Zukunft ausstellen: Expo, 7 Huegel und Millennium Dome Bericht ueber den Workshop des Ulmer Vereins und des Hermann von Helmholtz-Zentrums fuer Kulturtechnik am 28. Oktober 2000 an der Humboldt-Universitaet zu Berlin
Die zentralen Millenniumsausstellungen in Hannover, Berlin und London markieren einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Mediums Ausstellung. Mit einer bisher nicht dagewesenen Fuelle multisensueller Reize versuchen sie sich in der Medienkonkurrenz der Kommunikationsgesellschaft zu behaupten. Diesem Paradigmenwechsel in der Praesentationsaesthetik galt der inzwischen dritte Workshop des Ulmer Vereins zur Analyse aktueller Ausstellungen (vgl. kritische berichte 3/99, S. 76-80, sowie kritische berichte 1/00, S. 76-82), der dieses Mal als ganztaegige Veranstaltung und in Zusammenarbeit mit dem Hermann von Helmholtz-Zentrum fuer Kulturtechnik an der Humboldt-Universitaet zu Berlin stattfand. Ziel der Veranstaltung war es, die medialen Strategien dieser Inszenierungen von "Zukunft" zu analysieren und zu fragen, welches Bild vom 21. Jahrhundert hier mit welchen Mitteln entworfen wird.
Die Themenparks der Expo, die Sieben Huegel und der Millennium-Dome boten auf sehr verschiedene Weise Anlass zur Frage nach den semantischen Mustern und Zeitmodellen mit denen hier Horizonte des Kuenftigen entworfen und mit hohem aesthetischem Aufwand in Szene gesetzt wurden. Geschichtstheoretische Aspekte, deren Inszenierungen im Medium Ausstellung bereits in den ersten beiden Treffen leitende Themen waren, bildeten daher den Rahmen fuer die Diskussion. Der globale Grabungsschauplatz wie er uns im Expo-Themenpark "Das 21.Jahrhundert" entgegentritt, verlegt die nahe Zukunft in den Modus der Vergangenheit. Robert Felfe (Berlin) wies in der Einfuehrung darauf hin, dass die Ausgrabung als Technik human- und naturwissenschaftlicher Forschung bereits aus ihrer Geschichte heraus metaphorisch bzw. symbolisch aufgeladen sei: als Vorgang des Erinnerns, der Wiedergeburt und des (Rueck)- Gewinns von Zeugnissen der Geschichte aus den verborgenen Tiefen der Erde. Die ausgegrabene Zukunft in der Ausstellungsinszenierung versetze die BesucherInnen in die imaginaere Position derer, die die bevorstehenden Jahrzehnte mit all ihren in der Ausstellung benannten Problemen ueberlebt haben und angesichts der archaeologischen "Funde" auf der Haben-Seite geschichtlichen Wissens verbuchen koennen. Joern Ahrens (Berlin) machte in den Themenparks der Expo einen durchgaengig theologischen Zug aus. Vor dem Hintergrund christlicher Parusie- und Erloesungserwartungen entwickelte er eine grundlegende Kritik an der Ausstellung. Die hier evozierte "Totalitaet des Realen" entfalte in der ebenso konkreten wie suggestiven Verraeumlichung der Zukunft eine normative Kraft wodurch die Moeglichkeiten und Latenz von Kuenftigem in eine schicksalhafte Bestimmtheit transformiert wuerden. Die anschliessende Diskussion liess die Problematik einer derartig weitreichenden und abstrahierenden kritischen Reflexion des Mediums Ausstellung deutlich hervortreten, da sie Gefahr laeuft, selbst Nuancen und Deutungsspielraeume in den konkreten Ausstellungsinszenierungen zu negieren. In dem Vortrag des Historikers Christian Holtorf (Dresden) zum "Millennium Dome" in London wurden hingegen gerade Ambivalenzen betont. Zwar sei auch hier die Architektur in ihrer Gestalt und Umgebung mit schoepfungs- bzw. heilsgeschichtlichen Zuegen aufgeladen und die Lage in Greenwich, auf dem Null-Meridian der Erde, platziere die Ausstellung an markanter Stelle im technischen System geokosmischer Zeitrechnung, die die gewaltige Zeltkuppel wie eine neue Welt oder die Sonne selbst ueber der Themse aufgehen lasse. Der Parcours durch die Ausstellung setze diesen Modellen einer linearen Zeitperspektive jedoch zyklische Ablaeufe und Zeitkonzepte entgegen. Das Ausststellungsgebaeude funktioniere als monumentaler Uebergangsritus, der mit seiner Rueckbesinnung auf humane Ressourcen die Voraussetzung fuer soziale Zukunft sichern solle.
Mit einem Beitrag aus ihrer aktuellen Forschungsarbeit zur "Praesentationsaesthetik kulturhistorischer Ausstellungen" lieferte die Historikerin Bettina Drescher (Graz) eine begriffliche Grundlage fuer die detaillierte Auseinandersetzung mit komplexen Ausstellungsszenarien und deren einzelnen Gestaltungselementen. In Anknuepfung an theater- und filmtheoretische Diskurse ist die "Szenographie" zu einem Schluesselbegriff fuer Konzepte und Phaenomene juengster Ausstellungspraxis aufgestiegen, mit dem ein gravierender Wandel des Wahrnehmungsverhaltens einhergeht. So wuerden in Bereichen der Expo-Themenparks wie "Wissen", "Zukunft der Arbeit" und "Gesundheit" Ausstellungsraeume zu bildlichen Einheiten verdichtet, die ein emotionales Begreifen ermoeglichen sollen, wozu man sich Mitteln des Cinematographischen sowie des Performativen bediene. Die Ausstellung "7 Huegel" setze auf aehnliche Strategien, die das einzelne Objekt als Bedeutungstraeger der Gesamtinszenierung unterordne, fuehre dem Publikum dabei jedoch gleichzeitig die Grenzen seiner Dekodierungskompetenzen vor Augen. In Bereichen wie "kern" oder "zivilisation" scheine die Zusammenstellung der Objekte in ihrem Ueberangebot leichtverstaendliche Botschaften bewusst zu verunmoeglichen. Das fragmentierende Arrangement erklaere dabei ein "zappendes" Rezeptionsverhalten der BesucherInnen zur Pflicht. Sinnvolles Korrektiv fuer die kategorialen Einordnungsversuche war die Annaeherung an verschiedene Ausstellungsbereiche aus der Macher- sowie aus der Besucherperspektive durch Ralf Buelow (Berlin), den Kurator der Abteilung "weltraum" in den 7 Huegeln und Barbara Hentschel (Berlin), die ihre Eindruecke in den der Thematik von Umwelt und Mobilitaet gewidmeten Bereichen der Expo und des Millennium Dome beschrieb. Peter Feists (Berlin) polemischer Einwand gegen die entwertende Integration von Kunstwerken in den Raumszenarien der 7 Huegel forcierte eine kontroverse Diskussion ueber die semantische Eigenwertigkeit von Objekten. Waehrend auf der einen Seite eine Desemantisierung des einzelnen Exponats durch die Inszenierungspraxis zeitgenoessischer Ausstellungen beklagt wurde, wurde von anderer Seite die dieser Kritik zugrunde gelegte Annahme, dass Objekte, seien es Kunstwerke, technische Instrumente oder Naturalien, ueberhaupt eine fuer sich sprechende Bedeutung verbuergen, generell in Frage gestellt.
Dass Bildsprache und Aesthetik der neuen Medien die Gestaltung der besprochenen Ausstellungen nicht allein praegen, sondern ihr verstaerkter Einsatz auch dazu fuehren kann mediale Unterschiede zu nivellieren, machte Rosmarie Beier-de Haan (Berlin) am Beispiel der Expo-Themenparks deutlich. Filmsequenzen suggerierten ein Naehe zum wahren Leben. Die ueberwaeltigenden Bilderfluten fuehrten ihrer Meinung nach zu einer Einebnung und Verschmelzung der Bedeutungstraeger, die nicht zuletzt eine Entpolitisierung des Gezeigten befoerderten und damit ihren Beitrag zu einer fragwuerdigen "Konsenskultur" leisteten. Die Frage, ob damit der Kommunikationscharakter der Medien nicht ad absurdum gefuehrt werde, liess in der Diskussion ein grundlegendes Paradox erkennen. Gerade der Wunsch nach Grenzenlosigkeit, das Bemuehen durch eine multimediale Ausstellungsinszenierung Fenster zur Welt zu oeffnen, fuehrt um so staerker zu einer raeumlichen Abschottung und laesst die Raeume zu einer Binnenwelt illusionistischer Effekte werden. Der Einsatz neuer Darstellungsmedien fuehrt dabei zwangslaeufig auch zu einer Verlagerung der fuer die Gestaltung von Ausstellungen entscheidenden Kompetenzen. Karl Karau (Berlin), der als Architekt der Firma TRIAD den von ihm entworfenen "Planet m" vorstellte, repraesentierte damit auch ein neues Berufsbild, dessen Vertreter es verstehen, sich sowohl auf dem finanztraechtigen Gebiet der Unternehmenskommunikation als auch bei der Erarbeitung kulturhistorischer Ausstellungen zu betaetigen, und auf diese Weise beide nachhaltig umformen. Damit wurde eine Frage aufgeworfen, die ins Zentrum auch der berufspolitischen Aktivitaeten des Ulmer Vereins trifft. Es ist keineswegs selbstverstaendlich, dass es auch in Zukunft KunsthistorikerInnen - als Fachleute der Geschichte des Visuellen sein - werden, die in diesem Uebersetzungsprozess zwischen Ausstellung und Betrachtern moderieren. Um so wichtiger erscheint es, spezifisch kunsthistorische Kompetenzen in sich neu entwickelnde Formen der Kooperation bei Planung und Organisierung von Ausstellungsprojekten einzubringen.
Zum Abschluss der Veranstaltung praesentierte Anita Stegmaier (Berlin) das Konzept der geplanten Ausstellung "theatrum naturae et artis", deren objektzentrierte Darbietung der Sammlungsbestaende der Humboldt- Universitaet als eine Art Gegenreaktion zum "Inszenierungswahn" der Millenniumsausstellungen verstanden werden koennte. Die Ausstellungsleiterin betonte jedoch, dass es sich bei der Praesentation einer historisch gewachsenen Sammlung von vornherein um eine andere Aufgabe handele. Die Auswirkungen der besprochenen Grossausstellungen auf Gestaltungsfragen sowie Gestaltergruppen im Ausstellungsbetrieb bleiben abzuwarten. Diesen und anderen Fragen wird sich der Arbeitskreis, der sich in diesen und den vergangenen Workshops zusammengefunden hat, auch weiterhin widmen. Fuer das Fruehjahr 2001 ist ein Treffen in Wolfsburg geplant, bei dem das Zusammenspiel von Autostadt, Kunstmuseum und Science- Zentrum thematisiert werden soll. Informationen und Termine werden auf der Internetseite des Ulmer Vereins bekannt gegeben. Interessierte sind jederzeit herzlich willkommen.
Robert Felfe und Godehard Janzing
Naeheres zum Projekt unter: http://www.ulmer-verein.de/ausstellung.htm
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