Aloys Hirt (1759-1837) war - als Initiator des ersten oeffentlichen Museums in Berlin, als kuenstlerischer Berater fuer die Ausstattung der koeniglichen Schloesser, als Mitglied der Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Kuenste und der Bauakademie und schliesslich als Mitbegruender der Berliner Universitaet im Jahre 1810 - eine Schluesselfigur in der Berliner Kulturgeschichte um 1800. Aus Gruenden, die in den einzelnen Vortraegen immer wieder zur Sprache kamen, buesste Hirt noch zu Lebzeiten einen Teil seines Ruhms ein und geriet deswegen nach seinem Tod schnell in Vergessenheit. Die Tagung diente deswegen der "Wiederentdeckung" Hirts und seines ebenso umfangreichen wie vielfaeltigen Werks. An der Entdeckung beteiligt waren Kunsthistoriker, Archaeologen und Literaturwissenschaftler.
Auf eine Begruessung und allgemeine Einleitung durch Conrad Wiedemann und Claudia Sedlarz (Berlin) folgte der erste Vortrag von Beatrice Scherzer (Huefingen) ueber die Herkunft und Ausbildung Hirts. Der Sohn reicher Schwarzwaelder Bauern erhielt auf verschiedenen Gymnasien und Universitaeten (Freiburg/Brsg., Nancy, Wien) eine Ausbildung in klassischen Sprachen und den Rechtswissenschaften. Verwiesen wurde auf die Zugehoerigkeit der Region zu Vorderoesterreich, diskutiert wurden in diesem Zusammenhang konfessionelle Fragen: sein katholisches Bekenntnis erleichterte Hirt seine Integration in Rom. Hirt hielt auch spaeter die Verbindung zu seinem Heimatort: als in dessen unmittelbarer Naehe seit 1817 eine provinzialroemische Badeanlage entdeckt und ergraben wurde, gab Hirt brieflich Ratschlaege zum Verfahren der Grabungen.
Chronologisch anschliessend behandelte der Beitrag von Adelheid Mueller (Berlin) die "Cicerone"-Taetigkeit Hirts in Rom. Das Ciceroniat, durch Winckelmann geadelt, war u.a. eine Moeglichkeit, Kontakte zu potentiellen Goennern zu knuepfen. Mueller rekonstruierte aus zahlreichen Reisetagebuechern und Aufzeichnungen der "Kunden" Hirts den ueblichen Ablauf eines normalerweise achtwoechigen "Cursus" des gefragten Cicerone. Weiterhin ging sie auf die Rolle Hirts innerhalb der roemischen Kolonie deutschsprachiger Kuenstler und Kunstgelehrter ein, und auf seine Taetigkeit als Vermittler von Kunstkaeufen, und Anfertiger von Expertisen zu antiken Fundstuecken.
Harald Tausch (Giessen) beschaeftigte sich mit dem zentralen Begriff der von Hirt entworfenen Aesthetik: dem Charakteristischen. Die wohlwollend kritische Rezeption dieses Konzept fand zuerst in Weimar statt - obwohl dort ganz andere Meinungen vertreten wurden. Fuer Hirt sollte nicht das Ideale, sondern das Individuelle der Hauptgrundsatz des Kunstschoenen sein. Entwickelt hatte Hirt das Konzept an der Laokoongruppe: im ungemilderten Affektausdruck in der Darstellung des leidenden Koerpers des Laokoon sah er Naturnachahmung als einpraegsame Nachahmung des Lebendigen vorbildlich verwirklicht. Daraus leitete er normative Kriterien zur Beurteilung von Kunst ab, die in seinen fruehen, noch in Rom verfassten Kunstkritiken auch zur Beschreibung von Malerei angewendet hatte, und die er noch Jahrzehnte spaeter unveraendert vertrat.
Elsa van Wezel (Berlin, Amsterdam) behandelte diejenige Leistung Hirts mit der groessten Nachwirkung: die Konzeption eines Museums in Berlin, in dem die koeniglichen Sammlungen, mit dem Ziel, die historische Abfolge der Entwicklung der Kunstgeschichte sichtbar zu machen, ausgestellt werden sollten. Hirts Vorstellung einer Entwicklung der Kuenste folgte allerdings noch dem Schema von Wachstum, Bluete und Verfall. Durch politische Umstaende (vor allem durch die von Napoleon veranlasste zeitweise Verschleppung der Kunstwerke nach Paris) verzoegerte sich die Einrichtung des Museums um fast drei Jahrzehnte. Das gab Hirt die Moeglichkeit, mehrere Entwuerfe auszuarbeiten, die Wezel vergleichend vorstellte. Sie zeigte auch, warum am Ende keines dieser Konzepte sich verwirklicht wurde: weil sich mit den Plaenen Schinkels, Waagens und Rumohrs ein historisches Denken durchsetzte, das mit Hirts obsoleter Einstellung nicht mehr zu vermitteln war. Dieser Dissens war auch Thema des Vortrags von Beate Schroedter (Berlin) ueber den Methodenstreit, den der gealterte Hirt mit zwei Vertretern der juengeren Kunsthistorikergeneration, Carl Friedrich von Rumohr und Gustav Friedrich Waagen polemisch ausfocht. Er entbrannte als Folge einer Rezension Hirts von Rumohrs "Italienischen Forschungen.", in der die Kompetenz Rumohrs als Kunstkenner und damit seine Mitarbeit an der Einrichtung der Gemaeldegalerie in Frage gestellt wurde. In einer Verteidigungsschrift fuer seinen Kollegen warf Waagen im Gegenzug Hirt schwere Zuschreibungsfehler vor, darueber hinaus wurden seine inzwischen ueberholten klassizistisch gepraegten, normativen Bewertungskriterien fuer Kunst einer Kritik unterzogen. Hirt antwortete in einer weiteren Schrift, die massive Kritik an ihm - wenngleich keineswegs in allen Punkten berechtigt, wie Schroedter zeigte - fuehrte aber zu seinem Ruecktritt aus der Museumskommission. Dass die altertumskundlichen Kenntnisse des Hofrats Hirt auch in nichtwissenschaftlichen Bereichen gefragt waren, zeigte Claudia Sedlarz (Berlin). Sie stellte Hirts Inszenierung eines Balletts vor, das anlaesslich einer Hochzeitsfeier am Berliner Hof aufgefuehrt wurde. Die komplizierte und anspielungsreiche Ikonographie, die unter dem Titel "Die Weihe des Eros Uranios" auf die Vermaehlung von Amor und Psyche anspielte, sah als Assistenzfiguren u.a. "Hierodulen" - Tempeldiener und -dienerinnen vor. Hirt hatte zwar in einer Abhandlung fuer die Akademie der Wissenschaften den Amor und Psyche-Stoff als metaphorische Verbildlichung der gelaeuterten Liebe interpretiert. Es wurde ihm aber von einem anonymen Kritiker vorgeworfen, ignoriert zu haben, dass "Hierodulen" eigentlich heilige Prostitution betrieben haetten. Hirt versuchte mit einiger Anstrengung und der Unterstuetzung befreundeter Altertumskenner diese Behauptung zu entkraeften, schliesslich richtete sich die Kritik indirekt gegen die Auffuehrenden, naemlich Angehoerige des preussischen Hochadels.
Der zweite Tag der Konferenz war Hirts Taetigkeit als Archaeologe und als an der Antike geschulter Architekturtheoretiker gewidmet - und das heisst vor allem der Auseinandersetzung mit dem beruehmtesten seiner ehemaligen Studenten an der Bauakademie: mit Friedrich Schinkel. Adolf Borbein (Berlin) unternahm es, Hirts Position in der Geschichte der Archaeologie anzugeben. Hirt, der sich waehrend seines 14jaehrigen Romaufenthalts autodidaktisch eine in Berlin von niemandem uebertroffende Denkmaelerkenntnis aneignete, erhielt den ersten Lehrstuhl fuer Archaeologie an der neugegruendeten Berliner Universitaet. Hirts stetes Interesse an der Autopsie der Originale fuehrte ihn dabei auf fortschrittliche Fragestellungen, als sie sonst im Rahmen des am Anfang des 19. Jahrhunderts noch weitgehend als Unterabteilung der Altphilologie betriebenen Faches ueblich waren. Gezeigt wurde das u.a. an Hirts Ideen zur Rekonstruktion des Parthenon-Frieses, seinen Vorschlaegen zur Erforschung eines auf der Berliner Hasenheide entdeckten Keltengrabes, oder auch seiner Diskussion der Funktion der Nacktheit in der Antiken Kunst.
Soenke Magnus Mueller (Berlin) gab eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen von Hirts umfangreichen architekturtheoretischen Werk: "Die Baukunst nach den Grundsaetzen der Alten", im Hinblick besonders auf den Vitruvianismus Hirts. Wichtig vor allem die zahlreichen Abbildungen im Werk, das sich aus den Vorlesungen Hirts an der Bauakademie entwickelt hatte und nicht zuletzt ein Vorlagen- und Musterbuch fuer Architekten und Handwerker sein sollte.
In direkter Fortfuehrung dieses Themas beschaeftigte sich Elke Katharina Wittich (Hamburg) in ihrem Vortrag -"Muster" und Abarten" der Architektur - Oder was Schinkel von Hirt lernen konnte - mit den Anregungen, die Schinkel aus diesem Werk Hirts bezog. Sie betonte das Anliegen Hirts, eine Systematik der Architekturformen - in Anlehnung an die Klassifizierungssysteme Linnés - zu liefern. Nicht die Festsetzung idealer Erscheinungsformen, sondern die Sammlung aller sich aus den Grundaufgaben architektonischer Konstruktion ergebender formaler Moeglichkeiten sollte das Werk geben. Im Vergleich der Abbildungen von Saeulen- und Kapitellformen aus dem Buch Hirts mit den gebauten Saeulen des Alten Museums konnte sie detailliert zeigen, wie genau Schinkel das Werk Hirts studiert hatte, was er daraus uebernahm und was er veraenderte.
Reinhard Wegner (Jena) fuehrte den Vergleich der architekturtheoretischen Positionen Hirts und Schinkels und ihrer unterschiedlichen Perspektiven auf die Geschichte auf einer allgemeineren Ebene weiter. Waehrend Hirt am Gedanken einer Nachahmung der vorbildlichen Antike festhielt, sah Schinkel z.B. auch in den schlichten zweckmaessigen Formen von Nutzbauten Musterhaftes. Gegen das Nachahmungspostulat wendete er sich mit der Auffassung, dass die autonome Kreativitaet des Kuenstlers, resp. Architekten neue Formen hervorzubringen vermag. Der Kuenstler allein uebernehme die Verantwortung fuer die Gestaltung seiner Werke.
Juergen Zimmer (Berlin) stellte Hirts einzigen Versuch vor, sich der Architektur nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu naehern. Gezeigt Hirts Plaene von 1821 fuer den Neubau der Kirche auf dem Friedrichswerder. Basierend auf bisher unbekannten Planungsakten im Geheimen Staatsarchiv PK und ebenfalls unveroeffentlichten Rissen im Kupferstichkabinett SPK diskutierte er das Verhaeltnis der Hirtschen Vorschlaege gegenueber den Planungen Schinkels. Hirts Vorstellungen vom Kirchenbau wurden vor dem Hintergrund seines fruehen Aufsatzes ueber die roemischen Basiliken erlaeutert, und im Kontext der Stildebatte des fruehen 19. Jahrhunderts erlaeutert.
In einer abschliessenden Diskussion wurde noch einmal die grosse und bisher zu wenig bekannte Bedeutung Hirts fuer die Kultur des Berliner Klassizismus hervorgehoben. Hirts enormer Einfluss in seinen ersten Berliner Jahren seit 1796 verdankte sich vor allem seiner genauen Kenntnis der roemischen Kunst, sowohl der antiken als auch der von den dort studierenden und lebenden Kuenstlern produzierten aktuellen Kunst. Kunst in jeglicher Form wurde im Preussen jener Zeit als gesellschaftliches Bindemittel hochgeschaetzt, und Hirt als Experte, gleichsam als Berliner Cicerone in das Reich der Kunst willkommen geheissen. Diese nahezu unangefochtene Expertenposition wurde ihm seit Ende der 1810er Jahre nach und nach streitig gemacht. Den Fortschrittstendenzen am Beginn des 19. Jahrhunderts konnte er nicht flexibel genug begegnen: der Abloesung des Klassizismus durch die Romantik, dem beginnenden Historimus und der Ausdifferenzierung und Verwissenschaftlichung der von ihm vertretenen Faecher. Die Generation seiner ersten Schueler wandte sich gegen ihn.
Spekuliert wurde immer wieder ueber Hirts Persoenlichkeit, die von seinen Zeitgenossen sehr kontrovers beurteilt wurde. Eine gewisse Lust an polemischer Auseinandersetzung stellte sich mit zunehmendem Alter ein, dabei spielte aber wahrscheinlich auch die Enttaeuschung ueber eine nachlassende Wertschaetzung seiner Person eine Rolle.
Als Desiderate wurden vermerkt: biographische Forschungen zu Hirt, ueber dessen Privatleben sehr wenig bekannt ist, waeren ebenso erwuenscht wie genauere Untersuchungen zu seiner Unterrichtstaetigkeit an den verschiedenen Institutionen, die teilweise mit seiner Beteiligung gegruendet wurden: Akademie der Kuenste, Bauakademie, Universitaet. Hirts Kontakte nach Weimar und Woerlitz muessten behandelt werden, vor allem aber seine Schriften, von denen auf der Tagung bei weitem nicht alle behandelt wurden, mehr gelesen und ausgewertet werden.
Die Tagung fand in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt. Sie wurde veranstaltet von Prof. Conrad Wiedemann, konzipiert und organisiert von Claudia Sedlarz unter Mitarbeit von Beate Schroedter.
Die Tagung wurde gefoerdert durch die Fritz Thyssen Stiftung und die baeurer AG aus dem Heimatorts Hirts, Behla.
Eine Publikation der Tagungsergebnisse ist für 2001 geplant.
Claudia Sedlarz, sedlarz@bbaw.de
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