"Arisierung" und Restitution. Die Rueckerstattung juedischen Eigentums in Deutschland und Oesterreich nach 1945 und 1989
Tagungsbericht von Arne Riedlinger
Vom 13. bis 15. Oktober 2000 fand in Freiburg auf Einladung von Prof. Dr. Ulrich Herbert (Freiburg) und Dr. Constantin Goschler (HU Berlin) die von Juergen Lillteicher organisierte und von der Fritz-Thyssen-Stiftung finanzierte Konferenz "'Arisierung' und Restitution. Die Rueckerstattung juedischen Eigentums in Deutschland und Oesterreich nach 1945 und 1989" statt.
Einleitend umriss Hans Guenter Hockerts (Muenchen) in seinem Vortrag "Wiedergutmachung in Deutschland. Zur Dimensionierung eines Forschungsfeldes" den Gegenstand der Tagung. Dabei hob er hervor, dass die Rueckerstattung "arisierten" juedischen Eigentums nur einen Teilbereich der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts darstellt. Er regte an, die Restitutionsprozesse in BRD, DDR, Oesterreich sowie dem vereinigten Deutschland sowohl vergleichend als auch in ihrer Beziehungsgeschichte zu untersuchen und zeigte fuenf moegliche Deutungsachsen auf:
1) als Medium fuer die Auseinandersetzung mit dem NS,
2) unter der Frage nach dem Verhaeltnis von alliiertem Druck und deutscher
Bereitschaft,
3) unter Beruecksichtigung des Ost-West-Konflikts,
4) im Hinblick auf die praktische Umsetzung und schliesslich
5) aus der Perspektive der Opfer als Erfahrungsgeschichte, ja als
"Begegnungsgeschichte" der Opfer mit den "Ariseuren" und der deutschen
Gesellschaft insgesamt.
In der anschliessenden Diskussion wurden unterschiedliche Beurteilungen des Begriffs "Wiedergutmachung" deutlich. Waehrend einige auf die Verwendung des Wortes bereits durch die Nationalsozialisten und seinen verharmlosenden Charakter hinwiesen, betonte Hockerts, dass der Begriff auch schon in den Planungen juedischer Exilanten auftauche und in den 50er Jahren nicht so sehr apologetisch, als vielmehr appellativ gebraucht worden sei.
Der erste Tagungsabschnitt nahm die "Arisierung" als Vorgeschichte der Restitution in den Blick. Frank Bajohr (Hamburg) machte deutlich, dass die "Arisierung" und Liquidation juedischen Eigentums im Altreich ein komplexer politischer und gesellschaftlicher Prozess mit vielen Beteiligten war. Aus der Sicht der Opfer stellten sie zwar nur eine Facette im Prozess der Ausgrenzung und Verfolgung dar, ihre Bedeutung ging jedoch deutlich ueber den blossen Eigentumsverlust hinaus, verbanden sich damit doch auch Einbussen symbolischen Kapitals bis hin zum Verlust der Grundlagen der Identitaetskonstruktion. Bajohr verwies auf die fast unueberwindlichen Schwierigkeiten die diese Vorgeschichte fuer eine Restitution mit sich brachte, in der die Verfolgungserfahrungen der Opfer auf rein materielle Aspekte reduziert wurden.
Bernhard Lorentz (Berlin) behandelte die Rolle der deutschen Grossbanken bei der "Arisierung". Er zeigte, dass ihnen durch ihre ausgepraegten Netzwerkbeziehungen eine zentrale Rolle bei der Vermittlung solcher Geschaefte zukam, wobei sie oft zugleich auch als Kreditgeber fuer die "Ariseure" auftraten. Der Wettbewerb unter den Banken habe zudem ein Element der weiteren Forcierung des Arisierungsgeschehens dargestellt.
Dirk Rupnow (Wien) komplettierte das Bild durch seinen Vortrag ueber die Zentralstelle fuer juedische Auswanderung und ihr "Wiener Modell" der Beraubung. Er zeigte, wie eng hier die Beraubung in den Kontext der dynamischen, sich staendig radikalisierenden NS-Judenpolitik eingebunden war, wobei staatliches Handeln und private Interessen nahtlos ineinander griffen und die Opfer in die Praxis ihrer eigenen Auspluenderung eingebunden wurden.
