Die Privatisierung der kollektiven Nutzung des Bodens im 18. und 19. Jahrhundert
Neue Forschungsergebnisse und Deutungsangebote der europäischen Geschichtsschreibung
Bericht über die Sommertagung des Arbeitskreises für
Agrargeschichte
in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Geschichte
und der Mission historique française
von PD Dr. Stefan Brakensiek
Die diesjährige Sommertagung des AK Agrargeschichte fand am 18. Juni 1999 im Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen statt. Etwa 30 HistorikerInnen aus ganz Deutschland diskutierten über ein klassisches Thema der europäischen Agrargeschichte, über Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen (enclosures/partages des communaux). In den letzten Jahren sind in England, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden Studien erschienen, die unser Bild von der "Durchsetzung des Agrarindividualismus" (Marc Bloch) deutlich verändert haben. Bislang wurden die neuen Erkenntnisse jedoch vorwiegend innerhalb der jeweiligen nationalen Forschungstradition verortet, so daß ein internationaler Vergleich angezeigt erschien. Unter der Leitung von Stefan Brakensiek (Universität Bielefeld) führte die Tagung mit Gérard Beaur (Centre de Recherches Historiques, EHESS Paris), Jeanette Neeson (York University, Toronto), Reiner Prass (Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen) und Nadine Vivier (Université du Maine, Le Mans) Referenten zusammen, die in den letzten Jahren wichtige Arbeiten zur Thematik vorgelegt haben.
Die Privatisierung kollektiver Nutzungen konnte die Form einer von den Staatsbehörden angeordneten und angeleiteten "Reform von oben" annehmen, auf Initiative der Nutzer in Form eines privatrechtlichen Vertrags vonstatten gehen, aber auch durch gewaltsame Aneignung ehemals gemeinschaftlich genutzten Boden in das Privateigentum eines einzelnen überführen. Die Privatisierungen betrafen zum einen Äcker, Wiesen, Weiden, Heiden, Wälder, Gewässer und Moore, die sich im Besitz von Gemeinden oder Genossenschaften befunden hatten, zum anderen kollektive Nutzungsrechte (Stoppelhude und Ährenlese auf den Feldern, Sammeln von Streumaterial und Brennholz, Schweinemast und Rinderhude in den Forsten, Torf- und Soodenstechen in Mooren und Heiden, Frühjahrsweide auf den Wiesen u.v.m.), die als Berechtigungen Dritter (Servitute) auf Grundstücken in Privatbesitz gelastet hatten. Die Verkoppelungen (Separationen, Vereinödungen, Flurbereinigungen) sollten dafür sorgen, daß der einzelne Landwirt seinen zuvor in zahlreiche Parzellen auf die ganze Gemarkung verteilten Grundbesitz in wenigen arrondierten Flächen zugeteilt erhielt, möglichst in Nähe der Wirtschaftsgebäude.
Dieser Vorgang der Privatisierung und Individualisierung sorgte für eine Umwälzung der Wirtschaftsweise auf dem Lande, er zeitigte aber nicht nur ökonomische Folgen, sondern veränderte auch das Landschaftsbild und griff dadurch in die ökologischen Systeme ein. Er betraf außerdem die soziale Lage der Landbewohner, konnte die bestehende Ungleichheit mildern oder verschärfen. Er griff tief in das politische Leben der Dörfer ein und war Ursache und Folgewirkung zugleich für den fundamentalen Wandel der Kultur und der Mentalität ihrer Bewohner.
In ihrem Vortrag beschäftigte sich Jeanette Neeson erster Linie mit den sozialen Folgen der Einhegungen. Sie betonte, daß es in den Forschungen des letzten Jahrzehnts keinen Konsens über den Stellenwert der Einhegungen durch Parlamentsbeschluß für die englische Geschichte gebe. In der Vergangenheit sei die ökonomische Dimension der Einhegungen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in Großbritannien überbetont worden. Neuere Arbeiten zeigten, daß die wesentlichen Produktivitätszuwächse in der englischen, schottischen und walisischen Landwirtschaft im Zeitraum von 1650 bis 1750 erfolgten, wohingegen gerade die Phase der Einhegungsbewegung zwischen 1750 und 1830 eher eine Zeit der Stagnation bildete. Erst eine Generation später kam es erneut zu bedeutenden agrarökonomischen Innovationen mit entsprechenden Produktivitätszuwächsen. Gleichwohl verbanden die Befürworter von Einhegungen mit diesen Maßnahmen konkrete und realistische Gewinnerwartungen, weniger aufgrund erhöhter Flächenproduktivität als wegen der steigerungsfähigen Pachten in den eingehegten Bezirken. Den Hintergrund hierfür bildeten das hohe Agrarpreisniveau in der Zeit vom Siebenjährigen Krieg bis zum Ende der napoleonischen Ära.
