Geschichte des Sports in Nordrhein-Westfalen

Geschichte des Sports in Nordrhein-Westfalen

Organisatoren
Brauweiler Kreis für Landes- und Zeitgeschichte e.V. (Deutsches Sport & Olympia Museum)
Ausrichter
Deutsches Sport & Olympia Museum
PLZ
50678
Ort
Köln
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
07.03.2024 - 08.03.2024
Von
Oliver Schmidt, Sauerland-Museum des Hochsauerlandkreises / Museums- und Kulturforum Südwestfalen

Traditionell für Donnerstag und Freitag vor dem zweiten Wochenende im März (07.–08. März 2024) hatte der Brauweiler Kreis zu seiner wissenschaftlichen Jahrestagung in das Deutsche Sport und Olympia Museum in Köln geladen. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung der Deutschen Sporthochschule Köln hatte der Brauweiler Kreis sich erstmals vorgenommen, die „Geschichte des Sports in Nordrhein-Westfalen“ auf die Tagesordnung zu setzen, um sie sowohl aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten als auch vor allen Dingen eine Bestandsaufnahme vorzunehmen.

Die Tagung begann mit einer instruktiven Führung durch das Museum, gefolgt von der Mitgliederversammlung des Brauweiler Kreises. Im Rahmen des öffentlichen Abendvortrags steckte JÜRGEN MITTAG (Köln) das Arbeitsfeld „Sportgeschichte in NRW“ ab. SABINE MECKING (Düsseldorf/Marburg) führte dazu ein und unterstrich zahlreiche zentrale Bedeutungsdimensionen, die der Sport als Gegenstand historischer Forschung besetzen könne. Wie Mittag daraufhin in seinem Beitrag zu Etappen und Akteuren der Sportentwicklung im Westen aufzeigte, bleibt bisher vieles jedoch Desiderat – das „Sportland Nr.1“, wie Nordrhein-Westfalen sich seit einiger Zeit gerne nennt, verdient also durchaus eine umfassendere Beachtung innerhalb der institutionellen Forschung. So arbeitete Mittag die Ursprünge sportlicher Organisationsformen ausgehend von Turnern und englischen Einflüssen auch für das spätere Nordrhein-Westfalen heraus. Deutsche Sportgeschichte steht demnach in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Vereins- und Verbandsstrukturen der unterschiedlichen Sportarten und ihrer Zusammenschlüsse. Eng damit verflochten agiert staatliche Sportpolitik, die für Sportförderung, insbesondere aber für geeignete Sportstätten verantwortlich zeichnet. Trotz der Dominanz des Fußballs sowie einer starken erinnerungskulturellen Überformung sportlicher Großereignisse und ihrer Akteure erhält sich bis heute eine differenzierte Sportlandschaft mit stets eigenen Konjunkturen bis tief in die Flächenkreise hinein (Reiten, Wintersport). Auch in der Diskussion wurde so herausgearbeitet, dass die identitäts- und gemeinschaftsstiftenden Aspekte des Sports gleichzeitig einer Tendenz zur Individualisierung und Selbstorganisation unterliegen – bei gleichbleibenden Mitgliedschaftszahlen der sportlich aktiven Vereine.

Die Hauptkonferenz begann mit einer Sektion zur Gegenüberstellung kommunaler Sportförderung und dezentraler Selbstorganisation des Sports am Beispiel der Bolzplatzkultur. ANSGAR MOLZBERGER (Köln) stellte die Entwicklung des Sportparks Müngersdorf vor, der in den 1920er-Jahren eines der größten sportlichen Infrastrukturprojekte überhaupt war. Mithin entstand im Kölner Westen eine Anlage, die zum Zeitpunkt der Olympiabewerbung für die Spiele 1936 eigentlich die besten Voraussetzungen mitbrachte. Aber der Park richtete sich über den organisierten Sport und seine zum Teil riesigen Großereignisse auch an die breite Bevölkerung und bot umfassende „Stadionkurse“ zur Förderung von Bewegung und Gesundheit an, die sich großer Popularität erfreuten. Der Sportpark Müngersdorf verweist aber auch auf eine durchaus wechselseitige, mithin düstere Geschichte samt Deportationslager während des Nationalsozialismus. Die teils mehr als ambivalenten Biografien vieler Akteure rund um den Sportpark verweisen zudem auf umfassende Forschungslücken, die es zu schließen lohnt.

