In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut in Rom veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft fuer die neueste Geschichte Italiens vom 2. bis 4.Oktober 1997 in Koeln ihre 10. Arbeitstagung. Das Rahmenthema lautete ,Staat und Kirche in Italien vom Risorgimento zum Faschismus". Die Tagung wurde von Wolfgang Schieder (Koeln) und Jens Petersen (Rom) geleitet. Ihre Finanzierung uebernahmen die Gerda-Henkel-Stiftung und das Deutsche Historische Institut in Rom. Das Thema ,Staat und Kirche" ist fuer die Geschichte Italiens im 19. und 20. Jahrhundert so zentral wie kaum ein anderes. In keinem europaeischen Land waren innere wie aeussere Nationalstaatsgruendung so eng mit der Kirchenfrage verbunden wie in Italien. Man kann im Hinblick auf die gegen die katholische Kirche durchzusetzende Nationalstaatsgruendung geradezu von einem historischen Sonderweg Italiens sprechen. Zentrale Probleme der italienischen Geschichte vom Risorgimento bis zur Krise des liberalen Staates nach dem Ersten Weltkrieg ergaben sich aus der nicht bewaeltigten Integration der Katholiken in den nationalen Staat. In Deutschland wie in Italien gibt es seit einiger Zeit eine rege kirchen- und religionsgeschichtliche Forschung, die auch auf neuere sozial- und kulturhistorische Ansaetze zurueckgreift.
Die Tagung bot daher die Gelegenheit, die unterschiedlichen Forschungstraditionen beider Laender zu vergleichen und methodische Fragen einer modernen Kirchen- und Religionsgeschichte zu diskutieren.
Francesco Traniello (Turin) gab in seinem einleitenden Vortrag ueber ,Cultura cattolica e movimento cattolico in Italia" einen breiten UEberblick ueber die Entwicklung der katholi-schen Bewegung im 19. Jahrhundert. Deren Geschichte darf nach Traniello nicht allein auf den Konflikt zwischen liberalem Staat und katholischer Kirche reduziert werden. Denn zum einen habe es schon fruehzeitig eine starke liberale Stroemung innerhalb des Katholizismus gegeben, die nicht einfach die alten Rechte der katholischen Kirche restaurieren wollte, sondern auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Folgen der Modernisierung gedraengt habe. Ihr Ziel bestand in der Neuordnung der Gesellschaft auf der Basis der katholischen Soziallehre. Zum anderen sei der Liberalismus in Italien nicht grundsaetzlich antikatholisch eingestellt gewesen. Viele liberale Politiker, vor allem aus dem rechten Spektrum, plaedierten fuer eine Trennung von Staat und Kirche, ohne die zentrale Bedeutung der katholischen Religion in Frage zu stellen. Keineswegs wurde eine ,Privatisierung" der Religion angestrebt, mit der die katholische Kirche anderen Religionsgemeinschaften gleichgeordnet worden waere. Erst mit der Regierungsuebernahme durch die ,sinistra storica" im Jahre 1876 verschaerften sich die Beziehungen zwischen liberalem Staat und Katholiken, so dass eine Verstaendigung fuer lange Zeit unmoeglich blieb.
Nach dem einleitenden UEberblick Traniellos referierte Lutz Klinkhammer (Koeln/Muenchen) ueber ,Religion und Staat in Norditalien zur napoleonischen Zeit". Die Kirchenpolitik Napoleons besass nach Klinkhammer rein instrumentellen Charakter und diente der inneren Machtkonsolidierung im franzoesischen Herrschaftsbereich. Dazu gehoerte die organisatorische Neuordnung der Kirche, die in das buerokra-tische System des napoleonischen Staates eingegliedert wurde. Besonders die durch Napoleon ernannten Bischoefe uebten eine wichtige Funktion bei der Disziplinierung der Bevoelkerung und bei der Durch-setzung staatlicher Kontrolle aus. Allerdings betonte Klinkhammer, dass bei dem derzeitigen Forschungsstand kaum beurteilt werden kann, wie stark sich diese Disziplinierungsmassnahmen in der Alltagspraxis durchsetzen liessen. So fuehrte das Verbot unkontrollierter Froemmigkeit wahrscheinlich nur zu einer oberflaechlichen Unterdrueckung der in Norditalien weit verbreiteten Volksreligiositaet. Schliesslich hob Klinkhammer hervor, dass besonders die staatliche Bischofsinvestitur erhebliche Widerstaende nicht nur des Papstes, sondern auch der Bischoefe selbst hervorgerufen habe. Diese Abwehrfront habe indirekt zu einer Staerkung des Papsttums nach dem Ende der napoleonischen Zeit gefuehrt.
Gabriele B. Clemens (Trier/Koeln) sprach ueber die ,Kulturpolitik des Kirchenstaates im 19. Jahrhundert". Am Beispiel der geschichtswissenschaftlichen Forschung zeigte sie, wie stark das roemische Kulturleben von oben kontrolliert und in den Dienst der Kirche gestellt wurde. Unter Papst Pius IX. wurden vorwiegend Untersuchungen zur fruehchristlichen Zeit gefoerdert. Sie sollten zu einer Legitimierung der paepstlichen Herrschaft beitragen. Eine offensivere Strategie verfolgte Leo XIII. Durch die OEffnung der vatikanischen Archive und die Einrichtung einer Kardinalskommission fuer die historische Forschung wollte er den antipaepstlichen und laizistischen Tendenzen der italienischen Geschichtsforschung entgegentreten. Auch auf die kulturellen Vereinigungen uebte die Kirche starken Einfluss aus. Sieht man von wenigen Salons ab, so hat in Rom bis 1870 de facto kein freies Vereinswesen existiert. Die wissenschaftlichen und kuenstlerischen Akademien wurden weitgehend von der Kirche kontrolliert. Verglichen mit anderen italienischen Staedten war die roemische Vereinskultur im 19. Jahrhundert daher ausserordentlich rueckstaendig.
Auf die partielle Reformfaehigkeit katholischer Politik verwies dagegen Gerhard Kuck (Rom) in seinem Vortrag ,Die Stellung des politischen Katholizismus zur Fuersorge- und Sozialpolitik im liberalen Italien (1870-1919)". Wie Kuck darlegte, wurde die Sozialgesetzgebung des liberalen Staates von katholischer Seite zunaechst skeptisch bewertet, sah man hier doch ein klassisches Betaetigungsfeld der kirchlichen Caritas. Allerdings gab es von Anfang an auch in katholischen Kreisen Stimmen, die eine staatliche Verantwortung im Sozialwesen nicht grundsaetzlich ablehnten, so etwa innerhalb der ,Opera dei Congressi". Spaetestens seit der Jahrhundertwende erhielt diese reformbereite Stroemung weiteren Aufwind. Dies hing zum einen mit der Verschaerfung der sozialen Probleme und dem Erstarkender sozialistischen Arbeiterbewegung zusammen. Hier wurde deutlich, dass die traditionellen Formen karitativer Armenfuersorge nicht mehr ausreichten. Zum anderen ist eine zunehmende Bereitschaft zur politischen Partizipation des Katholizismus zu beobachten, etwa durch die seit 1904 im Parlament vertretenen katholischen Abgeordneten. Die Sozialpolitik war somit, so die These von Kuck, ein wichtiger Bereich fuer die langsame Integration der Katholiken in den liberalen Staat.
Die Rolle des Papsttums in der italienischen Geschichte seit Mitte des 19. Jahrhunderts unter-suchte Giorgio Rumi (Mailand) in seinem Beitrag ,Il ruolo del Papato nell'Italia unita". Er wies auf den Bruch zwischen Papsttum und liberaler Nationalbewegung seit 1848 hin, der sich mit der Nationalstaatsgruendung weiter vertieft habe. Waehrend des Ersten Weltkrieges habe sich das Verhaeltnis zwischen italie-nischem Staat und Papsttum entscheidend gewandelt. Vor allem nach der Niederlage von Caporetto sei es zu einer Art von nationalem Schulterschluss gekommen, was sich nicht nur in der Regierungsbeteiligung der Katholiken, sondern auch in den schon kurz nach Kriegsende begonnenen Konkordatsverhandlungen aeusserte. Das Verhaeltnis der Kirche zum faschistischen Staat war nach Rumi hingegen rein instrumenteller Natur. Der Faschismus sei als ein kathartisches UEbel betrachtet worden, das mit den Gegnern der katholischen Kirche - Liberale, Sozialisten, Freimaurer - aufgeraeumt habe. Rumi betonte, dass die katholische Kirche zwar mit dem faschistischen Staat kooperiert habe, spaeter aber zunehmend auf Distanz gegangen sei. Er verwies vor allem auf die Papstenzyklika ,Mit brennender Sorge" von 1937 und die Kritik an der Buendnispolitik mit dem nationalsozialistischen Deutschland. In der Phase des Zusammenbruchs von 1945, so Rumis provozierende These, stellten Papst und Klerus die einzige politische und moralische Autoritaet in Italien dar.
UEber das Thema ,Der Papst und seine Katholiken. Die Europaeische Dimension der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat in Italien im 19. Jahrhundert" referierte Martin Papenheim (Ratingen/Augsburg). Er ging dabei vor allem auf den Papstkult ein, der im 19. Jahrhundert eine voellig neue Dimension entfaltete. Nicht nur innerhalb der katholischen Kirchenhierarchie, sondern auch fuer die ,einfachen Glaeubigen" wurde der Papst seit 1800 zum zentralen Bezugspunkt. Dies zeige bereits eine erste Durchsicht der vatikanischen Archive sowie die vor kurzem editierten franzoesischen Papstadressen aus den Jahren 1846 bis 1878. UEber den Papst als Integrationsfigur gelang die Mobilisierung breiter Schichten des Katholizismus, wobei sich dieser Personenkult moderner Techniken bediente, in seiner Stossrichtung freilich antimodern war. Papenheim sprach sogar von dem ersten modernen ,Fuehrerkult", der sich von den Fuehrerkulten des 20. Jahrhunderts freilich in vielen Punkten unterscheide.
Otto Weiss (Rom) berichtete ueber ,Liberale Katholiken im italienischen Nationalstaat in der zweiten Haelfte des 19. Jahrhunderts". Wie bereits Traniello in seinem Einleitungsreferat wies auch Weiss darauf hin, dass es in Italien stets eine starke liberale Stroemung innerhalb des Katholizismus gegeben habe. Ihr waren vor allem zahlreiche katholische Intellektuelle und Teile des nord- und mittelitalienischen Klerus zuzuordnen. In Sueditalien und in der roemischen Kurie konnten liberale Ideen hingegen kaum Fuss fassen. Die liberalen Katholiken stellten innerhalb des Katholizismus zahlenmaessig eine Minderheit dar, sie waren ueberdies in verschiedene Richtungen gespalten. Weiss unterschied zwischen einem romantischen, einem ,jansenistisch"-religioesen und einem wissenschaftlich-aufgeklaerten liberalen Katholizismus. Der intellektuelle Charakter und die innere Heterogenitaet hatten zur Folge, dass sich nie ein spezifisch liberalkatholisches Sozialmilieu herausbildete. Dies erklaert auch die geringe Durchsetzungsfaehigkeit gegenueber den integralistischen Stroemungen des Katholizismus in Italien.
