Tagungsbericht

Globalisierung - Regionalisierung - Fragmentierung:

Neue Kontexte für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Ost- und Südostasien

Nachwuchstagung zu Ost- und Südostasien
8. - 11. Mai 2000 im Ost-West-Kolleg in Brühl

Zum zweiten Mal fand Anfang Mai dieses Jahres in Brühl bei Köln eine Tagung zu Ost- und Südostasien statt, die speziell als Forum für junge Experten und Expertinnen zu diesen Regionen konzipiert ist. Die Idee dazu geht auf eine Initiative des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOst) zurück. Eine ähnliche Veranstaltung findet schon länger zu Osteuropa statt. Wie schon im vergangenen Jahr wurde die Tagung von den China- bzw. Ostasien-Referenten des BIOst und des Ost-West-Kollegs der Bundeszentrale für politische Bildung, Gudrun Wacker und Christoph Müller-Hofstede, konzipiert und vorbereitet. Unter achtzig Bewerbungen wurden gut vierzig Kandidatinnen und Kandidaten für Magister, Diplom und Promotion aus der ganzen Bundesrepublik und aus der Schweiz ausgewählt und außerdem eine Reihe von etablierten "Seniors" eingeladen. Das Ost-West-Kolleg trat als Gastgeber auf, übernahm einen Großteil der Reisekosten der Teilnehmenden und sorgte für Unterkunft und Verpflegung sowie für einen ansprechenden und gut ausgestatteten Tagungsraum in der Fachhochschule des Bundes in Brühl. Die Veranstaltung wurde von der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde unterstützt.

Die Brühler Nachwuchstagungen gehen neue Wege in der wissenschaftlichen Aufarbeitung aktueller gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen in Ost- und Südostasien. Sie geben jungen Forschenden die Gelegenheit, einem interessierten, fachkundigen und zugleich vielfältigen Publikum ihre laufenden Arbeiten vorzustellen - eine Gelegenheit, die in dieser Form in Deutschland einzigartig ist und sich auch in internationalen Zusammenhängen nur selten bietet. Die Teilnehmenden üben sich im Vortrag, in der Moderation von Panels und in der Diskussionsleitung. Sie erhalten Anregungen von etablierten Akademikern wie auch von anderen Nachwuchswissenschaftlern, die entweder zu einem ähnlichen Thema in anderen empirischen Zusammenhängen arbeiten oder die aus dem Blickwinkel anderer Fachrichtungen heraus neue Aspekte und Fragestellungen einbringen können. Nicht zuletzt gewinnen die jungen Forschenden auch einen Eindruck davon, wie breit das Spektrum asienbezogener Forschung jenseits des eigenen Lehrstuhls, Instituts oder Fachbereichs ist. Kurz: Die Nachwuchstagungen in Brühl wirken horizonterweiternd.

Der horizonterweiternde Effekt ist nicht zuletzt auf die Art und Weise zurückzuführen, wie der Ablauf der Tagungen in Brühl gestaltet ist. Jeweils drei Vorträge werden in einem Panel präsentiert. Die Panels sind so zusammengestellt, dass sie unter einem gemeinsamen Sachthema Beiträge zu verschiedenen Regionen vereinen. Jedes wird von einer erfahrenen Fachkollegin oder einem -kollegen kommentiert. Die Vorträge selbst wie auch die Kommentare sind auf jeweils zehn Minuten beschränkt. Das wird dadurch ermöglicht, dass zu jedem Vortrag vorab eine fünfseitige schriftliche Fassung mit den Tagungsunterlagen verschickt wird. Alle Teilnehmenden reisen also mit einem Grundwissen über die Inhalte der Tagung an. Die Vorträge wie auch die Diskussionen können sich auf die interessantesten Aspekte konzentrieren - seien sie fachlicher, vergleichender, thematischer oder methodischer Art. Gleichzeitig lässt diese Gestaltungsform viel Raum für Diskussionen im Plenum. Für jedes Panel steht dafür deutlich mehr als eine Stunde zur Verfügung. Abgerundet wird das Programm durch einen einleitenden übergreifenden Vortrag sowie abschließend durch eine Podiumsdiskussion. Diese beiden Programmteile werden von etablierten Forschenden bestritten.