Im Gegensatz zu dieser Form organisierten Sportgeschehens stellten JÜRGEN MITTAG (Köln) und SARA-MARIE DEMIRIZ (Düsseldorf) ein Forschungsprojekt rund um den Erinnerungsort Bolzplatz an Rhein und Ruhr vor. Bolzplätze nahmen ursprünglich eine Raumzuweisung vor, indem sie das „wilde Fußballspielen“ von der Straße in planmäßig errichtete Kleinfeldplätze zogen. Gleichzeitig blieben sie ein Freiraum selbst bestimmter Regelauslegung, Verhandlung darüber und demokratischer Organisationsformen („das, was den meisten als sinnvoll erscheint, wird gespielt […]“), ja mithin einzige Kontaktzone und Arena des Zusammen- und Aufeinandertreffens unterschiedlicher Gruppen und Formationen. Insbesondere für Mädchen und Frauen lieferten sie lange vor dem Beginn des erlaubten Frauenfußballs Teilhabe und Wettbewerb sowie verbreitete Anerkennung. So zeigte sich schnell, dass hier ein dynamisches Forschungsfeld zu bespielen ist, das sich in der Komplexität seiner Prozesse und seiner soziokulturellen Vielschichtigkeit nicht auf intersektionale Dichotomien reduzieren lassen wird.

In der zweiten Sektion – mit einer ähnlichen Vortragskonstellation – berichtete zunächst FLORIAN MILDENBERGER (Berlin) aus der konfessionellen Verbandsgeschichte der katholischen „Deutschen Jugendkraft“ (DJK) Rhein-Weser. Diese befand sich mit dem Schwerpunkt auf katholischer Gemeinschaftspflege lange im Gegensatz zu sowohl seinem eigenen übergeordneten Verband als auch zu konfessionsungebundenen Sportverbänden. Das letztlich zum Scheitern verurteilte Vorhaben war ein Versuch, über den Sport die Bindekraft religiöser Milieus zu restituieren, kam aber wohl rund 30 Jahre zu spät und litt unter realitätsfernen Gegenwartsdiagnosen. NIKLAS HACK (Köln) und MATHIAS SCHMIDT (Köln) stellten sodann den Oral-History-Gedächtnisspeicher „Menschen im Sport in NRW“ vor. Prinzipiell handelt es sich dabei um ein Projekt der Grundlagenforschung, um regional und auch zu abseitigen Sportarten über die Erinnerungen der Menschen einen Zugriff auf den „Breitensport“ in Nordrhein-Westfalen zu gewinnen. Das durchaus vielversprechende Unterfangen wird seinen wahren Wert unter Beweis stellen, wenn möglichst viele Interviews vorliegen und verschlagwortet gut recherchierbar sind, sodass jenseits individueller Geschichten eine Repräsentativität und Belastbarkeit der Aussagen entsteht.

In der Schlusssektion referierte CHRISTOPH SEIDEL (Bochum) über die langwierigen Bestrebungen, die olympischen Spiele ins Ruhrgebiet zu holen. Die Ambitionen speisten sich aus dem Interesse, den sich spätestens seit den 1970er-Jahren massiv wandelnden industriellen Ballungsraum Ruhrgebiet als eine neue metropolitan-weltoffene Marke aufzuwerten. Diese ersten Überlegungen fielen – durchaus passend – in eine Zeit olympischer Krisenerscheinungen. Nach den gelungenen Spielen von München 1972, auf die aber durch das terroristische Attentat ein großer Schatten fiel, überschuldete sich Montreal 1976 mit seiner Austragung nachhaltig. Die anschließenden Spielorte Moskau und Los Angeles überschattete der Kalte Krieg, der das Zepter über Olympia übernahm, während das Aschenputtel-Ruhrgebiet sehnsüchtig auf seine Außenseiterchance hoffte, die es aber trotz unbestrittener Voraussetzungen auf dem Feld der Sportstätten und Nahverkehrsanbindung über Jahrzehnte nicht einmal gegen die innerdeutschen Konkurrenten behaupten konnte. Ob das Vorhaben jemals eine Wiederauflage erfährt und aus dem Scheitern die entsprechenden Lehren gezogen wurden oder nicht – letztlich mangelte es bei diesen Versuchen, Olympia an Rhein und Ruhr zu bringen, wohl an Ernsthaftigkeit, Professionalität und am souverän die Gemeinschaftsinteressen im Blick haltenden Zusammenhalt der Ruhrgebietsstädte.

