Mensch und Umwelt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Mensch und Umwelt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Organisatoren
Deutsche Forschungsgemeinschaft; Universität Tübingen; Technische Universität Darmstadt; Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg; Technische Universität Braunschweig; Universität Frankfurt am Main; GFZ Helmholtz-Zentrum Potsdam; Stadt Bad Waldsee
Förderer
DFG; Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur e. V.
Ort
Bad Waldsee
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
10.11.2023 - 10.11.2023
Von
Marcel Schön, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften, Universität Tübingen

Die Abschlusstagung führte die Ergebnisse der am DFG-Projekt „Auswirkungen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Stadtentwicklung auf Gewässer am Beispiel von Bad Waldsee“ beteiligten Disziplinen zu einem Gesamtbild zusammen, ergänzt wurde das Programm durch Vorträge externer Wissenschaftler:innen. Das Projekt zeichnete sich insbesondere durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Naturwissenschaften und der Geschichtswissenschaft aus. Bei den Forschungsarbeiten der vergangenen Jahre konnte auf eine Vielzahl nebeneinanderstehender Archive zurückgegriffen werden, um den Fragestellungen zum menschlichen Einfluss auf Gewässer nachzugehen. Neben den historischen, schriftlichen Archiven zählen dazu verschiedene „Naturarchive“, an vorderster Stelle der sich durch klar abgrenzbare Jahresschichten innerhalb des Sediments auszeichnende Stadtsee, dessen Beprobung die Grundlage einer Vielzahl der naturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten darstellt.

Zum Einstieg in den geschichtswissenschaftlich-archäologischen Teil stellten STEFAN SONDEREGGER (Zürich) und NICOLE STADELMANN (St. Gallen) das Potenzial von Archiven und Bibliotheken als Gedächtnis von Krisen und Katastrophen vor. Folglich standen verschiedene Quellen im Zentrum des Vortrags. Zu den wichtigsten Gattungen zählt hier pragmatisches Schriftgut, aber auch Bildquellen oder Markierungen von Hochwasserständen in der Landschaft können Aufschlüsse liefern. Näher vorgestellt wurden Zinsbücher des Heiliggeistspitals in St. Gallen, da aus den zahlreich festgehaltenen Ernteabgaben seit dem 15. Jahrhundert Rückschlüsse über Unregelmäßigkeiten oder Unglücksfälle gezogen werden können. Ähnliches gilt für die dichte Überlieferung der jährlichen „Weinläufe“ der St. Gallener Ratsleute, die im Zuge der Aufsicht über das städtische Gewerbe angelegt wurden und zum Teil sogar in gedruckter Form vorliegen.

LUKAS WERTHER (Frankfurt am Main/Tübingen) betrachtete die Beziehung des mittelalterlichen Menschen zur Ressource Wasser aus archäologischer Perspektive. Dabei stellte er die Frage, welche Systeme sich im Verlauf des Mittelalters ausbildeten und welchen Änderungen diese unterlagen. Anforderungen an den Wasserbau im Umfeld von Ansiedlungen bestanden in der Zuführung, Nutzung und Speicherung des Wassers. Neben Fließgewässern waren Brunnen daher ein wichtiger Teil der Wasserversorgung. In Süddeutschland sind steinerne Ausführungen bereits für das Früh- und Hochmittelalter belegt, wobei es sich hier meist um private Anlagen handelte. Erst im Spätmittelalter ist eine Verschiebung in den öffentlichen Raum festzustellen. Auch die „industrielle Revolution des Mittelalters“, also die in großem Umfang betriebene Nutzung der Wasserkraft durch verschiedenste Arten von Mühlen ab dem späten 12. Jahrhundert und ihre teils erheblichen Folgen für die Umwelt, nahm der Referent in den Blick.

