"Britain and the GDR. Relations and Perceptions in a Divided World"

Zentrum fuer Zeithistorische Forschung vom 3.-4. November 2000

Ein Tagungsbericht von Elfie Rembold

Nach der Aufhebung der Blockgrenzen und dem Ende des Systemwettbewerbs zwischen Ost und West 1989 eroeffnen sich fuer Historiker Moeglichkeiten, auch die Zwischentoene in den Beziehungen einer als binaer begriffenen Weltordnung zu erforschen. Es galt bislang als unbestritten, dass die westlichen Staaten, zu denen Grossbritannien als alliierte Siegermacht zaehlte, durch die Teilung Deutschlands und jene Berlins insbesondere, an die Seite der Bundesrepublik rueckten, waehrend sie zur Deutschen Demokratischen Republik in einem eher kritischen bis oppositionellen Verhaeltnis standen. Austausch und Beziehungen zwischen einer westlichen Macht und einem dem sowjetischen Einflussbereich angehoerigem Staat erfuhren in der Forschung nur geringe Aufmerksamkeit und blieben dem Paradigma der Politik des Kalten Krieges untergeordnet. Sich aus diesen Grenzen zu befreien und Geschichte gleichsam gegen den Strich zu betrachten, unternahmen die Veranstalter der Tagung "Britain and the GDR.

Relations and Perceptions in a Divided World", die am und vom Zentrum fuer Zeithistorische Forschung in Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut in London und dem Arbeitskreis Deutsche Englandforschung ausgerichtet wurde. Die Idee hierfuer ging schliesslich auf Arnd Bauerkaemper (Potsdam) zurueck, der auch keine Muehe scheute, diese zu realisieren und die dafuer ausgewiesenen Experten an einen Tisch zu fuehren.

Unter welchen grundlegenden Bedingungen die britisch-ostdeutschen Beziehungen zu betrachten sind, machte Martin McCauley (London) in seinem Einleitungsreferat deutlich. Es darf nicht uebersehen werden, dass es sich hier um ein ungleiches Verhaeltnis handele, da die DDR fuer die Westmaechte lange ein politisch unbedeutender Faktor blieb. Erst nach der internationalen Anerkennung der DDR 1973 wandelten sich die britisch-ostdeutschen Beziehungen, und die DDR unterlag nun statt einer Unter- einer Überschaetzung durch Grossbritannien. McCauley nahm schliesslich vorweg, was dann von diversen anderen Referenten immer wieder betont wurde, naemlich, dass die Briten die Existenz zweier deutscher Staaten einem geeinten Deutschland vorzogen, unabhaengig ihres Bekenntnisses zu der Einheit der deutschen Nation. In der Sektion "Krisen und Entfremdung" unter der Leitung von Gustav Schmidt (Bochum) wurden die Implikationen dieser britisch-ostdeutschen Beziehungsgeschichte waehrend des Kalten Krieges thematisiert. Lothar Kettenacker (London) umriss kurz die alliierte Maechtekonstellation und betonte, wie sehr die Teilung Deutschlands ein Resultat scheinbar harmloser technischer Abmachungen zwischen den Alliierten waehrend der Kriegszeit war und somit bereits 1943 feststand. Der Weg von einer Kooperations- zu einer Konfrontationspolitik, also zum Kalten Krieg, war von einem Desillusionierungsprozess seitens der Westmaechte begleitet. Ihre Politik beruhte auf falschen Praemissen; denn waehrend die Briten von der Norm pacta sunt servanda ausgingen, vertraute Stalin vielmehr auf seine Agenten im besetzten Deutschland und auf die normative Kraft des Faktischen. Besonders die beiden Berlin-Krisen von 1948/49 und 1958-62 fuehrten der westlichen OEffentlichkeit die Spaltung der Welt klar vor Augen, zeigten aber auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen dieser Krisen. Nach den Wahrnehmungen in der britischen OEffentlichkeit fragte Daniel Gossel (Nuernberg/Erlangen). Ihm zufolge herrschte in Grossbritannien in den 1950er Jahren die Meinung vor, dass der deutsche Nationalismus und Revanchismus anwachsen wuerde, je laenger die Wiedervereinigung auf sich warten liesse. Erst mit Beginn der zweiten Berlin-Krise wandelte sich dieses Urteil grundlegend, und in der britischen oeffentlichen Meinung wurde sogar die Anerkennung der DDR in Erwaegung gezogen, wenn die Krise dadurch haette entschaerft werden koennen. Auf Grund der Erfahrungen des Nationalsozialismus fuerchteten die britischen Diplomaten ein unkontrolliertes Aufflammen des deutschen Nationalismus mehr als das Vorgehen der Sowjetunion. Deshalb betrachteten sie, so Yvonne Kipp (Bonn), den Aufstand vom 17. Juni 1953 auch eher als Stoerfaktor in ihrer Buendnispolitik denn als willkommenen Ausbruch ostdeutschen Freiheitsstrebens. Politisches Denken in legalistischen und pragmatischen Kategorien ueberwog also den freiheitlichen Idealismus, was sich daran zeigte, dass im Foreign Office der Einsatz sowjetischer Panzer waehrend des Aufstandes als legales Mittel einer Besatzungsmacht zur Deeskalation einer Krise angesehen wurde.