In seinem Kommentar charakterisierte Patrick Wagner (Freiburg) Arisierung als einen breiten gesellschaftlichen Prozess, der sich oft ueber die lokale Ebene radikalisierte. Im Hinblick auf die Tatsache, dass viele der Beteiligten nach "rationalen", betriebswirtschaftlichen Kriterien handelten, sei die Rolle antisemitischer Motive genauer zu betrachten. Unter Bezug auf Bajohrs Interpretation der "Arisierung" stellte er schliesslich die Frage, inwieweit die Restitutionsprozesse auch Auseinandersetzungen um die Rueckuebertragung symbolischen Kapitals darstellten und wie die "Ariseure" darauf reagierten.
In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es unterschiedliche Typen von "Ariseuren" gab, wobei "loyalen Ariseuren" 1969 von der Bundesrepublik fuer ihre Rueckerstattungsschaeden ein Ausgleichsanspruch an den Staat eingeraeumt wurde. Ulrich Herbert betonte, dass die "Arisierung" eine fuer den NS ansonsten untypische politische Durchbrechung von Wirtschafts- und Zivilrecht darstellte, die sich auf die propagierte Vorstellung stuetzte, es handele sich dabei gewissermassen um eine "Rueckerstattung" des von "juedischen Ausbeutern" den Deutschen geraubten Vermoegens. Indem die Restitution diese Eigentumsuebertragungen rueckgaengig machte, entzog sie dieser Legitimationsfigur die Grundlage, allerdings gegen massive innere Widerstaende, so Herbert.
Der zweite Abschnitt der Konferenz hatte die Rueckerstattung in Westdeutschland und Oesterreich zum Gegenstand. Constantin Goschler (Berlin) behandelte den Weg zu einer gesetzlichen Regelung der Rueckerstattung in der Bundesrepublik. Dabei betonte er die anfangs dominierende Rolle der Alliierten, vor allem der USA. Seit Beginn der 50er Jahre wurden die Verhandlungen jedoch zunehmend als deutsch-juedischer Juristendiskurs gefuehrt. Dieser "diskrete Politikstil" trug auch der Haltung der deutschen Gesellschaft Rechnung, die einer Rueckerstattung aus privater Hand ueberwiegend ablehnend gegenueberstand. Hintergrund dieser Ablehnung war auch ein Geschichtsbild, das den Nationalsozialismus auf eine kleine, verbrecherische Gruppe reduzierte, fuer deren Handeln allenfalls der Staat haftbar gemacht werden koenne. Fuer Goschler stellt diese Ablehnungshaltung die Rolle der Zivilgesellschaft als Instrument der Ueberwindung von Diktaturen in Frage. Eine deutliche Veraenderung in der oeffentlichen Wahrnehmung konstatierte er jedoch fuer die 80er Jahre, in denen mit der Organisation weiterer Opfergruppen ein Prozess einsetzte, den Goschler als "Viktimisierung" bezeichnete.
Juergen Lillteicher (Freiburg) beleuchtete die justitielle Aufarbeitung der "Arisierung" vor westdeutschen Gerichten von 1947-1970. Er beschrieb eine gespaltene Reaktion der deutschen Gesellschaft auf die von den Alliierten verordnete Rueckerstattung. Zwar wurden die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, die eine technische Abwicklung erlaubten, im Rahmen des zivilrechtlichen Prozesses kam es aber nicht zu einer Anerkennung der Verfolgungsgeschichte, da viele ihrer wesentlichen Elemente als nicht rechtserheblich ausgegrenzt wurden. Darueber hinaus demonstrierte Lillteicher, dass sich die Opfer in den unteren Instanzen oft mit Urteilen und Begruendungen konfrontiert sahen, die ihnen als blanker Hohn erscheinen mussten. Zu einer Gesamtbeurteilung der Restitution kann man seiner Ansicht nach also nur kommen, wenn man neben dem beachtlichen Erfolg in quantitativ-materieller Hinsicht auch die erheblichen qualitativen Defizite in den Blick nimmt. Und diese lassen sich fuer Lillteicher nur teilweise auf eine strukturelle Begrenztheit des Rechtssystems zurueckfuehren, sondern waren zu einem erheblichen Teil der mentalen Grundkonstitution der an den Prozessen beteiligten Teilen der deutschen Gesellschaft geschuldet.
