Ästhetischer Wandel und Eliteninteraktion in den griechischen Poleis zwischen dem späteren 6. und dem ausgehenden 5. Jh. v. Chr.

Ästhetischer Wandel und Eliteninteraktion in den griechischen Poleis zwischen dem späteren 6. und dem ausgehenden 5. Jh. v. Chr.

Veranstalter
Martin Kovacs, Richard Posamentir, Sebastian Schmidt-Hofner (Universität Tübingen, SFB 1391 Andere Ästhetik, Teilprojekt A1: Ästhetik der Präsenz und soziopolitische Kommunikation im archaischen und klassischen Griechenland (7.–4. Jh. v. Chr.))
Ausrichter
Universität Tübingen, SFB 1391 Andere Ästhetik, Teilprojekt A1: Ästhetik der Präsenz und soziopolitische Kommunikation im archaischen und klassischen Griechenland (7.–4. Jh. v. Chr.)
Veranstaltungsort
t.b.a.
Gefördert durch
Deutsche Forschungsgemeinschaft
PLZ
72074
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
10.05.2023 - 12.05.2023
Deadline
01.10.2022
Von
Jan Stellmann, SFB 1391 Andere Ästhetik, Universität Tübingen

Tagungsexposé / Conference outline

Ästhetischer Wandel und Eliteninteraktion in den griechischen Poleis zwischen dem späteren 6. und dem ausgehenden 5. Jh. v. Chr.

Tagungsexposé (10.–12. Mai 2023)
Martin Kovacs, Richard Posamentir, Sebastian Schmidt-Hofner

Seit jeher hat die Forschung Bezüge zwischen den soziopolitischen Veränderungen, die viele Poleis der griechischen Welt in der späten Archaik und dem Hochklassik durchliefen, und dem Stil- und Formwandel in der Darstellung von Menschen (oder anthropomorphen Göttern) in jener Zeit hergestellt. Während systematische Auseinandersetzungen mit diesem Problem lange eher die Ausnahme waren, hat in den letzten Jahren eine intensivierte Forschungsdebatte dazu eingesetzt. Sie hat zu sehr unterschiedlichen Positionen geführt: Auf der einen Seite stehen Stimmen, die einen Zusammenhang zwischen ästhetischem Wandel und strukturellen Prozessen wie der Zurückdrängung einer aristokratischen zugunsten einer von Egalitätsidealen geprägten politischen Kultur bis hin zur Demokratie oder mit den Perserkriegen und durch sie ausgelösten soziokulturellen Veränderungen bejahen. Andere sehen kunstimmanente Prozesse am Werk, zu denen soziale, politische und kulturelle Entwicklungen nur sekundär beitrugen. Wieder andere schließlich lehnen direkte Zusammenhänge mit politischen Ereignissen oder Prozessen zwar ab, akzeptieren aber längerfristige soziokulturelle Entwicklungen als Treiber des Stil- und Formwandels. Ein Konsens zeichnet sich bislang nicht ab.

Unsere Tagung möchte diese Debatte weiterbringen, indem sie die Teilnehmer über einen zentralen Aspekt dieses Problem zu reflektieren einlädt, nämlich den zwischen Modi und Formen der Eliteninteraktion und dem ästhetischem Wandel in der visuellen Repräsentation von Menschen in Plastik und Vasenmalerei. Wir fokussieren den Aspekt der Eliteninteraktion, weil wir von der großen Bedeutung ausgehen, die in der soziopolitischen Interaktion innerhalb der Polisgesellschaften Griechenlands der direkten Interaktion der sozialen Akteure zukam. Denn mangels fester hierarchischer Strukturen und transzendental begründeter Ordnungen mussten sozialer Rang und politischer Einfluss dort stets in unmittelbarer Interaktion unter Anwesenden ausgehandelt werden, sei es in der politischen Auseinandersetzung vor dem Bürgerverband der Polis, in der Repräsentation in Heiligtümern und Agonen oder in spezifischeren sozialen Kontexten, etwa dem Symposion mit aristokratischen peers. Für diese Aushandlung spielten ästhetische Praktiken eine große Rolle: Repräsentation in Bildwerken, aber auch die eigene Stilisierung durch Auftreten, Kleidung, Art der Sprache, Gestik und Mimik, kurz dem Habitus. Darstellung von Menschen in Bildwerken, aber auch in literarischen Zeugnissen sind zugleich medium und Spiegel dieser Aushandlungsprozesse. Die Fragen, ob formale Transformationsphänomene in der visuellen Kultur mit diesen Aushandlungsprozessen und den mit ihr einhergehenden ästhetischen Praktiken zu tun haben, und wenn ja, wie man diese Interdependenzen beschreiben kann, drängen sich auf – auch wenn man am Ende zu anderen Ergebnissen kommen mag. Die Fokussierung auf die sozialen Eliten liegt darin begründet, dass wir Eliteninteraktion am besten greifen und die genannten ästhetischen Praktiken und die damit verknüpften visuellen Zeugnisse mit ihr in Verbindung bringen können; allerdings ist die Frage nach weiteren gesellschaftlichen Interaktionskontexten immer mitzudenken.