Was genau ist Globalisierung, und was bedeutet demgegenüber Fragmentierung? Was meinen wir, wenn wir davon sprechen? Mit dieser Ausgangsfrage konfrontierte Carsten Herrmann-Pillath (Witten/Herdecke) in einem didaktisch gelungenen und theoretisch anregenden Eröffnungsvortrag die Runde der Teilnehmenden. Er sammelte zunächst Antwortvorschläge aus dem Plenum auf die Frage, wer oder was wen oder was (oder auch sich selbst) globalisiere oder fragmentiere. An dieser kleinen Übung wurde schon deutlich, wie vielfältig die Begriffe verwendet werden. Herrmann-Pillath wies darauf hin, dass aus ökonomischer Sicht die Zunahme internationaler wirtschaftlicher Verflechtungen allein noch kein historisches Novum darstelle. Sie wirke nur neu vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den Jahrzehnten nach 1945, einer Periode, in der sich die internationalen Beziehungen ungewöhnlich fragmentiert entwickelt hätten. Zudem lassen die herkömmlichen Kennziffern für internationale Handelsverflechtungen derzeit noch keine "integrierte Weltwirtschaft" erkennen. Nach Ansicht von Herrmann-Pillath findet Globalisierung denn auch nicht auf den Märkten statt, sondern in der Herausbildung neuer institutioneller Arrangements jenseits von Nationalstaaten, und zwar sowohl in wirtschaftlichen wie auch in kulturellen und politischen Zusammenhängen. Einen entscheidenden Motor dafür bilde das Reden über Globalisierung, also Globalisierung als "epistemische Konstruktion". Dennoch erwartet Herrmann-Pillath keine globale Konvergenz zu einheitlichen Ordnungsmodellen. Im Gegenteil: Globalisierung verstärke die Dynamik des Wettbewerbs zwischen unterschiedlichen institutionellen Arrangements.

Die Vorträge des wissenschaftlichen Nachwuchses in den einzelnen Panels unterstrichen den Tenor des Eröffnungsvortrags. Globalisierung wirkt sich zwar in einer Vielzahl von Facetten auf aktuelle Entwicklungen in Ost- und Südostasien aus. Dennoch treffen diese Auswirkungen vor Ort auf jeweils andere Bedingungen, Akteurskonstellationen und historische Kontexte. Mit anderen Worten: Globalisierung macht ein genaues Analysieren lokaler Besonderheiten nicht überflüssig. Im Gegenteil: Nur die Zusammenschau von internationalen und lokalen Entwicklungen ermöglicht es, beides zu verstehen.

Im Einzelnen wurden in sieben "Panels" Entwicklungen in der Volksrepublik China, in Taiwan, in Japan und in Indonesien sowie im ASEAN Regional Forum erörtert. Das erste "Panel" hatte gesellschaftliche und politische Entwicklungen zum Gegenstand. Die drei Vorträge behandelten die Entwicklung der Batik als Medium kultureller Eigenständigkeit in Indonesien und das Entstehen von neuen organisierten Interessen sowie Mechanismen der Vermittlung von neuen Lebensstilen in der Volksrepublik China. Im zweiten "Panel" standen die politischen Systeme der Region im Mittelpunkt. Hier konzentrierte sich das Interesse besonders auf Indonesien. Drei Vorträge erläuterten und analysierten die Dynamik des politischen Übergangs von Suharto zu Wahid und die Auswirkungen der Ideologie des "nation-building", und zwar einerseits auf Ansätze zur Stärkung föderaler Strukturen, andererseit auf Konflikte entlang ethnisch definierter Fronten. Ein vierter Vortrag porträtierte die Entwicklung und die Strukturen der DPP, der einstigen Oppositionspartei in Taiwan, deren Kandidat im März die Präsidentschaftswahlen gewann.