Die Referentin vertrat einen revisionistischen Standpunkt, der Interpretamente einer Historiographie in der Tradition von Karl Marx und den Hammonds aufnimmt und mit neuen Argumenten verknüpft. Das wesentliche Motiv für die enclosures bildete demnach die ersatzlose Beseitigung der Nutzungsrechte von zahlreichen Dorfbewohnern. Die Proletarisierung weiter Teile der englischen Landbevölkerung war nicht etwa ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Einhegungen, sondern das bewußt angestrebte Ziel der Befürworter. Zwar gab es bereits zuvor Lohnarbeit auf dem platten Lande. Auch waren die selbständigen englischen Großbauern (yeomen) bereits vor 1750 großenteils verschwunden und durch Pächter ersetzt worden, die von dem commons abhängigen Kleinbauern hingegen nicht. Erst die Einhegungen verwandelte sie in Landarbeiter, die keinerlei Kontrolle mehr hatten über den Boden, den sie bewirtschafteten. Vor den Einhegungen hatten sie einen gewohnheitsmäßigen Zugang zur Nutzung des Brachfeldes, der Stoppelhude und der Gemeindeländereien. Die Kleinbauern waren dadurch bis zu einem gewissen Grad unabhängig vom Markt für Nahrungsmittel, Brennholz und anderen Grundbedarf. Nach den Einhegungen verwandelte sich der Boden in eine Ressource, über die sie keinerlei Kontrolle mehr hatten, die sie weder kaufen noch pachten konnten. So gesehen schufen die Einhegungen das ländliche Proletariat zwar nicht, sie bildeten jedoch einen entscheidenden Schritt im langfristigen Prozeß der Proletarisierung. In dieser Perspektive ist es evident, daß die englischen Großgrundbesitzer im Parlament ihr Klasseninteresse durchzusetzen vermochten, ohne soziale Rücksichten zu nehmen.
Nadine Vivier und Gérard Beaur verdeutlichten, daß sich die französische Situation völlig anders darstellte. Sie gingen der Frage nach, warum die biens communaux in vielen Gegenden Frankreichs erhalten blieben. Nadine Vivier präsentierte zunächst die regional höchst unterschiedlichen Befunde: In Westfrankreich verschwanden die Gemeindegüter nahezu vollständig, so in der Bretagne zur Mitte, im Zentralmassiv am Ende des 19. Jahrhunderts. Hier wurden die Gemeindegüter verkauft oder im gegenseitigen Einvernehmen aufgeteilt, als es rentabel wurde, sie zu bewirtschaften. Die neuen Eigentümer betrachteten das ehemalige Gemeindeland rasch als zu ihren Privatländereien gehörend und weigerten sich, es zu verpachten. In Süd- und Ostfrankreich besitzen dagegen die Gemeinden bis heute große Wälder und Almen. Die Bewirtschaftung erfolgt entweder gemeinschaftlich, wie im Fall der Wälder und Almen in den Pyrenäen, oder die Gemeindegüter sind an individuell wirtschaftende bäuerliche Betriebe verpachtet, wie im Elsaß.
Das Überdauern zahlreicher Gemeindegüter in Frankreich ist von Historikern und Ökonomen in der Vergangenheit überwiegend als Ausdruck eines spezifisch bäuerlichen Archaismus interpretiert worden - im Gegensatz zur Modernität der englischen Agrarmethoden. Gegen diese pauschale Wertung brachte Gérard Beaur historische Differenzierungen vor. Auch die Historiker jenseits des Ärmelkanals zweifelten mittlerweile daran, daß die englischen enclosures einen eindeutigen ökonomischen Erfolg bildeten. Wie die Allen-Overton-Kontroverse zeige, sei es umstritten, ob der Wandel der Agrarlandschaft einen wesentlichen Faktor des landwirtschaftlichen Fortschrittes bilde. Im Gegensatz zum dichter bevölkerten Frankreich gab es im England des 18. Jahrhunderts noch Bodenreserven, die mit Gewinn bebaut werden konnten. Und die sozialen Auswirkungen der enclosures seien lange Zeit allzu gering veranschlagt worden.