Der Vortrag von Brigitte Bailer (Wien) ueber die "Rueckstellungsproblematik in Oesterreich" verdeutlichte, wie sehr die Vorstellung, das erste Opfer der nationalsozialistischen Aggressionspolitik gewesen zu sein, die Nachkriegspolitik in Oesterreich praegte und zur pauschalen Ablehnung einer Verantwortung fuer NS-Verbrechen fuehrte. Dass es schliesslich dennoch zu einer - sehr beschraenkten und buerokratisch-komplizierten - Regelung von Entschaedigungs- und Rueckstellungsfragen kam, war vor allem alliiertem Druck und aussenpolitischen Opportunitaetserwaegungen zu verdanken.
In seinem Kommentar hob Peter Steinbach (Berlin) hervor, dass die Wiedergutmachung vor allem unter dem Gesichtspunkt der postdiktatorialen Auseinandersetzung diskutiert werden muesse. Dabei schlug er eine Matrix zur systematischen Beschaeftigung mit dem Thema Rueckerstattung vor, die zugleich Moeglichkeiten des Vergleichs eroeffnen sollte. Unter diesem Gesichtspunkt stellte er auch die Frage, wieviel Restitution eine postdiktatoriale Gesellschaft ueberhaupt vertrage und wie sich die Zumutbarkeit ueber die Zeit hinweg veraendere.
Die Interpretation derjenigen Referenten, die vor allem die Maengel der Restitution im Umgang mit den Opfern betonten, blieb in der Diskussion nicht unwidersprochen. Hans Guenter Hockerts verwies auf die Natur der Rueckerstattung als gesellschaftlichem Interessenkonflikt, der nur im Rahmen der Moeglichkeiten des modernen Rechtsstaats entschieden werden konnte, auch wenn dies naturgemaess mit Maengeln und Problemen verbunden gewesen sei. Auch Constantin Goschler meinte, dass die moralischen Forderungen der individuellen Geschaedigten in durchsetzbare politische Interessen uebersetzt werden mussten, wodurch sich die Logik der Auseinandersetzung veraenderte.
Unter denjenigen, die eher die politischen, materiellen und moralischen Defizite des Prozesses hervorhoben, blieb umstritten, ob sich die Situation der Opfer im Laufe der Zeit gebessert habe. Frank Bajohr machte im Verlauf der 60er und 70er Jahre einen Bewusstseinswandel aus, der sich in Verbindung mit dem Heranwachsen einer neuen Juristengeneration bei langwierigen Verfahren positiv ausgewirkt haette. Juergen Lillteicher dagegen sah in solchen Verlaeufen vielmehr Auswirkungen des Instanzenzuges, an dessen Ende nicht mehr ein deutsches Gericht, sondern ein international besetzter Gerichtshof stand. Die Frage, ob zwischen 1947 und den 70er Jahren ein kollektiver Lernprozess im Hinblick auf den Unrechtscharakter der "Arisierung" zu konstatieren sei, beurteilte er eher skeptisch.
Fuer den gesamten Zeitraum bestand jedenfalls in der Bundesrepublik ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass es nur um die Rueckerstattung an deutsche Verfolgte gehe. Eine Entschaedigung der Opfer im Ostblock stand unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges nicht zur Debatte. Ueberhaupt kam bei dieser Frage dem Ost-West-Konflikt eine zentrale Bedeutung zu, wie Ulrich Herbert erlaeuterte. Denn fuer die Bundesrepublik habe die Wiederherstellung einer freien marktwirtschaftlichen Ordnung eine Eintrittskarte in den Westen dargestellt. Mit Blick auf die Eigentumsentziehungen im Osten diente die Zurueckgabe des den Juden weggenommenen Eigentums auch der Wiederherstellung korrekter Geschaeftsbeziehungen und zugleich der Abgrenzung von den eigentumsfeindlichen Massnahmen der DDR in den Nachkriegsjahren.
