Der Wert des Heiligen. Spirituelle, materielle und ökonomische Verflechtungen

Der Wert des Heiligen. Spirituelle, materielle und ökonomische Verflechtungen

Organisatoren
Arbeitskreis für hagiographische Fragen; Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Ort
Weingarten (Oberschwaben)
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.04.2018 - 28.04.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Breittruck, Historisches Institut, Fernuniversität in Hagen

Der Arbeitskreis für hagiographische Fragen, der seit 1994 jährlich in Zusammenarbeit mit der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart eine Tagung ausrichtet, hat dieses Jahr vom 26. bis 28. April 2018 das Themengebiet „Der Wert des Heiligen. Spirituelle, materielle und ökonomische Verflechtungen“ im Tagungshaus Weingarten behandelt. In vier Sektionen diskutierten die Referierenden und Teilnehmenden über die Zuschreibungen und Praktiken von Heiligkeit zwischen Antike und Früher Neuzeit. Gerahmt war die Veranstaltung durch eine Kunstausstellung in den Fluren des Klosters und einen Morgenimpuls in der Kapelle (JOHANNES KUBER, Rottenburg-Stuttgart).

In ihrem Einführungsvortrag legte MIRIAM CZOCK (Duisburg-Essen) die Ambivalenz der für die Tagung zentralen Begriffe ‚Wert‘ und ‚Heiligkeit‘ dar. Wenngleich sich beide Begriffe zunächst scheinbar einer gemeinsamen Messbarkeit entzögen, verfügten doch spirituelle Werte über materielles Potential, so Czock. Auf ihre Anregung, das Spektrum von Spiritualität aufzumachen, folgten UTA KLEINEs (Hagen) Einstiegsworte. Am Beispiel der Tempelreinigung wies sie auf die seit der Antike aufrecht erhaltene ideelle Trennung von Heiligkeit und Geld hin. Dennoch trete Valenz durch die Etablierung eines Kreislaufs auf, bei dem irdische und himmlische Gaben getauscht würden, sodass ein spiritueller Mehrwert entstehe. Mit Pierre Bourdieu rief Kleine die Tagungsteilnehmenden dazu auf, Heiligkeit als symbolisches Kapital zu untersuchen und die Prozesse der Wertproduktion aufzudecken.

Die erste Sektion befasste sich mit den „Valuierungen“ der Heiligkeit. Hinführend reflektierte CLAUDIA ALRAUM (Erlangen), welche Voraussetzungen zur Heiligwerdung beitrügen und inwiefern in Kirchenkalender und Liturgie Hierarchisierungen von Heiligen vorgenommen würden. PHILIP ZIMMERMANN (Zürich) ging dann im ersten Vortrag auf Armut als Kriterium für die Legitimität eines/einer Heiligen in der Spätantike ein. Anhand zweier Beispiele aus den Heiligenschriften Venantius Fortunatus‘, in denen dieser Bischof des 6. Jahrhunderts Lebenserzählungen niederlegte, zeigte Zimmermann, wie Armenfürsorge und Bedürfnislosigkeit zur Steigerung des Verdienstes der Heiligen beitrugen. In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere thematisiert, ob Venantius das Motiv der Armut für die Legitimisierung bischöflicher Herrschaft in der Merowingerzeit instrumentalisierte.

THOMAS LENTES (Münster) ging in seinem Vortrag auf die Liturgie der Heiligenfeste ein, die seit dem 13. Jahrhundert in Kommentarform überliefert sei. Die Liturgie diente der Abbildung der himmlischen Liturgie auf Erden und der Partizipation an der ‚communio sanctuorum‘. Der bei Heiligenfesten aufkommenden Problematik der häretischen Idolatrie wurde mit dem Argument begegnet, die Verehrung diene nur Gott, nicht den Heiligen.

VOLKER LEPPIN (Tübingen) erläuterte in seinem Vortrag, wie es sozialgeschichtlich, institutionengeschichtlich und hinsichtlich der Geschichte der Frömmigkeit im späten Mittelalter zur Ablasskritik kam. Systematisch legte Leppin diese Kategorien dar: So wurde kritisiert, dass kirchliches Recht auf das Leben nach dem Tode übertragen werde, dass der Papst seine Macht unzulässigerweise von der ‚ecclesia militans‘ auf Erden auf die ‚ecclesia triumphans‘ im Himmel übertrage und argumentiert, dass lediglich ein christliches Leben zu Ablass führen könne.

Am folgenden Tag ging es in der zweiten Sektion um die praktischen Vollzüge des Heiligen. In ihrer Hinführung lenkte FELICITAS SCHMIEDER (Hagen) die Aufmerksamkeit auf die Mehrdeutigkeit von Heiligkeit in der Vormoderne. Der allegorische und eschatologische Sinn der Heiligen wurde verrechtlicht, ökonomisch nutzbar gemacht und numerisch gewandelt. MICHAEL ROTHMANN (Hannover) zeigte anhand einer Wortfeldanalyse spätantiker und frühmittelalterlicher Texte, dass die merkantile Semantik der Theologie auf antike profane Semantik zurückgriff. Es wurde deutlich, inwiefern Wortfelder um die römischen Termini ‚mercatus‘, ‚forum‘ und ‚nundinae‘ in christlichen Auseinandersetzungen über Austauschbeziehungen von Himmel und Erde, über die Händler Christus und Satan einen Wandel erfuhren. Die Komplexität der ökonomischen Sprache, so Rothmann, habe sich für die Erläuterungen komplexer Erde-Himmel-Verbindungen besonders geeignet. STEFAN ESDERS (Berlin) ging in seinem Vortrag auf Heilige als juristische Personen ein. Als ‚Patronus familiae‘ sei der Heilige als Beschützer für Personengruppen und Besitztümer zuständig. Angelehnt an Ernst Kantorowicz1 erläuterte Esders die Unterscheidung von natürlicher Person des Heiligen, dessen Körper auch nach seinem Tod weiter im Altar präsent ist, und abstrakter Person des Heiligen, die für den Schutz des Kirchenguts zuständig gesprochen wurde. Dadurch wurde das Kirchenvermögen seit dem 5. Jahrhundert unveräußerlich gehalten, verdinglicht und stabilisiert.

In die dritte Sektion führte KLAUS HERBERS (Erlangen) mit der Frage nach der Art und Weise, wie Texte, Medien und Sprachen Heiligkeit und Wunder umwerteten, ein. Am Beispiel der Textgeschichte der heiligen Veronica / vera icon zwischen dem 6. und 15. Jahrhundert ging JULIA WEITBRECHT (Kiel) auf die Funktion von Heilsfiguren in Zusammenwirken mit bestimmten Objekten ein. Die in Apokryphen überlieferte Geschichte erzählt, wie Veronica mit einem Schweißtuch oder alternativ einem von ihr erstellten Bild Christi zur Heilung Kaiser Tiberius‘ aus Jerusalem nach Rom geholt wird. Weitbrecht hob die zeitliche und räumliche Überdauerung des Christusobjekts hervor und folgerte, dass diese „Kontaktheiligkeit“ zur Heiligung des römischen Reichs und zur Gründung der römischen Kirche beigetragen habe.

CORDELIA HEß (Greifswald) ging in ihrem Referat auf die spezifisch zeitverzögerte, durch weniger Kommunikation, urbane Strukturen und Patrozinien einheimischer Heiliger geprägte skandinavische Heiligenverehrung ein. Heß ordnete diese Spezifik anhand des DMR („divergent modes of religiosity“)-Modells des Anthropologen Hayden Whitehouse als „imagistische“ Religiosität (Whitehouse) einer peripheren Region ein. In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob weniger die Andersartigkeit als vielmehr die Vergleichbarkeit der Peripherie ins Zentrum der Analyse gerückt werden müsse.

In der vierten Sektion ging es um konkrete Objekte und Kunst. ANDREAS BIHRER (Kiel) lenkte einführend den Blick auf materielle Eigenheiten sowie Anordnungen und Arrangements von heiligen Objekten. In ihrem Vortrag widmete sich GIA TOUSSAINT (Hamburg) sodann der Steigerung der Heilswirksamkeit von Evangeliaren und Kodices durch die Zugehörigkeit zu einem Heiligen. Anhand dreier Beispiele zeigte Toussaint, wie sich diese Objektheiligkeit und die Ausstattung und Kontextualisierung der Bücher gegenseitig wertsteigernd auswirkten. Eine solche Objektaufwertung erfuhr das Gebetbuch der Heiligen Margaret (gest. 1093), das der königliche Ehemann der Heiligen prächtig ausschmückte und das zudem unversehrt einen Verlust in einem Fluss überstanden haben soll.

STEFAN LAUBE (Wolfenbüttel) schließlich stellte den Wandel der Wertigkeit von Reliquien im 16. Jahrhundert dar. In Anlehnung an Bourdieus Kapitaltheorie schlüsselte er Reliquien als ökonomisches, politisches, spirituelles und mirakulöses Kapital auf. Dabei zeigte er unter anderem, wie mirakulöse Reliquien im 16. Jahrhundert im Kontext der Wunderkammern in den Mirabilia aufgingen und beispielsweise in Nautilusreliquiaren und Straußeneiern ins Außergewöhnliche integriert in ein Ideal des „Großen im Kleinen“2 eingespeist und zum Teil eines neuen Bildungskapitals wurden.

MATTHIAS KLOFT (Limburg) fasste die Tagung mit den durch Klaus Herbers geprägten Worten „Money is what money does. Holy is what holy does“ zusammen und beendete so eine analytische Schau auf Wertigkeiten und Wertumwandlungen von Irdischem zu Heiligem, Heiligkeit in Sprache, Medien und Objekten und über die Zeit.

Konferenzübersicht:

Einführung in die Tagung
Miriam Czock (Duisburg-Essen) und Uta Kleine (Hagen)

Sektion 1: Das Maß der Heiligkeit – Valuierungen
Moderation: Claudia Alraum (Erlangen)

Der Wert der Armut für die Heiligen bei Venantius Fortunatus
Philip Zimmermann (Zürich)

‚...damit wir ihnen vergelten.‘ Heilsökonomie und die Liturgie der Heiligenfeste
Thomas Lentes (Münster)

Heiliges Leben – unheiliger Schatz. Ablasskritik im späten Mittelalter
Volker Leppin (Tübingen)

Sektion 2: (Ver)rechnen und (ver)handeln
Moderation: Felicitas Schmieder (Hagen)

Sakralität und Ökonomie. Heilige Konjunkturen im Mittelalter
Michael Rothmann (Hannover)

Heilige als juristische Personen. ‚Transpersonale‘ Institutionalisierungen im Frühmittelalter
Stefan Esders (Berlin)

Sektion 3: Der Wert des Heiligen – Ideale, Umwertungen und Kritik
Moderation: Klaus Herbers (Erlangen)

Transportheilige. Zur Medialität von Heil im Figur-Objekt-Konglomerat
Julia Weitbrecht (Kiel)

‚The road to success.‘ Heiligkeitsideal, Textproduktion und ‚Erfolg‘ skandinavischer Heiliger
Cordelia Heß (Greifswald)

Sektion 4: Schätze des Heils – Die Repräsentation ethischer Werte in Sprache und Bild
Moderation: Andreas Bihrer (Kiel)

Bücher von Heiligen. Gefunden, verehrt, geteilt
Gia Toussaint (Hamburg)

Wunder des Himmels – Wunder der Natur. Schnittmengen Hallescher Sammlungswelten
Stefan Laube (Wolfenbüttel)

Zusammenfassung und Schlussdiskussion
Matthias Kloft (Limburg)

Anmerkungen:
1 Ernst Kantorowicz, The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957.
2 Andreas Grote (Hrsg.), Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800 (Berliner Schriften zur Museumskunde 10), Wiesbaden 1994.