In Frankreich sei der kultivierbare Boden schon vor dem 18. Jahrhundert weitgehend bebaut worden. Zudem sei der demographische Druck wesentlich stärker gewesen: 1789 drängten sich etwa 27 Millionen Einwohner auf etwa 500.000 qkm, dreimal soviel wie Engländer auf einer um die Hälfte kleineren Fläche (etwa 9 Millionen Einwohner und 230.000 qkm). Unter diesen Bedingungen gefährdete in Frankreich jede Ausdehnung des Getreideanbaus die Fütterung des Viehs, das als Produzent von Düngemittel unentbehrlich war. Es hätten die künstlichen Weiden zuungunsten des Brachlandes erweitert oder die mit Korn eingesäten Flächen reduziert werden müssen. Aber dazu wären abermals Düngemittel nötig gewesen, die schwer zu finden waren. Die Gemeindegüter zu kultivieren war demnach alles andere als selbstverständlich. Dennoch vertraten Historiker im allgemeinen die Meinung, daß Gemeinheitsteilungen auch in Frankreich notwendig waren. Die einen erhoben die Teilung zugunsten der Großlandwirte zum Maßstab, die zum Aufschwung von kapitalistischen Gutsbetrieben nach englischem Vorbild hätten beigetragen sollen. Andere bevorzugten eine egalitäre Teilung als Beitrag zum sogenannten "französischen Weg", der die Entwicklung kleiner Betriebe angekurbelt und dadurch die Entstehung eines alternativen Kapitalismus angeregt hätte. In jedem Fall war man der Meinung, das Ausbleiben von Gemeinheitsteilungen habe der französische Landwirtschaft geschadet und trage die Schuld an deren Rückständigkeit.
In dieser Perspektive bildete der Widerstand "rückständiger" Bauern bzw. die Ohnmacht "fortschrittlicher" Bauern entscheidende Hindernisse für die Entwicklung des Kapitalismus in Frankreich. Nadine Vivier und Gérard Beaur argumentierten, daß die Bauern weder rückständig noch fortschrittlich waren, sondern vor allem um ihre Existenz kämpften. Als sie die schwierige Entscheidung treffen sollten, entweder die Rechte auf die Gemeindegüter zu behalten oder eine zusätzliche Parzelle zu bekommen, hätten die Bauern jeweils ihr Interesse verfolgt. Diese Interessen stellten sich allerdings je nach den sozialen Gruppen unterschiedlich dar. Zuweilen wussten die Bauern auch nicht, was für eine Entscheidung sie treffen sollten. In einigen Gegenden hatten Gemeinheitsteilungen einen Sinn, in anderen hatten sie keinen, je nach der Ausdehnung der Güter und der Grösse der Parzellen. In einigen Zonen war eine Kultivierung möglich, in anderen wäre sie abwegig gewesen. An einem Ort setzten die grösseren Landwirte ihren Willen durch und an einem anderen mussten sie mit den ärmeren Gemeindemitgliedern einen Kompromiß schliessen.
Nadine Vivier verdeutlichte, daß sich diese Ambivalenzen auch in der Haltung der französischen Regierungen niedergeschlagen habe. Die Vorstellung, daß jede kollektive Nutzung volkswirtschaftlich schädlich sei, habe sich seit 1750 in weiten Kreisen Frankreichs verbreitet. Ludwig XV. und seine Regierung versuchten, die Landwirtschaft zu fördern, indem sie Verkoppelungen propagierten und die Privatisierung der Allmenden begünstigten. Doch obwohl man in Frankreich vom englischen Modell begeistert war, wollte man die Gemeindegüter nicht völlig beseitigen, da man fürchtete, daß dann die Armen in die Städte abwanderten. Aus diesem Grund versuchte das Ancien Régime, die Dorfgemeinden zur Teilung der kultivierbaren Allmenden zu bewegen, indem sie eine Gleichverteilung des Bodens unter alle Familien anstrebte. Voraussetzung dafür war allerdings, daß zuvor die Ansprüche der Herren durch die sogenannte "triage" abgefunden wurden. Und die Wälder blieben von dieser Art der Teilung ausgenommen. Es handelte sich um ein Vorgehen voller Widersprüche, was die begrenzte Verwirklichung der Teilung der Gemeindegüter erklärt. Aber überall konnte eine politisch-moralische Wirkung beobachtet werden. Überall empfanden die Bewohner ihre Gemeindegüter als bedrohtes Gut. Dadurch trat eine Mobilisierung der Landbevölkerung ein, sei es, mit dem Ziel das herkömmliche System zu verteidigen, sei es, es zu verändern. Das erklärt auch, warum ab 1789 die Frage der Teilung der Allmenden mit großem Interesse diskutiert wurde. Das Ausmaß der Bewegung wird durch die große Zahl der Petitionen und durch die vielen Unruhen belegt, die sich an dieser Frage entzündeten.