Auf den Metabolismus urbaner Gesellschaften im Zusammenhang mit der Gewässernutzung bezog sich GERRIT JASPER SCHENK (Darmstadt). Er beleuchtete die sozioökologischen Aspekte, die mit der Nutzung natürlicher Ressourcen und dem materiellen Austausch zwischen einer Stadt und ihrem ökologischen Umfeld einhergehen. Deren Ausprägung war im Einzelfall maßgeblich für das räumliche Muster des ökologischen Fußbadrucks der jeweiligen Siedlung. Vorgestellt wurde dieses Modell des fluvio-sozialen Metabolismus am Beispiel des Klosters Lorsch an der Weschnitz. Die festzustellende Überprägung der Auenlandschaften seit dem Spätmittelalter wurde unter der Frage nach gesellschaftlichen und mentalen Voraussetzungen als Folge einer anthropozentrischen Ausrichtung des Mittelalters begriffen. Das zeitgenössische Naturverständnis spiegelt sich hingegen gerade in der Interpretation von Ereignissen, die als Form der Kommunikation Gottes mit der Menschheit interpretiert wurden.

CLAUDIA LEMMES (Tübingen) nahm eine Einordnung der Stadt Waldsee in die Textilgewerbelandschaft Oberschwabens vor, die in dieser Region von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung war. In Waldsee wurde dabei vorrangig Leinwand hergestellt sowie entsprechender Handel betrieben. Die Stadt nahm innerhalb des gesamten Gefüges zu Beginn der frühen Neuzeit die Funktion eines Sammelzentrums für größere Standorte wie Memmingen ein, stellte jedoch zugleich aufgrund der eigenen Produktions- und Marktinfrastruktur eine Konkurrenz dar. Lemmes beleuchtete Handlungsspielräume der ansässigen Akteure, die sich immer innerhalb eines Rahmens bewegten, der durch Umwelteinflüsse und die Ereignisgeschichte bestimmt wurde. Durch die Regulation des Zugangs zu Zünften oder die Einführung von Kontrollmechanismen für das städtische Handwerk trat in Waldsee gerade der Stadtrat als zentrale Entscheidungsinstanz auf. Für das 17. Jahrhundert konnte auf eine gute Quellenlage zurückgegriffen werden, was sowohl für die schriftliche Überlieferung als auch für die erfolgte detaillierte Erprobung von Seesedimenten gilt.

Den ersten Vortrag im naturwissenschaftlichen Teil der Tagung hielten LUCIA WICK (Basel), ELENA MARINOVA (Tübingen) und SARA SAEIDI (Hemmenhofen). Grundlage der Ausführungen zur Landnutzung in Bad Waldsee im Zeitraum von 1200 bis 1800 waren die Kombination von Forschungsergebnissen aus dem Bereich der Pollenanalyse, Archäobotanik, Holzkohleanalysen sowie der Hinzuziehung historischen Kartenmaterials. Ab dem späten Mittelalter intensivierte sich die örtliche Landnutzung, wobei drei Phasen ausgemacht wurden. Für das Spätmittelalter deuten die erhobenen Daten auf eine intensive Ackerbauwirtschaft sowie den Anbau von Leinen in größerem Umfang hin. Für die zweite, frühneuzeitliche Phase konnte hingegen eine deutliche Zunahme des Hanfanteils festgestellt werden. Die dritte Phase in der Neuzeit lässt schließlich eine stetig wachsende Belastung der Landschaft erkennen, die durch Bodenerosion, weniger Baumpollen und mehr Kulturpflanzen gekennzeichnet ist.

