen wie Reinheit, gute Ordnung, Nahrung oder öffentliche Gesundheit geknüpft.

Zugleich stellte die Herstellung von Materialien und Gütern, die den Anschein erweckten, von höherer Qualität oder aus kostbarerem Material gefertigt zu sein oder die die Eigenschaften rarer und fremdartiger Güter imitierten, eine wesentliche Triebkraft gewerblicher Innovation dar. Diese wurde durch die Aktivitäten von kapitalkräftigen Kaufleuten-Verlegern oder der fürstlichen Einrichtung von Manufakturen mancherorts gefördert, traf andernorts aber auf den Widerstand von Obrigkeiten und Gewerbetreibenden. Nicht immer handelte es sich bei den neuentwickelten Gütern um günstigen Ersatz für Hochwertiges, mit denen sich größere Konsument:innenkreise erreichen ließen. Wie sich etwa am Fall des europäischen Porzellans zeigen lässt, konnten im Gegenteil auch gerade solche imitierenden Materialien und Objekte das Luxussegment besetzen.

Die Qualität von Gütern wurde mit Praktiken der Beglaubigung bestätigt, etwa indem Kontrollen öffentlich durchgeführt und die Güter mit Markierungen versehen wurden. Das benötigte warenkundliche Wissen, das in der Handwerks- und Kaufmannsausbildung seit jeher seinen Platz gehabt haben dürfte, wurde zunehmend schriftlich fixiert und vermittelt. Weniger stark ausgeprägt als die Norm stofflicher Reinheit und Unverfälschtheit waren Konzepte dinglicher Echtheit und Originalität. Zwar wurden (teils spektakuläre) Fälschungen als solche verurteilt, aber die Übernahme und Aneignung von Motiven und Herstellungstechniken waren nicht im Sinne eines Urheberschutzes verboten. Stattdessen sollten Privilegien die Exklusivität von Gütern sicherstellen, zudem wurde versucht, das Wissen über Herstellungstechniken unter Verschluss zu halten, um Nachahmung zu verhindern. Auch schöner Schein im Sinne täuschend echter Nachahmung galt nicht zwangsläufig als Makel. Erst nachdem im 18. Jahrhundert die Idee des geistigen Eigentums an Bedeutung gewonnen hatte und mit fortschreitender Industrialisierung eine massenhafte Fertigung erfolgte, wurden Nachahmungen zunehmend als wertlose Imitate und Surrogate abqualifiziert.

Das Tagungsthema greift zentrale Fragen der Materiellen-Kultur- und Konsumforschung auf: Anhand von Reinheit, Nachahmung und (Ver-)Fälschung lässt sich herausarbeiten, welche Probleme eine sich diversifizierende und globalisierende Güterwelt aufwarf und welche Ordnungsanstrengungen daraus resultierten. Berührt werden Aspekte wie Wettbewerbsregulierung und Innovationspotential ebenso wie der Wandel von Qualitäts- und Originalitätskonzepten. Aus dem umrissenen Themenspektrum freuen wir uns über Vortragsvorschläge aus allen zu materieller Kultur und Konsum arbeitenden Disziplinen, die für die Epochen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auch unter Berücksichtigung globaler Verflechtung beispielsweise folgende Aspekte thematisieren:
- Reinheit und Verfälschung von Gütern (u.a. Lebensmittel, Arzneien, Färbemittel, Textilien): Welche Güter waren betroffen, welche Akteure involviert? Worin bestand mögliche Verfälschung? Welches Wissen über stoffliche Reinheit und Unverfälschtheit war vorhanden, insbesondere bei globalen Gütern? Was hieß Reinheit und Verfälschung aus Sicht der Akteure?

- Imitate, Surrogate, Fälschungen (z.B. von globalen Gütern, Genussmitteln, Werkstoffen, Naturalien, Antiken/Antiquitäten): Welche Formen der Aneignung, Nachahmung oder Fälschung gab es? Auf welche Transfers gingen sie zurück, wer war daran beteiligt? Wie verhielten sich die Reinheits-/Echtheitsansprüche globaler Güter zur Akzeptanz von lokalen Nachahmungen?

- Verhältnis von materieller und ideeller Reinheit (z.B. in Form von Reinheitsgeboten, Diffamierung von Minderheiten): Welche Bedeutung wurden der Reinheit und Unverfälschtheit von Waren für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung beigemessen? Welche gesellschaftlichen Normen wurden mit der Qualität von Waren verknüpft? Wer bezichtigte wen der Verunreinigung und Verfälschung und mit welchen Begriffsfeldern war dies verknüpft?

- Konzepte von (dinglicher) Originalität und Echtheit (Diskurse um Urheberschaft, Plagiat, imitatio und aemulatio ): Welche Kriterien wurden für die Echtheit von Gütern formuliert? Wer unterschied auf welche Weise das Original von der Fälschung? Welche Legitimität besaßen Nachahmung und Nachschöpfung? Welche Diskurse waren mit der Fälschung von exklusiven Raritäten in kleiner Zahl bis hin zur Imitation serieller Produkte verbunden?