Die Abgeordneten der revolutionären Nationalversammlung waren mehrheitlich davon überzeugt, daß eine Kultivierung der Gemeindegüter erforderlich sei. Deshalb befürworteten sie deren Aufteilung, konnten sich aber ebenfalls nicht über die Modalitäten einigen. Die einen strebten eine Aufteilung proportional zum bisherigen Besitz an, die anderen bevorzugten eine Gleichverteilung, um die Armen zu unterstützen. Zur weit verbreiteten Absicht, die Landwirtschaft zu modernisieren, trat der Wille hinzu, das Recht zu reformieren. Viele Juristen vertraten die Ansicht, daß es nur zwei Kategorien von Besitz geben solle, Privatbesitz und Staatsbesitz. Der Gemeindebesitz war in ihren Augen archaisch und sollte verschwinden.
Im revolutionären Schwung des Jahres 1793 wurde das Gesetz über die Teilung der Gemeindegüter sowie die vollkommene Abschaffung der Feudalrechte verabschiedet. Einerseits erleichterte es den Dorfgenossenschaften, alle ihre Ländereien zurückzugewinnen, die sich seigneurs angeeignet hatten, andererseits erlaubte es die Überführung dieser Ländereien in das Privateigentum und zwar in gleichen Anteilen pro Einwohner, ohne Berücksichtigung des Alters oder des Geschlechts. Es genügte, daß ein Drittel der Dorfbewohner für diese Aufteilung stimmte. Die Forste blieben allerdings von der Teilung ausgenommen. Das Gesetz wurde lediglich von Juni 1793 bis Juni 1796 angewendet, als es ausgesetzt wurde, weil es zu komplex war. Drei Jahre sind zu wenig Zeit, um solch eine komplexe Angelegenheit erfolgreich abgeschliessen zu können. Lediglich dort, wo die Gemeinden bereits darauf vorbereitet waren, wie in Lothringen, im Lot, in der Picardie und im Cambrésis zeitigte das Gesetz Wirkungen. Das Haupthindernis bildete die fortdauernde Verteidigung der gemeinschaftlichen Güter durch die Gemeinden, die sich überwiegend mit ganzer Kraft dagegen sträubten. Zum einen wurde der Egalitarismus als beunruhigend erlebt; die Abgabe von Parzellen an die Dorfarmut drohte die soziale Hierarchie zu zerstören. Zum anderen führte die Einführung der Kantonsgemeinden und die Abschaffung der alten, kleiner dimensionierten Gemeindebezirke dazu, daß der Gemeindebesitz nun als eine notwendige materielle Grundlage galt, um die örtliche Unabhängigkeit und die lokale Identität zu behaupten.
Bis 1800 blieb die Frage der Teilung der Gemeindegüter Gegenstand leidenschaftlicher Debatten. Zu diesem Zeitpunkt verbot Napoleon Bonaparte weitere Privatisierungen, um die politischen Leidenschaften zu beruhigen. Um die Gemeindefinanzen zu stabilisieren, wurden viele Teilungen, selbst die zwischen 1793 und 1796 legal ausgeführten, rückgängig gemacht. Die Nutzung der Flächen erfolgte jedoch weiterhin individuell. Jeder Einwohner behielt seine Parzelle und zahlte dafür eine Abgabe an die Gemeinde, in deren Besitz der Boden blieb. Im Jahr 1813 trat ein erneuter Umschwung ein, denn Napoleon benötigte Geld, um den Krieg weiter zu führen. Mit dem Gesetz vom 20. März 1813 verfügte er den Verkauf der bis dahin verpachteten Gemeindegüter. Als Fazit ist festzuhalten, daß zwischen 1789 und 1813 ein nicht unbedeutender Teil des Bodens in Privatbesitz übergingt, grob geschätzt 8% der Gesamtfläche Frankreichs. Es handelte sich um die fruchtbarsten und zur Kultivierung geeignetsten Böden.
Bereits im Jahr 1800 wollte Bonaparte die Diskussuion über die Teilung der Gemeindegüter beenden, weil die Frage der Modalitäten unlösbar schien. Die folgenden Regierungen haben diese Haltung geteilt, insbesondere die Julimonarchie, welche die kommunalen Güter schützen wollte, damit die Gemeinden über finanzielle Einnahmen verfügten. Einen wesentlichen politischen Grund bildete außerdem die Furcht, daß allein der Begriff der Aufteilung Erinnerungen an die egalitären Prinzipien von 1793 wecken könnte, weshalb Allmendteilungen zum Tabu erklärt wurden. Außerdem kämpften die Genossenschaften das ganze 19. Jahrhundert darum, ihre lokale Macht zu behaupten. 1827 stellt der Code forestier die Gemeindewälder unter die Aufsicht der Forstverwaltung, weil die Regierung über den Zustand der Wälder beunruhigt war und sie schützen wollte, indem sie die Rechte der Einwohner einschränkte. Die Dorfbewohner standen jedoch diesen Eingriffen der Behörden in die Verwaltung ihrer Ländereien sehr feindlich gegenüber.