Sara Saeidi, Lucia Wick und KRISTIN HAAS (Darmstadt) führten Daten zu Brandereignissen und Feuernutzung in Bad Waldsee zusammen, die anhand von Untersuchungen von Makro- und Mikroholzkohlepartikeln sowie bei der Verbrennung entstehenden PAK (polycyclischer aromatischer Kohlenwasserstoffe) innerhalb der Seesedimente rekonstruiert werden konnten. An der Größe der Partikel kann zwischen lokalen und regionalen Ereignissen sowie der Art des Brandereignisses unterschieden werden; ihre äußere Form liefert Informationen zum verbrannten Material. Die durch die Jahresschichtung des Stadtsees ermöglichte Datierung der Proben konnten die chemischen Spuren einiger überlieferte Ereignisse, darunter eine Brandstiftung von 1386 und ein Brand im Jahr 1402, in den Sedimenten nachweisen. Für das 17. Jahrhundert ist eine Zunahme der lokalen Brände rund um die Stadt festzustellen, wobei vor allem deutlich mehr Gräser als Holz verbrannten. Ursächlich für die Zunahme dieses Verbrennungsproduktes könnten in Brand gesteckte Dachbedeckungen, aber auch brandgerodete, brachliegende und mit Unkräutern übersäte Ackerflächen sein.

Ein weiteres in Bad Waldsee vorhandenes Naturarchiv behandelten PAULA ECHEVERRIA-GALINDO (Braunschweig), Kristin Haas und OLIVER NELLE (Hemmenhofen) in ihrem Vortrag zum „Archiv Holz“. Analysiert wurden Bauhölzer aus bestehenden Häusern innerhalb der Stadt; im 17. Jahrhundert wurden hier vornehmlich Tanne, Eiche und Fichte eingesetzt. Eine Untersuchung der Baumringe, deren Form vor allem vom zur Verfügung stehenden Wasser, weniger von der herrschenden Temperatur bestimmt wird, erlaubte Aussagen zu klimatischen Bedingungen verschiedener einzelner Jahre des 17. Jahrhunderts. Schmale Ringe deuten auf ein schlechtes Wachstum des Baumes im jeweiligen Jahr hin. Für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges konnte anhand des verwendeten Holzes ebenso eine auffällige fehlende Schlagphase und damit auch eine weitgehende Einstellung von Bautätigkeiten festgestellt werden.

Die Verschmutzung des Stadtsees war Gegenstand des Vortrags von FLORIAN GIGL (Frankfurt am Main). Er präsentierte ebenfalls Ergebnisse verschiedener Forschungen zu Bioindikatoren, Isotopie, Ökotoxikologie, Geochemie und aquatischen Pflanzen. Im Mittelpunkt stand die Frage nach den Auswirkungen anthropogener Störungen auf die biologische Vielfalt und eine Bewertung der Wasserqualität durch eine Erhebung quantitativer Verschmutzungsdaten. Anhand des Vorkommens unterschiedlicher Indikatoren können Aussagen über den Nährstoffgehalt des Sees getroffen werden. Es zeigte sich, dass ab der Mitte des 15. Jahrhunderts eine Abnahme der aquatischen Lebensgemeinschaften einsetzt, die durch sinkende Temperaturen und klimatische Veränderungen bedingt wurde und bis 1880 andauerte. Historische Ereignisse wie der Dreißigjährige Krieg haben sich auch hinsichtlich des Schadstoffeintrags im Stadtsee niedergeschlagen.

HEINZ WANNER (Bern) sprach über Struktur und Dynamik klimatischer Veränderungen im Zuge der Kleinen Eiszeit zwischen 1250 und 1860. Diese Phase zeichnete sich in erster Linie durch große Temperaturschwankungen aus und steht in einer Reihe von bedeutenden Klimaveränderungen innerhalb der letzten 1000 Jahre. Einerseits waren während der Kleinen Eiszeit milde Phasen und warme, feuchte Sommer zu verzeichnen. Infolge des Rückgangs der Sonneneinstrahlung sowie aufgrund von Vulkanausbrüchen und der Auskühlung von Landflächen standen aber auch kalte Sommer und daraus resultierende Missernten und Hungersnöte zu Buche. Wie aufgezeigt wurde, werfen Rekonstruktionen von Gletscherschwankungen in diesem Zusammenhang die Frage nach der natürlichen oder menschgemachten Ursache auf.

