Verehrt-verachtet-vergessen-verstanden? Kriegerdenkmäler als Zeichen (in) der Zeit

Verehrt-verachtet-vergessen-verstanden? Kriegerdenkmäler als Zeichen (in) der Zeit

Organisatoren
Alfons Kenkmann, Arbeitskreis „1648 - Dialoge zum Frieden“ / Universität Leipzig; Erik Tolen, Wissenschaftsbüro, Münster Marketing
Veranstaltungsort
Theater im Pumpenhaus, Gartenstraße 123
PLZ
48147
Ort
Münster
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
31.08.2023 - 01.09.2023
Von
Philipp Brockkötter, Friedensbüro, Münster Marketing

Kriegerdenkmäler haben seit jeher einen besonderen Platz in gesellschaftlichen Debatten, sei es als Memoriale oder als politische Reizbegriffe. In der Forschung erfahren sie spätestens seit Reinhardt Kosellecks prägendem Aufsatz von 19791 mehr und mehr Aufmerksamkeit, die sich heute mehrheitlich auf Ansätze aus den memory studies konzentriert. Weniger beachtet wird hingegen das derzeitige Zentrum der öffentlichen Debatten bzw. die Frage, wie mit den bestehenden Denkmalen angesichts neuer gesellschaftlicher Herausforderungen umgegangen werden kann. Diesem Ziel verschrieb sich die Tagung „Verehrt-verachtet-vergessen-verstanden? Kriegerdenkmäler als Zeichen (in) der Zeit“, welche im Theater im Pumpenhaus in Münster stattfand. Außergewöhnlich war dabei nicht nur der Ort die Tagung, sondern auch der lokale Anschluss: zum einen feierte die Stadt das 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens, zum anderen prägt auch die Stadtgesellschaft Münsters die Debatte um den Umgang mit Kriegerdenkmalen, von denen einige just in diesem Jahr eine kommentierende Stele erhielten. Vor einem solchen Hintergrund überraschte es nicht, das die Veranstaltung ein breites Interesse hervorrief.

Bereits der Eröffnungsvortrag von MANFRED HETTLING (Halle-Wittenberg) zeigte dabei, dass die Zielsetzung der Tagung weit über die lokalen Diskurse hinausreichen sollte. Basierend auf seiner reichhaltigen Forschung zum Thema sowie einem chronologischen Überblick zu Kriegerdenkmälern von der Antike bis heute bereitet er den Boden der weiteren Panel mit einer Typisierung der Denkmälern, die er in die Schlagworte „Herrschaftliche“ (zum Beispiel der Legitimation dienend), „Heroische“ (Wechsel von Ständehierarchie zu bürgerlicher Gleichheit) und „Viktimiologische“ (deutsches Spezifikum beruhend auf der doppelten Niederlage und dem moralischen Kollaps durch die NS Verbrechen) unterteilte. Für die deutsche Gedenklandschaft definierte er darauf aufbauend vier zentrale Herausforderungen: 1. Die Gemeinsamkeit der Erinnerung an Soldaten und Zivilisten sowie Täter und Opfer; 2. Die angesichts der Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie des Krieges in Europa zurückkehrende Frage nach der Sinnhaftigkeit soldatischen Sterbens; 3. Das Verhältnis zwischen gewachsener Erinnerungskultur und Europäisierung sowie 4. Die Bedeutung der Nation in diesem Konstrukt.

Der Faden der deutschen Gedenklandschaft wurde auch im ersten Panel aufgegriffen, das sich die Identifikation von Diskursformen auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene sowie die Analyse von Strategien des Umganges damit zum Ziel setzte. Den Anfang machte PHILIPP ERDMANN (Münster) mit der kriegerischen Erinnerung auf Straßenschildern im Diskursraum Münster. Diese wurden, mediiert durch das Stadtarchiv, in der Stadtgesellschaft leidenschaftlich diskutiert, wobei sowohl Umbenennungen als auch Kommentierungen von Straßennamen beschlossen wurden. Für die weitere Entwicklung traten dabei zwei Erkenntnisse besonders hervor: zum einen die Doppelfunktion der Straßennamen, nicht nur als Erinnerungsort für Benennende und Benannte, sondern insbesondere als Kristallisationspunkt der Selbstidentifizierung im Rahmen der „Heimatadresse“ und zum anderen die erstmalige Einbeziehung des Zeitpunktes der Straßenbenennung in den Diskurs. Gänzlich unterschiedliche Formen einer regional bedeutsamen Denkmallandschaft – vom verniedlichend „Willi“ genannten Zentrum lokaler Identifikation bis hin zum vergessenen Sockel eines Denkmals aus nationalsozialistischer Zeit, waren das Thema des Beitrages von SYLVIA NECKER (Minden) unter anderem zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Die Umgangsformen mit den Denkmalen reichten dabei von der Alltagsnutzung über den Lokaltourismus bis hin zur politischen Instrumentalisierung, wobei sich für alle die Frage nach der wissenschaftlichen Steuerung und Einordnung stellte. Als Lösung schlug sie vor, nach einer Betrachtung der Geschichtslandschaft die Ortsbezirke stärker einzubeziehen und insgesamt, jenseits der geschichtsphilosophischen Moral, eine Pluralität der Nutzungsformen zu akzeptieren, ohne dabei jedoch die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Basisinformation zu vernachlässigen. Mit einer seit dem russischen Angriffskrieg überregional in den Fokus gerückten Kategorie von Denkmalen beschäftigte sich STEFANIE ENDLICH (Berlin). In ihrem Vortrag wies sie auf den wenig beachteten, aber für die Debatte umso bedeutsameren Fakt hin, dass es sich bei den sowjetischen Ehrenmalen nicht nur um Monumente der (Nach-)kriegszeit, sondern auch um solche des Totengedenkens handelt, da sie in der Regel auch Soldatenfriedhöfe beherbergen. Ein häufig gefordertes Abräumen verbietet sich daher allein aus rechtlichen Gründen (Deutsch-Russisches Kriegsgräberabkommen). Bei aller berechtigten und notwendigen Kritik offenbart die Eigenschaft als Kriegsgräberstätte die pluralen Motivationen bei der Teilnahme an verbindenden Ritualen, zumal auch die von der Sowjetunion eingesetzten Soldaten bei weitem nicht nur aus Russland stammten.

Das zweite Panel erweiterte den Blick auf die internationale Ebene und bot dafür drei exemplarische Zugriffe. ATSUKO KAWAKITA (Tokyo) stellte in ihrem Beitrag eine zur deutschen Vorgehensweise differente und in Europa vielkritisierte Art der Erinnerungsarbeit vor. So werden unter anderem im Yasukuni-Schrein nicht nur gefallene Krieger ab dem Ende der Samurai-Zeit verehrt, sondern auch Kriegsverbrecher aus der Zeit des 2. Weltkrieges. Wenngleich es keine zu Deutschland vergleichbare Aufarbeitung der Vergangenheit gab, fällt auf, dass im japanischen Bewusstsein der 2. Weltkrieg als einziger „Krieg ohne Helden“ gilt und damit eine wesentliche Ausnahme in der kriegerischen Erinnerung darstellt. Zugleich konzentriert sich die Erinnerung auf die Schäden an der Heimatfront, wobei Opfer außerhalb Japans ausgeblendet werden. EKATERINA MAKHOTINA (Bonn) überführte die von Stefanie Endlich im Panel zuvor aufgeworfene Fragestellung auf die internationale Ebene, indem Sie die Situation in den Nachfolgerstaaten der Sowjetunion beleuchtete. Dabei teilte sie die Errichtung der Ehrenmale in vier Wellen ein: eine erste unmittelbar nach dem Krieg, die das Gedenken und die Demonstration sowjetischer Präsenz zum Ziel hatte, eine viktimiologische Welle von 1960–1977, in welcher die zivilen Opfer, aber auch Widerstand und Rache im Fokus standen, die Folklorisierung der Erinnerung, (1970er- und 1980er-Jahre) welche durch traditionelle Formen und Inhalte gekennzeichnet war und schließlich die Betonung des Zusammenhaltes in den 1980er-Jahren. In der heutigen Zeit erfolgt unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse häufig eine Dekommunisierung (zum Teil mit einer Nationalisierung einhergehend). Oft bedeutet dies einen Sturz der Denkmale, jedoch sind auch andere Formen wie Überprägungen (zum Beispiel Mutter-Ukraine-Statue in Kiev) oder die Umsetzung zum Beispiel in Freilichtparks oder Museen denkbar. Zudem werden die Denkmale oft Erinnerungs- und Mahnort für aktuelle russische Verbrechen, die mit der Zeit des Kommunismus parallelisiert werden. Einem weiteren aktuellen Konfliktfeld widmete sich FRANZISKA LUDEWIG (Halle-Wittenberg) in ihrem Beitrag zu den Denkmalstürzen in den USA. Entlang einer vierteiligen Typologie der Objekte (reduziertes Symbolarsenal; weibliche Personenstandbilder; Personenstandbilder einfacher Soldaten; Personenstandbilder herausgehobener Personen) wurden die Denkmalstürze kategorisiert und geographisch sowie politisch verortet, wobei ein Großteil der republikanisch dominierten Regionen zugeordnet werden konnte. Hintergrund sind dabei insbesondere Kämpfe um die Deutungshoheit, wobei auch der Aufstellungskontext der Denkmäler einbezogen wurde, die eher selten unmittelbar nach dem Krieg, sondern insbesondere ab der Jim Crow Zeit sowie als Gegenbewegung zur Bürgerrechtsbewegung aufgestellt wurden.