Die französischen Regierungen befürworteten die Verpachtung von Gemeindeländereien in zahlreichen Parzellen als ein Mittel der Sozialpolitik. Arme Bauern sollten sie bebauen können. Viele Präfekte übten entsprechenden Druck auf die Gemeinderäte aus, die sich jedoch systematisch gegen jede Einmischung von außen wehrten. Aber alle Versuche, ein nationales Gesetz zu verabschieden, das der Verwaltung die Macht gab, zur Verpachtung zu zwingen, scheiterten.
Reiner Prass plädierte in seinem Referat für eine stärkere Berücksichtigung der Landgemeinden im Zusammenhang mit der Geschichte der Gemeinheitsteilungen. Nach der bisherigen Lehrmeinung hätten die Reformen im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert für eine grundlegende Umgestaltung der agrarischen Wirtschaftsstruktur gesorgt. Indem sie die genossenschaftlichen Bindungen auflösten, führten sie zu einer Individualisierung des bäuerlichen Wirtschaftens. Hierdurch sei es den Bauern möglich gewesen, unmittelbar auf die Bedürfnisse des Marktes zu reagieren und ihre Produktion entsprechend der steigenden Nachfrage zu intensivieren. Gemäß dieser Lesart sei die bäuerliche Gemeinde die Verliererin dieses Prozesses gewesen. Ursprünglich als Genossenschaft von miteinander Wirtschaftenden entstanden, habe sich die traditionelle bäuerliche Gemeinde, ihrer materiellen Grundlagen entblößt, im 19. Jahrhundert praktisch aufgelöst und in die moderne Einwohnergemeinde verwandelt.
Der Referent beklagte die eigentümliche Einseitigkeit dieser Version des agrarischen Fortschritts. Die Fähigkeit der Bauern zu ökonomischer Fortschrittlichkeit werde zwar anerkannt, aber im wesentlichen auf ihre Teilnahme am überregionalen Marktgeschehen reduziert. Die sozialen Grundlagen bäuerlichen Handelns, bis ins 18. Jahrhundert unter dem Etikett der "peasant economy" noch Kronzeuge einer eigenständigen Rationalität, würden nun als Hindernisse des agrarischen Fortschritts interpretiert. Entsprechend habe die Landgemeinde in der neuen Gesellschaft keinen Platz. Zur gleichen Zeit hätten die Gemeinden jedoch mit den nahezu unlösbaren Problemen des Pauperismus und mit den sozialen Spannungen gerungen, die die immer noch miteinander wirtschaftende Gemeinschaft bäuerlicher Wirte zu zerreißen drohten. Diese sozialen Spannungen wurden zwar ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Abwanderung vieler Unterschichtsangehöriger in die städtischen Industriezentren reduziert, aber am Ende blieben doch nicht nur kapitalistische Agrarproduzenten auf dem Land zurück. Es reiche daher nicht aus, der bäuerlichen Gemeinde die Totenglocke zu läuten, und zu konstatieren, daß die Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft begannen, das Land zu bestimmen.
Reiner Prass schlug stattdessen vor, den Übergang in die moderne Gesellschaft als einen mehrdimensionaler Wandlungsprozeß zu interpretieren: An die Stelle der bisher vor allem an lokalen Bezügen orientierten bäuerlichen Gesellschaft seien unterschiedliche Orientierungen getreten, unter denen gesamtgesellschaftliche Bezüge an Wirkungskraft gewannen, innerhalb derer aber lokale Bezüge ihre Bedeutung behielten. Die im Zuge der Gemeinheitsteilungen erfolgende Individualisierung ökonomischen Handelns sei zunächst nur eine organisatorische gewesen, sie besage noch lange nicht, daß die beteiligten Personen auch ihr ökonomisches Verhalten insgesamt umstellten. Um diese Frage zu beantworten, müssten die handelnden Personen ins Blickfeld gerückt werden.
In den letzten Jahren sei die Interaktion zwischen staatlichen Behörden, Agrarreformern und Landbevölkerung untersucht woren, um ein genaueres Bild von den Bedingungen zu erhalten, unter denen die Agrarreformen durchgeführt worden seien. Hierbei kamen immer wieder die Landgemeinden als derjenige organisatorische Rahmen zur Sprache, in dem sich die Auseinandersetzungen zwischen den Betroffenen abspielten. Aber die Gemeinden selbst rückten nie in den Mittelpunkt des Interesses. Das verwundere um so mehr, als die Entwicklung der Landgemeinden und die Aufteilung der Allmenden ein zentraler Aspekt des Pauperismusproblems waren. Die Landgemeinden behielten auch im 19. Jahrhundert ihre Bedeutung für das politische Handeln der ländlichen Bevölkerung. Die Kommunen konnten den Entwicklungsgang der Agrarreformen beeinflussen, insbesondere die praktische Umsetzung von Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen. Zum besseren Verständnis des Ablaufs dieser Reformen, ihrer spezifischen Beschleunigungen und Verzögerungen, wie auch zur Erklärung ihrer Ergebnisse, sei es daher nötig, die Rolle der Gemeinden stärker zu berücksichtigen.
