Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung. Bürokratie in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert

Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung. Bürokratie in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert

Organisatoren
Julian Lahner / Reinhard Nießner / Stefan Ehrenpreis / Josef Löffler / Thomas Wallnig, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck; Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien; Forschungsschwerpunkt „Österreich in seinem Umfeld“ der Universität Wien; Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts
PLZ
6020
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
15.02.2024 - 16.02.2024
Von
Sarah-Maria Feuerstein, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck; Elias Knapp, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg

Ausgehend von dem Befund, dass die Forschung zur Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert sich hinsichtlich der Fragen einer zunehmenden Zentralisierung und Bürokratisierung von Herrschaft bisher primär auf Zentral- und Landesbehörden konzentriert hatte, war das Ziel der Tagung, unterschiedliche Perspektiven auf Verwaltung zu bündeln und zu diskutieren. Von der Prämisse ausgehend, „dass Zentralisierung im Sinne einer Vernetzung diverser und komplexer Verwaltungsstrukturen der Lokal-, Regional- und Hofstaatsebene verstanden werden muss“, sollten regionale Blickwinkel und Bottom-Up-Prozesse neben die großen Strukturen gestellt und das Zusammenspiel unterschiedlicher Ebenen – horizontal und vertikal – thematisiert werden.1 Diese Sichtweisen und Ziele fasste JULIAN LAHNER (Naturns) in seinem einführenden Vortrag zusammen. In der Diskussion wurde betont, dass teleologischen Perspektiven auf Verstaatlichungs- und Modernisierungsprozesse mit Vorsicht zu begegnen sei.

GERNOT WALDNER (Wien) beschäftigte sich ausgehend von der im Josephinismus reformierten Ausbildung für Beamte mit der bürokratischen Sprachreform unter Joseph von Sonnenfels. Anhand des 1784 publizierten Lehrbuchs Über den Geschäftsstil, das über sechs Jahrzehnte als Referenzwerk für die in Wien ausgebildeten Beamten galt, analysierte Waldner den Umgang mit Regionalismen, die Reform schriftlicher Anreden innerhalb der Beamtenschaft und den organisatorischen und rhetorischen Umgang mit Konflikten. Das Lehrbuch ersetzte Regionalismen durch hochdeutsche Ausdrücke, forderte die korrekte Anschrift von Ämtern und stattete die Beamten mit den nötigen rhetorischen Mitteln aus, um in Konfliktsituationen abweichende Meinungen zu artikulieren, ohne die Entscheidung des Kaisers direkt infrage zu stellen.

BENEDIKT STIMMER (Wien) betonte, dass die Zentralisierung im Zuge der theresianischen Reformen mit einer Reform der hochdeutschen Sprachordnung einhergegangen sei. Entlang der Aussagen mehrerer Akteure wie Johann Heinrich Gottlob Justi, Joseph von Sonnenfels und Karl Heinrich Seibt erörterte Stimmer den Diskurs um diese Entwicklung, der sich z.B. gegen die lateinische und französische Sprache richtete und einen „Omnipräsenzanspruch“ des Staates in Sprachfragen betonte. Anders als in der Schweiz oder in Preußen seien die Akteure dieses Diskurses in der Habsburgermonarchie dem monarchischen Zentrum nähergestanden. Die vorangetriebene Fokussierung auf Deutsch gegenüber regionalen Sprachen in der Habsburgermonarchie führte allerdings in weiterer Folge zu anderen Problemen.

BENNET ROSSWAG (Gießen) betonte, dass Informationsaustausch und Wissen für Verwaltungsprozesse zentral (gewesen) seien. In diesem Sinne deutete er das Salzburger Intelligenzblatt und die Wiener Wochenschrift als Medien des gegenseitigen Informierens bzw. der Vernetzung zwischen Verwaltung und Bevölkerung. Intelligenzblätter stellten eine gemeinsame Informationslage bereit, schufen eine gemeinsame Wissens- und Erwartungsebene und trugen so zur Komplexitätsreduktion der Verwaltung für die Bevölkerung bei. Indem sie Gesetze u.ä. „von oben“ kundmachten und gleichzeitig Bitten um bestimmte Politiken „von unten“ in die Verwaltung einspeisten, kombinierten sie Top-Down- und Bottom-Up-Prozesse. Inhaltlich seien dabei Territorialgrenzen weniger wichtig gewesen, weil man auch Inhalte von außen publizierte und deren lokale Nützlichkeit betont wurde.