Das dritte und vierte "Panel" waren ökonomischen Fragen gewidmet, insbesondere den Nachwirkungen der Asienkrise 1997 und der wachsenden Internationalisierung von Märkten, Unternehmen und auch von Institutionen (im weiten Sinne) für Forschung und Entwicklung. Im dritten "Panel" stellte ein Vortrag die Debatten über eine Reform des Bankenwesens in Japan vor. Zwei weitere Vorträge erörterten die Aussichten für die Entwicklung eines stabilen Bankenwesens in der Volksrepublik China. Das vierte "Panel" konzentrierte sich auf die Auswirkungen der Globalisierung auf die japanische Wirtschaft. In vier Vorträgen wurden die Internationalisierung von klein- und mittelständischen Unternehmen, die wachsende Attraktivität westlicher Unternehmen für Hochschulabsolventen in Japan, institutionelle Arrangements für Forschung und Entwicklung in den neuen Hochtechnologiebranchen und der Wandel der japanischen Industriepolitik untersucht.

Das fünfte "Panel" hatte die Medien in Ost- und Südostasien zum Thema. Zwei Vorträge behandelten dabei das Internet: Zum einen wurden die subversiven Wirkungen des Internet unter den Bedingungen eingeschränkter Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Indonesien erörtert; zum anderen wurde die rasante Entwicklung des Internet in der Volksrepublik China vorgestellt. Ein dritter Vortrag befasste sich mit der Entwicklung des Zeitungswesens nach der Einführung marktwirtschaftlicher Steuerungsmechanismen in China.

Die letzten beiden "Panels" behandelten Sicherheitsfragen und das Spannungsfeld von Globalisierung im Vergleich zu einem Trend zur Regionalisierung in Ost- und Südostasien. In Bezug auf Taiwan wurden die Entwicklung, und strategische Optionen der Verteidigungspolitik thematisiert. Außerdem wurden energiepolitische Aspekte in der chinesischen Sicherheitspolitik analysiert. In einem Vortrag über das ASEAN Regional Forum hob die Fragestellung auf die Besonderheiten der multilateralen Kooperation in diesem Gremium ab. Schließlich war ein Vortrag der Auflösung und Umdeutung nationalstaatlicher Ordnungsvorstellungen in Japan gewidmet.

Trotz aller Vieldeutigkeit ist der Begriff Globalisierung aus den Diskussionen über Ost- und Südostasien nicht mehr wegzudenken. Das machte die abschließende Podiumsdiskussion deutlich. Claudia Derichs (Duisburg), Bettina Gransow (Berlin), Manfred Mols (Mainz), Anja Osiander (Köln) und Thomas Scharping (Köln) tauschten dabei ihre Ansichten über die Auswirkungen der Globalisierung auf die Gegenstände ihrer Forschung wie auch auf die Praxis von Forschung und Lehre zu Ost- und Südostasien aus. Einhellig betont wurde erneut, dass lokale und regionale Unterschiede nicht verschwinden werden. Dem entsprechend behalten die bisher geltenden Fragestellungen auch weiterhin ihre Relevanz. Allerdings wandeln sich die Kontexte, in denen diese Fragestellungen gesehen werden müssen - vor Ort, in internationalen Zusammenhängen und nicht zuletzt auch in den öffentlichen Debatten hierzulande. Unterschiedliche Auffassungen herrschten in der Frage, wie und wie weit Forschung und Lehre zu Ost- und Südostasien in Deutschland internationalisiert werden können beziehungsweise internationalisiert werden sollten.

Die Beiträge der Tagung werden in einer Sonderveröffentlichung des BIOst dokumentiert, die voraussichtlich im Sommer erscheinen wird. Die Reihe der Nachwuchstagungen soll fortgesetzt werden, wiederum im Ost-West-Kolleg in Brühl. Eine Ankündigung und ein "Call for Papers" werden im Herbst veröffentlicht werden, unter anderem auf der ständigen Webseite zu den Nachwuchstagungen. Sie ist zu finden unter www.biost.de/Nachwuchs/nachw.htm.

Anja Osiander

Doktorandin, Seminar für politische Wissenschaft, Universität Köln

osiander@bonn-online.de


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

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