Die frühneuzeitliche Viehwirtschaft basierte auf der Beweidung von Angern, Wäldern, Wiesen und Äckern. Das behinderte zweifellos eine intensivere Nutzung dieser Flächen, und machte feste Nutzungsabsprachen nötig. Dieses System kritisierten die Agrarreformer im 18. Jahrhundert und forderten, die Allmendflächen intensiver zu bewirtschaften. Aber nicht jede Fläche konnte zum Ackerbau genutzt werden. Vielfach war bereits durch Aufteilungen von Seiten der Gemeinden bis zum 18. Jahrhundert eine so weitgehende Intensivierung erfolgt, daß die Grenzen der möglichen Nutzung erreicht, und durch die bloße Aufteilung der verbliebenen Allmendflächen keine weiteren Kulturverbesserungen möglich waren. In diesen Fällen war durch eine Änderung der Anbaumethoden und eine Abschaffung der Ackerweide mehr zu erreichen. Die Frage nach der Flexibilität des genossenschaftlichen Wirtschaftssystems werde in Zukunft zu diskutieren sein. Zahlreiche Innovationen waren auch im open-field-system möglich, aber einige Kulturen, wie z.B. der Zuckerrübenbau, hatten offenbar die vollkommene Abschaffung der Weiderechte und die Separation der Äcker zur Voraussetzung.
Immer wieder aufkeimende Streitigkeiten zeigen, daß die Teilung nicht von allen Gruppen im Dorf befürwortet wurde. Die Konfliktlinien verliefen nach keinem einheitlichen sozialen Schema: Je nach rechtlicher und sozialer Situation strebte mal die eine, mal die andere Gruppe im Dorf eine solche Gemeinheitsteilung an, ja die Stellungnahme einzelner Gruppen konnte sogar je nach rechtlicher und ökonomischer Situation variieren. Diese divergierenden Zielsetzungen weisen auf sozial unterschiedliche Formen der Allmendnutzung hin, über die wir bisher nicht genug wissen.
In der historischen Literatur werde zwar erörtert, wie die einzelnen bäuerlichen Sozialgruppen aufgrund ihrer spezifischen ökonomischen Interessen auf das Reformprogramm reagierten, die Reaktionen der bäuerlichen Gemeinden als Gesamtverband werde aber nur selten thematisiert. Dabei besaßen die Gemeinden eine entscheidende Bedeutung für die Umsetzung der Gemeinheitsteilungen. Sofern nicht der Antrag einer einzelnen Person genügte, wie dies die Preußische Gemeinheitsteilungsordnung von 1821 vorsah, mußte in der Gemeindeversammlung über den Teilungsantrag abgestimmt werden. Neben allgemeinen ökonomischen und sozialen Konstellationen hatten die inneren Machtverhältnisse in den Gemeinden und die jeweils vor Ort geltenden Nutzungsbestimmungen entscheidenden Einfluß auf Zeitpunkt und Modus der Gemeinheitsteilungen.
Die frühneuzeitlichen Staaten hätten die Landgemeinden zu ihren Zwecken zunehmend instrumentalisiert, und gleichermaßen stützten sie sich auch zur Durchführung des Reformprogramms auf die Gemeinden. Das geschah sowohl durch die Einbeziehung der Gemeindevertreter in die Propagierung der Reformmaßnahmen, als auch durch den Umstand, daß die Teilungen in den Gemeindeversammlungen diskutiert und beschlossen werden mußten. Die Gemeinden haben diese Rolle aber nicht ohne weiteres übernommen. Sie traten in der Regel erst dann in Erscheinung, wenn sie die Allmendteilung geschlossen ablehnten. Diese Ablehnung von Gemeinheitsteilungen seitens der Landgemeinden reflektiere nicht eine prinzipielle Abneigung gegen agrarische Innovationen, sondern lediglich die pragmatische Weigerung der Gemeindemitglieder, den genossenschaftlichen Nutzungsverband in seiner Gesamtheit aufzuheben. Gemeinheiten konnten nämlich der Unterstützung von Armen und Alten dienen. In solchen Fällen drohte ihre Privatisierung den Pauperismus zu verschärfen.
Die internen Mechanismen der Entscheidungsfindung sind nur schwer zu erfassen. Die Gemeindevorstände spielten in einzelnen Fällen die entscheidende Rolle, häufig fand ihr Wort aber in den Verhandlungen kein Gehör. Von größerer Bedeutung werden die sozialen Beziehungen und Machtstrukturen in den Gemeinden gewesen sein. Für ihre Gestalt ist die Besitzstruktur nur eines von mehreren Kriterien. Die Verteilung der Besitzgruppen im Dorf bestimmte sicherlich die Interessenkonstellationen, sie kann jedoch nicht erklären, wie es zu dem Meinungswandel zahlreicher Gemeindemitglieder im Laufe der Verhandlungen kam. Dieser Vorgang wäre durch soziale Verflechtungen und Abhängigkeiten zu erklären, wie sie Giovanni Levi in seiner Mikrostudie über das piemontesische Dorf Santena und David Sabean in seinen gerade erschienen Untersuchungen zur Vetterleswirtschaft in Neckarhausen aufgezeigt haben.
Nach allem was wir wissen, verliefen die Fronten der Fraktionierungen und Klientelsysteme quer zur nach außen erkennbaren Sozialschichtung. Reiner Prass plädierte dafür, diese sozialen Beziehungen in den Dörfern näher zu untersuchen, um die in den Gemeindeversammlungen durchgesetzte Interessenpolitik besser verstehen zu können. Aus dem Verfahren zu den Gemeinheitsteilungen selbst gingen diese Binnenstrukturen nicht unmittelbar hervor. Sie könnten nur in einzelnen Mikroanalysen offengelegt werden. Ein möglicher Weg bestehe darin, Abstimmungslisten auf verwandtschaftliche und nachbarschaftliche Beziehungen hin zu untersuchen. Darüber hinaus könne es sich als sinnvoll erweisen, das Ergebnis der Teilungen zu analysieren. Dies betreffe allerdings noch mehr die Ergebnisse der Verkoppelungen, denn die Widersprüche gegen den Teilungsplan und die Ergebnisse der Feldumlegung könnten weitere Auskunft über die Machtverhältnisse im Dorf geben. Hierbei sei genau darauf zu achten, ob nicht Individualinteressen die Gruppeninteressen überdeckten.
Das Wirtschaftsleben in den Landgemeinden nach den Gemeinheitsteilungen bedürfe ebenfalls näherer Untersuchung. Der übliche Weg, die Auswirkungen der Reformen zu erfassen, bestehe darin, die allgemeinen Veränderungen in Ackerbau und Viehhaltung in der Zeit nach den Teilungen zu untersuchen. Dieses Vorgehen berge allerdings die Gefahr, daß weitere Wirkungsfaktoren - wie etwa eine unabhängig von den Gemeinheitsteilungen erfolgende Ausweitung der Marktbeziehungen - nicht berücksichtigt werden. Die Auflistung allgemeiner Zusammenhänge könne uns nur Hinweise auf mögliche Wirkungszusammenhänge geben. Für eine Klärung der Frage, wie sich Teilungen konkret auswirkten, müssten dagegen wiederum kleinräumige Untersuchungen unternommen werden. Die unterste denkbare Ebene stelle die Untersuchung einzelner Betriebe dar. Auf diesem Weg könnten die aus den Gemeinheitsteilungen resultierenden betriebswirtschaftlichen Veränderungen ermittelt werden.
Nach der Klärung zahlreicher Detailfragen berührte die Diskussion zwei große Themenkomplexe, erstens die Deutung der erkennbaren Unterschiede zwischen England, Frankreich und Deutschland sowie zweitens die offenen Probleme der Forschung.
Im Vergleich mit Deutschland und England ist es auffällig, wie sehr die Frage des Umgangs mit den Gemeindeländereien in Frankreich politisiert war. Bereits vor der Revolution von 1789 entstand eine lebhafte Debatte über die sozialen Folgen der Privatisierung von Gemeindegütern und den daher rührenden politischen Gefahren. Aufgrund der Revolutionserfahrung erschien es dann den Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts evident, daß es sich dabei um eine heikle Angelegenheit handelte. Die Frage der Teilung der Gemeindegüter wurde in ganz unterschiedliche sozial- und wirtschaftspolitische sowie fiskalische Zusammenhänge eingebracht und entsprechend der jeweiligen politischen Situation verschieden bewertet. Daraus ergab sich ein inkonsequenter Schlingerkurs, aus dem die Erhaltung von Gemeindegütern in Teilen Frankreichs resultierte. Dagegen unterlagen England und die deutschen Staaten bis ins späte 19. Jahrhundert einem hegemonialen Diskurs, dem die ökonomische Nützlichkeit der Privatisierung gemeinschaftlich genutzter Ländereien außer Zweifel stand. Die politische Debatte kreiste hier nicht um die Frage, ob es tunlich sei, die Gemeindeländereien aufzuteilen, sondern darum, auf welche Weise man die angestrebte Privatisierung erreichen konnte. Der auch in Deutschland weit verbreitete örtliche Widerstand gegen den Agrarindividualismus wurde als Ausdruck des naturwüchsigen Konservativismus der Bauern interpretiert, den es durch sanften Druck und Aufklärung zu überwinden galt. In England stand die Debatte ganz im Zeichen des Eigentumsbegriffs, dem Geltung zu verschaffen sei.