Wie sich Grossbritannien seit dem Ende des Korea-Krieges 1953 "zwischen allen Fronten" bewegte, fuehrte Klaus Larres (Belfast) aus. Waehrend der ersten Berlin-Krise kam den Briten innerhalb der NATO die Aufgabe zu, die DDR ideologisch zu attackieren. Nach dem Korea-Krieg setzte sich hingegen die Auffassung durch, dass die Nichtanerkennungspolitik den handelspolitischen Beziehungen zur DDR nicht im Wege stehen sollte, was dazu fuehrte, dass im Herbst 1953 ein Handelsabkommen mit der DDR abgeschlossen wurde. Einerseits unterminierten diese sich im Laufe der 1950er Jahre ausweitenden Handelsbeziehungen de facto die Hallstein-Doktrin, andererseits war Grossbritannien aber auch bereit, den Interessen der Bundesrepublik entgegenzukommen und diese in den Dritte-Welt-Laender seines Commonwealth auch durchzusetzen. In der zweiten Sektion unter der Leitung von Peter Barker (Reading) wurden

die gegenlaeufigen Tendenzen der "Annaeherung, der Ostpolitik und der Vereinigung" behandelt. Raymond Stokes (Glasgow) knuepfte an Larres' Ausfuehrungen an und ging naeher auf den oekonomischen und technologischen Austausch zwischen der DDR und Grossbritannien ein. Diese Beziehungen zogen ihre hohe Attraktivitaet nicht zuletzt aus den beiderseitigen Abgrenzungen zur Bundesrepublik, die fuer Grossbritannien sowohl in oekonomischer als auch politischer Hinsicht als konkurrierender Staat betrachtet wurde. Diese Differenzen zeigten sich fuer die Briten in der fuehrenden Rolle, welche die Bundesrepublik im Prozess der europaeischen Integration einnahm oder spaeter im Zuge der Brandtschen Ostpolitik. Obwohl von beiden deutschen Staaten politische Initiativen ausgingen, z.B. Ulbrichts aussenpolitische Bestrebungen zur Anerkennung der DDR, stiess insbesondere das Mass an Unabhaengigkeit, das sich in den politischen Aktionen der Bundesrepublik in den spaeten 1960er Jahren widerspiegelte, bei der britischen Regierung auf Ressentiments. Gottfried Niedhart (Mannheim) verwies in diesem Zusammenhang auf Willy Brandts Regierungserklaerung vom Oktober 1969, in welcher dieser von "zwei Staaten in Deutschland" sprach. Die Briten sahen darin eine Anmassung und Infragestellung ihres Alliiertenstatus, da eine solche Feststellung formalrechtlich von der Bundesrepublik gar nicht getroffen werden konnte. Dennoch wogen die Beziehungen zur Bundesrepublik, wie auch Marianne Howarth (Nottingham) hervorhob, ungleich schwerer als jene zur DDR. Trotz verschiedener Staatsbesuche britischer Minister und Abgeordneten in den 1970er und 1980er Jahren praegte das Wissen um die Mauer und die Todesschuesse ein Negativimage vom zweiten deutschen Staat, das auch 1989/90 noch sehr praesent war.