Das dritte Panel wechselte daraufhin die Sichtweise, um Impulse für neue und alternative Denkmalsetzungen zu geben. Wie die Etablierung solcher Denkmäler vonstattengehen kann, demonstrierte MARCO DRÄGER (Heidelberg) anhand der Deserteursdenkmäler in der Bunderepublik. Waren diese bis in die 1980er-Jahre hinein ein Tabuthema im öffentlichen Diskurs, wurden sie im Zuge politischer und gesellschaftlicher Veränderungen unter anderem der Friedensbewegung zunächst subversiv in Privatinitiative geschaffen und schließlich nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern auch von offizieller Seite gefördert. Erweitert wurde diese Fallstudie durch JOSEF BLOTZ (Wachtberg), der zu den Denkmälern für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus sprach. Ausgehend von dem überraschenden Befund, dass dieser historisch gesehen zwar die Ausnahme darstellte, in der heutigen Zeit die entsprechenden Denkmäler mit 1114 Objekten an 292 Orten aber keineswegs außergewöhnlich sind, zeigte er zunächst, dass diese Entwicklung ebenfalls einen Schwerpunkt in der Zeit seit den 1980er-Jahren hat. Ähnlich zu den Deserteursdenkmälern ist dies in der Dynamik verschiedener erinnerungskultureller Gegebenheiten wie zum Beispiel einem Generationenwechsel (1968er), der Aufwertung des Widerstandes in Öffentlichkeit und Politik sowie der gesteigerten historischen Forschung begründet. Dies findet seinen Ausdruck ferner in neuen Denkmaltypen, den Blotz am Typus der „Verräter und Verlierer“ exemplifizierte. Dass zudem zahlreiche weitere Möglichkeiten der Beeinflussung des Diskurses über Kriegerdenkmale bestehen und auch Kunst Denkmäler verhandeln kann, zeigte MARIA ENGELSKIRCHEN (Münster) mit ihrem Beitrag zu [Counter-]Monuments als Spiegelbilder. Exemplifiziert an den Werken von Dennis Adams und Valie Export wurde deutlich, wie Sehgewohnheiten der Menschen aufgegriffen werden können, um subversiv die gängigen Darstellungsformen zu hinterfragen und Denkprozesse in Gang zu setzen. Ebensolche Prozesse waren auch Bestandteil der künstlerischen Intervention von RUPPE KOSELLECK (Münster). Während er Konstanten der Kriegerdenkmäler sowohl in Form des Bodendenkmals (Schlachtfelder) als auch bezüglich des Personenkultes satirisch entfaltete, regte er die Teilnehmenden der Tagung zum Nachdenken zu überkommenen Formen der Erinnerungskulturen an.

