Am 8. und 9. Oktober 1999 veranstaltete der "Arbeitskreis Militaer und Gesellschaft in der Fruehen Neuzeit e. V." gemeinsam mit dem Historischen Institut der Universitaet Rostock, Professur fuer Geschichte der Fruehen Neuzeit, sein 3. Forschungskolloquium. Die wissenschaftliche Leitung und die Organisation der von der OstseeSparkasse Rostock finanziell gefoerderten Veranstaltung lagen in den Haenden von Kersten Krueger und Stefan Kroll. An der Veranstaltung, die in angenehmer Atmosphaere im Konzilzimmer der Universitaet Rostock durchgefuehrt wurde, nahmen insgesamt 45 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Japan, Grossbritannien, Oesterreich, der Schweiz und Deutschland teil. Nachdem die erste Tagung des Arbeitskreises 1995 in Potsdam eine Bestandsaufnahme neuerer Forschungsansaetze zum Verhaeltnis von militaerischer und ziviler Gesellschaft in der fruehen Neuzeit geleistet hatte und das zweite Kolloquium 1997 in Berlin einem spezielleren Thema, naemlich Militaer, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel des 16.-19. Jahrhunderts gewidmet war, ging es dieses Mal um "Militaer und laendliche Gesellschaft in der fruehen Neuzeit". Damit wurde thematisch ein Bereich angesprochen, der zumindest im deutschsprachigen Raum unter den neueren Fragestellungen der Sozial-, Wirtschafts-, Kultur- und Alltagsgeschichte noch wenig erforscht ist. Die elf Vortraege wurden von zumeist juengeren Wissenschaftlern gehalten, die ueberwiegend Ergebnisse laufender oder kuerzlich abgeschlossener Forschungsvorhaben vorstellten. Regional wurde ueber den Kernbereich deutscher Territorialstaaten hinaus neben der Schweiz und Schweden vor allem die Habsburgermonarchie besonders beruecksichtigt
Das Einfuehrungsreferat hielt Rainer Wohlfeil (Hamburg). Er skizzierte die Entwicklung der historischen Disziplin, die in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als "Militaergeschichte" bezeichnet wird und ging dabei auch auf ihre vorangegangene wehrpolitische Instrumentalisierung unter der Bezeichnung "Kriegs-" und "Wehrgeschichte" ein. Gegen den vor kurzem von Michael Geyer gemachten Vorschlag, Militaergeschichte "als historische Soziologie von Gewaltverhaeltnissen" zu verstehen, blieb Wohlfeil bei seiner Position, wonach Gegenstand der Militaergeschichte das Militaer sein muesse, dem man sich mit einem klar umrissenen Erkenntnisinteresse zu naehern habe. Erster Referent zum engeren Thema der Tagung war Werner Meyer (Basel), der sich mit Eidgenoessischem Solddienst und Wirtschaftsverhaeltnissen im Schweizerischen Alpenraum um 1500 befasste. Anhand zeitgenoessischer Bilddarstellungen verdeutliche Meyer auch die kultur- und mentalitaetsgeschichtliche Dimension seines Themas. Michael Kaiser (Koeln) ging in seinem Vortrag "Soeldner gegen Bauer: Zur Frage eines sozialen Antagonismus im Dreissigjaehrigen Krieg" vorrangig der Frage nach, welche Verhaltensmuster den Umgang beider sozialer Gruppen bestimmten. Er warnte dabei vor einseitigen Interpretationen: weder duerfte es einen eindeutigen sozialen Grundkonflikt gegeben haben noch war ausschliesslich die Not der Verhaeltnisse fuer die haeufigen Gewalttaetigkeiten und Zerstoerungen verantwortlich. Michael Busch (Hamburg) stellte einige Ergebnisse seiner kuerzlich abgeschlossenen Dissertation ueber das schwedische "Indelningsverk" unter Karl XI. in der zweiten Haelfte des 17. Jahrhunderts vor. In den Mittelpunkt rueckte er dabei das vielschichtige Verhaeltnis zwischen den eingeteilten Soldaten und den sie ausruestenden Bauern. Der Eingeteilte spuerte sein Soldatsein im Frieden nur anlaesslich der gelegentlichen Uebungen, blieb ansonsten aber ein vollwertiges Mitglied der doerflichen Gemeinschaft. Martin Schennach setzte sich mit dem "Verhaeltnis der Tiroler Bevoelkerung zu den einheimischen und verbuendeten Truppen in der ersten Haelfte des 17. Jahrhunderts" auseinander. Gegen die Ausschreitungen der Landsknechte standen der Bevoelkerung drei Moeglichkeiten zur Verfuegung: die Flucht in die Berge, bewaffneter Widerstand oder Beschwerden an die militaerische bzw. zivile Obrigkeit. Die Auseinandersetzungen waren nicht zuletzt deshalb so heftig, weil der gemeine Mann selten die Notlage des vielfach unzureichend versorgten und verpflegten Soeldners anerkannte. Die Zentralbehoerden nahmen in Tirol zumeist eine vermittelnde Position ein. Die Rolle und vor allem die Kriegserfahrungen von Beamten waren auch Gegenstand des kurzfristig aufgenommenen und daher knapperen Vortrags von Frank Kleinehagenbrock (Heilbronn). Am Beispiel der dem Fraenkischen Reichskreis angehoerenden Grafschaft Hohenlohe ermittelte Kleinehagenbrock fuer die Beamten eine Funktion als "Scharnier zwischen Untertanen, Herrschaft und Militaer".
Der zweite Tag der Veranstaltung begann mit einer kurzen Vorstellung des Tuebinger Sonderforschungsbereichs "Kriegserfahrungen" durch Horst Carl (Tuebingen). Anschliessend referierte Max Plassmann (Stuttgart) ueber "Landbevoelkerung, Obrigkeiten und Krieg in Suedwestdeutschland (1688- 1713)". Sein Hauptaugenmerk galt zunaechst den vielschichtigen Belastungen, denen die Landbevoelkerung im Kriegsfall ausgesetzt war. Neben gewaltsamen Uebergriffen, die in den meisten Faellen auf mangelnde Disziplin zurueckzufuehren waren und dementsprechend von der militaerischen Fuehrung bekaempft wurden, zaehlten dazu u. a. zusaetzliche Steuerlasten, Schanzarbeiten, Fuhrdienste und die Stellung von Quartieren. Auf der anderen Seite war es Teilen der Zivilbevoelkerung aber auch moeglich, wirtschaftliche Vorteile aus der verstaerkten Nachfrage des Militaers nach Nahrungsmitteln, handwerklichen Produkten und anderen Dingen des taeglichen Bedarfs zu ziehen. Darueber hinaus wurden im Vortrag Strategien zur Abstellung der aufgezeigten Missstaende analysiert. Von einer "Zaehmung der Bellona" konnte zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Suedwestdeutschland jedenfalls noch keine Rede sein, bilanzierte Plassmann. Michael Hochedlinger (Wien) befasste sich mit Fragen der "Rekrutierung und Militarisierung der (laendlichen) Gesellschaft in der Habsburgermonarchie", vorrangig im 18. Jahrhundert. Verglichen mit dem preussischen Modell war Oesterreich trotz ernsthafter Reformbemuehungen in der zweiten Haelfte des 18. Jahrhunderts noch weit entfernt von einer "Militarisierung" der Gesellschaft. Mitentscheidend dafuer duerfte gewesen sein, dass - anders als in Preussen - sowohl Bauernstand als auch Adel dem Militaer skeptisch bis ablehnend gegenueberstanden. Im Mittelpunkt des Vortrags von Martin Rink (Karlsruhe) ueber "Die noch ungezaehmte Bellona - Der kleine