- Praktiken der Regulierung, Kontrolle und Beglaubigung: Welche Akteure und Institutionen kontrollierten die Qualität von Gütern und welche Normenkonflikte ergaben sich ggf. hieraus? Wie wurde die Qualitätskontrolle von Gütern ausgehandelt? Was folgte daraus für das Machtverhältnis zwischen den Akteuren? Welche Bedeutung wurden Wettbewerb und freiem Markt im Unterschied zu Regulierung und Privileg beigemessen?

Wir begrüßen ausdrücklich die Einreichung von Vorschlägen von Kolleg:innen aus dem musealen und konservatorischen Bereich und möchten auch Promovierende ermutigen, thematisch einschlägige Projekte vorzustellen.

Themenvorschläge in deutscher oder englischer Sprache werden bis 30.06.2024 per E-Mail an Ansgar Engels und Julia Schmidt-Funke (fnzgeschichte@uni-leipzig.de) in folgender Form erbeten:
- Abstract (ca. 1500 Zeichen)
- kurzer Lebenslauf mit den wichtigsten Publikationen

Aktiv Teilnehmenden erstatten wir die Übernachtungskosten sowie die Reisekosten für eine Bahnfahrt 2. Klasse. Für Flugreisen kann nach Absprache ein Zuschuss gewährt werden.

Everything fake? Material culture and consumption between purity, imitation, and adulteration

In pre-modern times, the purity, authenticity, and standardization of goods was subject to official supervision and social negotiation; for instance, meat, spices, and medicine were inspected for safety, and linen or woollen cloth for quality control. Guilds and authorities regulated the production and composition of goods and ordered inspections. Motives such as product safety and consumer protection went hand in hand with the regulation of markets and competition, and were linked to norms such as purity, good order, subsistence, or public health.

At the same time, the production of materials and goods that gave the impression of being of higher quality, or were made of more precious materials, or that imitated the characteristics of rare and foreign goods were key drivers of commercial innovation. In some places, this was fostered by entrepreneurial activities or princely support, but in other places it evoked protest from authorities and craftsmen. The imitations were not always cheap substitutes for high-quality goods that could thereby reach a wider range of consumers. On the contrary, as can be seen in the case of European porcelain, these imitative materials and objects were able to occupy the luxury segment.

The quality of goods was confirmed through authentication practices; for example, by carrying out public inspections and labelling the goods. The required merchandise knowledge, which had probably always been part of the training of craftsmen and merchants, was increasingly recorded in and communicated in writing. However, quality controls were more concerned with impurities and contamination than with plagiarism and counterfeiting. Although (sometimes spectacular) forgeries were condemned as such, the adoption and appropriation of motifs and production techniques were not prohibited in the sense of copyright. Rather, privileges were intended to ensure the exclusivity of goods and attempts were made to keep the knowledge of new production techniques under lock and key. Even imitative materials were not necessarily considered a flaw. It was only after the idea of intellectual property gained importance in the 18th century, and mass production advanced with industrialisation, that imitations were increasingly disqualified as worthless imitations and surrogates.

Based on purity, imitation, and adulteration, it is possible to examine what problems a diversifying and globalising world of goods posed and what regulatory efforts resulted from this. The conference therefore addresses central questions of material culture and consumer research, including the regulation of competition, the potential for innovation, and changes to the concepts of quality and originality. We welcome proposals for papers from all disciplines working on pre-modern European and globally entangled material culture and consumption that address, for example, the following aspects:
- Purity and adulteration of goods (including food, medicines, dyes, textiles): Which goods were affected, which actors were involved, which practices occurred? What kind of knowledge was available about material purity and authenticity, especially in the case of global goods? What did purity and adulteration mean from the actors’ point of view?

- Imitations, surrogates, forgeries (e.g., of global goods, luxury goods, materials, natural products, antiques/antiquities): What forms of appropriation, imitation, or forgery appeared? Which transfers enabled them and who was involved? How did the claimed purity and/or authenticity of global goods relate to the acceptance of local imitations?

- The relationship between material and non-material purity (e.g., purity laws, defamation of minorities): What role did purity, authenticity, and conformity play in the maintenance of social order? What social norms were linked to the quality of goods? Who accused whom of impurity and adulteration, and in which contexts?

- Concepts of (material) originality and authenticity (discourses on authorship, plagiarism, imitatio and aemulatio): What criteria were formulated for the authenticity of goods? Who distinguished the original from the forgery and how? What legitimacy did imitation and re-creation have? What discourses were associated with the imitation of goods, ranging from exclusive rarities to serial production?

- Practices of regulation, control, and authentication: Which actors and institutions controlled the quality of goods and what conflicts of norms resulted from this? How was the quality control of goods negotiated? What did this mean for the balance of power between actors? How were competition and the free market evaluated in opposition to regulation and privilege?

We welcome proposals from colleagues working as curators and restorers and would also like to encourage doctoral candidates to present thematically relevant projects.

Proposals in German or English are requested by 30 June 2024 by e-mail to Ansgar Engels and Julia Schmidt-Funke (fnzgeschichte@uni-leipzig.de) in the following form:
- Abstract (approx. 1500 characters)
- Short curriculum vitae with key publications

For presenters, we will reimburse accommodation costs and travel expenses for a 2nd-class train journey. A subsidy for air travel can be granted by arrangement.

Kontakt

fnzgeschichte@uni-leipzig.de

Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung