In den Raeumen des Forschungsinstituts fuer die Geschichte Preussens e.V. (FGP), Hausvogteiplatz 5-7, 10117 Berlin, fand am 16. April ein Workshop zu "Aspekten und Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte Brandenburgs" statt, an dem sich ca. 30 Historikerinnen und Historiker beteiligten.
Fast zehn Jahre sind seit der Gruendung des Bundeslandes Brandenburg vergangen. Obwohl das Land keine buerokratische Kunstschoepfung ist und eine gewisse territoriale Kontinuitaet stets gewahrt blieb, weist die Landesgeschichte Brandenburgs nach wie vor erhebliche Forschungsdesiderata auf. Dies hat verschiedene Ursachen. Zum einen stand die Provinz Brandenburg immer im Schatten Gesamtpreussens und der Hauptstadt Berlin. Zum anderen blieb Brandenburg vom Siegeszug der Landesgeschichte in der Bundesrepublik nach 1945 weitgehend unberuehrt. Dies lag auch darin begruendet, dass in der DDR - trotz einer beachtenswerten Entwicklung der Regionalgeschichte seit dem Ende der 70er Jahre - keine foederative Struktur existierte und sich daher auch kein Landes- oder Regionalbewusstsein in dem Masse wie in den Laendern der alten Bundesrepublik entwickeln konnte.
Die Forschungsentwicklung der letzten Jahre wie auch die Diskussion auf dem Workshop machen deutlich, dass hier ein unuebersehbarer Wandel eingetreten ist. Die Aufnahme von Forschungsansaetzen aus den Gebieten der Adels- Militaer- und Buergertumsforschung, der Kultur-, Mentalitaets-, Geschlechter- und Mikrogeschichte haben zu beachtlichen Ergebnissen gefuehrt. Gerade juengere Historikerinnen und Historiker konnten in den letzten Jahren das in der Zeit vor 1990 in West-Berlin und auch in der DDR gelegte Fundament einer modernen brandenburgischen Landesgeschichte weiterentwickeln. Vor diesem Hintergrund verfolgte der Workshop das Ziel, juengere und aeltere Historiker zu einer Aussprache ueber diese neuen Ansaetze zusammenzufuehren.
In insgesamt acht Beitraegen, die in die drei Sektionen "Militaer- und Adelsgesellschaft", "Stadt, Oekonomie und Kultur" sowie "Forschungsansaetze und konzeptionelle Ueberlegungen" unterteilt waren, wurde aus laufenden Forschungsprojekten berichtet.
Da die fertigen Beitraege rechtzeitig vorab vorlagen, wurde auf das uebliche Tagungsschema langer Referate verzichtet. Statt dessen wurden die Papiere in wechselseitige zehnminuetigen Kommentare vorgestellt, anschliessend hatte der Autor Gelegenheit zu einer Replik. Dadurch stand die meiste Zeit fuer die Diskussion der Beitraege zur Verfuegung.
Die Teilnehmer der Diskussion vertraten die verschiedenen mittelbar oder unmittelbar mit der brandenburgischen Landesgeschichte befassten Institutionen im Raum Berlin/Brandenburg: die Brandenburgische Historische Kommission, die Historische Kommission zu Berlin, das Geheime Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, das Brandenburgische Landeshauptarchiv in Potsdam sowie die Historischen Institute an den Universitaeten Potsdam, Frankfurt/Oder, die Freie Universitaet, die Technische Universitaet und die Humboldt Universitaet zu Berlin.
Im einzelnen wurden folgende Beitraege diskutiert:
Preussisches Kantonsystem und staedtische Gesellschaft. Frankfurt/Oder im ausgehenden 18. Jahrhundert (Martin Winter)
Vom maerkischen Sand zum hoefischen Parkett. Der Hof Friedrich Wilhelms III. - ein Reservat fuer die alte Elite des kurbrandenburgischen Adels (Kay-Uwe Hollaender)
Vom Rittergut zum Adelstitel? Grossgrundbesitz und Nobilitierungen im 19. Jahrhundert - das brandenburgische Beispiel (Rene Schiller)
Unterschriften aus der Altmark. Zur Alphabetisierung in Stendal und Umgebung um 1800 (Norbert Winnige)
Soziale Wandel und politischer Umbruch. Brandenburgische Schuetzengilden und die Formierung buergerlicher Gesellschaft (Ralf Proeve)
Die Akteure der Industrialisierung. Tuchmacher in Brandenburg/Havel zwischen Zunft und Fabrik (Uwe Mueller)
Lage und Lebensgefuehl brandenburgischer Bauern im 18. Jahrhundert. Vergleichende Betrachtung neuer sozialgeschichtliche Forschungsergebnisse unter mikrohistorischer Perspektive (Heinrich Kaak)
Die "Sieben Schoenheiten" der fruehneuzeitlichen brandenburgischen Staedte. Ueberlegungen zum Forschungsstand (Brigitte Meier)
Die lebhafte und anregende Diskussion wurde von Bernhard R. Kroener, Ernst Hinrichs und Jan Peters moderiert.
Die Referate, ergaenzt um weitere Beitraege, werden im Mai diesen Jahres in einem Sammelband erscheinen:
Bernd Koelling, Ralf Proeve (Hg.): Leben und Arbeiten auf maerkischem Sand. Wege in die Gesellschaftsgeschichte Brandenburgs. 1700-1914. Bielefeld 1999 (Verlag fuer Regionalgeschichte) ISBN 3-89534-236-X, 384 S., DM 48,-
Dr. Norbert Winnige
Forschungsinstitut fuer die Geschichte Preussens e.V.
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