"Warum erst jetzt?" - Deutsche Historiker in der Diktatur. Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte

von Ilko-Sascha Kowalczuk

Gegendarstellung und Kommentar von Karl Heinz Roth

[Der Artikel "Warum erst jetzt? - Deutsche Historiker in der Diktatur. Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte" von Ilko-Sascha Kowalczuk enthielt einen versteckten persoenlichen Angriff auf Karl Heinz Roth. Es war unser Fehler, diese Anschuldigung ohne Nennung des Namens des Beschuldigten und der Quelle ueber H-SOZ-U-KULT zu veroeffentlichen. Hierfuer entschuldigen wir uns bei Karl Heinz Roth. Wir versuchen weiterhin, auf der Liste fuer eine sachbezogene Kommunikation ohne inkriminierende Angriffe auf die Persoenlichkeit Einzelner zu sorgen. Nachfolgend koennen Sie eine Gegendarstellung von Karl Heinz Roth in dieser Angelegenheit lesen. Im Namen der Redaktion - R. Hohls]

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

in seinem Aufsatz wirft mir Herr Kowalczuk vor, ich sei "nachweislich jahrelang fuer das MfS als IM taetig" gewesen. Ich haette von Ihnen erwartet, dass Sie mir als einem Mitglied Ihres Netzes vor der Entscheidung ueber die Veroeffentlichung einer solch schwerwiegenden Beschuldigung die Chance geben wuerden, mich dazu zu aeussern. Das haben Sie leider unterlassen.

Herr Kowalczuk bezieht seine Behauptung aus dem kuerzlich erschienenen Buch von Hubertus Knabe ueber "Die unterwanderte Republik", in dem der Verfasser mich faelschlich beschuldigt. Ich ersuche Sie deshalb, wenigstens nachtraeglich meine Stellungnahme dazu in Ihren Verteiler aufzunehmen.

Da mich Herr Kowalczuk auch gleich noch zur freilich fuer viele identifizierbaren Unperson - naemlich Arzt und Historiker - gemacht hat, sehe ich im uebrigen keine Moeglichkeit, an der von Ihnen vorgeschlagenen Diskussion teilzunehmen.

Karl Heinz Roth, 6.12.1999.


Karl Heinz Roth

Gegendarstellung zu:

Hubertus Knabe, Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen, Propylaeen-Verlag, Berlin 1999

In zwei Passagen seines Buchs stellt Hubertus Knabe Behauptungen ueber mich auf, die ich nicht unwidersprochen lassen kann (S. 232-233, 377 und Anmerkungen S. 439). Knabe greift aus meiner politischen Biographie einige Fragmente heraus, die sich auf die Jahre 1966, 1971, 1986/87 und 1998 beziehen. Er behauptet, ich bewegte mich seit den Zeiten der Ausserparlamentarischen Opposition im traditionell-kommunistischen Milieu und sei ein Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen.

Zunaechst zum Sachverhalt. Im Oktober 1994 beschuldigte mich die Bundesanwaltschaft, fuer das MfS geheimdienstlich taetig gewesen zu sein und fuehrte eine Hausdurchsuchung bei mir durch. Grund dafuer war, dass das Bundesamt fuer Verfassungsschutz beim CIA eine Agentendatei des MfS (sogenannte Rosewood-Papiere) durchgearbeitet hatte und dabei auch auf meinen Namen gestossen war. Das Ermittlungsverfahren wurde am 1. Juli 1997 von der Bundesanwaltschaft eingestellt.

Meine Freunde und Kollegen habe ich zweimal (in Rundschreiben vom 8.10.1994 und vom 11.6.1997) ueber die gegen mich erhobenen Beschuldigungen informiert und die Tatvorwuerfe zurueckgewiesen: Nach der Aufhebung einer bis 1985 gegen mich verhaengten Einreisesperre in die DDR hatte ich waehrend mehrerer Forschungsaufenthalte die Archiveinrichtungen der DDR in dem fuer westdeutsche Historiker ueblichen Rahmen genutzt. Dabei hatten sich vielfaeltige Kontakte ergeben, die von Vertretern der linksoppositionellen Subkultur bis zu Wissenschaftlern, Hochschullehrern und Repraesentanten der Staatlichen Archivverwaltung sowie des Nationalrats der DDR gereicht hatten.

Diese Tatbestaende duerften Knabe bekannt sein. Hinzu kommen einige Aktenstuecke, die er waehrend seiner Taetigkeit bei der Gauck-Behoerde gefunden hat und zu einer Geschichte ueber mich zusammenfuegt, die in vielen Punkten nicht der Wahrheit entspricht.

1. Knabe behauptet, ich sei in den 1980er Jahren Mitarbeiter des Hamburger Instituts fuer Sozialforschung gewesen. Dies ist falsch. Ich war Mitarbeiter der Hamburger Stiftung fuer Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts.

2. Ausgehend von dieser falschen Behauptung versucht Knabe eine MfS-Recherche aus dem Jahr 1987 wegen eines vom Hamburger Institut fuer Sozialforschung gefoerderten und aus der DDR ausgewiesenen Buergerrechtlers mit mir in Zusammenhang zu bringen. In einer Fussnote jedoch schreibt er, dass es fuer diesen von ihm behaupteten Zusammenhang keinen Quellenbeleg gibt.

3. Knabe entstellt meine Erklaerung vom 8.10.1994, indem er nur die meinen Kollegen und Freunden mitgeteilten Tatvorwuerfe zitiert und meine Antwort darauf weglaesst: "Ich habe keine Spione fuer das MfS geworben und bin auch nicht medienpolitisch fuer das MfS aktiv gewesen."

4. Knabe behauptet, ich haette einen milden Richter gefunden, denn das Verfahren sei 1997 "wegen geringer Schuld und gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt" worden. Dies ist falsch. Es hat kein Gerichtsverfahren gegen mich gegeben. Das Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen mich ist ohne Verhaengung einer Geldbusse eingestellt worden. Knabe ist inzwischen anwaltlich aufgefordert worden, diese Behauptung zu unterlassen.

5. Knabe versucht fuer das von ihm gegen mich konstruierte Verdikt einen Bogen bis in die APO-Zeit zu spannen. Er behauptet, ich haette in dem von mir 1971 herausgegebenen Buch "Invasionsziel DDR. Vom Kalten Krieg zu neuen Ostpolitik" nicht nur von Guenter Wallraff zur Verfuegung gestellte MfS-Dokumente benutzt, sondern das Buch auch in der Diktion und Propaganda von MfS und SED geschrieben. Das sind Unterstellungen: erstens hat Guenter Wallraff bestritten, dass die Dokumente aus dem MfS stammten, und ich selbst habe sie damals geprueft und fuer echt befunden. Zweitens verwahre ich mich gegen die Behauptung, die Diktion des Buchs sei SED- oder MfS-nah gewesen. Dies ist leicht nachpruefbar, denn das Buch steht in vielen Bibliotheken.

5.12.1999


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Karl Heinz Roth" <khroth@uni-bremen.de>
Subject: Re: Kowalczuk-Aufsatz "Warum erst jetzt?"
Date: 7.12.99