Demgegenüber steht die ästhetische Eigenlogik der Produktion von Artefakten: Wenngleich Herstellung und Bebilderung etwa von Symposionsgeschirr oder die spezifische Gestaltung von statuarischer Skulptur nicht unabhängig von ihren konkreten kulturellen Zusammenhängen gedacht werden können, so stellt sich dennoch die Frage, ob man die Besonderheiten und Veränderungen in Form und Stil deckungsgleich mit scheinbar offenkundigen politischen Transformationen interpretieren kann, oder ob man damit nicht die Komplexität des Zusammenhangs zwischen der konkreten Gestaltung von Bildmedien, der sich verändernden Nutzung von Objekten und gesellschaftlich-politischer Praxis zumindest partiell verkennt. Der Tagung wird es daher darum gehen müssen, soziopolitische, kulturelle und kunstautonome Faktoren gleichermaßen in Betracht zu ziehen.

Die Tagung ist bewusst interdisziplinär als Gespräch zwischen Archäologie und Alter Geschichte angelegt. Damit wollen wir nicht nur sicherstellen, den aktuellen Debattenstand sowohl über Stil- und Formwandel als auch über soziopolitische Veränderungsprozesse im Betrachtungszeitraum abzubilden. Darüberhinaus hoffen wir einerseits, der Debatte neue Impulse zu geben, indem wir die betrachteten Phänomene über Bildwerke hinaus auf die oben genannten habituellen, in der Regel in Schriftquellen fassbaren ästhetischen Praktiken erweitern, die mit jenen Aushandlungsprozessen über Rang, Einfluss und Präsenz einhergehen. Und andererseits wir wollen auch die Unterschiedlichkeit der einschlägigen Phänomene von Region zu Region und Polis zu Polis greifen. Beides ist nicht ohne Expertise aus beiden Fächern zu leisten.

Sprecher sind eingeladen, das Thema aus Sicht bestimmter Phänomene des Form- und Stilwandels oder der Eliteninteraktion zu behandeln oder auch grundsätzliche Überlegungen zu beiden Aspekten und deren Veränderungen im Betrachtungszeitraum beizusteuern. Um den interdisziplinären Austausch zu erleichtern, bitten wir die Sprecher zum einen, in ihren Vorträgen explizit auf das die Fragestellung der Tagung einzugehen und dabei auch den Blick über das eigene Fach hinaus zu wagen. Zum anderen werden wir Diskutanten aus beiden Fächern einladen, die wir bitten werden, zu Beiträgen aus dem jeweils anderen Fach eine die Diskussion einleitende, kurze Stellungnahme im Hinblick auf das Tagungsthema zu abzugeben.

Sprecher bitten wir um ein ein- bis zweiseitiges Abstract der Vorträge bis 20. Februar 2023, in dem Fragestellung, Thesen und das diskutierte Material beschrieben wird, idealerweise außerdem um eine Rohfassung der Vorträge Anfang einige Tage vor der Tagung, die den Diskutanten Vorbereitung ermöglicht.

Die Tagung findet vom 10.–12. Mai 2023 statt; Abstracts und Titel erwarten wir bis zum 1. Oktober 2022.