BETTINA BRAUN (Mainz) fragte nach Ähnlichkeiten zwischen der Habsburgermonarchie und der Reichskirche. Geistliche Territorien waren ihr zufolge ebenfalls zusammengesetzte Herrschaften, mit Besitz in unterschiedlichen Räumen und Territorien. Da übergeordnete Institutionen meist fehlten, stellten Kumulationen mehrerer Bistümer unter einer Person eine besondere Herausforderung für ihre Verwaltung dar. Visitationen waren für die geistlichen Fürsten ein wichtiges Instrument, um Informationen zu beschaffen und ihren Herrschaftsanspruch zu repräsentieren und zu legitimieren. Es sei zu besseren infrastrukturellen Verbindungen der einzelnen Teilgebiete, zunehmenden (Wissens-)Transfers bis hin zu gemeinsamen Zentralbehörden gekommen. Nach dem Tod eines geistlichen Landesfürsten brachte die Entflechtung der gemeinsamen Verwaltungsstrukturen, insbesondere der Finanzbereiche, große Schwierigkeiten mit sich. Braun plädierte überzeugend für eine stärkere Berücksichtigung geistlicher Staaten in der Verwaltungsgeschichte.

MARCUS STIEBING (Stuttgart) ging der Frage nach, wie und unter welchen Bedingungen die Direktoren der Theresianischen Militärakademie kommunizierten; denn in diesen Settings sollten – so Stiebings These – Kommunikationshierarchien für das Militär erprobt werden. Wer wann und mit wem kommunizieren durfte, sei reguliert gewesen und sowohl die interne und externe Kommunikation wurde vom Direktor der Akademie kontrolliert. Am Beispiel Franz Josef von Kinsky (Direktor 1769–1805) zeigte Stiebing die Problemlagen der Regulierung in der Praxis auf. Während Kinsky die Kommunikation der Zöglinge nach außen kontrollieren konnte, war z.B. das „Schweigen als Ordnungsprinzip“ gegen Geschwätz im Unterricht oder beim Rangieren ohne Erlaubnis deutlich schwerer durchzusetzen. Kinsky betonte und kritisierte das in seinen jährlichen Berichten. Mit diesem Beispiel plädierte Stiebing dafür, Zentralisierung als ergebnisoffenen Prozess zu sehen und Grenzen der Durchdringung stärker zu berücksichtigen.

ATTILA MAGYAR (Hannover) untersuchte die Auflösung der Ofner Kameraladministration, die zur Verwaltung der vom Osmanischen Reich zurückeroberten Gebiete in Ungarn geschaffen wurde. Sie war direkt der Wiener Hofkammer und nicht der ungarischen Verwaltung unterstellt, um den Zugriff der ungarischen Stände einzuschränken. Magyar beschrieb den damit verbundenen, über mehrere Jahrzehnte andauernden Umstrukturierungsprozess der Auflösung der Ofner Kammer und der Eingliederung der Gebiete in die Ungarische Kammer zwischen 1709 und 1728. Das Beispiel zeigt, dass die Auflösung einer Verwaltungseinheit keinen Endpunkt kannte, sondern den Beginn eines Aushandlungsprozesses markierte. Erst die Zeit (Todesfälle von Beamten) und praktische Entwicklungen (Akten wurden nach Preßburg gebracht, obwohl Wien Anspruch auf sie stellte) lösten die Frage allmählich.

REINHARD NIESSNER (Innsbruck) setzte sich am Beispiel der Inn-Begradigungen im 18. Jahrhundert mit dem Konnex zwischen Infrastrukturprojekten und Herrschaftsausbau auseinander. Während die landesfürstliche Wasserbaubehörde in Tirol den Inn begradigen sollte, um bessere Voraussetzungen für die Schifffahrt zu schaffen und neue Gründe für die Landwirtschaft zu kultivieren, waren für die praktische Umsetzung meist die Gemeinden zuständig. Dass diese die geplanten Bauten oft nicht umsetzten, zeigt die Probleme und die Komplexität der Top-Down-Implementierung. Zwar führte der Oberarcheninspektor als Ein-Mann-Behörde zweimal jährlich Visitationen am Fluss durch und schlug Reparaturen oder Neuerungen vor, konnte aber die Umsetzung nicht erzwingen. Häufiger Konfliktherd war die Finanzfrage, denn weder der Staat noch die Gemeinden konnten oder wollten dafür das nötige Geld aufbringen. Dennoch führten die Visitationen zu neuem, wesentlich umfassenderem Wissen und einer gesteigerten Kommunikation der Behörden.

NELLY EISENREICH (Wien) betonte, Zentralisierung sei nicht als gegebener, sondern als ein von Widersprüchen und Divergenzen geprägter Prozess zu sehen. Das zeigte sie am Beispiel des Diskurses um die Haugwitz‘schen-Reformen hin zu stärkeren Zentralstellen ab 1748. Denn diese waren nicht alternativlos, wie ein Gegenvorschlag von Friedrich August Graf von Harrach belegt. Harrach wollte im Gegensatz zu Haugwitz die Finanzverwaltung vollständig den Ständen übertragen, denn finanziell besser gestellte Länder, so die Idee, könnten die Landesfürstin besser unterstützen. Diese konträre Sichtweise erklärte Eisenreich aus der Biografie Harrachs: seinem Verständnis von ständischen Ansprüchen der Herrschaftsteilhabe, seiner Staatsvorstellung, seinen Eigeninteressen und der politischen Kultur einer ständisch geprägten Gesellschaft. Grund für den Konflikt zwischen Kaunitz und Harrach waren demnach konträre Vorstellungen, wie das Wohl des Staates herzustellen sei.

OLEKSANDRA KRUSHYNSKA (Wien) verglich die habsburgische Gesetzgebung in Galizien nach der ersten und der dritten Teilung Polen-Litauens (1772 bzw. 1796). Während die Wiener Regierung nach der ersten Teilung Polen-Litauens eine Amnestie für die Aufständischen gewährte, war dies 1796 nach dem Kościuszko-Aufstand (1794) nicht der Fall. Hintergrund war die zunehmende Auflehnung der Bevölkerung gegen die neue Regierung. Auch wenn abseits dessen ähnliche Rechte wie die Religionsfreiheit und das Abwanderungsverbot für Leibeigene festgeschrieben wurden, gestalteten sich die Formulierung vor dem Hintergrund der Sorge vor weiteren Unruhen wesentlich härter und der Ansatz konservativer.

TIM NEU (Wien) interpretierte Zentralisierung als Vernetzungsprozess und stellte – in Anlehnung an Bruno Latour – zwei Zentralitätseffekte vor, die beide papierbasiert waren: Eine panoramische Zentralität würde demnach einen Überblick ermöglichen und Akteure an ihrem jeweiligen Standort in die Lage versetzen, informierte Entscheidungen zu treffen. Eine infrastrukturelle Zentralität würde Akteure von außen auf andere Orte zugreifen lassen. Diese konzeptionelle Unterscheidung eignet sich, konkrete Verwaltungspraxis im Hinblick auf Zentralisierungsvorgänge zu analysieren. Anschließend stellte sich Neu die Frage, wie solche bürokratischen Zentralitätseffekte auf Dauer sichergestellt werden konnten und sah die Antwort im Konzept der Forminvestition. Demnach habe eine Standardisierung von Schriftstücken für bestimmte Gegenstände Zentralisierung befördert. Die Erforschung frühneuzeitlicher Verwaltung sowie ihrer Zentralisierung profitiere Neu zufolge also davon, sich der Vielfalt bürokratischer Formen, in die investiert wurde, zu öffnen, um Aspekte von Bürokratie und Verwaltung einander anzugleichen.

MICHAEL VORKURKA (Prag) betrachtete die Verwaltung der zehn toskanischen und bayerischen Herrschaften in Böhmen während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Daran zeigte er die Problematik der zerstreuten Besitzverhältnisse in Zeiten von Konflikten auf: Maria Anna Karoline (geb. Pfalz Neuburg), eine Schwägerin von Karl Albrecht von Bayern und ab 1741 Besitzerin der angesprochenen Herrschaften im habsburgischen Böhmen, wurde im Zuge des Österreichischen Erbfolgekriegs von Maria Theresia ins Exil gezwungen. Ihre Herrschaften standen bis 1747 unter der Zwangsadministration der böhmischen Kammer. Dennoch versuchte Maria Anna Karoline weiterhin mit ihren Beamten in Kontakt zu bleiben. Vor allem die verschiedenen Karrierewege und -optionen dieser Beamten – und damit die Verwaltungsstruktur und -realität der Herrschaften – standen im Fokus des Vortrages, denn jede der verstreut liegenden Herrschaften verfügte über einen Stab an Beamten.

JIŘÍ HRBEK (Prag) analysierte anhand der mittelböhmischen Herrschaft Křivoklát/Pürglitz den Strukturwandel der fürstenbergischen Verwaltung und des Beamtentums in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Mit Reformen zur Förderung protoindustrieller Produktion und der Einführung neuer Nutzpflanzen zielte Karl Egon I. zu Fürstenberg auf eine Zentralisierung der Verwaltung. Für diesen Prozess gewann die Professionalisierung der Beamten durch gezielte Ausbildung an Bedeutung. 1826 zählte das fürstenbergische Dominium schließlich zu einem der größten Eisenproduzenten Mitteleuropas, weshalb Hrbek die Bürokratisierung als Grundpfeiler für die Industrialisierung bezeichnete.

JOSEF LÖFFLER (Wien) erklärte am Beispiel Österreichs unter der Enns (Niederösterreich) die starke Fragmentierung der Lokalverwaltung aufgrund zahlreicher unterschiedlicher Obrigkeitsgattungen. So gab es in Niederösterreich zur Mitte des 18. Jahrhunderts über 1.000 Gerichtsinstanzen mit sich vielfältig überlagernden Kompetenzen. Die Einführung der Kreisämter sei als Versuch der administrativen Integration zu sehen, um eine staatliche Kontrolle der grundherrschaftlichen Beamten durchzusetzen. Gleichzeitig war es das Ziel, „vermischte Untertanen“ zu reduzieren – also die Zahl der Obrigkeiten/Grundherren in einem Ort zu senken. Dieser Vereinheitlichung und dem stärkeren staatlichen Zugriff seien Zielkonflikte entgegengestanden: So bestand z.B. gleichzeitig die Sorge, das funktionierende Steuersystem zu beeinträchtigen, sodass grundherrschaftliche Strukturen bis 1848 weitgehend erhalten blieben. Denn solange der Staat auf den grundherrschaftlichen Verwaltungsapparat zurückgriff, waren moderne, abgrenzbare Verwaltungsdistrikte nicht möglich.

WOLFGANG SCHEFFKNECHT (Lustenau) sprach über die Lokalverwaltung in Vorarlberg, die aus drei der österreichischen Regierungsstelle in Innsbruck unterstehenden Vogteien bestand. Seit 1604 übernahmen die 24 Gerichte die lokale Verwaltung, an deren Spitze aus der Gemeinde gewählte Ammänner standen. Sie waren für die Zivil- und Niedergerichtsbarkeit zuständig, hatten eine Doppelfunktion als landesfürstliche Exekutivorgane sowie als lokale Gerichtsvorsteher und stellten eine kostengünstige Variante der Verwaltung auf lokaler Ebene dar. Allerdings führte die Durchsetzung von Herrschaft bei deren Wahl zu Konflikten. Die Landesherrschaft musste auf lokale Gegebenheiten Rücksicht nehmen und konnte keine Zwangsmittel einsetzen. Obwohl die Landesherrschaft theoretisch über Kontrollmöglichkeiten verfügte und loyale Ammänner durchsetzen konnte, standen primär die lokalen Amtsträger im Zentrum der Kritik der Untertan:innen. Die Landesherrschaft stellten sie nicht in Frage.

TOMÁŠ STERNECK (Prag/Budweis)2 zeichnete Konfliktlinien nach, die im Zuge der josephinischen Magistratsregulierung in Böhmen entstanden. Die komplexen Kommunikations- und Verwaltungsprozesse sowie persönliche Interessen gewisser Akteure standen im Fokus des Vortrags. Bei der Magistratswahl in Budweis wurde in einer anonymen Beschwerde an das Landesgubernium (die Landesregierung) eine Manipulation der Wahlen angeprangert und eine Neuwahl des bürgerlichen Ausschusses gefordert. Das setzte einen Kommunikationsprozess zwischen Landesgubernium, Kreisamt und Appellationsgericht in Gang, an dessen Ende tatsächlich eine Wiederholung der Wahl stand. Eine neuerlich anonyme Beschwerde wurde vom Landesgubernium abgewiesen, nachdem das Kreisamt die ordnungsgemäße Durchführung bestätigt hatte. Das Beispiel zeige, so Sterneck, wie aus einem Regulierungsprozess eine Plattform für eine intensivierte Kommunikation wurde – nicht nur zwischen Behörden, sondern auch systemfremden Teilnehmern – und wie von Seiten der Regierung damit umgegangen wurde.

STEFAN EHRENPREIS (Innsbruck) diskutierte das Schulwesen Tirols zwischen 1650 und 1774 im Brennpunkt lokaler Eliten und zentralisierender Bildungsreformen. Anhand der Vorgeschichte der theresianischen Schulreformen zeigte Ehrenpreis, dass die Schulwirklichkeit vor 1774 wesentlich breiter war, als meist behauptet wird. Obwohl die Reformen eine Vereinheitlichung des Schulsystems und eine Intensivierung der Kontrolle mit schriftlichen Berichterstattungen brachten, erfolgte die Zentralisierung auf lokaler Ebene zurückhaltender. Die Wirkung der theresianischen Schulreformen konnte Ehrenpreis vor allem im Vergleich mit der Schulgeschichte bis 1774 überzeugend relativieren.

Die Frage „Was ist Verwaltung?“ hatte Tim Neu im Anschluss an den ersten Vortrag in den Raum geworfen. Die Beiträge zeigten die inhaltliche Breite dessen auf, was Verwaltung in der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts bedeuten konnte: normieren, formalisieren, aushandeln, vermeiden, archivieren, informieren, kommunizieren usw. Verwaltung kann somit z.B. als Geschichte von Kommunikations- und Informationstransfer und -verdichtung gesehen werden, als Konfliktgeschichte oder als Geschichte von Verwaltungsstrukturen, aber auch von deren Entflechtung, bis hin zur Auflösung ganzer Verwaltungsebenen. Verwaltung muss dementsprechend im Kontext der räumlich-naturalen Gegebenheiten ebenso wie der kommunikativen Settings und der Eigenlogiken der aus unterschiedlichen Perspektiven handelnden Akteur:innen interpretiert werden. Sie muss als ergebnisoffener Prozess analysiert werden, in dem Idee und praktische Umsetzung einem laufenden Aushandlungsprozess unterlagen, in dem auch Scheitern oder Erfolg von der personalen, zeitlichen, räumlichen usw. Perspektive abhängig war. Auch Zentralisierung musste in diesem Sinne nicht beabsichtigt sein, sondern entwickelte sich im Zuge verschiedener Praktiken und Austauschprozesse von Herrschaft und Verwaltung.

Konferenzübersicht:

Einführung
Julian Lahner (Naturns): Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung: Verwaltung(-sgeschichte) der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert

Panel 1: Sprache der Verwaltung: Formen, Aushandlung und Deutung
Chair: Ellinor Forster

Gernot Waldner (Wien): Dichter und Bürokrat. Literarische Elemente in der bürokratischen Sprachreform von Joseph von Sonnenfels

Benedikt Stimmer (Wien): „Und daher kömt uns das schöne Gemeng, so kein Deutscher versteht“ – Sprachreformdiskurs und Staatsausbau in der Habsburgermonarchie nach 1740

Bennet Roßwag (Gießen): Das Intelligenzblatt als Medium des Verwaltens

Panel 2: Kirche & Militär: Behörden, Prozesse und Akteur:Innen
Chair: Thomas Wallnig

Bettina Braun (Mainz): Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung in der Reichskirche: Parallelen und Unterschiede

Marcus Stiebing (Stuttgart): Im Geflecht der Akteur:innen und Institutionen. Kommunikation in der Theresianischen Militärakademie unter Franz Josef von Kinsky (1769-1805)

Panel 3: Zentralverwaltung & Länder I.
Chair: Gunda Barth-Scalmani

Attila Magyar (Hannover): Der langsame Tod einer Kameralverwaltung, Die Auflösung der Ofner Kameraladministration und ihre Eingliederung in die Ungarische Kammer (1709–1728)

Reinhard F. Nießner (Innsbruck): Die Verwaltung des Wassers. Tirols alpine Flüsse und Wildbäche als administrative Heraus- und Überforderung (1745–1792)

Panel 4: Zentralverwaltung & Länder II.
Chair: Gunda Barth-Scalmani

Nelly Eisenreich (Wien): Ein Gegenentwurf zum Haugwitz`schen System und sein Autor: Versuch über die politische Kultur des Friedrich August von Harrach (1696–1749)

Oleksandra Krushynska (Wien): Ein Vergleich der habsburgischen Gesetzgebung für Galizien nach der ersten und der dritten Teilung von Polen-Litauen: von der „Zivilisatorischen Mission“ zur „Verteidigung der Ordnung“

Abendvortrag
Tim Neu (Wien): Von Kontrollräumen und Kinosälen, oder: Die Verwaltungsgeschichte auf der Suche nach Zentralitätseffekten

Panel 5: Grundherrschaftliche Verwaltung & staatliche Zentralisierung
Chair: Julian Lahner

Michal Vokurka (Prag): Toskanische und bayerische Herrschaften in Böhmen

Jiří Hrbek (Prag): Das fürstenbergische Beamtentum im Prozess der Modernisierung: Das Beispiel der Herrschaften Křivoklát/Pürglitz in Mittelböhmen

Josef Löffler (Wien): Staatliche Interventionen in grundherrschaftliche Verwaltungsräume. Die „vermischten Untertanen“ in Niederösterreich als bürokratisches Problem

Panel 6: Verwaltung auf lokaler Ebene: Gerichte, Gemeinden, Städte und Schulen
Chair: Niels Grüne

Wolfgang Scheffknecht (Lustenau): Verwaltung auf der Ebene der Gerichte und Gemeinden. Die österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg

Tomáš Sterneck (Prag/Budweis): Amtsakten, Anonyme und Bierzusammenkünfte. Die Magistratsregulierung in Böhmen als Plattform für eine „verdichtete Kommunikation“ (Stadtbevölkerung – Kreisamt – Appellationsgericht – Landesgubernium)

Stefan Ehrenpreis (Innsbruck): Zentralisierung gegen Lokalität? Das Schulwesen Tirols 1650-1770 im Brennpunkt lokaler Eliten und zentralisierenden Bildungsreformen

Abschlusskommentar

Anmerkungen:
1 Julian Lahner, Programm der Tagung: Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung. Bürokratie in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert, 25.1.2024, in: H-Soz-Kult, https://www.hsozkult.de/event/id/event-141581 (19.4.2024); Julian Lahner, Call zur Tagung: Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung. Bürokratie in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert, 20.03.2023, in: H-Soz-Kult, https://www.hsozkult.de/event/id/event-134818 (19.4.2024).
2 Der Vortrag wurde aufgrund einer Erkrankung nicht in Präsenz gehalten, sondern von Ellinor Forster vorgelesen.

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