Bei der Frage nach den sozialen Folgen der Privatisierung ergeben sich im internationalen Vergleich andere Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Die Proletarisierung eines Teils der Landbevölkerung wurde in den meisten deutschen Staaten ebenso gefürchtet wie in Frankreich, während sie in England offenbar durchaus erwünscht war. Lediglich Preußen scheint dem englischen Vorbild insoweit gefolgt zu sein, als die Depossedierung der klein- und unterbäuerlichen Schichten mit Hinweis auf die erwarteten Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft hingenommen wurden. Aber auch in Preußen forderte niemand offen die Proletarisierung weiter Teile der Dorfbevölkerung.
Zwischen den drei Nationalhistoriographien sind bedeutende Unterschiede beim Stand der empirischen Forschung zu erkennen. Anders als in Frankreich mangelt es in Deutschland wegen der territorialen Zersplitterung an zeitgenössichen statistischen Überblicken, die in methodisch einheitlicher Form erhoben wurden. Wegen der langen sozialgeschichtlichen Forschungstradition und der intensiven allgemeinhistorischen Debatte über die parliamentary enclosures liegen in England zahlreiche nationale und regionale Studien über die volks- und betriebswirtschaftlichen Implikationen der Privatisierungen vor, die in dieser Qualität und Dichte auf dem Kontinent fehlen. Die Geltung allgemeiner Aussagen ist für Deutschland und Frankreich deshalb nicht in gleichem Maße gesichert wie für England. So ist beispielsweise die Frage, ob die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich auf die Privatisierung der Gemeindeländereien zurückzuführen ist, oder auf ganz anderen Ursachen beruhte, nicht eindeutig zu beantworten. Auch der Beitrag der Agrarreformen für die beginnende Industrialisierung kann nur annäherungsweise abgeschätzt werden. Angesichts der Quellenlage können nur weitere Lokal- und Regionalstudien Abhilfe schaffen.
Der Vergleich krankte bislang daran, daß die Gemeinheitsteilungen nicht hinreichend historisiert wurden. Während die großen regionalen Unterschiede im Bereich der Bodenfruchtbarkeit, der sozialen Verhältnisse und der Kommerzialisierung im Mittelpunkt des forschenden Interesses standen, blieb die Frage des Wandels in der Zeit oft unscharf. In Deutschland bestehen jedoch große zeitliche Differenzen, beispielsweise zwischen den Vereinödungen im Allgäu im 17. und 18. Jahrhundert, die auf bäuerlicher Initaitive beruhten und teilweise gegen widerstrebende Herrschaften durchgesetzt wurden und den späteren Schüben der Agrarindividualisierung, die staatlicherseits vorangetrieben wurden. Eine Privatisierung von Gemeindeland um 1770 fand ebenfalls unter ganz anderen gesellschaftlichen, betriebs- und volkswirtschaftlichen Bedingungen statt, als fünfzig Jahre später. Der Vergleich zwischen Nationen oder Regionen ist deshalb nur innerhalb von bestimmten Zeitrahmen sinnvoll. Als Ziel wurde eine zeitbezogene Typologie der Privatisierungsbewegung formuliert, die kulturelle, politisch-institutionelle, soziale, konjunkturelle, volks- und betriebswirtschaftliche Faktoren berücksichtigt.
Die Anregung von Reiner Prass, künftig im Rahmen von Lokalstudien zu den Gemeinheitsteilungen die Rolle der Landgemeinden stärker zu berücksichtigen, fand lebhafte Unterstützung auch auf Seiten der englischen und französischen Kollegen.
Die Ergebnisse der Tagung werden im Jahr 2000 als thematischer Schwerpunktband des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte dokumentiert.
PD Dr. Stefan Brakensiek (Fakultät für Geschichtswissenschaft der Universität Bielefeld)
Copyright ©1996-2002, H-Soz-u-Kult · Humanities · Sozial- und Kulturgeschichte