Für Volk, Führer und Reich! Volkstumsforschung und Volkstumspolitik 1931-1945

Michael Fahlbusch, Basel

Vortrag gehalten am 10. Mai 2000. an der Universität Konstanz anlässlich der Ringvorlesung über "Deutsche Historiker im Nationalsozialismus und danach"

Replik von Bernhard Suchy

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor einigen Tagen veröffentlichte Michael Fahlbusch auf H-Soz-u-Kult einen Vortragstext mit dem Titel "Für Volk, Führer und Reich! Volkstumsforschung und Volkstumspolitik 1931-1945". Da in dem Text ein von mir betreutes Buch angegriffen wird, gestatten Sie mir einige entgegnende Anmerkungen:

Michael Fahlbusch wähnt sich als "Skeptiker auf dem Trümmerhaufen der Wissenschaftsgeschichte" und erhebt starke Vorwürfe gegen viele Seiten; dabei "erledigt" er en passant ein Projekt, das gerade versucht, die Debatte zu versachlichen, ihr den üblen kämpferischen Beigeschmack zu nehmen. Er schreibt: "Der Band [!] kann kaum Ersatz [für eine von G. Aly geforderte Dokumentation über die NS-Historiker B.S.] bieten. Er ist nur das einseitige Bekenntnis der jetzigen Nestoren der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft, die anstehenden methodischen und konzeptionellen Probleme der Forschung abermals auszusitzen und zu verdrängen. Darin zeigen diese Historiker eine Beharrlichkeit, die nur dadurch zu erklären ist, daß sie entweder einer akademischen Fronde angehörten, der sie ihre Karriere verdanken, oder aber es handelt sich um direkte Verwandtschaften."

Abgesehen von den m.E. perfiden Anspielungen auf "Fronde" und "Verwandtschaft" erstaunt und betrübt der scharfe Ton der Ausführungen von Michael Fahlbusch.

Das von Rüdiger Hohls und Konrad H. Jarausch herausgegebene Buch mit den bei H-Soz-u-Kult beheimateten Interviews trägt den Titel "Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus". Es umfaßt 528 Seiten und ist seit dem 18. Mai 2000 im Buchhandel erhältlich, Michael Fahlbusch konnte es zum Zeitpunkt seines Vortrages am 10. Mai in Konstanz noch nicht gelesen haben (Druckfahnen waren nicht im Umlauf). Aus den im Internet veröffentlichten Texten eine Bewertung des daraus entwickelten Buchprojektes abzuleiten ist zumindest leichtfertig, wenn nicht unangemessen. Alle Beteiligten, also Interviewer, Interviewte, die Herausgeber und die Deutsche Verlags-Anstalt haben Gedanken und Mühen investiert, die Druckfassung zu einem substantiellen, eigenständigen und vor allem offenen, nicht apodiktischen Beitrag zur laufenden Diskussion (und keinesfalls zu einem Schlußstein) werden zu lassen. Ein Buch bereits vor seiner Veröffentlichung ohne Kenntnis abzuqualifizieren entspricht nicht gerade der akademischen Redlichkeit, die Michael Fahlbusch so gerne einfordert.

So etwa erhebt Michael Fahlbusch den Vorwurf, "die teilweise einseitigen Darstellungen in den Interviews als Dokumentation einer Epoche [seien] kaum einem internationalen Publikum zumutbar". Der Verlag begnügt sich bei seiner Veröffentlichung vorerst einmal damit, daß das "nationale" Publikum hoffentlich nicht weniger kritisch und sensibel ist und mutet deshalb auch den gewogenen nicht-internationalen Käufern und Lesern zu, sich selbst ein Bild zu machen. An keiner Stelle wird behauptet oder versucht, eine "Dokumentation einer Epoche" vorzulegen, weder durch die Interviews, noch durch die "Darstellungen in den Interviews". (Man lese das ausführliche Vorwort der Herausgeber, in dem sie Rechenschaft darüber ablegen, was versucht und erreicht, bzw. nicht erreicht wurde.) Daß ein Zeitzeuge, und als solche wurden die Historikerinnen und Historiker vor allem befragt, von seinen/ihren Erlebnissen "einseitig" berichtet, ist ihr oder ihm weder zum Vorwurf zu machen, noch kann es Ziel dieser personalisierten Form der Geschichts"auf"schreibung sein, allseits aus- und abgewogene Äußerungen zu produzieren. Im Gegenteil. Vermutlich meint Michael Fahlbusch mit "einseitig" jedoch einen vermeintlich apologetischen Grundton zugunsten der beschuldigten Historiker. Es mag leicht, bequem und zur Zeit sogar en vogue sein, bundesrepublikanische Ordinarien ob ihrer zurückhaltenden Verdammung ihrer akademischen Lehrer zu beschimpfen, aber im Zusammenhang des Interviewprojektes wird gerade deutlich, wie wichtig zum Beispiel die Fähigkeit zur Differenzierung zwischen einem "intentionalistischen Beschweigen" und einem "strukturellen Schweigen" sein sollte. Die Phase der Pauschalisierungen in der Debatte wähnten wir eigentlich abgelaufen.

Es waren genau die Vielschichtigkeit, Ambivalenz der Äußerungen und offengelegte persönliche Involviertheit der Beteiligten (dazu gehören Interviewer wie auch Interviewte), die die DVA bewogen haben, die Interviews in einer deutlich erweiterten Buchform einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Der umfangreiche Apparat, der es auch nicht-spezialisierten Lesern ermöglichen soll, Vorwürfe, Abwägungen, Apologien und Anspielungen im angemessenen Kontext zu sehen, läßt das Buch nach unserem Ermessen für Leser, die zur Differenzierung der vielen Bedeutungsschichten eines Interviewtextes von Historikern mit Historikern über Historiker im historisch-historiographischen Überlieferungsgeflecht in der Lage sind, sehr wohl zu einer gewinnbringenden "Zumutung" werden.

Im Mittelpunkt des Interviewprojektes, so auch der Buchveröffentlichung, steht ausdrücklich das Vorhaben, durch die (zum Glück mittlerweile anerkannte) Methode des Interviews eine historische Konstellation rekonstruieren zu helfen: das Wirken HEUTE als "Täter" gebrandmarkter Historiker an deutschen Universitäten der Nachkriegszeit und das DAMALIGE "Versäumnis" ihrer damaligen Schüler, kritische Fragen zu stellen. Nicht mehr und nicht weniger, denn das ist schon eine ganze Menge. Weder geht es in diesem Buch um das Erfüllen irgendwelcher Erwartungen und Forderungen nach Ergänzung unserer Täterkarteien, noch um eine Abrechnung mit irgendeiner Historikergeneration.

Die Art und Weise, in der Michael Fahlbusch Vorwürfe und Verurteilungen austeilt, trägt nicht dazu bei, die Diskussion sachlich voran zu bringen. Den Vorwurf der Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit an die älteren Historikergenerationen derartig selbstgerecht ("Skeptiker AUF dem Trümmerhaufen") vorzubringen, sollte im Dialog der Disziplinen, Generationen und Individuen überflüssig sein. Das Buch "Versäumte Fragen" legt davon beredt Zeugnis ab. Es bleiben genügend Fragen offen, vielleicht stellen sich nach Lektüre des Buches sogar mehr als vorher.

Den mit den Interviews aufgenommenen Dialog fortzusetzen und weder die Historie, noch die Historiographie als abgeschlossen oder zertrümmert anzusehen ist eine herausfordernde Aufgabe, zu der alle eingeladen sind, besonders auch wenn sie so viele Kenntnisse einbringen können wie Michael Fahlbusch.

Mit freundlichen Grüßen,
Bernhard Suchy
Lektorat Sachbuch

Um einen Eindruck des hier diskutierten Buches zu vermitteln sei das Inhaltsverzeichnis des Bandes angefügt:

VERSÄUMTE FRAGEN.

Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus
Herausgegeben von Rüdiger Hohls und Konrad H. Jarausch
Unter Mitarbeit von Torsten Bathmann, Jens Hacke, Julia Schäfer und Marcel Steinbach-Reimann

Inhaltsverzeichnis

Vorwort S. 9

Teil I: Einführung

Konrad H. Jarausch und Rüdiger Hohls S. 15
Brechungen von Biographie und Wissenschaft. Interviews mit deutschen Historikern/innen der Nachkriegsgeneration
Jens Hacke / Julia Schäfer / Marcel Steinbach-Reimann S. 55
Die Gespräche aus der Sicht der Interviewer ­ Erinnerung ­ Zunft ­ Moralische Dimension ­

Teil II: Interviews

Rudolf Vierhaus S. 75
Wolfram Fischer S. 89
Gerhard A. Ritter S. 118
Helga Grebing S. 144
Hans Mommsen S. 163
Wolfgang J. Mommsen S. 191
Imanuel Geiss S. 218
Hans-Ulrich Wehler S. 240
Reinhard Rürup S. 267
Wolfgang Schieder S. 281
Lothar Gall S. 300
Hartmut Lehmann S. 319
Adelheid von Saldern S. 342
Michael Stürmer S. 358
Heinrich August Winkler S. 369
Jürgen Kocka S. 383
Winfried Schulze S. 404

Teil III: Anhang

Vorbemerkung S. 437
Biographisches Glossar S. 441
Biographische Skizzen zu den Akteuren der 40er, 50er und 60er Jahre und Kurzbiographien der interviewten Historiker/innen
Bibliographisches Glossar S. 477
Arbeiten und Studien der interviewten Historiker
Studien und Aufsätze zur aktuellen Debatte um die Historiker im Nationalsozialismus
Studien und Artikel von in den Interviews erwähnten Historikern/innen
Institutionelles Glossar S. 503
Übersichten zur Entstehung und zur personellen Struktur historischer Forschungseinrichtungen mit überregionaler Bedeutung, von historischen Verbänden, Institutionen und Zeitschriften
Forschungsinstitute und Verbände
Forschungsförderung und ­finanzierung
Zeitschriften

Abkürzungsverzeichnis S. 527


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From:  "Bernhard Suchy" <bernhard.suchy@dva.de>
Subject: Re: Vortragsmanuskript M. Fahlbusch: "Fuer Volk, Fuehrer ..."
Date: 25.05.2000