Savoir Vivre! New Challenges for Work and Family Life in Germany and France

Savoir Vivre! New Challenges for Work and Family Life in Germany and France

Organisatoren
Wissenschaftszentrum Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.03.2017 - 22.03.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Julian Naujoks / Lisa Crinon, Wissenschaftszentrum Berlin

Was sind die grundlegenden sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Veränderungen unserer Zeit? Und wie lässt sich wissenschaftlich darauf reagieren? Diesen weitreichenden Fragen widmet sich seit 2016 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte „Changing Societies“-Programm, welches vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in Kooperation mit der Fondation Maison des Sciences de l'Homme (FMSH) koordiniert wird. Ein Anliegen des Projekts ist hierbei zugleich, den Dialog von Wissenschaftler/innen aus Deutschland und Frankreich zu fördern. Am 21. und 22. März 2017 fand im WZB die erste Jahreskonferenz mit über 30 Teilnehmer/innen aus beiden Ländern statt. Die thematische Struktur rückte drei große gesellschaftliche Herausforderungen in den Mittelpunkt.

Das erste Panel befasste sich mit dem Vergleich der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation beider Länder. Dem häufig angeführten Argument, dass die deutschen Hartz-IV-Reformen von 2002 einen Vorbildcharakter für den französischen Arbeitsmarkt hätten, entgegnete RENE LEHWESS-LITZMANN (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, SOFI Göttingen), dass es damit in Deutschland – insbesondere im direkten Vergleich zu Frankreich – zu einem deutlich höheren Gesamtanteil der Niedriglohnbeschäftigung gekommen sei. Diesem Paradoxon von hohen Beschäftigungszahlen in Deutschland bei gleichzeitig zunehmender Prekarität oder gar Armut, gingen weitere Beiträge nach: MARTIN EHLERT (WZB Berlin) beschäftigte sich mit dem Rückgang der (wohlfahrts-)staatlichen Unterstützung bei Arbeitslosigkeit in Deutschland zwischen 1984 und 2011. Auf der Mikro-Ebene analysierte er die individuell-finanziellen Auswirkungen eines Arbeitsplatzverlusts in Deutschland. Ihm zufolge bedeutet dies vor allem für niedrigqualifizierte Arbeitnehmer/innen häufig einen Eintritt in dauerhafte Armut – ein Umstand, der durch die Hartz-IV-Reformen noch verstärkt worden sei.

Die Beiträge zur Kinderbetreuung durch Tagesmütter sowie zu den Arbeitsbedingungen in der Altenpflege und Haushaltshilfe zeigten im zweiten Panel auf, was die verschiedensten Formen der gesellschaftlichen Fürsorge-Arbeit in Frankreich und Deutschland eint: Die Arbeitsbedingungen sind meist unsicher, schlecht vergütet und häufig informell organisiert. Hinzu kommen signifikant ungleiche Geschlechterverhältnisse, da die Arbeit in der Regel von Frauen ausgeführt wird, die oft einen Migrationshintergrund haben. Es herrschte auf dem Panel Einigkeit darüber, dass es an einer grundsätzlichen sozialen, staatlichen und finanziellen Anerkennung der Pflege-Arbeit mangelt. Als ein möglicher Lösungsansatz wurde die Implementierung eines mehrstufigen Qualifizierungssystems von Pflegeberufen und -abschlüssen gesehen, das zu einer Professionalisierung der Branche als Ganzes führen könne. Ein positives Beispiel konnten hingegen die Teilnehmer/innen aus Frankreich berichten: Dort gibt es schon lange eine etablierte Infrastruktur der umfangreichen Kinderbetreuung. Bedeutsam sei dabei, so ANNIE DUSSUET (Universität Nantes), dass der staatliche Auftrag dieser vorschulischen Einrichtungen nicht nur in der Betreuung, sondern zugleich in der frühkindlichen Bildung liege.

Der Zusammenhang von Arbeit, Migration und Diskriminierung wurde im dritten Panel diskutiert: ULRIKE SCHUERKENS (Universität Rennes) stieß in ihrer qualitativen Studie zu den Chancen von Einwander/innen aus Afrika auf dem französischen Arbeitsmarkt auf starke Segregationsprozesse. Sie erkannte eine ‘Ethnisierung‘ der Berufsperspektiven: Durch den Rückgriff auf die Vermittlung von Arbeit innerhalb von ethnischen Netzwerken bleibe dieser Berufsgruppe häufig nur die Annahme von Jobs im Niedriglohnsektor, wie z.B. im Dienstleistungs- und Baugewerbe. In ähnlicher Weise verwies JANINA SÖHN (SOFI Göttingen) auf sozioökonomische Diskontinuitäten im Lebensverlauf von Menschen, die nach Deutschland einwandern. Sie stellte Pfadabhängigkeiten heraus, nach denen Migrant/innen einem deutlich höheren Arbeitslosigkeitsrisiko als Deutsche ausgesetzt seien, auch wenn sie über das gleiche Bildungsniveau verfügen.

Wie brisant und zugleich notwendig der deutsch-französische akademische Dialog ist, zeigt sich darin, dass die theoretischen Diskussionen immer wieder von der politischen Realität eingeholt wurden. In beiden Ländern finden in diesem Jahr Wahlen statt, auf deren Ausgang ganz Europa mit Spannung blickt. In dieser Situation der politischen und sozialen Ungewissheit ist die Suche nach Best-Practice-Beispielen der wissenschaftlichen Selbstverortung gewiss kein leichtes Unterfangen. So bleibt im Zeitalter der Renaissance einer einengenden Re-Nationalisierung am Ende die Lebendigkeit des konstruktiven Austauschs mit der Erkenntnis: Die Perspektive von beiden Seiten des Rheins auf die Probleme unserer Zeit kann den analytischen Blick als Ganzes nur schärfen. Sollte es demnach in der Wissenschaft selbst ein Savoir-vivre geben, so ist dieses grenzüberschreitend und interdisziplinär.

Konferenzübersicht:

Savoir Vivre! New Challenges for Work and Family Life in Germany and France
March 21 - 22, 2017, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

Panel I: “Politics of Work & (Un)Employment”

Politics of Social Investment and Labormarket Challenges in France and Germany
René Lehweß-Litzmann, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)

Shifted Labor Market Risks? Policy Change and the Consequences of Job Loss in Germany 1984-2011
Martin Ehlert, WZB

Informal and Illegal Work in Germany’s Skillcrafts Sector
Tracy Corley, Institut Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg-Essen and WZB

Steps Towards Normalization of Penitentiary Labor: Historical Perspective and Franco-German Comparison
Melchior Simioni, Paris-Sorbonne University

Moderation: Myriam Gaitsch, University of Vienna

Panel II: “Transformations of Care Work and Family Life”

Care Policies in Germany and France: a Biographical Policy Evaluation with Migrant Child Minders as an Example
Janina Glaeser, Goethe University Frankfurt/Main

Which Frameworks for Elderly Care Work?
Annie Dussuet, University of Nantes

Home Help Personnel in France: Public Policies against Quality of Jobs?
Emmanuelle Puissant, Grenoble Alpes University and François-Xavier Devetter, Lille 1 University

Love, Distance and a Future Together - How do Long-Distance Couples Manage the Fragile Balance of Intimacy and Distance and the Transition to Co-Residence?
Markus Klingel, Bremen International Graduate School of Social Sciences

Moderation: Lydia-Maria Ouart, WZB

Panel III “The Integration of Migrants into the Labor Market in France and Germany”

The “Ethnicization” of Labor Among Foreign Workers and Immigrants from Africa South of the Sahara in France
Ulrike Schuerkens, Rennes University

When Biographies Cross National Borders: Socio-economic Dis/continuities in Life Course Trajectories of Immigrants Compared to Native Germans
Janina Söhn, SOFI

Ethnic Discrimination on the German Labor Market? Empirical Evidence from a Large-scale Field Experiment
Susanne Veit, WZB

Moderation: Anja Röcke, Humboldt University of Berlin

Concluding Discussion
Moderation: Lena Hipp, WZB
Discussant: Alexander Stingl, Leuphana University of Lüneburg


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch
Sprache des Berichts