Von den politisch-oekonomischen Beziehungen wechselte die Perspektive in der dritten Sektion zu den "kulturellen Beziehungen und gruppenspezifische Wahrnehmungen und Kontakten". Unter der Leitung von Guenther Heydemann (Leipzig) kamen auch Zeitzeugen insbesondere zu den 1960er Jahre zu Wort. So beschrieb David Childs (Nottingham) seine persoenlichen Erfahrungen mit der DDR als Mitglied der Labour Party und bestaetigte die Aussagen vorheriger Referenten, dass die DDR in der britischen OEffentlichkeit immer eine untergeordnete Rolle spielte. Er erinnerte nochmals daran, dass es auch weitverbreitete Vorbehalte gegen die Bundesrepublik gab, wo rechte Parteien im Landtag sassen, waehrend dies in der DDR gerade nicht der Fall war. Eine allgemeine Abscheu vor dem Nationalsozialismus und der Versuch, in der DDR den Sozialismus aufzubauen, rueckten diese unberechtigt in ein positives Licht. Daran anknuepfend referierten Stefan Berger (Glamorgan) und Darren Lilleker (Sheffield) ueber die offizielle Linie der Labour Party, die sich eng mit der westdeutschen SPD verbunden fuehlte und die DDR als kommunistische Diktatur brandmarkte. In ihren Ausfuehrungen, die sich auf die Phase des Kalten Krieges bezogen, diskutierten sie die Wahrnehmungen der linken Abweichler (von der Parteilinie) und betonten, dass fuer diese die Attraktion der DDR stark von der doch etwas naiven Ideologie des true socialism gepraegt war; ein Gedanke, der in der Diskussion die Frage nach den Traditionen des britischen Sozialismus aufwarf. Schliesslich verwiesen auch Berger/Lilleker auf die Forderungen der linken Labour-Vertreter nach Anerkennung der DDR und einer weiteren Intensivierung der Handelsbeziehungen. Nicht zuletzt betonten auch sie die Furcht der Briten vor den Deutschen und dem Nationalsozialismus, die insbesondere durch die Wiederbewaffnung der BRD erneut geschuert wurde. Wie diese Haltungen schliesslich zu konkreten, auf den ersten Blick unpolitischen Beziehungen zwischen Grossbritannien und DDR fuehrten, zeigte Merrilyn Thomas (London). Am Beispiel eines internationalen Versoehnungsprojekts zwischen Dresden und Coventry (1963-1965) belegte sie die Relevanz solcher kommunaler Beziehungen einerseits fuer die Ulbrichtsche Innenpolitik der kurzfristigen Liberalisierung und andererseits fuer die aussenpolitische Aushoehlung der Hallstein-Doktrin.