Eine gelungene Zusammenfassung der Ergebnisse der sowohl für Fach- als auch Laienpublikum interessanten Tagung erfolgte unter der Leitfrage „Wie mit dem materiellen Erbe „Kriegerehrenmal“ umgehen?“, die vom Historiker und Journalisten FELIX KELLERHOFF (Berlin) geleitet wurde. Unter reger Beteiligung des Publikums wurde insbesondere die Multipolarität und Fluidität des Themas unterstrichen, wobei sich unter anderem ein Spannungsfeld zwischen den rechtlichen Dimensionen des Denkmalschutzes, der Zeitgebundenheit der Denkmäler und einer sich stetig und immer schneller verändernden Gesellschaft entspann. Für die Beantwortung der Leitfrage ergab sich dementsprechend kein Stein der Weisen, sondern vielmehr eine Reihe von wichtigen Eckpunkten bzw. Grunddeterminanten: So sind in demokratischen Gesellschaften stetig neue, wissenschaftlich begleitete Aushandlungsprozesse notwendig, für die jedoch das Diskursfeld bereitet und kontinuierlich für Verständnis geworben werden muss. Zudem sollten vermeintlich einfache Antworten wie ein Abreißen der Denkmäler vermieden werden und im Zweifel eher eine Kommentierung oder eine Verbringung in Museen erfolgen. Denn schlussendlich dienen die Kriegerdenkmäler, um auf Koselleck zurückzukommen, weiterhin der Identitätsstiftung, sei es durch Erinnerung, Abgrenzung, oder der Förderung von Diskursen, die gesellschaftliche Identitäten bestätigen oder hinterfragen.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag/Keynote

Manfred Hettling (Halle-Wittenberg): „Zeichen der Verehrung“, Kriegerdenkmäler in Deutschland

Willkommen und Einführung

Alfons Kenkmann (Leipzig)

Panel 1: Kriegerehrenmäler – auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene

Moderation: Markus Köster (Münster)

Philipp Erdmann (Münster): Kriegerische Erinnerung auf Straßenschildern

Sylvia Necker (Minden): Bismarckturm-Schlageter-Denkmal und Kaiser-Wilhelm-Denkmal – eine regionale Denkmallandschaft

Stefanie Endlich (Berlin): Ehrenmale der Roten Armee in Berlin, den neuen Bundesländern und Wien

Panel 2: Kriegerehrenmäler in internationaler Perspektive – exemplarische Zugriffe

Moderation: Manfred Hettling (Halle-Wittenberg)

Atsuko Kawakita (Tokyo): Kriegerehrenmäler und Kriegsdenkmäler in Japan

Ekaterina Makhotina (Bonn): Der Krieg der Toten und der Lebenden: Umgang mit Sowjetischen Ehrenmalen in den Nachfolgerstaaten der Sowjetunion

Franziska Ludewig (Halle-Wittenberg): Doppelte Identitätspolitik: Denkmalsturz der Südstaatenmonumente in den USA 2015 bis 2021

Panel 3: Impulse alternativer Denkmalsetzungen

Moderation: Isabel Heinemann (Bayreuth)

Marco Dräger (Heidelberg): Die Etablierung von Deserteur-Denkmälern in der Bundesrepublik Deutschland

Josef Blotz (Wachtberg): Denkmäler für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Maria Engelskirchen (Münster): [Counter-]Monuments als Spiegelbilder: Dennis Adams und VALIE EXPORT

Ruppe Koselleck (Münster) Den Opfern künftiger Kriege - Künstlerische Interventionen im öffentlichen und privaten Raum

Abschlussdiskussion: Wie mit dem materiellen Erbe „Kriegerehrenmal“ umgehen?

Moderation: Felix Kellerhoff (Berlin)

Podium: Urte Evert (Berlin) / Ursula Frohne (Münster) / Atsuko Kawakita (Tokyo) / Holger Mertens (Münster)

Anmerkungen:
1 Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Odo Marquard / Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, München 1979, S. 255–276.