Seen als Archive für Klima-Umwelt-Mensch-Interaktionen außerhalb des Kontexts von Waldsee stellte schließlich ACHIM BRAUER (Potsdam) vor. Dabei wies er darauf hin, dass klimatische Signale innerhalb von Sedimenten in aller Regel von menschlichen Einflüssen überlagert werden. Diese sind etwa auf Eingriffe durch die Landwirtschaft, Bautätigkeiten, hydrologische Eingriffe oder die Einleitung von Abwässern zurückzuführen. Sekundärprozesse sind außerdem die Eutrophierung und Versauerung der Gewässer. Eine Herausforderung besteht daher in der Unterscheidung klimatischer und anthropogener Signale, wofür auf verschiedene Methoden zurückgegriffen werden kann. Dazu zählen die Analyse von DNA innerhalb der Sedimente oder eine Anpassung der Probennahme an die Schichtung.

SIGRID HIRBODIAN (Tübingen) und MATTHIAS HINDERER (Darmstadt) schlossen die Tagung mit einem öffentlichen Abendvortrag im Kornhaus Museum Bad Waldsee ab. Unter dem Titel „Bad Waldsee im Dreißigjährigen Krieg: Was uns Schriftquellen und Stadtsee erzählen“ informierten sie die interessierte Öffentlichkeit über die Ergebnisse des Projekts und fassten die Resultate zusammen, wobei sie auf die interdisziplinären Schnittstellen und deren Potenzial abzielten. In Anbetracht der Forschungsergebnisse zum 17. Jahrhundert zeigte sich eine enge Verbindung zwischen menschlicher Aktivität, historischen Ereignissen und der ökologischen Verfassung des Stadtsees. Der Dreißigjährige Krieg, dessen mittelbare und unmittelbare Folgen sich in verschiedener Hinsicht im Stadtsee niedergeschlagen haben und anhand von Indikatoren noch heute messbar sind, hatte einen Bevölkerungsrückgang und damit auch eine zeitweise Erholung des Stadtsees und der vorhandenen Biodiversität zur Folge. Der Vortrag sowie die gesamte Tagung konnten die Auswirkungen mittelalterlicher bis frühneuzeitlicher Stadtentwicklung auf Gewässer am Beispiel von Bad Waldsee somit anschaulich verdeutlichen.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Historisch-archäologische Forschung

Sektionsleitung: Arnd Reitemeier (Göttingen)

Stefan Sonderegger (Zürich) & Nicole Stadelmann (St. Gallen): Archive und Bibliotheken als Gedächtnis von Krisen und Katastrophen. Der Beitrag von Schriftquellen zur Umweltgeschichte an Beispielen aus der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ostschweiz

Lukas Werther (Frankfurt am Main/Tübingen): Der mittelalterliche Mensch und die Ressource Wasser: archäologische Schlaglichter auf die Materialität aquatischer Umwelten

Gerrit Jasper Schenk (Darmstadt): Urbaner Metabolismus. Überlegungen zur „zweiten Natur“ der Stadt

Claudia Lemmes (Tübingen): Die Akteure des Textilgewerbes und ihre Handlungsspielräume in Waldsee im 17. Jahrhundert

Sektion 2: Naturwissenschaftliche Forschung

Sektionsleitung: Antje Schwalb (Braunschweig) & Peter Rückert (Stuttgart)

Kristin Haas (Darmstadt), Sara Saeidi (Hemmenhofen), Lucia Wick (Basel), Florian Gigl (Frankfurt am Main), Paula Echeverria-Galindo (Braunschweig) & Oliver Nelle (Hemmenhofen): Ergebnisse des Umweltarchivs Stadtsee: Schadstoffe, Brandereignisse, Landschaftsentwicklung, Gewässerzustand

Heinz Wanner (Bern): Die Kleine Eiszeit in Europa – ihre Struktur und Dynamik

Achim Brauer (Potsdam): Seen als Archive für Klima-Umwelt-Mensch Interaktionen

Sektion 3: Öffentlicher Abendvortrag

Sigrid Hirbodian (Tübingen) & Matthias Hinderer (Darmstadt): Bad Waldsee im Dreißigjährigen Krieg: Was uns Schriftquellen und Stadtsee erzählen

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