Krakau, Prag und Wien: Funktionen von Metropolen im frühmodernen Staat
Tagung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. (GWZO)
Leipzig, 25.-27. Februar 1999
Tagungsbericht Karen Lambrecht
Wie der Begriff Metropolen ist der des Staates in seiner Anwendung auf die Frühmoderne umstritten. Dennoch oder gerade deshalb fand in Leipzig eine Tagung statt, die der Frage nach den Funktionen von Metropolen im entstehenden Staat - hier in den ostmitteleuropäischen Ländern - nachgehen sollte. Wurden Krakau, Prag und Wien in der Zeit des 15. und 16. Jahr-hunderts in ihrer Multifunktionalität für einen sich erst langsam ausbildenden Staatsverband überhaupt einbezogen? Wirkte sich dies im Gegenzug auf die Entwicklung der Städte aus? Versteht man Ostmitteleuropa als Strukturbegriff, ist auch nach der Einbezie-hung der Region in die gesamteuropäische Kultur und nach der Integrationskraft ihrer Zentren zu fragen. Wie weit reichte die Ausstrahlungs- und Anziehungskraft? Wie ordnen sich die Metropolen in einen europäischen Zusammenhang ein und wer waren die treibenden und hemmenden Kräfte einer Modernisierung, die es in dieser vorgeblich rückständigen Geschichtsregion in den Zentren aufzudecken gilt? Neben diesen allgemeinen Fragen sollten die metropolenbildenden Faktoren Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kirche, Bildung, Kultur und Hof debattiert werden, die jedoch nicht alle in Vorträgen behandelt werden konnten.
Zunächst stand die "Staatliche Funktion und politi-sche Re-präsen-tation" im Vordergrund. Winfried Eberhard, der Leiter des Forschungsprojektes, das die Metropolen Ostmitteleuropas im 15. und 16. Jahrhundert untersucht, gab eine Einführung in das Tagungsthema, da der Einleitungsvortrag von Peter Johanek (Münster) über "Funktionen der Metropolen im werdenden Staat des Spätmittelalters und der Frühneuzeit" leider ausfallen mußte. Daß die Funkionskonzentration sich im Laufe des Mittelalters und im Zuge der Residenzbildung erst allmählich entwickelte, führte Kurt Andermann (Karlsruhe) vor Augen, der die sakrale Funktion der Hauptstadt erläuterte, die sich bald mit profanen Funktionen verband. Parallel zur Institutionalisierung einer vor äußeren Zugriffen sicheren Landeskirche standen einerseits die Memoria und andererseits die sakrale Legitimierung der Herrschaft. Damit hob Andermann die Bedeutung der kirchlichen Zentralisierung für die Hauptstadtwerdung hervor, ohne daß eine Grablege alleine eine Residenzstadt herausbildet. In Prag und Wien, besonders aber in Krakau, kann die Zusammenlegung der sakralen Residenzfunktionen beobachtet werden, so wie man sie auch vorbildlich in München vorfindet.
In mehreren Vorträgen wurde die Fluktuation von Zentren und ihre mögliche Konkurrenz innerhalb der Länderkonglomerate thematisiert. Die Geschichte von Prag und Krakau ist zu einem Gutteil durch ihre zeitweise Randlage im jeweiligen Herrschaftsgebiet bestimmt. Auch in den habsburgischen Ländern gab es dezentral wirkende, ständische Faktoren. Arno Strohmeyer (Leipzig) stellte in seinem Vortrag "Metropole und ständischer Staat" Wien und Graz (1564-1637) gegenüber, die jeweils mit den Kernelementen von Hof, Universität und Bistum ausgestattet waren. Bei allen Unterschieden wurden beide Zentren für die katholische Konfessionialisierung und damit für den Ausbau eines zentralisierten, frühabsolutistischen Staatswesens instrumentalisiert. Strohmeyer ging dabei auf die Bedeutung der politischen Institutionen für die Metropole und die Beteiligung der Stadt an den Institutionen ein.
Der Warschauer Historiker Antoni Maczak beschrieb dagegen im Anschluß an die Forschungen von Maria Bogucka bei der Frage "Metropole in einem republikanischen Ständestaat? Krakau und seine Konkurrenten im Hauptstadtstatus" die chronologische und funktionale Differenzierung von Krakau, Warschau und Danzig. Durch die territoriale Erweiterung Polens rückte Krakau immer mehr in eine räumliche Grenzlage und verlor nach der Union von Lublin 1569 allmählich zugunsten Warschaus seine Hauptstadtfunktion, obwohl es bis ins 18. Jahrhundert hinein sakraler Mittelpunkt im dezentral organisierten polnischen Landesverband war. Lediglich Danzig war eigenständig politisch aktiv, womit die Bedeutung Krakaus für den Städtestand des Landes als sehr gering zu bewerten ist. Dieses Ergebnis bestätigend, widmete sich auch der Kunsthistoriker Arnold Bartetzky (Leipzig) dem Verhältnis von Stadt und Königtum. Anhand der Rathausbauten in Prag und Krakau sowie in den regionalen Zentren Breslau und Posen erläuterte er die unterschiedliche städtische Repräsentation in Spätmittelalter und Frühneuzeit, die auf das Selbstverständnis der städtischen Eliten schließen lassen. Laut Áron Petneki (Miskolc) ließen sich diese unterschiedlichen Funktionen stereotypenhaft auch in den ungarischen Reisebeschreibungen bestätigen, so wurde etwa Krakau weniger als Hauptstadt denn als locus amoenus wahrgenommen.
Wie die Städte in ihren mittelalterlichen Freiheiten beschnitten und immer stärker in den frühneuzeitlichen 'Finanzstaat' eingebunden wurden, stellte Georg Michels (Leipzig) in seinem Vortrag über "Handel und Handwerk in Krakau und Wien im Vergleich" dar. Im Gegensatz zu Krakau war Wien durch den Mangel an Naturschätzen dabei abhängiger von äußeren, politschen Faktoren und verlor trotz neuer Impulse durch die Hofresidenz für Handel und Handwerk im überregionalen Maßstab an Gewicht. Eine zentrale Bedeutung der Metropolen für die Wirtschaft des Landes und die Ausbildung einer Wirtschaftsregion konnte deshalb nur in Ansätzen festgestellt werden.
Einen weiteren Schwerpunkt der Tagung bildete die komplexe Binnenstruktur der Metropolen und ihre Bedeutung für Bildung und Kunst, womit gleichzeitig eine Ausweitung oder Eingrenzung ihres Einzugsbereichs verbunden war. Michal Svato (Prag) hob die zunächst noch auf das Schulwesen und die Stadtämter in Böhmen beschränkte Rolle Prags als Bildungszentrum im 16. Jahrhundert hervor, als die Universität auf eine Landeshochschule reduziert war. Karen Lambrecht (Leipzig) versuchte, die Funktionen der Universitäten Krakau, Prag und Wien im werdenden Staat darzustellen. Die Interaktion zwischen Universität einerseits, Stadt, Hof und Kirche andererseits waren in Krakau besonders eng, während in Wien die Instrumentalisierung der Universität durch den Landesherrn am stärksten war. Jan Pirozynski (Krakau) beschrieb unter Mitwirkung von Anezka Badurová (Prag) Krakau und Prag als Zentren des Buchdrucks im 15. und 16. Jahrhundert. Krakau hatte zwar eine größere Buchproduktion, Prag fungierte jedoch schon sehr früh als Zentrum des landessprachlichen Druckes.
Bei der Analyse der gesellschaftlichen und ethnischen Pluralität ostmitteleuropäischer Metropolen konzentrierten sich die Vorträge auf Krakau. Hier wie in Prag handelte es sich eigentlich jedoch um eine ethnische Dualität von Deutschen und Polen bzw. Tschechen. Henryk Samsonowicz (Warschau) wies gleichzeitig noch auf die konfessionelle, zünftische und sozialtopographische Differenzierung der Krakauer Stadtgesellschaft hin. Heidemarie Petersen (Leipzig) beschrieb das Selbstverständnis der Krakauer Judengemeinde aufgrund einer Krakauer Gemeindeordnung von 1595 als autonom und autark, so daß man nicht von Integration oder einem Zusammenleben, sondern von einer Koexistenz sprechen muß. Die Stadt erschien hierin nur als eine von mehreren unspezifischen Bezugsgrößen neben König, Adel und Kirche, also auch hier wiederum in ihrer Funktion beschränkt. Karin Friedrich (London) diskutierte die gesellschaftliche Interaktion ethnischer Gruppen in Krakau anhand der Paradigmen von Polonisierung, Stadtpatriotismus und nationalem Konflikt, die sich jedoch meist als ein Nebenprodukt religiöser, politischer und sozialer Spannungen erwiesen. Trotz nachlassender Hauptstadtfunktionen Krakaus nutzten Hof, Kirche und Adel das noch vorhandene Potential des Krakauer Patriziats und die Anwesenheit etwa der Italiener noch im 17. Jahrhundert zur Förderung eigener Interessen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die sogenannten "Übergangsgruppen" von geadelten Bürgern und Adeligen, die das Bürgerrecht erwarben. Dieses Phänomen gehörte in Prag zu den seltenen Ausnahmen, wie Leszek Belzyt (Leipzig) betonte, der den Adel in den Metropolen Prag und Krakau um 1600 verglich. Der relativ große Anteil des Adels (in Krakau rund 600, in Prag rund 900 Familien) ist jedoch für die gesellschaftliche Attraktivität beider Zentren kennzeichnend. Ebenso wie die Universität war der Hof ein Faktor, der für den Zuzug von Adeligen, Bürgern, Gelehrten und Fremden wirkte. Die Interaktionen des böhmischen und höfischen Adels nach der Residenzverlegung nach Prag unter Rudolf II. untersuchte Jaroslava Hausenblasová (Prag). Es kam zu einer personellen Überschneidung der zwei getrennten Verwaltungssysteme und damit zu einem engeren politischen Zusammenschluß des Königreichs Böhmen und der habsburgischen Länder auf der Ebene des Adels.