Der dritte Teil der Konferenz wandte sich der Rueckerstattungsproblematik im Osten Deutschlands zu. Ralf Kessler (Halle) stellte die internen Debatten um ein Wiedergutmachungsgesetz in der SBZ dar. Er machte deutlich, dass die kommunistisch dominierte Diskussion von Anfang an von einem Opferbild gepraegt wurde, das den Arbeiterwiderstand ins Zentrum rueckte und ein sozialpolitisches Wiedergutmachungskonzept gegenueber der Eigentumsrueckerstattung an rassisch Verfolgte favorisierte. Anstoesse zu einer moderaten Restitution (die denjenigen juedischen Besitz, der bereits in "Volkseigentum" uebergegangen war, schon ausschlossen) trafen auf ideologische Widerstaende im Hinblick auf das sozialistische Gesellschaftsmodell wie auch linksantisemitischen Argumentationsmustern. Sie scheiterten schliesslich aber vor allem am Veto der SMAD.
Unter dem Titel "Das dritte Drittel" beleuchtete Angelika Timm (Berlin) die Verhandlungen zwischen der DDR und der Jewish Claims Conference sowie Israel ueber Entschaedigungsfragen. Den Hintergrund hierfuer bildete das Luxemburger Abkommen von 1952, in dem sich die Bundesrepublik verpflichtet hatte, drei Milliarden DM an Israel und 450 Millionen DM an die Claims Conference zu zahlen. Dabei hatte man sich geeinigt, dass dieser Betrag zwei Dritteln der geforderten Gesamtsumme entspraeche, waehrend das verbleibende Drittel von der DDR zu begleichen sei. Doch die DDR wies jede Verpflichtung gegenueber Holocaust-Ueberlebenden ausserhalb ihres Territoriums zurueck und berief sich auf die Reparationen an die Sowjetunion. Ihre Haltung zu Israel war zudem vom Bemuehen gepraegt, mit Hilfe arabischer Staaten die Hallstein-Doktrin zu durchbrechen. Zu Verhandlungen kam es daher erst in den 70er Jahren auf Druck der USA. Dabei war die Haltung der DDR jedoch ausschliesslich von aussen- und vor allem wirtschaftspolitischen Interessen geleitet. Eine moralische Schuld oder Verpflichtung erkannte die DDR bis zur Wende nicht an, wie Timm betonte.
Philipp Spannuth (Freiburg) behandelte den Umgang der DDR mit dem "arisierten" Vermoegen der Juden und die Gestaltung der Rueckerstattung im wiedervereinigten Deutschland. Er betonte nochmals die Verweigerungshaltung der DDR in der Rueckerstattungsfrage, fuehrte sie aber in erster Linie auf die Haltung der SED-Fuehrungsspitze in Berlin zurueck. Als Beleg fuer ostdeutsche Handlungsspielraeume zog er dabei das Land Thueringen heran, wo sich die sowjetische Militaeradministration anfangs dem ernsthaften Versuch einer Rueckerstattung nicht in den Weg gestellt hatte. In der Zeit der Wende rief die Jewish Claims Conference das Thema erneut ins Bewusstsein der Akteure. Bei westdeutschen Politikern traf sie mit ihren Rueckerstattungsforderungen auf weitgehende Zustimmung, was durch den Kontext der angestrebten Rueckgabe enteigneten Vermoegens von DDR-Fluechtlingen beguenstigt wurde. Die DDR setzte sich dagegen fuer eine Entschaedigungsloesung ein, war aber immer weniger in der Lage, ihrer Position Nachdruck zu verleihen. Die Praxis der Rueckerstattung in den neuen Bundeslaendern kennzeichnete Spannuth schliesslich als weitgehend "stoerungsfrei" und "positiv". Als Gruende fuehrte er vor allem die nunmehr gewachsene bundesrepublikanische Tradition der "Wiedergutmachung" sowie eine im Vergleich zur Nachkriegszeit "liberalisierte" Gesellschaft an. Der Export aus Westdeutschland habe sich aber nicht nur auf westliche Erfahrungen und Werte beschraenkt, sondern in den leitenden Positionen sei es auch ueberwiegend westdeutsches Personal, das den Ruecker-stattungsprozess durchfuehre, sagte Spannuth.
Reinhard Ruerup (Berlin) regte in seinem Kommentar an, die Perspektive der ueberlebenden Juden staerker in den Blick zu nehmen und auch die Stellung der "Mehrheitsgesellschaft" genauer zu untersuchen. Zudem solle man die Option fuer ein sozialpolitisches Modell von Entschaedigung und Rueckerstattung, wie es anfangs in Ostdeutschland favorisiert wurde, etwas differenzierter betrachten. Angesichts der materiellen Not der Nachkriegsgesellschaften und der NS-Opfer im besonderen gab es auch gute Gruende, die gegen eine vorrangige Rueckuebertragung des juedischen Vermoegens gesprochen haetten. Weiterhin betonte er die Bedeutung, die den Entwicklungen der 80er Jahre fuer die schnelle Rueckerstattung nach der Wiedervereinigung zukomme, da die Anerkennung der NS-Vergangenheit hier zu einem Bestandteil der bundesdeutschen Identitaet geworden sei.
In der Diskussion hob Lutz Niethammer die Wahrnehmung der "Arisierungen" als Vorstufe der Sozialisierung hervor, wie sie bei Teilen der SED-Mitglieder vorgeherrscht habe und einer Rueckerstattung im Osten im Wege standen. Daran schloss sich die Beobachtung an, dass es sich nach 1990 weitgehend um eine Rueckerstattung ohne "Ariseure" handelt, da der Grossteil des "arisierten" Vermoegens "Volkseigentum" wurde und daher aus Staatsbesitz zurueckgegeben werde. Dennoch muesse man fragen, ob nicht wegen des grossen Zeitabstandes nach 1990 eine Entschaedigungsloesung gerechter gewesen waere.
In ihrem vierten Teil wandte sich die Tagung dem Verhaeltnis von historischer Entwicklung und aktueller Politik zu. Christian Meyer-Seitz (BMJ, Berlin) stellte die Entwicklung der rechtlichen Ausgestaltung der Rueckerstattung in Ostdeutschland seit 1990 dar. Er schilderte die Auseinandersetzung zwischen Bundesrepublik und DDR um Naturalrestitution oder Gesamtloesung in der gemeinsamen Expertenkommission zur Regelung offener Vermoegensfragen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war das Vermoegensgesetz, das eine Rueckgabeloesung vorsah und noch von der Volkskammer der DDR im politischen Junktim mit dem Einigungsvertrag verabschiedet wurde. Es ist jedoch bezeichnend, dass es die Bundesregierung war, die noch vor der Wiedervereinigung amtliche Erlaeuterungen zu diesem Gesetz veroeffentlichte. Doch die westdeutsche Seite hatte ihren politischen Willen nur im Grundsatz durchgesetzt. Fuer die praktische Umsetzung war die getroffene Regelung in vieler Hinsicht unvollkommen, so dass sich der gesamtdeutsche Gesetzgeber 1992 zu einer Novellierung des Vermoegensgesetzes entschloss. Meier-Seitz fuehrte aus, dass auf diese Weise die Grundsaetze des alliierten Rueckerstattungsrechts auch fuer die Restitution NS-Verfolgter im Beitrittsgebiet zur Geltung gebracht wurden. Diese Praxis wurde in der Folgezeit durch die hoechstrichterliche Rechtsprechung auch ausdruecklich bestaetigt.
Aus der Perspektive der Interessenverbaende der NS-Opfer beleuchtete Lothar Evers vom Bundesverband Information und Beratung NS-Verfolgte (Koeln) die "Restitutionsproblematik in der Zukunft". Er verdeutlichte am Beispiel der Tschechischen Republik, dass es gerade in Osteuropa noch eine grosse Zahl von Vermoegensschaeden gebe, fuer die auch im Rahmen der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" nicht annaehernd ausreichende Mittel zur Verfuegung stuenden.
Anschliessend gab Juergen Roth (JCC, Frankfurt) einen Einblick in die Arbeit der Jewish Claims Conference. Er beurteilte die Rueckerstattung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR als fast abgeschlossen, wobei im Unterschied zur Restitution im Westen fast alle Faelle behoerdlich entschieden worden seien. Nach 1945 seien etwa zwei Drittel der Faelle durch Vergleich beigelegt worden. Fuer Roth bedeutet Restitution in erster Linie Vollzug von Gesetzen durch eine Verwaltung mit dem Ziel der Wiederherstellung materieller Rechte. In diesem Sinne sei auch die Restitution in der Bundesrepublik nach 1945 als unter den damaligen Bedingungen sehr erfolgreich zu beurteilen, und sie sei auch damals von juedischer Seite im wesentlichen so empfunden worden.