Aesthetic change and elite interaction in the Greek world between the late 6th and late 5th century BC

Conference outline (10–12 May 2023)
Martin Kovacs, Richard Posamentir, Sebastian Schmidt-Hofner

Scholars have long drawn connections between the social and political transformations between the late archaic and classical periods and the stylistic changes in the visual representation of human beings (and anthropomorphic gods) that took place at the same time. While systematic discussions of this problem have long been the exception, recent years have seen the emergence of a sustained debate on the topic. While some scholars vigorously affirm the connection between socio-political developments and aesthetic changes during this period and point, e.g., to the impact of the Persian Wars and/or the rise of ideals of equality and democracy, others emphasize the internal logics of artistic production and regard social, political, and cultural developments as secondary factors. A third group rejects any direct connection between aesthetic and political change but accepts longer-term socio-cultural developments as drivers of stylistic transformations. Consensus on the question has not yet emerged. Our conference aims to forge a new path in this debate by inviting participants to reflect on what we consider to be a central aspect of the problem: the relationship between personal elite interaction, the aesthetic practices that characterized these interactions, and the changing modes of visual representations of human beings in sculpture and vase painting.

We focus on elite interaction because of the important role the personal, face-to-face interaction played in the socio-political life within Greek communities of the age. In the absence of fixed hierarchical structures and transcendental orders social rank and political influence in the Greek world always had to be negotiated in direct interaction among those present, whether in political debate before citizen assemblies, at sanctuaries and games, or in symposia with aristocratic peers. Aesthetic practices played a major role in negotiations about influence and status. These practices included the participants’ habitus, their self-stylisation through appearance, clothing, language, gestures, and facial expressions. Visual representations of people (and gods) in sculpture and vase-painting reflect such self-stylizations and at the same time could be part thereof. How did changes in the visual representation of human beings relate to these elite interactions and the aesthetic practices that they involved? Can such relationships be established? And if so, how should they be analysed and understood? These will be the central questions that we seek to investigate during our conference.

Our approach focuses on social elites and their interactions, which is largely due to the surviving evidence. At the same time, we encourage contributors to the conference to explore wider social contexts and audiences where possible. Furthermore, we are fully aware that aesthetic practices follow their own logics and dynamics. While the production and illustration of symposium tableware or the design of statuary sculpture cannot be understood independently of their concrete cultural contexts, we must nonetheless ask whether this understanding fails to do justice to the complexity of the relationship between changing modes of visual representation, new uses for objects, and developing socio-political relations. The conference will therefore have to consider social, political and cultural as well as genuinely aesthetic dynamics in equal measure when exploring the interplay between aesthetic change and cultural, social and political developments of the time.

We envision our conference as an interdisciplinary undertaking of classical archaeologists and ancient historians. In doing so, we not only wish to adequately represent the current state of relevant debates in both fields. We also hope to give new impulses to the debate about stylistic change in the period under consideration by focusing on aesthetic practices more generally, including not only visual representations of human beings but also the ways in which elites presented themselves and styled their appearance and habitus in their negotiations about rank, influence, and power. Lastly, we also seek to grasp the diversity of relevant phenomena across the various regions and communities of the Greek world. None of this can be achieved without the expertise of classical archaeologists and ancient historians alike.

We invite both contributions that offer general reflections on the relationship between stylistic change and elite interaction during the period under consideration and papers that address specific phenomena or general lines of development in either area. To facilitate interdisciplinary exchange, we encourage all speakers to explicitly address the conference question in their presentations and to look beyond the materials and questions of their own discipline. We will also invite discussants from both disciplines who will be asked to address the contribution papers make to the overall question of the conference.

Speakers are requested to submit an abstract of their papers by 20 February 2023 (one or two pages), and ideally also a rough draft of the papers a few days before the conference to allow discussants time to prepare their own contributions.

The date of the conference is 10 to 12 May 2023. We request your abstracts and titles by 1 October 2022.

Kontakt

Martin Kovacs, martin.kovacs@uni-tuebingen.de

https://uni-tuebingen.de/de/160750#c1002450
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung