Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, 1930 – 1950

Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, 1930 – 1950

Organisatoren
Kunsthistorisches Institut der Rheinischen Friedrich Wilhems-Universität Bonn im Rahmen des gleichnamigen DFG-Projekts (GKNS–WEL)
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2006 - 14.10.2006
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Von
Julia Krings, Bonn

Die Tagung "Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, 1930 – 1950" lieferte einen wissenschaftlich breit gefächerten Beitrag zu dem noch jungen Fachgebiet der Kunsthistoriographie. Das Hauptanliegen lag darin, Transparenz hinsichtlich der Wirkungsfelder und Strategien etablierter Kunsthistoriker respektive deren Einflüsse auf Politik und Weltverständnis ihrer Zeit zu schaffen. Barbara Schellewald (Basel) betonte in einer konzentrierten Einführung die im Titel der Tagung aufgeführte Zeitspanne und verdeutlichte, dass eine Untersuchung unbedingt über die enge zeitliche Klammer von 1933 bis 1945 hinausweisen müsse. Besonders Neuanfänge nach der so genannten ‚Stunde Null‘ aber auch Kontinuitäten müssten kritisch betrachtet werden. Es sei außerdem unabdingbar, angrenzende Fachgebiete damaliger und heutiger Zeit, etwa Kunstschutz oder Provenienzforschung, in die Aufarbeitung zu integrieren.

Der erste Teil der Tagung galt den Wirkungsfeldern und Werdegängen von Kunsthistorikern zur Zeit des Nationalsozialismus. Den Auftakt dazu lieferte Dietrich Schubert (Heidelberg) mit seinem Beitrag über "Hubert Schrade in Heidelberg". Der 1937 ‚ehrenvoll‘ in die NSDAP aufgenommene Ordinarius übernahm in Heidelberg eine Professur für ‚deutsche Kunstgeschichte‘. Schubert fokussierte seinen Vortrag auf die Betitelung der Lehrveranstaltungen Schrades und zeichnete daran nach, dass der Mittelalter-Experte merklich zu Seminaren und Vorlesungen tendierte, die sich inhaltlich mit nationalsozialistischer Kunstauffassung beschäftigten. In diese Richtung muteten ebenso seine Publikationen an, etwa „Kampf um die Bildende Kunst“, „Politische Bauten“ oder „Kampf um die Deutschheit unserer Kunst“. Die Titel dieser Publikationen, die Seminare und Vorlesungen aber ebenso seine Tätigkeit an der Heidelberger Universität, die ab 1936 als ‚geistiges Bollwerk im Westen des Reiches‘ bezeichnet wurde, ließen Schubert schlussfolgern, dass der bekennende Nationalsozialist gleichzeitig der NS-Regierung zuarbeitete.

Nicola Hille (Tübingen) stellte demgegenüber die Zeit Schrades am Kunsthistorischen Institut in Straßburg vor und ging dabei auch auf seine Zeit in Hamburg und Tübingen ein. Schrade wechselte unverzüglich von Hamburg nach Straßburg, als dort 1941 die dritte Reichsuniversität des NS-Regimes gegründet wurde, an welcher ausschließlich Nationalsozialisten lehren durften. Hille betonte, dass seine dortigen Lehrveranstaltungen jedoch weniger ideologisch ausgerichtet waren als jene in Heidelberg. 1944/45 wurde die Reichsuniversität nach Tübingen verlagert – die damaligen Dozenten wurden nach Kriegsende von einer Überprüfung ausgeschlossen. Der folgende Werdegang Hubert Schrades, der ab 1954 bis zu seiner Emeritierung 1965 das Kunsthistorische Institut in Tübingen leiten und somit prägen durfte, kann daher als ein Beispiel für Kontinuitäten im Karriereverlauf nationalsozialistischer Kunsthistoriker gewertet werden. Seine Vergangenheit stellte für seine und die Karriere einiger seiner Kollegen kein Hindernis dar.

Auch die beiden folgenden Kurzvorträge von Ernö Marosi (Budapest) und Burcu Dogramaci (Hamburg) bezogen sich inhaltlich aufeinander. So ging Marosi auf den in Wien lehrenden Kunsthistoriker Josef Strzygowski ein, welcher als Begründer national-rassischer Betrachtungsmodelle Bedeutung erlangte. Dogramaci hingegen betrachtete äußerst informativ die Begründung der kunsthistorischen Disziplin in Istanbul durch den Kunsthistoriker und Strzygowski-Schüler Ernst Diez, der Strzygowskis Hypothese einer Weltkunst und einer vergleichenden Kunstwissenschaft adaptierte. 1943 wurde der Spezialist für islamische Kunst eingeladen, den ersten kunsthistorischen Lehrstuhl in Istanbul an der dortigen Universität einzurichten. Er verfolgte dort die Methode einer geographisch und epochenübergreifenden Kunstgeschichte des Landes. Diese ‚importierte‘ Lehre und besonders seine Publikationen, etwa „Türkische Kunst“, polarisierten die Fachkreise in der Türkei und kehrten die anfängliche Reputation des Kunsthistorikers in eine ambivalente Rezeption um. Vor allem aufgrund seines Vergleichs zwischen osmanischer und islamischer Architektur wurde ihm ein unsachgemäßer Umgang mit der inländischen Kunstgeschichte vorgeworfen. Dies führte 1949 zu seiner Entlassung. Rückblickend hatte Diez mit dem Transfer westeuropäischer Lehrmethoden und -themen dennoch großen Einfluss auf die Fachdisziplin in der Türkei: Sein Assistent Oktay Aslanapa, der sich in den Folgejahren für den islamisch-türkischen Bereich des Instituts verantwortlich zeichnete, verfolgte den Ansatz einer komparativen türkischen Kunstgeschichte und avancierte aufgrund zahlreicher Publikationen zu einer einflussreichen Persönlichkeit auf diesem Gebiet.

Die darauf folgende Sektion informierte über verschiedene Datenbankprojekte. Zunächst wurde das DFG-Projekt "Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus" von Hans-Werner Sehring (Hamburg) vorgestellt. Die zentrale Bedeutung des vor zwei Jahren begonnen und zum Zeitpunkt der Tagung endenden Projektes liegt in seinem Beitrag zur Grundlagenforschung der Fachgeschichte zwischen 1930 und 1950. Es ist aus geisteswissenschaftlicher Sicht gesehen die erste Datenbank, die unterschiedliche Quellenbestände zur Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus digitalisiert hat und seit einem Jahr der Wissenschaft online zur Verfügung stellt (siehe www.welib.de/gkns). Zweck dieser Forschungs- und Kommunikationsplattform ist nicht nur die Erfassung wichtiger Archivalien, sondern ebenso die Möglichkeit eines vernetzten Austausches in der Fachwelt

Anschließend stellte Christian Bracht (Marburg) die Entwicklung und den aktuellen Stand des Marburger "Bildindex der Kunst und Architektur" mit dem Datenverbund DISKUS vor. Er betonte die zunehmende Bedeutung der Interaktion von Informatik und (kunst)historischer Forschung. Die elektronischen Erfassungsmedien fungieren nicht nur als Speicher von Dokumenten und Daten, sondern bieten ebenso die Chance, sich interaktiv auszutauschen und so die Forschung dezentralisieren und damit auch international zu fördern.

Den letzten Beitrag des ersten Tages lieferte Frank-Rutger Hausmann (Freiburg) mit einem Festvortrag, den er der Frage "Wozu überhaupt Fachgeschichte der Geisteswissenschaften?" widmete. Mit seinen Überlegungen zog Hausmann gleichsam eine Bilanz der bisherigen Forschungsergebnisse, stellte einige Forschungsdesiderate in den Ausblick und lenkte somit den Blick auf noch kaum bearbeitetes Terrain. So stehe etwa eine Erforschung der Verbindung zwischen universitärem Betrieb und dem entscheidungstragenden Reichserziehungsministerium noch aus, ebenso müssten Kollektivprojekte und Netzwerke stärker herausgestellt werden. In einem Fazit erklärte Hausmann, dass es dennoch zum jetzigem Zeitpunkt bereits möglich sei, die Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus umfassend darzustellen.

Eingeleitet von Hubertus Kohle (München) begann der zweite Sitzungstag zu unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Methoden kunsthistorischer Forschung während des Nationalsozialismus. Susen Krüger-Saß (Hamburg) analysierte in ihrem Vortrag "Nordische Kunst – Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte" den Terminus ‚nordisch‘ anhand einer kurzen Entwicklungsgeschichte vor und während des Nationalsozialismus. Die Gegenüberstellung von nordischer und südlicher Kunst und eine damit einhergehende Analyse kunsthistorischer Grundbegriffe war spätestens seit den 1930er Jahren Forschungsgegenstand. Unterschiedliche Positionen begriffen die ‚deutsche Kunst‘ entweder unpolitisch und eigenständig (Georg Dehio) oder wollten ihr gar jedwede Originalität absprechen (Èmile Mâle). In nationalsozialistischen Zeiten wurde der Terminus ‚Nordische Kunst‘ unweigerlich mit rassepolitischen Zielen verknüpft und so in Verbindung mit der ‚Nordischen Rasse‘ gebracht. Die Nähe zu Begriffen wie ‚Aktionsprinzip‘ oder der Zuspruch einer gewissen ‚Emotionalität‘ grenzte die nordische Kunst von der des Südens ab.

Anja Schürmann (Karlsruhe) beschäftigte sich indes mit der Interpretation der Publikationen Wilhelm Pinders und Richard Hamanns. Ihr Vortrag Linke und rechte Ideologisierungen. Richard Hamann und Wilhelm Pinder beschreiben „deutsche Kunst“ fokussierte die unterschiedlichen kunsthistorischen Ausführungen über die Naumburger Stifterfiguren und den Bamberger Reiter. Obwohl eine Entkontextualisierung bei beiden – Pinder als auch Hamann – wieder zu finden ist und somit als charakteristisch für die damalige Beschreibungsnorm zu werten ist, lassen sich unterschiedlich gerichtete Wertungen ausmachen. So belegte Pinder etwa die Statue des Bamberger Reiters mit Attributen wie ‚Wahrheit‘ und ‚Echtheit‘, während Hamann beispielsweise die Naumburger Stifterfiguren als sozialistische ‚Volksgenossen‘ beschrieben habe. Die Beobachtung Schürmanns führte sie zu der bisher von der Forschung nahezu unbeachteten Tatsache, dass sich nicht nur 'rechte‘ sondern ebenso 'linke' Autoren einer ähnlich suggestiven Sprache bedienten.

Mit einem Blick auf die historischen Festumzüge zum Tag der Deutschen Kunst 1937 – 1939 und die deutschen Kunstgeschichte lenkte Stefan Schweizer (Düsseldorf) die Aufmerksamkeit auf ein Desiderat kunsthistorischer Forschung. Die unter hohem finanziellen aber auch personellen Aufwand – sowohl Hitler als auch namhafte NS-Politiker waren anwesend – umgesetzten Festumzüge wurden von Künstlern und Kunststudenten der Münchener Kunstakademie geplant. Dabei wurde ein Geschichtsbild der ‚deutschen Kultur‘ präsentiert, was mittels Darstellung germanischer Mythologien über Allegorien und Embleme bildlich untermauert wurde. Schweizer widmete sich dabei besonders den Zusammenhängen zwischen akademischen Positionen der deutschen Kunstgeschichte und jenen der Festumzüge.

Zu Beginn des Nachmittages, welcher von Martin Warnke (Hamburg) eingeleitet wurde, berichtete Christian Fuhrmeister (München) gemeinsam mit Sabine Arend (Berlin) über "Die Deutsche Akademie im Dritten Reich". Fuhrmeister zeichnete die Bedeutung der Deutschen Akademie für die Kunstgeschichte im Nationalsozialismus nach. Diese hatte die Aufgabe das ‚Deutschtum‘ im Ausland zu fördern. Der Bereich Bildende Kunst, für den sich der jeweilige Münchner Ordinarius verantwortlich zeigte, konzentrierte sich so mittels Publikationen und Ausstellungen auf das ‚Deutschtum‘ im Grenz- und Ausland.

"Von der Nation zum Raum. Positionen der Kunstgeografie" lautete der Titel des Vortrags von Nikola Doll (Berlin). Sie betrachtete diesen kunsthistorischen Forschungszweig, der unter dem nationalsozialistischen Regime einen starken Aufschwung erfuhr. Auch hier kann nicht pauschalisiert werden, da nicht jeder kunstgeografische Ansatz automatisch rassistisch-völkisch argumentierte. Dennoch bliebe festzuhalten, dass Merkmale wie Raum, Landschaft und Herkunft der Künstler als Aspekte analysiert wurden, durch welche die Künstler (und damit ihre Kunstwerke) determiniert worden seien. Anhand von Vertretern des etablierten Forschungsgebiets wie etwa Paul Pieper, Paul Frankl oder Dagobert Frey verdeutlichte Doll, dass Künstler in nationale Kollektivsubjekte eingeordnet wurden. Besonders bei Kunsthistorikern wie Frey und Stange seien rassekundliche Diskurse aus kunstgeografischen Forschungsstandpunkten heraus entstanden.

Die folgenden zwei Vorträge von Daniela Bohde (Frankfurt) und Martin Papenbrock (Karlsruhe) fokussierten methodische Aspekte. Mit ihrem Beitrag über "Ikonografische und kulturgeschichtliche Ansätze in der Kunstgeschichtsschreibung im Nationalsozialismus" zeigte Bohde auf, dass kulturgeschichtliche sowie ikonografische oder sozialpolitische Aspekte nicht im Gegensatz zur NS-Kunstgeschichtsforschung stehen. Sie konnte belegen, dass trotz Emigration der Warburg-Schule Kunsthistoriker zu NS-Zeiten sehr wohl eine kritische Haltung gegenüber einer rein stilgeschichtlich argumentierenden Forschung vertraten. Der Frage, warum sich dennoch in den 1970er Jahren Kunsthistoriker mit der Forderung nach einer ikonografischen, kulturgeschichtlich verhafteten Kunstgeschichtsschreibung von den Methoden der Kunstgeschichte zu NS-Zeiten distanzieren wollten, entgegnete Bohde mit einer Analyse der nachkriegszeitlichen kunsthistorischen Forschung. Da das Kunstwerk per se in den 1950er Jahren deutlich in den Vordergrund rückte und eine Bedeutungsgeschichte respektive politische Funktion immer weniger Beachtung erfuhren, wurden die ikonografisch-kulturgeschichtlichen Tendenzen innerhalb der NS-Kunstgeschichte ignoriert.
Martin Papenbrock verwies indes auf die Methodik der Wissenschaftsgeschichte. Dabei führte er in einem ersten Teil besonders die Motivationen, Bewertungen und Ansätze der Forschung seit 1945 auf. Darauf aufbauend vertrat er die Meinung, dass ein stärker diskurs- und handlungstheoretischer Ansatz – welcher fachübergreifend auch sozial-, sprach- und kommunikationswissenschaftliche Forschungsergebnisse einbeziehen sollte – dazu verhelfen könne, besonders die Widersprüchlichkeiten der Handlungen einzelner Geisteswissenschaftler im Nationalsozialismus besser erfassen zu können.

Das folgende Forum gab jungen Wissenschaftlern die Gelegenheit, ihren bisherigen Forschungsstandpunkt zur Diskussion zu stellen. Zunächst begann Ruth Heftrig (Bonn) mit der Vorstellung ihrer Dissertation zum Thema der Modernerezeption der universitären deutschen Kunstgeschichte zwischen 1930 und 1960. Die zeitliche Erweiterung birgt die Frage nach dem Beginn der Kunstgeschichtsschreibung in der Moderne. So beleuchtete Heftrig die Grenzen zwischen Kunstgeschichte und Politik und untersucht das Verhältnis der Akteure zur politischen Linie. Über das Schnittfeld Museum – Universität. Stigmatisierung und Verfolgung von August Liebmann Mayer (1885-1944) referierte Susanne Kienlechner (München). Sie ging dabei nicht nur auf das Münchener Beziehungsgeflecht von Museen und Hochschulen ein, sondern beschrieb ebenso eindringlich die Beteiligung von Kunsthistorikern und -händlern an der Verfolgung Mayers aufgrund seiner berufsbedingten Kenntnisse von nationalsozialistischen Machenschaften und der Restbestände seiner Sammlung. Mayer emigrierte nach Frankreich und floh später nach Monaco, wo er verhaftet wurde und 1944 im Konzentrationslager Auschwitz getötet wurde. Anschließend berichtete Thorsten Kühsel (Berlin) über den „Preußischen Stil“. Begriff und Rezeption in der Kunstgeschichte, 1916 – 1945. Kühsel präsentierte eine Entwicklungsgeschichte des Begriffes ‚Preußischer Stil‘ und konnte darauf aufbauend die Vereinnahmung des Begriffs durch die Nationalsozialisten verdeutlichen. Dem Umbau der Museumslandschaft in Straßburg durch Robert Wagner widmete Tessa Rosebrock (Berlin) ihren Vortrag, den sie mit Museumspolitik und Kulturpropaganda im Elsass, 1940 – 1944 überschrieb. Die beiden Vorträge von Dobromila Rzyska (Warschau) und Timo Saalmann (Jena) beendeten die Präsentation aktueller Forschungsprojekte. Mit The German historians of art and plunder of artistic collections of Polish gentry in Pomerania/West Preußen erweiterte Rzyska den Blick der Forschung nach Polen, in dem sie über den Raub polnischer Privatsammlungen berichtete. Timo Saalmann hingegen beschäftigte sich mit den Staatlichen Museen Berlin: Weimarer Republik, ‚Drittes Reich‘ und ‚Stunde Null‘ und zeichnete so eine kontinuierliche Entwicklungsgeschichte der Museumspolitik nach. Nicht nur der Aufwand, mit dem diese einzelnen Forschungsstränge betrieben werden, sondern auch die Vielfalt der Themen zeigte auf, dass die Lücken in der Forschung über die Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus offensichtlich sind und ein immenser Bedarf an der Aufarbeitung der unterschiedlichsten Themenbereiche existiert.

Die Podiumsdiskussion mit den namhaften Historikern und Kunsthistorikern Jan-Pieter Barbian, Ingo Haar, Jutta Held und Martin Warnke beendete den zweiten Sitzungstag. Zunächst wurde erneut festgehalten, dass die Kunsthistoriographie, besonders die Forschung über die eigene Fachgeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus zwar in den letzten Jahren verstärkt in Angriff genommen wurde, jedoch ebenso einige Kontroversen aufgeworfen habe. Insbesondere die Frage nach einem Innovationsschub, den die Kunstgeschichte während des Nationalsozialismus erfahren hatte, sorgte für eine Auseinandersetzung. Held wandte sich dezidiert gegen die von Haussmann am Vortag getroffene Aussage, der Nationalsozialismus hätte nur Mittelmaß hervorgebracht, dies verkenne die ‚Modernität‘ vieler Autoren - dabei stellte sie vor allem Wilhelm Pinder heraus. Haar relativierte diese vermeintliche Modernität, indem er die Ziele des Nationalsozialismus als anti-modern herausstellte. Fragen aus dem Publikum zielten auf die moralische Motivation für die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte der NS-Zeit, vor allem auch im Hinblick auf die Opfer des Regimes.

Der dritte und damit letzte Tag brachte die zu Beginn der Tagung angesprochenen außeruniversitären Forschungsgebiete auf den Vortragsplan. Nach einer Einführung von Olaf Peters (Bonn) sprach Christina Kott (Berlin) über "Kunstschutz in den besetzten Westgebieten, 1940 – 1944" und beleuchtete hierbei die Kontinuitäten dieses kunsthistorischen Fachgebietes in Relation zum Ersten Weltkrieg. Hierbei erfuhr nicht nur der damalige Ordinarius des Kunsthistorischen Instituts in Bonn Paul Clemen Beachtung, sondern ebenso dessen Schüler Franz Graf Wolff-Metternich. Kott konnte über dessen Tätigkeiten zur nationalsozialistischen Zeiten Kontinuitäten im Kunstschutz vor und nach 1933 in Bonn aufweisen. Morwenna Blewett (London/Harvard) widmete ihren Vortrag Conservators in Service of the Nazi Kleptocracy. Preserving the Plunder of the Third Reich Sequestrations dem Gebiet der Provenienzforschung. Dabei verdeutlichte sie am Beispiel der Restauratorenzunft, wie sich diese Berufsgruppe während der Diktatur verhielt und zum Teil in die verbrecherische Politik verstrickte. Die beiden folgenden Vorträge behandelten einzelne Aspekte der Denkmalpflege. Birte Pusback (Hamburg) lieferte in ihrem Vortrag Geschichte der Denkmalpflege 1930 – 1950. Institutionen und handelnde Personen einen sondierten Abriss über die Geschichte der Denkmalpflege im Zeitraum zwischen 1930 und 1950. Dabei untersuchte Pusback besonders die ‚Schwellenjahre‘ der 1930er Jahre und der Zeit nach 1945 mit einem Augenmerk auf (Dis)Kontinuitäten. Die Institution Denkmalpflege erlebte ab den 1930er Jahren finanziell und personell gesehen einen regelrechten Aufschwung, was Pusback in dem Wissen einzelner Funktionäre der NSDAP um eine instrumentalisierbare Kulturarbeit der Denkmalpflege begründet sieht. Anders als in anderen angrenzenden Fachbereichen, wurden hier ab 1933 aus politischen Gründen äußerst wenige Denkmalpfleger entlassen, womit sich eine Kontinuität zu Beginn der 1930er Jahre feststellen lässt. Am Beispiel der Hamburger Denkmalpflege, zeichnete Pusback die Problematik zwischen Erhalt eines Denkmals einerseits und der Durchführung großer verkehrs- und städtebaulicher Projekte (etwa ‚Germania‘) andererseits nach. Inhaltlich ebenso mit der Denkmalpflege verknüpft war der Vortrag Die polnische Denkmalpflege angesichts der Totalitarismen, 1939-1956 von Piotr Majewski (Warschau). Majewski beschäftigte sich mit der symbolischen Bedeutung des Warschauer Königsschlosses für Polen, mit der Zerstörung und den Plänen des Wiederaufbaus. Auf diese Weise konnte er einen spannenden Kontinuitätsstrang bis in die Zeit der kommunistischen Herrschaft entwickeln.

Der Blick auf zwei herausragende Kunsthistoriker leitete das Ende des dritten und letzten Tages ein. Kai Artingers (Lübeck) Vortrag Loyal bis in den Untergang. Professor Dr. Emil Waldmann (1880-1945) – Kunsthistoriker, Museumsleiter, Hochschuldozent musste krankheitsbedingt referiert werden. Waldmann prägte die Sammlung der Bremer Kunsthalle durch eine Auswahl an modernen Kunstwerken. Da Waldmanns Arbeiten in den Jahren zwischen 1933 und 1945 von wissenschaftlicher Seite keine Beachtung erfuhren, wurde er bislang als nicht beeinflusst von der völkisch ausgerichteten Kulturpolitik des ‚Dritten Reiches‘ betrachtet. Die Notwendigkeit einer erneuten Überprüfung Waldmanns hinsichtlich einer etwaigen politischen Verstrickung ließ Artinger an mehreren Stellen durchblicken. So hielt Waldmann nicht nur an der im ‚Dritten Reich‘ in Bremen gegründeten Nordischen Kunsthochschule Vorlesungen oder wurde 1944 als Kunstsachverständiger um die Begutachtung enteigneter jüdischer Kunst gebeten, auch wurde ihm für seine Publikation über Dürer und für seine Leibl-Forschung und -Biographie die von den Nationalsozialisten geschaffene Plakette für Kunst und Wissenschaft der Hansestadt Bremen verliehen.

Ines Katenhusen (Hannover) zeichnete ihrerseits den Werdegang eines Hannoveraner Kunsthistorikers nach. Mit ihrem Beitrag Ein Museumsdirektor auf und zwischen den Stühlen. Alexander Dorner in Hannover konnte Katenhusen überaus informiert über Dorner als einen Kunsthistoriker sprechen, der seine Loyalität verschiedenen politischen Systemen (also auch dem NS) zugedachte, um seine eigenen Ziele verfolgen zu können. Dem bislang als Verfechter der Moderne bekannten und damit als ein Gegner nationalsozialistischer Kulturpolitik eingestuften einstigen Direktor der Kunstabteilung des Provinzialmuseums in Hannover wurde 1933 die Aufnahme in die NSDAP verwehrt, was ihn jedoch nicht davon abhielt, Kontakte zu einflussreichen NS-Kulturfunktionären aufzubauen. Dennoch musste er 1937 in die USA emigrieren, wo er kurze Zeit später bereits das Amt eines Museumsdirektors bekleiden konnte. Doch hier stieß sein autoritärer Charakter nach und nach in der US-amerikanischen Öffentlichkeit auf Unwollen, so dass er aufgrund von Rufschädigung seine Karriere zerstört sah. Schlussendlich wurde er vom deutschen Staat als NS-Verfolgter entschädigt.

Die durchaus gelungene, kenntnisreiche und anregende Tagung wies sowohl auf Erfolge als auch auf Desiderate in der Aufarbeitung der eigenen Fachgeschichte hin. Dabei steht nicht nur eine Auswertung recherchierter Dokumente aus, sondern ebenso ein kritischer Blick auf Publikationen und individuelle Werdegänge von Kunsthistorikern während der NS-Zeit. Die Betonung sowohl auf das Einbeziehen von Entwicklungen vor und nach der NS-Zeit als auch auf die Integration angrenzender Fachgebiete wurde in einigen Vorträgen zum zentralen Aspekt einer wissenschaftlich kritischen Auseinandersetzung. Die Betrachtung von Neuanfängen, Kontinuitäten oder Brüchen in der kunsthistorischen Forschungsarbeit bleibt unabdingbar, um sich objektiv einer umfassenden Gesamtdarstellung der Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus nähern zu können.


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