Den Schlusspunkt setzte ANDREAS HÖFER (Köln) mit einem zutiefst kenntnisreichen und detaillierten Vortrag über Wolfgang Graf Berghe von Trips, einen populären Rennfahrer der Nachkriegszeit, der bei einem Rennsportunfall bereits im Alter von 32 Jahren tragisch ums Leben kam. Möglicherweise war es dieses Draufgängertum gepaart mit seiner glamourösen adeligen Abstammung, die seine Zeitgenossen dazu verleitete, in ihm eine „Lichtgestalt“ zu erkennen. So sahen sie über die vermutlich nicht öffentlich gewordenen Ansichten des Grafen zu Nationalsozialismus und Weltkrieg auch auf der Suche nach neuen Helden hinweg.

Insgesamt gelang es dem Brauweiler Kreis mit seiner Tagung zur Sportgeschichte eine umfassende Bestandsaufnahme des Forschungsstands und seiner Desiderate vorzulegen. Damit wertet er das in Nordrhein-Westfalen vernachlässigte Forschungsfeld deutlich auf – Vorträge und Diskussionen zeigten, dass sich zahlreiche lohnenswerte Aufgaben anbieten. Das gilt sowohl für einige in Nordrhein-Westfalen bedeutende Sportarten wie Handball, Hockey oder Damen-Basketball, die sonst im Schatten des Fußballs stehen, als auch für die wenig bekannten Zentren weniger publikumswirksamer, gleichwohl bedeutender Leistungszentren des Ringens (Witten), Ruderns (Schwerte) und Wintersports (Winterberg) oder des Individualsports (Reiten – Warendorf, Trabrennen und Trabrennbahnen) sowie den selbst generierten Sportarten wie Outdoor-Aktivitäten im Zusammenspiel mit aufkommenden sozialen Medien, Bikesportarten und den Fitnesskult. Die kulturellen und sozialen Trennungs- und Verbindungslinien verdienen dabei ebenso Aufmerksamkeit wie Überlegungen zur Rolle von Sportwetten, Doping oder Nachhaltigkeitsfragen des Sportbetriebs. So gelang ein (kleiner) Einblick in die Möglichkeiten der Sportgeschichtsschreibung, von der für die Landeszeitgeschichte noch viel zu erwarten ist.

Konferenzübersicht:

Sabine Mecking (Düsseldorf/Marburg): Begrüßung und Einführung

Öffentlicher Abendvortrag

Jürgen Mittag (Köln): Etappen und Akteure der Sportentwicklung im Westen. Das Sportland NRW im Zeichen von Fußballprägung und der Idee der sportgerechten Stadt

Sektion I
Moderation: Bärbel Sunderbrink (Detmold)

Ansgar Molzberger (Köln): Kölns sportlicher Westen: 100 Jahre Sportpark Müngersdorf

Sara-Marie Demiriz (Düsseldorf) / Jürgen Mittag (Köln): Der Bolzplatz an Rhein und Ruhr in geschichtlicher und erinnerungskultureller Perspektive

Sektion II
Moderation: Markus Köster (Münster)

Florian Mildenberger (Berlin): Zurück in die gute alte Zeit? Der Sportverband DJK Rhein-Weser nach 1945

Niklas Hack (Köln) / Mathias Schmidt (Köln): Digitaler Gedächtnisspeicher? Zeitzeugen-Interviews als Zugang zum nordrhein-westfälischen Sport: Das Oral History-Projekt „Menschen im Sport in NRW“

Sektion III
Moderation: Georg Mölich (Köln)

Christoph Seidel (Bochum): Olympische Träume im Ruhrgebiet. Vom Ende der 1970er- bis zum Anfang der 2000er-Jahre

Andreas Höfer (Köln): Eine deutsche Lichtgestalt der Nachkriegszeit. Zum außergewöhnlichen Lebenslauf von Wolfgang Graf Berghe von Trips