Die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Faschismus werden nach wie vor kontrovers diskutiert, wie Giovanni Miccoli (Triest) in seinem Vortrag ueber ,L'Italia cattolica e il fascismo" betonte. Eine abschliessende historische Bewertung dieses Themas ist vorerst kaum moeglich, da die vatikanischen Archive fuer die Zeit nach 1922 verschlossen sind. Miccoli wies darauf hin, dass sich die katholische Kir-che in Italien sehr viel staerker an das faschisti-sche Regime angenaehert habe als dies im nationalsozialistischen Deutschland der Fall gewesen sei. Dies hing natuerlich mit der von Mussolini gewuenschten Aussoehnung zwischen Staat und katholischer Kirche zusammen, die mit den Lateranvertraegen von 1929 ihren Hoehepunkt fand. Die Kooperation beruhte aber auch auf gemeinsamen Interessen und politisch-ideologischen Wertvorstellungen. Dazu gehoerte die Ablehnung des liberalen Staates, der Antimarxismus, besonders aber die grundsaetzliche Anerkennung der Religion durch Mussolini. Zugleich gab es aber auch Konflikte und konkurrierende Ansprueche, etwa auf dem Gebiet der Schulerziehung oder der Jugendorganisationen. Diese Konflikte, so betonte Miccoli, fuehrten aber ebensowenig zu einem Bruch wie die faschistischen Rassegesetze aus dem Jahre 1938. Auf Distanz ging die Kirche erst seit Ende 1941, als sich eine Niederlage Italiens im Krieg abzuzeichnen begann und die faschistische Partei heftige antikatholische Polemiken lancierte.
Wie stark ethnische und nationale Konflikte mit kirchlich-religioesen Fragen verwoben waren, zeigte Rolf Woersdoerfer (Darmstadt) in seinem Referat ,'In Italien darf nur italienisch gebetet werden' - Kirche und Nation an der nordoestlichen Adria". Die meisten Bistuemer an der nordoestlichen Adria zeichneten sich durch eine hoechst komplexe ethnisch-nationale Gemengelage aus (Italiener, Friulaner, Slowenen, Kroaten), was seit dem Risorgimento immer wieder zu Konflikten - etwa in der Sprachenfrage - fuehrte. Auch auf religioesem Gebiet kam es zu einer zunehmenden Abgrenzung. Waehrend die katholische Kirche fuer den slawischen Nationalis-mus eine wichtige Integrationsfunktion besass, entstand auf italienischer Seite bald das negative Stereotyp des ,slawischen Priesters". Welche Sprengkraft diese ethnisch-religioesen Konflikte zwischen slawischen und italienischen Bevoelkerungsgruppen besassen, wurde nach dem Ersten Weltkrieg deutlich, als Triest zu einem Haupt-zentrum der militanten faschistischen Bewegung wurde. Der Terror des faschistischen Squadrismus richtete sich auch gegen den kroatischen und slowenischen Klerus. Auch die von Mussolini nach 1922 forcierte Italianisierung setzte bei der Kirche an, etwa durch die Abschaffung des slawischen Religionsunterrichtes oder die Entlassung slawischer Bischoefe. Nach Woersdoerfer erwies sich die italienische Assimilationspolitik allerdings am Ende als Misserfolg.
Abschliessend berichtete Hartmut Benz (Bonn) ueber ,Vatikanstaat und Heiliger Stuhl als Wirtschaftsfaktor in Italien", wobei er der Finanzpolitik besondere Aufmerksamkeit widmete. Im Lateranvertrag von 1929 uebertrug der italienische Staat dem Vatikan einen Betrag von umgerechnet 81 Mill. Dollar - fuer damalige Verhaeltnisse eine grosse Summe, die vor allem in auslaendische Aktien und Devisen investiert wurde, aber auch in Firmenbeteiligungen innerhalb Italiens. Unter der Leitung von Bernardino Nogara, ehemals Direktor der Banca Commerciale in Istanbul, wurde das Finanzsystem des Vatikanstaates somit schnell in die italienischen und internationalen Finanzmaerkte integriert. Allerdings hat es eine moderne Finanzbuerokratie mit entsprechenden Kontrollmechanismen nie gegeben, was spaetere Verwicklungen des Vatikans in Finanzskandale zu erklaeren vermag.
Alexander Nuetzenadel, Koeln
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