Sog des Neuen. Narrationen der Technikgeschichte

Sog des Neuen. Narrationen der Technikgeschichte

Veranstalter
Zeitschrift für Technikgeschichte
PLZ
38106
Ort
Braunschweig
Land
Deutschland
Findet statt
Digital
Vom - Bis
30.09.2022 - 30.11.2022
Deadline
30.11.2022
Von
Christian Kehrt, Institut für Geschichtswissenschaft, TU Braunschweig

Die Kooperation der Zeitschrift "Technikgeschichte" (https://www.tg.nomos.de) mit dem "Jahrbuch Technikphilosophie" (https://www.jtphil.nomos.de) widmet sich dem Schwerpunktthema "Sog des Neuen. Narrationen der Technikgeschichte". Die "Technikgeschichte" ruft in diesem Zusammenhang zur Einreichung von Abstracts für Beiträge zu einem Themenheft mit dem Fokus "Sog des Neuen" auf.

Sog des Neuen. Narrationen der Technikgeschichte

Das Neue zieht an. Jede Generation lacht über Moden, aber folgt den Neuen treu, meinte Henry David Thoreau zu wissen. Gemäß dem Entwicklungsgedanken von Zivilisationsgeschichte als Geschichte des Fortschritts und der Verbesserung erneuern sich die menschlichen Lebensbedingungen in immer schnelleren Innovationszyklen. Die Begeisterung für technische Modernisierung und Innovation blieb nicht allein den Ingenieurswissenschaften vorbehalten. Historisch haben sich auch Teile der Technikgeschichtsschreibung an der Beschleunigung berauscht und dazu beigetragen, dass Technikentwicklung als innovationsgetrieben erschien. Aber ist das Neue immer notwendig und erstrebenswert? Wie wird der Imperativ des Neuen begründet?

Narrationen des Fortschritts

Während sich die technikphilosophische Reflexion kaum dem Druck und Reflexionszwang aktueller neuer Technologien wie der Künstlichen Intelligenz, der Nanotechnologie, Robotik oder synthetischen Biologie entziehen kann und dadurch in ihren Themen und Diskursen unfreiwillig mitbestimmt wird, pflegt die Technikgeschichte mittlerweile ein ambivalentes bis ablehnendes, distanziertes Verhältnis gegenüber den Rhetoriken und Diskursen über Neue Technologien. Sie entzieht sich dem Sog des Neuen mit Verweis auf Archivsperrfristen und eine Historisierung jener Vorläufer und Entwicklungen die den Anspruch des Neuen relativieren, historisch einordnen und zugleich auch kritisch in Frage stellen. Allerdings, darauf hat Ulrich Wengenroth bereits in seiner Auseinandersetzung mit Joachim Radkau verwiesen, drohen damit auch wichtige technische Neuerungen, insbesondere wissenschaftsbasierte neue Technologien unterschätzt zu werden. Auf welche Techniktheorien, Begriffe und Narrationen können Historiker:innen zurückgreifen, um technischen Wandel zu analysieren?

Ungleichzeitigkeiten

Die Technikgeschichte positioniert sich nicht nur professionell als skeptisch gegenüber dem Neuen, sie fragt auch nach der Beständigkeit oder gar Widerständigkeit des Alten. Räumlich lassen sich Einteilungen in Neu und Alt kaum aufrechthalten; was an einem Ort als ausgedient gilt, kann anderswo weiterhin in Gebrauch sein, weil das Neue unter den lokal gegebenen Bedingungen keine Vorteile bietet oder aus der Not heraus. Die globalhistorische Perspektive macht die unterschiedlichen Temporalitäten technischer Funktionalität sichtbar. Der „Schock des Alten“, wie David Edgerton es beschrieb, entsteht oft an den raumzeitlichen Verwerfungen der kolonialen und imperialen Geschichte. Anhand welcher Technologien lassen sich solche kulturellen Ungleichzeitigkeiten ausmachen? Welche Rolle spielt das Neue für technikhistorisch orientierte Disziplinen und Studien, die sich an technologischen Pfadabhängigkeiten, Persistenzen und Langzeitentwicklungen mit ihren Ungleichzeitigkeiten von Alt und Neu orientiert? Wer definiert, was als alt und als neu bzw. innovativ gelten kann? Gibt es historische Beispiele und Momente, in denen der unbestimmte Übergang von Alt und Neu und die damit einhergehenden Verunsicherungen und Reibungen von alt und neu historisch greifbar werden? Unter welchen Bedingungen misslingt die Einführung des Neuen?

Musealisierung und Archivierung des Neuen

Ein besonderes Verhältnis zum Zeitlichen pflegen seit jeher technische Museen, Archive und Bibliotheken, sowie Sammlungen technischer Denkmäler. Ausgestattet mit dem Gebot der Dauerhaftigkeit nehmen sie Objekte, Bauten und Dokumente aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus und bewahren sie für die Ewigkeit. Sie stehen für das Alte (“museumsreif”) und wollen doch zugleich mit ihrer Sammlungstätigkeit Impulse für die Gegenwart oder gar den Fortschritt der Gesellschaft setzen. (vgl. ICOM Ethische Richtlinien, Punkt 2, S. 12) Wie reagieren diese Institutionen mit Ewigkeitsanspruch auf den „Sog des Neuen“? Was wird bewahrt, was deakzessioniert oder gar nicht erst gesammelt, und nach welchen Kriterien? Wie wandelt sich die Interpretation und die Zusammensetzung historischer Sammlungen? Welche Rolle spielt die Erfindung von Traditionen, die Musealisierung und Archivierung im Umgang mit technischem Wandel und Innovationen? Gibt es Formen der Techniknostalgie, der Liebhaberei und Technikromantik, die die Vergangenheit längst verflossener Neuerungen nutzen, um sich von der Gegenwart zu distanzieren oder diese in ein bestimmtes Licht zu rücken? Wie gehen veraltete und überholte, nicht mehr wettbewerbsfähige Branchen, Berufsgruppen, Industrien und Regionen mit disruptivem technischem Wandel um?

Historiographie des Neuen

Die Technikgeschichtsschreibung thematisiert zunehmend auch die Herausforderung und den Nutzen des Erhaltens selbst. Technikgeschichten des Reparierens und Restaurierens sind zu einer eigenen Bewegung geworden (z.B. „The Maintainers Movement“). Vom Recycling zu den Renewables partizipiert die Technikgeschichte mit der Geschichte der Erneuerbaren Technologien an den Versprechen der Nachhaltigkeit. Welchen Einfluss haben aktuelle Debatten und Diskurse auf die Technikgeschichte als Disziplin? Gibt es einen Wandel und Konjunkturen der Themen und Fragestellungen im Bereich der Technikgeschichtsschreibung, der sich durch gegenwärtige Technikentwicklungen, Trends und Debatten erklärt?

Der historiographische Sinn für Maintenance spiegelt sich schließlich auch im technikhistorischen Interesse am Neuen in der Zukunftsforschung. Die Technikzukünfte der Future Studies und der Science Fiction des Kalten Krieges geben Aufschluss darüber, wie Zukunft in technikhistorischen Erzählungen imaginiert, konstruiert und bewertet wurde (Heft Technikgeschichte 2021). Welche Erzählungen und Metaphern, welche alten Ausprägungen von Technik werden genutzt, um das Neue darzustellen und zu imaginieren? Welche Rolle spielt das Neue in populären Narrativen und Formen der Geschichtsschreibung, die durch Ingenieur:innen, Wissenschaftler:innen und politische Akteur:innen im öffentlichen Raum publiziert werden?

Das Thema „Sog des Neuen“ möchte dazu anregen, über Technikentwicklung, Technikzukünfte und Technikfolgen ebenso wie über die Zeitlichkeiten von Technik selbst nachzudenken. Wie wird das technisch Neue in politischen Diskursen aufgegriffen, eingesetzt und verhandelt? Welche Bedarfe an Beratung sowie rechtlicher, kultureller, sozialer und ethischer Regulierung wird durch neue Technik antizipiert und vorgerufen, wenn es um Fragen der Technikfolgenabschätzung aber um auch soziale Verwerfungen und Konflikte geht? Wer nimmt sich diesem Regulierungsdruck des technisch Neuen an, von Ethikkommission, Think Tanks, politischen Berater:innen bis hin zu Zukunftsforsche:innen? Welche Akzeptanzproblematiken entstehen? Welche Akteursgruppen, Disziplinen formulieren technikzentrierte Fortschrittsnarrative, von denen sich die Disziplin Technikgeschichte distanziert hat?

Fallstudien aus allen Epochen und zu allen Technologien sind ebenso erwünscht wie methodische und interdisziplinäre Perspektiven.

Vorschläge in Form eines Abstracts (eine DIN A4 Seite) plus Kurz-CV (bitte in einer Datei) für dieses Themenheft bitte bis zum 30. November 2022 an technikgeschichte@nomos.de senden. Autor:innen, die zur Einreichung eines Beitrags aufgefordert werden, sollten die Manuskripte bis zum 31. März 2023 vorlegen.

Kontakt

E-Mail: technikgeschichte@nomos.de

https://www.tg.nomos.de/
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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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