Krieg und die Landbevoelkerung im 18. Jahrhundert" standen die leichten Truppen: Husaren, Ulanen, Kosaken und oesterreichische Grenzmilizen. Beweglich, logistisch unabhaengig und durch geringes Marschgepaeck faehig zur Uebernahme selbstaendiger Auftraege, stellten sie auf Feldzuegen praktisch das Bindeglied zwischen dem im Lager verbleibenden Hauptteil der Armee und der zivilen Bevoelkerung dar. Einerseits verantwortlich fuer zahlreiche gewaltsame Uebergriffe, z. B. beim Einziehen von Nahrungsmitteln und Geldern, waren sie andererseits aber auch unverzichtbar zur Feindaufklaerung oder zur Uebernahme von Sicherungsposten. Heinrich Kaak (Berlin) untersuchte in einer Mikrostudie "Militaer aus der Perspektive der brandenburgischen Landbevoelkerung 1725 bis 1775". In den exemplarisch ausgewaehlten Doerfern Alt-Friedland und Alt-Quilitz war der Einfluss des Militaers vor allem durch die Belastung und Bedrohung gewohnter Ablaeufe des Alltags spuerbar. Konkret waren es Exekutionen und die militaerische Besetzung, die fuer die Dorfbewohner die am meisten gefuerchteten Beeintraechtigungen darstellten. Das Referat von Stefan Kroll (Rostock) setzte sich am Beispiel Kursachsens mit dem hoechst widerspruechlichen Verhaeltnis von Militaer und laendlichen Randgruppen im 18. Jahrhundert auseinander. Gegen Arme, Bettler, Diebe, Gauner und "Zigeuner", die aus z. T. ganz unterschiedlichen Gruenden ein Leben auf der Strasse fuehrten, ging die landesherrliche Obrigkeit rigoros vor, wobei haeufig Militaer eingesetzt wurde. Dennoch blieb die Umsetzung der Mandate von vielerlei Zufaelligkeiten abhaengig. Gleichzeitig sind zahlreiche Beispiele ueberliefert, die belegen, dass der Dienst als gemeiner Soldat fuer Angehoerige von Randgruppen durchaus ueblich und auch erstrebenswert war. Offenbar boten sich hier - zumindest fuer eine Zeitlang - vergleichsweise gute Chancen, um den alltaeglichen Kampf um das eigene Ueberleben zu bestehen.
Die ohnehin schon breit vorhandene Bereitschaft zur Diskussion wurde durch den jeweils im Anschluss an zwei bzw. drei Referate folgenden Kommentar - beteiligt waren hier: Bernhard R. Kroener (Potsdam), Markus Meumann (Halle), Jutta Nowosadtko (Essen) und Norbert Winnige (Berlin) - zusaetzlich angeregt. So dauerte die unter der Leitung von Bernhard Sicken (Muenster) stehende Schlussdiskussion dann auch doppelt so lange wie geplant. Die einzelnen Tagungsbeitraege gewaehrten auf der Basis intensiver Quellenarbeit einen vielfaeltigen Ueberblick ueber ein Forschungsfeld, das bisher vergleichsweise wenig Beachtung gefunden hat. Angesichts der Breite des behandelten Themenfeldes konnte die Tagung allerdings lediglich eine erste Zwischenbilanz bieten und zu weiterer Forschung anregen. Uebereinstimmend wurde zukuenftig eine staerkere Beruecksichtigung von Sachueberresten und Bildquellen angemahnt. Auch an Musik, Literatur, Maerchen und Schwaenke sei bei der Suche nach aussagefaehigen Quellenarten zu denken. Neue Einsichten koennten auch durch interdisziplinaere Zusammenarbeit gewonnen werden, etwa mit Medizinhistorikern bei der Bewertung von Skeletten, die auf Schlachtfeldern ausgegraben wurden. Es ist beabsichtigt, die Tagungsbeitraege in einem Sammelband zu veroeffentlichen.
Dr. Stefan Kroll
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