Die Aussagen eines anwesenden Zeitzeugen Reverend Martin Turner (Weston-super-Mare) unterstrich die Naivitaet und Unwissenheit der damaligen Teilnehmer, da sie diese propagierte innere Freizuegigkeit nicht als eine von der Stasi kontrollierte wahrnahmen. In einer abschliessenden Sektion wurde unter der Leitung von Arnd Bauerkaemper (Potsdam) ueber Sympathisanten eines "besseren Deutschlands" diskutiert. Dabei stellte Henning Hoff (Koeln) die linken und kommunistischen Gruppen innerhalb Grossbritanniens vor, die Beziehungen zur DDR unterhielten, aber durch ihre Interessenheterogenitaet sowie durch mangelnde Koordination der DDR-Aussenbeziehungen zu Grossbritannien keine wirksame Aktivitaeten fuer die Politik der DDR entfalten konnten. Am Beispiel der britischen Friedensbewegungen in den 1980er Jahren und der DDR erlaeuterte John Sandford (Reading) die gegenseitigen (Fehl-)Wahrnehmungen. Auf der einen Seite gingen britische Aktivisten von der falschen Annahme aus, dass es eine legale inoffizielle Friedensbewegung auch in der DDR gaebe, und auf der anderen Seite betrachtete der DDR-Friedensrat die CND (Campaign for Nuclear Disarmament) als seinen natuerlichen Verbuendeten, war aber immer wieder ueber deren Inkonsistenz in ihren Haltungen sowie ueber ihre strukturelle Vielfalt irritiert. Die beiden letzten Referate naeherten sich der Frage nach den Sympathisanten ueber die Belletristik und Wissenschaft. In Kriminal- und Spionageromane der 1960er Jahre waren die populaeren Stereotypen von der deutschen Innerlichkeit und des britischen Pragmatismus weit verbreitet, wie Patrick Major (Warwick) ausfuehrte. Er begruendete die Bevorzugung ostdeutscher vor russischen Schauplaetzen in den britischen Kriminalromanen u.a. damit, dass die Ostdeutschen den fuer die Briten idealen "Anderen" verkoerperten, der einerseits Schuldgefuehle ueber die Fehler im Entnazifizierungsprozess evozierte, andererseits aber eine Art "Junior-Feind" bot, den die Briten ohne Hilfe des grossen transatlantischen Bruders bekaempfen konnten. Schliesslich fragte Mario Kessler (Potsdam) nach den Ertraegen des Kulturtransfers, welche sich aus dem Exil deutscher Wissenschaftler in England waehrend des Zweiten Weltkrieges ergaben. Am Beispiel zweier unterschiedlicher Persoenlichkeiten, des Ost-Berliner Historikers Alfred Meusel (1896-1960) und des Wirtschafts- und Geschichtswissenschaftlers Juergen Kuzcynski (1804-1997) erlaeuterte er, wie Erfahrungen aus dem Exil in deren spaetere wissenschaftliche Taetigkeit miteinflossen. Waehrend Meusel, der von dem englischen Sozialhistoriker Christopher Hill beeinfusst war, sich nicht den politischen Vorgaben der Partei beugte, blieb Kuzcynski zeitlebens ein ueberzeugter Kommunist. Hierzu vermerkte David Childs kritisch, dass viele britische Politiker und Wissenschaftler zu Kuzcynski ein ambivalentes Verhaeltnis unterhielten, da er waehrend seines englischen Exils fuer Moskau spionierte und damit indirekt das NS-Regime unterstuetzt haette.

Insgesamt sensiblisierten die Vortraege fuer ein Geflecht von Beziehungen und Wahrnehmungen, die neben und entgegen der grossen Politik des Kalten Krieges zwischen zwei so ungleichen Partnern wie der DDR und Grossbritannien existierten. Das Problem der Fehlwahrnehmungen zog sich wie ein roter Faden durch die Mehrzahl der Beitraege. Auf Grund der Traditionen des rule of law und liberty unterlag das britische politische Handeln ganz anderen Praemissen als jenen, die in den kommunistischen Systemen des Einflussbereichs der Sowjetunion galten. Es hatte sich aber gezeigt, dass neben diesem Negativimage, die Existenz der DDR von Pazifisten und Antikapitalisten auch als ein Versuch honoriert worden war, ein neues, besseres Deutschland aufzubauen. Im Ganzen waren aber die Wahrnehmungen des zweiten Deutschlands in der britischen OEffentlichkeit stark von den spezifischen Erfahrungen des Nationalsozialismus, des Krieges und spaeter des Mauerbaus und der Todesschuesse gepraegt. In methodischer Hinsicht bot diese Tagung schliesslich auch ein anschauliches Beispiel ueber die fruchtbare Verknuepfung der klassischen Geschichte der Aussenpolitik mit einer modernen beziehungs- und transfergeschichtlichen Perspektive der Kulturgeschichte. So konnte die Tagung einen tieferen Einblick in die Problematik der Beziehungen zwischen einer Diktatur und Demokratie, zwischen einem maechtigen Akteur und einem Satellitenstaat und schliesslich zwischen zwei Staaten unterschiedlicher Traditionen gewaehren. Im Fazit bleibt festzuhalten, dass eine Beziehungsgeschichte zwischen der DDR und anderen Staaten immer nur unter Einbeziehung der Bundesrepublik adaequat erfasst werden kann.

Elfie Rembold (Hannover/Berlin)


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Elfie Rembold <elfrem@transmedia.de>
Subject: Tagungsbericht: Britain and the GDR
Date: 24.11.2000


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