ÆDie DDR - Eine moderne Diktatur? Herrschaftsstrukturen und Erfahrungsdimensionen" - unter diesem Titel stand eine Tagung des Zentrums für Zeithistorische Forschung und des Einstein Forums vom 10. bis zum 12. Dezember in Potsdam. Ziel sollte es sein, die Grundfrage nach dem Charakter des Systems auf der Basis der bisher geleisteten empirischen Arbeiten neu zu stellen und damit nach den heftigen Kontroversen der ersten Jahre nach der ÆWende" einen Beitrag zu einer sachlicheren wissenschaftlichen Diskussion zu leisten.
Um diesem Ziel näher zu kommen, wurde das Programm mit einer theoretisch-begrifflichen Teil eröffnet, auf den zwei empirisch orientierte Sektionen zu den sozialen und kulturellen Herrschaftsmechanismen folgten. Schließlich war ein Nachmittag chronologischen Perspektiven gewidmet, denn allzu leicht verfestigt sich gerade bei der Diskussion übergreifender Fragen das (falsche) Bild eines statischen Gebildes DDR.
Die Frage nach der Modernität der DDR bot reichlich Zündstoff für Diskussionen. Bereits in seinem Eröffnungsvortrag betonte Rainer M. Lepsius (Heidelberg) aus organisationssoziologischer Sicht vehement die Modernitätsblokaden der DDR-Bürokratie. Was an einem Staat modern sein solle, der das revolutionär-konspirative Prinzip leninscher Prägung mit dem Bürokratiemodell des 19. Jahrhunderts verbunden habe, könne er beim besten Willen nicht erkennen. Jürgen Kocka (FU Berlin) nahm demgegenüber den auf ihn zurückgehenden Begriff der Æmodernen Diktatur" in Schutz. Zum einen sei die DDR in einigen Bereichen (z.B. der Industrialisierung, der Verwaltung, dem Einsatz von Repressions- und Mobilisierungstechniken) durchaus vergleichsweise modern gewesen, zweitens hätten beide deutsche Diktaturen eine demokratische Vorgeschichte gehabt, die sie nicht ungeschehen machen konnten, und drittens helfe der Begriff zu differenzieren: Er verweise auf den Unterschied zwischen antiken oder anderen früheren Diktaturen und solchen des 20. Jahrhunderts. Daß die Tragfähigkeit der im Hinblick auf den Vergleich von Nationalsozialismus und DDR entwickelten Bezeichnung nicht allzu groß ist, räumte freilich auch er ein. Ähnlich umstritten war der Versuch Konrad Jarauschs (Chapel Hill/ Potsdam) mit dem Spannungsbegriff der ÆFürsorgediktatur" ein übergreifendes Etikett für eine empirische Detailforschung anzubieten, die gelegentlich Gefahr läuft, die größeren Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Bezweifelt wurde insbesondere, daß die Beschreibung der DDR als radikalisierter Wohlfahrtsstaat geeignet sei, den Charakter des Regimes insgesamt treffend zu beschreiben; vielmehr hebe sie zu stark auf nur einen Aspekt ab. Aber auch die von Jarausch und anderen formulierte Prämisse, eine wissenschaftliche Begriffsbildung müsse sich unter anderem darum bemühen, den Erfahrungen der Zeitgenossen Rechnung zu tragen, blieb in der Abschlußdiskussion nicht unwidersprochen. Peter Steinbach (FU Berlin) sah hier die Grenze zu harmonisierenden, letztlich geschichtspolitischen Betrachtungsweisen überschritten.
Die Referenten in den empirisch orientierten Sektionen bestätigten insgesamt explizit oder implizit die Bedenken gegen übergreifende Zuschreibungen, insbesondere den Modernisierungsbegriff. Ganz gleich ob im Bereich der Herrschaftspraxis, bei Versorgung und Konsum, den Rechten und beruflichen Aufstiegschancen von Frauen oder im Hinblick auf Propaganda und Agitation in den Massenmedien, praktisch überall zeigt die differenzierte Betrachtung ein vielschichtiges Bild, daß sich keineswegs einfach unter dem Etikett Æmodern" subsumieren läßt.
Letztlich fand die Beschreibung der DDR als eine auf verschiedenen Ebenen von Spannungslinien geprägte Gesellschaft, bei der nicht zuletzt der politische Homogenisierungsdruck desintegrierend gewirkt habe (Detlef Pollack, Frankfurt/ Oder), als ÆTheorie mittlerer Reichweite" bei den Teilnehmern erheblich mehr Zustimmung als die übergreifenden Etikettierungen. Und so gestand Christoph Kleßmann (Potsdam) in der Abschlußdiskussion, daß seine Vorbehalte gegen die Bezeichnung der DDR als Æmoderne Diktatur" im Verlauf der Tagung sich zu massiven Bauchschmerzen ausgeweitet hätten. Die Bedenken resultierten dabei offensichtlich auch aus der unklaren Bedeutung und positiven Konnotationen des Moderne-Begriffs. Die Bezeichnung der DDR als Diktatur war dagegen unter den anwesenden Wissenschaftlern gänzlich unumstritten.
Christoph Classen
[Die Konferenz "Die DDR - Eine moderne Diktatur?" fand Anfang Dezember 1997 im Potsdamer ZZF (Zentrum fuer Zeithistorische Forschung) statt. Der nachfolgende Bericht erscheint demnaechst auch in der Potsdamer Universitaetszeitung (PUTZ). R. Hohls]
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