Die Glanzperiode Prags, die Zeit Rudolfs II., wurde in einigen kunsthistorischen Vorträgen vorgeführt, obgleich der Beitrag von Beket Bukovinská (Prag) "Prag in der Zeit Rudolfs II. das Kunstgewerbe zwischen Hof und Stadt" ausfallen mußte. Jürgen Zimmer (Berlin) beschäftigte sich mit "Prag als kulturellem Zentrum (15701618)" und den Fragen von Import, Export und Transfer von Kunst und Künstlern. Der Vortrag von Michal ronek (Prag) "Kunstmäzenatentum in Prag eine Rückstrahlung der gesellschaftlichen Veränderungen 15801650" zeigte die Konflikte zwischen Hof und Zunftkünstlern sowie die aristokratische, bürgerliche und zunehmend auch die kirchliche Kunstförderung über die Zeit Rudolfs hinaus. Jirí Kropácek (Prag) hob in seinem Vortrag über die Hofkunst in Prag zwischen 1560/70 die bereits von Rudolf geschaffenen Grundlagen für Residenzausbau und Kunstrepräsentation hervor und betonte die Bedeutung Ferdinands von Tirol für die Kunstförderung, die immer mehr vom Bürgertum aufgegriffen wurde. Die Metropole Prag erfüllte damit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre Funktion als Ort der kulturellen Kommunikation und der künstlerischen Innovationen. Daß diese auch weitergegeben wurden, versuchten zwei weitere Vorträge anhand der Fassadenarchitektur als Herrschaftsrepräsentation zu zeigen: Monika Brunner (Leipzig) leitete aus der nördlichen Gartenseite der Prager Residenz ihre Ausstrahlung etwa auf die Residenzarchitektur der Wittelsbacher ab, und Matthias Müller (Greifswald) sah in einem kontrovers diskutierten Vortrag die Wiener Hofburg als programmatisches Leitbild für den frühneuzeitlichen Residenzenbau im alten Reich (16. und frühes 17. Jahrhundert) an.
Wie sich die Funktionen einer Metropole bipolar innerhalb der Stadt differenzieren und wie ein Stadtraum organisiert werden konnte, führten eindrücklich die beiden Krakauer Kunsthistoriker Marek Walczak und Krzysztof Czyzewski am Beispiel der Marienkirche als Ort der bürgerlichen Repräsentation und der Kathedrale als Ort der höfischen Repräsentation in Krakau vor. In Prag dagegen stellte sich laut dem Kunsthistoriker Kilian Heck (Berlin) der Stadtraum als einheitlicher Herrschaftsraum dar, wobei das Radialsystem der Straßen auf die Burg ausgerichtet war. In Anlehnung an Georg Simmels Raumtheorie sollte sich nach Heck die Stadt zum Umland hin abgrenzen und nach innen differenzieren.
Die Funktion von Metropolen als Orte der höfischen Repräsentation kam dezidiert in den Referaten von Marina Dmitrieva (Leipzig) über die "Ephemere Architektur in Krakau und Prag. Zur Inszenierung von Herrschereinzügen in ostmitteleuropäischen Metropolen" und Zbigniew Dalewski (Warschau) "Monarchische Zeremonien im spätmittelalterlichen Krakau" zum Ausdruck. Auch hier wurden Stadtraum und Stadtgesellschaft bei herrscherlichen Einzügen in die Repräsentation mit eingebunden. Lars O. Larsson (Kiel) unterschied dabei die anlaßgebundene und die ständige höfische Repräsentation als kulturelle Kommunikation in Wien unter Maximilian II. und in Prag unter Rudolf II. Am Beispiel Anna Jagiellonkas (15231596) differenzierte auch Andrea Langer (Leipzig) die Residenzfunktionen in Polen, wo sich Ujazdów bei Warschau zum Witwensitz und zur Nebenresidenz entwickelte, Krakau jedoch weiterhin Mittelpunkt der höfischen Repräsentation und des kunstbezogenen Engagements Annas blieb.
Leider blieb die kirchliche Zentralität, die kirchenpolitische Vernetzung und die Bedeutung der Metropolen für die Ausbreitung und Durchsetzung reformatorischer Bewegungen oder der Rekatholisierung ein zwar in einigen Vorträgen angesprochener Faktor, konnte jedoch nicht mit einem eigenen Beitrag systematisch analysiert werden. Diese Lücke soll im Tagungsband geschlossen werden, der in der Institutsreihe "Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa" beim Franz Steiner Verlag Stuttgart erscheinen wird. Somit dürfte die Tagung einen Beitrag zur nuancierten Betrachtung der Funktion von Metropolen in Ostmitteleuropa geleistet haben, die besonders durch den vergleichenden Ansatz deutlich wird.
Karen Lambrecht (Leipzig)
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