In diesem Sinne vertrat Hans Guenter Hockerts in der Diskussion die Auffassung, beim Restitutionsprozess nach 1990 handele es sich im Kern nicht um die Uebernahme bundesrepublikanischer Bewusstseinslagen sondern um die Annahme von Rechtsnormen. Im Uebrigen reihe sich die Rueckerstattung in Ostdeutschland in die Folge diskreter Verhandlungsloesungen ein, die fuer den Umgang der Regierung Kohl mit "Judaica" kennzeichnend seien. In der Tat kann man die Tendenz, solche Fragen schnell und unter Vermeidung von Konflikten und allzuviel Oeffentlichkeit zu loesen, auch bei allen Vorgaengerregierungen feststellen. Ulrich Herbert verwies auf die politische Problematik eines solchen Vorgehens: Wenn Vorgaenge wie "Arisierung", Entschaedigung und Restitution nicht oeffentlich diskutiert wuerden, seien damit verbundene Vorurteile und Ressentiments gesellschaftlich auch nicht verarbeitbar, was ein Fortwirken solcher Haltungen befoerdere.
Zusammenfassende Ueberlegungen von Lutz Niethammer (Jena) leiteten die Abschlussdiskussion ein. Zur wiederholt kontrovers diskutierten Frage, inwiefern sich die Haltung zur Restitution, die ja auch eine fruehe Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung erforderte, als Sonde fuer die Werthaltungen einer postdiktatorialen Gesellschaft eigne, betonte er die "Unschaerferelation", die sich aus der Verengung der Wiedergutmachung auf die Rueckerstattung ergebe. Gerechtigkeit trage einen "Zeitindex" mit sich und muesse also ebenfalls historisch kontextualisiert werden. Im Zusammenhang mit der Kontroverse um die Thesen Finkelsteins verwies er auf die Rolle der Claims Conference als bisweilen "quasistaatlichem Akteur" und forderte, auch die Empfaengerorganisationen aus dem "mythogenen Dunkel" zu holen. Den Streit um Erfolg oder Versagen, um Rechtsstaatsnotwendigkeit oder defizitaere Rechtskultur verortete Niethammer vor allem auf der Ebene historiographischer Betrachtung: Man koenne die Geschichte der Restitution als "memory history" schreiben oder unter dem Motto "Eigentumsverluste und ihre Kompensation". Er sprach sich dafuer aus, auch die "Durchlaessigkeit fuer Menschlichkeit" in den Verfahren zu beruecksichtigen. Die Entschaedigung muesse auch als Transportmittel fuer den Schmerz und die Trauer der Opfer verstanden werden. Dabei sollten auch die Folgen der "Monetarisierung des Gedaechtnisses" beruecksichtigt werden, die sich etwa in Hierarchisierungen von Opfergruppen ausdrueckten: Die Sprache des Geldes sei eine Sprache der Anerkennung, hob Niethammer hervor. In ihr druecke sich auch die unterschiedliche Bewertung des Schicksals der verschiedenen Opfer aus.
Die Diskussion wandte sich nochmals den Ebenen der historischen Betrachtung zu. Die meisten Vortragenden hatten staatliches Handeln in den Mittelpunkt ihrer Analyse gestellt. Sehr deutlich wurde dabei die ueberragende Bedeutung des Kalten Krieges sowohl in Gestalt aussenpolitischer Einfluesse und Interessen als auch in Sinne ideologischer Grunddispositionen. Verstaerkt sollte jedoch auch die Mikroebene in den Blick genommen werden, um die Bedeutung der Restitution aus der Perspektive der Betroffenen staerker herauszuarbeiten. Eine individuelle Betrachtungsweise waere aber zugleich auch geeignet, das Zusammenspiel der verschiedenen Wiedergutmachungsleistungen aus dem "Baukasten des Rechtsstaats" (Hockerts) zu beruecksichtigen und die Rueckerstattung so staerker zu kontextualisieren.
"Restitution folgt der Eigentumsordnung", so laesst sich mit Ulrich Herbert ein Ergebnis dieser Konferenz auf den kuerzesten Nenner bringen. Ursaechlich hierfuer sind die komplexen Zusammenhaenge von Ideologie und Interesse, von Aussen- und Vergangenheitspolitik in postdiktatorialen Gesellschaften waehrend und nach dem Kalten Krieg. Dies hat die Tagung verdeutlicht und differenziert beleuchtet.
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