Ergebnisse des Graduiertenkollegs "Westeuropa in vergleichender historischer Perspektive" sind soeben in einem Sammelband erschienen; vorab einige Anmerkungen zum Schwerpunkt und zur Forschungspraxis des Graduiertenkollegs:
Darf man "Aepfel und Birnen zusammenzaehlen", beide miteinander "verwechseln" - kurz: "Aepfel mit Birnen vergleichen"? (1) Der sprichwoertliche Vorbehalt gegenueber einer solchen Operation laesst bereits erkennen, dass er auf einem Vergleichsverstaendnis beruht, das "Vergleichen" tendenziell als "Gleichsetzen" betrachtet. Im alltaeglichen Sprach-Umgang besitzt daher die Art der Rede, die vor unangebrachter "Gleichmacherei" warnt, grosse Argumentationskraft. Indes haben vergleichend vorgehende Historikerinnen und Historiker laengst ein begriffliches Instrumentarium entwickelt, das die sprichwoertlichen Grenzen des "Vergleichens" hinter sich laesst. Die nunmehr allseits zu beobachtende Konjunktur der historischen Komparatistik verweist auf eine Fuelle aelterer bis neuester theoretischer Ansaetze, welche die wissenschaftliche Anwendung des Vergleichs als erkenntnisfoerdernde Methode legitimieren. (2) Seit 1991 arbeitet das Graduiertenkolleg "Westeuropa in vergleichender historischer Perspektive" an der Universitaet Trier zu komparartistischen, raumbezogenen und grenzueberschreitenden Fragestellungen der europaeischen Geschichte. Der zeitliche Rahmen der gefoerderten Dissertationen reicht von der Antike bis zur Zeitgeschichte, das Arbeitsfeld umfasst den gesamten westeuropaeischen Raum, der nach dem Konzept des Kollegs das westliche Suedeuropa miteinschliesst. Allen Arbeiten liegt eine intensive Auseinandersetzung mit dem komparatistischen Ansatz zugrunde, der aufgrund der Vielfalt der historischen Disziplinen und Epochen auf sehr unterschiedliche Weise angewandt wurde und wird. Die waehrend der zweiten Foerderungsperiode des Graduiertenkollegs (1994-1997) gefuehrten Diskussionen um das "Wie" und "Warum" des Vergleichs gaben Anlass zu einer kritischen Pruefung der theoretischen Literatur zur historischen Komparatistik. Die Variationsbreite der Fragestellungen und Forschungsansaetze, die im Kolleg vertreten sind, rueckten dabei das Problem der praktischen Anwendung in den Mittelpunkt. In dieser Hinsicht erwiesen sich solche theoretisierenden Definitionen "des" Vergleichs schnell als wenig hilfreich, die ihre Legitimation vor allem in der Abgrenzung von naheliegenden methodischen Ansaetzen suchen (etwa von der Beziehungs- und Transfergeschichte oder von raumbezogenen Studien). Die theoretischen Angebote wurden daher als - allerdings unverzichtbarer - Rahmen begriffen, den es in der vielfaeltigen Forschungspraxis auf unterschiedliche Weise zu fuellen galt. So hat sich im Kolleg die Ueberzeugung durchgesetzt, dass erst die prinzipielle Offenheit dieses theoretischen Rahmens eine gewinnbringende Auseinandersetzung mit dem Vergleich ermoeglicht und ausserdem den Vorteil bietet, eine breitere Palette seiner forschungspraktischen Umsetzung in den Blickpunkt zu ruecken, d.h. einen Vergleich des Vergleichens zuzulassen. Gegenueber den Anstrengungen zur theoretischen Fixierung eines Vergleichs "im Vollsinn" (systematischer und gleichgewichtiger Vergleich von mindestens zwei Phaenomenen in unterschiedlichen, raeumlich abgrenzbaren sozialen Umfeldern) (3) haben die Forschungen im Kolleg gezeigt, dass auch die vergleichende Beobachtung eines Phaenomens in einer Raumeinheit und zu unterschiedlichen Zeitpunkten neue Erkenntnisse hervorzubringen vermag. Ebenso kann die Betrachtung nur einer Untersuchungseinheit, bei der andere Kontexte als Hintergrundfolie ergaenzend hinzugezogen werden, unter bestimmten Forschungsbedingungen die angemessene Verwirklichung des komparatistischen Anspruchs bedeuten. Die geforderte Oeffnung des Vergleichskonzepts zielt darueber hinaus auch auf eine Ueberwindung der Fronten zwischen Vergleichender Sozialgeschichte und beziehungs- oder transfergeschichtlichen Ansaetzen sowie zwischen der vermeintlichen sozialgeschichtlichen Analytik und kulturgeschichtlichen Narrativitaet. Dass solche Abgrenzungen bekanntermassen in der neueren geschichtswissenschaftlichen Debatte wieder relativiert werden oder bereits als obsolet gelten, ist sicherlich erfreulich und vielleicht als Hinweis auf ihre auch ausserwissenschaftlichen Motive zu werten. Die hier nur knapp vorgestellten Fragen zu Theorie und Praxis des historischen Vergleichs werden ausfuehrlich vertieft in der Einleitung des von Prof. Helga Schnabel-Schuele herausgegebenen Sammelbandes des Graduiertenkollegs Trier. Die eben erschienene Publikation versammelt unterschiedliche Ansaetze zur forschungspraktischen Umsetzung des Vergleichs, deren typologische Bandbreite sich vom "ganzheitlichen" Vergleich ueber "diachrone" Vergleichsverfahren bis hin zu Arbeiten mit "komparativem Seitenblick" erstreckt. Weitere inhaltliche Kurzinformationen werden im folgenden vorgestellt.
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(1) Duden, Bd. 11: Redewendungen und sprichwoertliche Redensarten, Mannheim u.a. 1992, S. 47; Lutz Roehrich, Das grosse Lexikon der sprichwoertlichen Redensarten, Bd. 1, Freiburg u.a. 1991, S. 93.
(2) Stellvertretend fuer andere sei verwiesen auf die Einleitung von Heinz-Gerhard Haupt / Juergen Kocka, Historischer Vergleich, in: Dies. (Hg.), Geschichte und Vergleich, Frankfurt/Main-New York 1996, S. 9-45. - Thomas Welskopp, Stolpersteine auf dem Koenigsweg, in: Archiv fuer Sozialgeschichte, Bd. 35 (1995), S. 339-367. - Siehe demnaechst auch Johannes Paulmann, Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer, in: HZ.
(3) Haupt / Kocka, Vergleich (wie Anm. 2), S. 10.
- Abstract -
Der Band entstand auf Initiative der DoktorandInnen des Graduiertenkollegs "Westeuropa in vergleichender historischer Perspektive" an der Universitaet Trier und vereint zehn Beitraege, in denen die fortgeschrittenen KollegiatInnen der zweiten Foerderungsperiode (1994-1997) ihr Forschungsthema und zugleich die von ihnen bevorzugte vergleichende Methode vorstellen. Die Einleitung bietet einen Ueberblick zur gegenwaertigen Forschungsdiskussion ueber die historische Komparatistik und verknuepft deren theoretischen Ansaetze mit den praktischen Problemen ihrer Anwendung. Das Ziel aller hier versammelten Beitraege ist denn auch, in exemplarischer Weise die erkenntnisfoerdernde Anwendbarkeit der vergleichenden Methode in ihrer groesseren Bandbreite aufzuzeigen: Je nach Erkenntnisinteresse, historischer Disziplin und epochen- bzw. gegenstandsbedingter Quellenlage laesst sich der historische Vergleich systematisch und gleichgewichtig, anhand zeitlicher Querschnitte oder nur perspektivisch umsetzen. Die unterschiedlichen Vergleichsverfahren werden anhand eines thematischen Spektrums vorgestellt, das von der Zentralherrschaft im spaetroemischen Gallien (Trier im 4. Jahrhundert) ueber das Botenwesen im Heiligen Roemischen Reich (15. Jahrhundert) und den Hexenverfolgungen in der Fruehen Neuzeit (Kurtrier und Schwaebisch-Oesterreich, 16./17. Jahrhundert) bis hin zur Wirtschaftsdepression in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts (Grossbritannien und Deutschland, 1924-1933) reicht. Gegenstand der Studien sind weiterhin quantitative Verfahren der Familien- (Goebrichen in der Markgrafschaft Baden, 18. Jahrhundert) und Stadtgeschichte (Luxemburg, 19. Jahrhundert), das Problem der Zusammenarbeit mit den franzoesischen Herrschaftstraegern in den napoleonischen Satellitenstaaten (Spanien und Koenigreich Westphalen), regionale Identitaets- und Konfliktlagen im 19. und fruehen 20. Jahrhundert (Unteritalien und Sizilien, 1820/21; Elsass- Lothringen, 1857-1918) sowie die Krisenbewaeltigung in fruehindustriellen Staedten des 19. Jahrhunderts (Aachen und Barcelona, 1830-1870). Der Band wird durch ein Orts- und Personenregister erschlossen.
- Inhalt -
Helga Schnabel-Schuele
Vorwort
Orts- und Personenregister
Die Autorinnen und Autoren
- Korrespondenz/Rezensionsanfragen -
Graduiertenkolleg "Westeuropa in vergleichender historischer Perspektive" - Geschaeftsfuehrung - Universitaet Trier/ Fachbereich III 54 286 Trier T. 0651/201-2187 (Dr. Immo Meenken) T. 0651/201-2174 (Bernd Rosar)
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