Michael Fahlbusch, Basel
Vortrag gehalten am 10. Mai 2000. an der Universität Konstanz
anlässlich der Ringvorlesung über "Deutsche Historiker im
Nationalsozialismus und danach"
Einleitung
In der ersten Schulstunde über die NS-Zeit notierte ich mir als Unterprimaner vor 25 Jahren, daß die überwiegende Mehrzahl der Klasse der Überzeugung war, die während des NS-Regimes begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien Einzeltätern zuzuschreiben. Eine Kollektivschuld würde uns Deutsche nicht treffen. Meine Notiz aus dem Jahre 1975 ist deshalb so bemerkenswert, weil wir 1. damals zu den wenigen Schülern in Hessen zählten, die sich in der Schule überhaupt mit der NS-Zeit befassten und weil wir 2. uns dank eines Lehrers, der bei Wolfgang Abendroth in Marburg Assistent gewesen war, mit den Konfliktfeldern dieser Epoche kritisch auseinandersetzen konnten. Was wir noch nicht wissen konnten und heute erst durch die im vergangenen Jahr von Loukia Drouli und Hagen Fleischer erschienene Studie über die Ahndung deutscher Kriegsverbrechen durch deutsche Gerichte erfahren, ist, daß die von der SS und der Wehrmacht begangenen Verbrechen gegen die griechische Zivilbevölkerung noch 1972 nicht als Straftat galten. Die Bochumer Staatsanwaltschaft, die gegen einen Täter des Massakers in Kalavrita am 12. Dezember 1943 zu ermitteln hatte, kam zu folgendem Schluß, um das Verfahren einzustellen: "Die Partisanen haben gegen die Grundregel des Völkerrechts verstossen, nach welcher jedem Kombattanten eine faire und ritterliche Behandlung zuteil werden muß [ ] In dieser Situation [, daß die Wehrmacht in Griechenland weiter Partisanenüberfälle erwarten musste, MF] waren Repressalien notwendig und auch zuverlässige völkerrechtsmässige Mittel, die Gegner, die Partisanen, zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen. Da somit die [ ] angeordneten und durchgeführten Repressalien nach dem geltenden Recht nicht als völkerrechtswidrig angesehen werden können, mithin auch strafrechtlich nicht rechtswidrig waren, ist auch die Teilnahme an ihnen nicht rechtswidrig."[1] Selbstverständlich missachtete die Staatsanwaltschaft wichtige Fakten, hier u. a. die immense Hungersnot unter der Bevölkerung, die die deutsche Besatzung durch die Plünderung der Nahrungsvorräte in Griechenland im Winter 1942 bewirkte. Sie folgte damit einer in Deutschland gemeinhin üblichen Praxis, die Rolle von Tätern und Opfern auszutauschen, was immer dann geschieht, wenn wir Deutschen uns einmal mehr selbst aus der historischen Verantwortung entlassen. Wie wollte man denn auch argumentieren, Deutsche hätten den Balkan völkerrechtsmässig besetzt?
So blieb es Bundespräsident Johannes Rau anläßlich seines Griechenlandbesuchs Anfang April diesen Jahres vorbehalten, sich in Kalavrita bei den Angehörigen der Opfer öffentlich für das begangene Unrecht zu entschuldigen. Er erhielt fernerhin von der Vereinigung der Redakteure der Athener Tageszeitungen eine Botschaft, in der Deutschland aufgefordert wird, sich zu entschuldigen, und endlich für die Hinterbliebenen der Opfer Entschädigungen und Wiedergutmachungen zu leisten. Dem Ansehen Deutschlands abträglich erscheint mir, dass es Rau versäumt hatte, bei seinem anschliessenden Besuch Thessalonikis nicht der einstmals grössten jüdischen Gemeinde Europas eine vergleichbare Geste zu entbieten. Die Reaktion der dortigen Gemeindevertreter über die Pietätlosigkeit Raus warf hohe Wellen der Entrüstung auf.[2] Rau trägt demnach eine schwere Bürde von Griechenland nach Berlin, denn es sind längst nicht mehr nur deutsche Gerichte involviert, sondern griechische Gerichte und eventuell der Haager Gerichtshof, die sich mit Fällen wie Kalavrita oder Distomo befassen werden.
Ich spreche anläßlich dieser Ringvorlesung zur 55. Wiederkehr der Befreiung vom Nationalsozialismus als Wissenschaftshistoriker zu Ihnen. Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich Ihnen meine Einschätzung der knapp fünfjährigen Debatte nicht vorenthalten, die Sie sicherlich im Internet von H-Soz-u-Kult und in der sehr ausführlichen Einleitung des Sammelbandes von Winfried Schulze und Gerhard Oexle verfolgt haben.[3] Die Frage ist dabei, was sich in den letzten fünf Jahren geändert hat in der Sichtweise auf die deutschen Historiker im Nationalsozialismus?
Worum geht es? Die Debatte
In den nach dem Frankfurter Historikertag mit grossem Aufwand durchgeführten Interviews unter der Leitung von Konrad Jarausch und Rüdiger Hohls, die in der Mailing Liste von H-Soz-u-Kult und mittlerweile auch als Buch veröffentlicht wurden, sind die in Deutschland etablierten Schüler ehemaliger NS-Historiker auf ihre eigene wissenschaftliche Sozialisation nach dem 2. Weltkrieg befragt worden. Eigenartigerweise fanden sich keine ausländischen Wissenschaftler darunter, die im Nachkriegsdeutschland studierten und eventuell hier auch Karriere gemacht hätten. Ich denke z. B. an die eminent wichtige Arbeit von Michael Kater aus Kanada über das SS-Ahnenerbe. Was ist ausserdem mit den Historikern, die keine Karriere machten, also nicht Professor wurden, sondern "auf der Strecke" blieben? Haben sie etwa nichts zum Thema zu sagen gehabt über die "Deutsche Geschichtswissenschaft"? Möglicherweise wäre das mühsam konstruierte Bild der Interviewten über die sich zu liberalen und aufgeschlossenen Demokraten entwickelnden Schieder und Conze in der Nachkriegszeit wieder schneller in sich zusammengefallen, als es jetzt ohnehin ist. Zweifelsohne riskieren die ehemaligen Schüler keine Illoyalität gegenüber ihren Lehrern. Dies wäre ein Verstoss gegen ein ungeschriebenes Gesetz.
Lothar Gall unterstellt in dem Interview von H-Soz-u-Kult den jungen Kritikern in der Debatte, sie würden sich in der Rolle eines Staatsanwalts besser gefallen als in der des Historikers, um die Nichtigkeit der bisher angeführten Argumente zu bestreiten. Rudolf Vierhaus geht sogar soweit, über den Paradigmenwechsel zur Synthese von Opfer- und Täterforschung, den die jüngere Historikergeneration durchsetzt, zu behaupten, dieses Thema sei nicht im entferntesten unterdrückt worden. Es klingt geradezu als Selbstironie, wenn Vierhaus weiterhin meint, die Historiographie habe Wichtigeres zu tun, indem sie sich mit Erkenntnisweisen und ihrer gesellschaftlichen Funktion auseinanderzusetzen habe. Genau dies wurde zum Beispiel aber - wie das Interview Wolfgang Schieders verdeutlicht - nicht von der Schülergeneration wahrgenommen, obwohl sie die einschlägigen Schriften bereits damals kannten. Nehmen wir also Vierhaus beim Wort, dann müsste er beginnen, bestimmte Historikergruppen auf kollektive Amnesie und fachliche Unfähigkeit für die wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung ihres eigenen Forschungszweiges zu analysieren; dies gilt übrigens auch für uns Geographen. Bei Hans-Ulrich Wehler kann man eine späte aber gewissenhafte Selbstkritik und einen beachtlichen Erkenntnisfortschritt erkennen, wenn er Theodor Schieders Schriften nun als völkisch-nationalsozialistische identifiziert, die er wie Lothar Gall noch im Nachruf auf Schieder als "erprobte Rechtstaatlichkeit und die kulturelle Tradition einer zivilisierten europäischen Nation" ausweisend einschätzte.[4] Offenbar ist Gall der eigenen Selbstüberschätzung seiner historischen Apperzeption zum Opfer gefallen, als er sich anmaßte, über die eigene Zunft in der NS-Zeit zu urteilen.
M. E. steht eine grundsätzliche Diskussion um die Wissenschaftsgeschichte in Deutschland an. Jedenfalls sind die teilweise einseitigen Darstellungen in den Interviews als Dokumentation einer Epoche kaum einem internationalen Publikum zumutbar. Überhaupt wird die deutsche Wissenschaftsgeschichte auf internationaler Ebene zunehmend unter die Lupe genommen und an ihren Resultaten gemessen werden, die zur Zeit nicht gerade üppig sind. So wurde heute Morgen im Schweizer Radio DRS II in der Sendereihe Kontexte die Braune Vergangenheit der Max-Planck-Gesellschaft thematisiert. Die von Ernst Klee kritisierte Unfähigkeit der MPG, sich nicht nur den Täterbiographien der Direktoren der Kaiser-Wilhelm-Institute zu nähern, sondern auch die Ebene der Opferseite zu berücksichtigen, da es sogar noch Überlebende der grausamen Menschenversuche gibt, mündete in einer lakonischen Replik Reinhard Rürups, man müsse zuerst die Aktenlage sichten und dürfe nicht die Augenzeugen zu ihrer Erinnerung zwingen. Obwohl eindeutig ersichtlich ist, daß die Fachhistoriker nach wie vor für sich in Anspruch nehmen, die Verbrechen der Natur- und Technikwissenschaften wie auch Geisteswissenschaften objektiv zu vermessen, bleiben die Historiker in der Introspektion ihrer eigenen Disziplin hinter den Erwartungen weit zurück.
Die neuen Forschungen belegen nun, daß nicht nur etwa 50 Soziologen, wie Carsten Klingemann in seiner Studie über die Soziologie im Dritten Reich bereits 1996 ermittelt hat, in den Denkfabriken der SS und NSDAP tätig waren, sondern eine vergleichbare Anzahl von Archivaren, Historikern, Geographen und Bevölkerungswissenschaftlern. Sie waren insbesondere für den RKFDV in einem Netzwerk wissenschaftlicher Institute tätig. Nicht junge, durchtriebene, karriereorientierte Wasserträger des NS-Regimes waren diese Politikberater, sondern hochkarätige, in der Nachkriegszeit honorige akademische Würdenträger, die z.T. mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden. Sie hatten sich ihre akademischen Sporen mit Denkschriften und Studien abverdient, welche die ethnische Flurbereinigung im Rahmen der Neuordnung der Regionen Europas unter der Federführung des NS-Regimes vorbereiten halfen und bis hin zur Empfehlung zur physischen Beseitigung der Juden, der "nicht bodenständigen Völker" gingen. Allein der Schluss, das Dritte Reich verfügte über einen professionalisierten Think Tank, der Begleitforschung für den Völkermord anleitete, muß neue Fragen aufwerfen: Welche Prozesse bewirkten die Ausrichtung der Forschungprogramme auf die ethnische Entmischung sozial und wirtschaftlich gewachsener Gesellschaften und die Vorbereitung auf den Angriffskrieg? Und wo liegen die Verantwortlichkeiten und welche Wirkung erzielten die Forschungen? Die Frage lautet demnach, wie diese Elite und ihre Schüler einen Alleinvertretungsanspruch bei der Interpretation der Disziplingeschichte des Dritten Reiches nun für sich einnimmt, wo bisher die eigene Verstrickung noch nicht einmal thematisiert wurde.
Beunruhigend ist längst nicht mehr die Tatsache, daß X oder Y an einer Denkschrift beteiligt waren oder am Raub von Kulturgut in der Sowjetunion. Mich persönlich beunruhigt der Gedanke, daß die Tätergeneration schwieg und schweigt und während 50 Jahren mehreren Generationen mit zweifelhaften und fragwürdigen Erkentnissen hinter das Licht geführt hat. Das vermeintliche "Schweigegelübde", wie es Willi Oberkrome sehr poetisch umschrieb, steht hier als Synonym für die gezielte Unterlassung der Aufarbeitung der NS-Geschichte, und wir können nach dem heutigen Stand der Forschung sagen: es ist eine bewußte Handlung zur Vertuschung der Aufklärung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die derzeitige Forschung birgt jedoch noch eine zweite brisante Erkenntnis, nämlich diejenige, daß auch die Schülergeneration nicht willens war, ihrer Arbeit im Sinne einer Aufklärung der Tatbestände nachzukommen, obwohl sie überwiegend die gleichen Aktenbestände benutzt hat, wie die jüngsten Forschungen zeigen. Nun nimmt diese Schülergeneration die Aufgabe wahr, den Gründen nachzugehen, nachdem sie es über 30 Jahre lang nicht für nötig gehalten hatte, eigene substantielle Ergebnisse beizutragen. Johannes Fried erläuterte auf dem Frankfurter Historikertag die verquere Situation, dass es zum Zwecke der Sicherung ihrer eigenen Karriere geschah.
Die Problemstellung ist umso virulenter, als die früheren Forschungen davon ausgingen, die deutschen Professoren hätten dem NS in den ersten Jahren deshalb zugestimmt, weil der außenpolitische Kurs ihren Revisionismuserwartungen entgegengekommen wäre. Mit der Annexion Österreichs und der Tschechoslowakei, der Expansion seit 1938, habe sich die geistige Elite, die der Konservativen Revolution der 20er Jahre nahegestanden habe - so diese ältere Argumentation - aber zunehmend vom NS-Regime entfernt.
Die nunmehr vorhandenen neuen Ergebnisse belegen vielmehr das Gegenteil. Es hat sich gezeigt, daß die "Jungkonservativen" am politischen Handlungsprozeß beteiligt gewesen sind. Diese wie übrigens auch Historiker leisteten mittels Denkschriften und Gutachten wissenschaftliche Beratung der politschen Führung wie sie seit Beginn des 20. Jahrhunderts üblich geworden ist.[5] Als Politikberater entwickelten sie nicht nur während der Friedensphase des NS adäquate politische Aktionsformen, die sie wissenschaftlich zu untermauern wußten, um ein vorzeitiges Scheitern ihrer Revisions- und Expansionsziele zu vermeiden. Seit 1938 arbeiteten sie konsequent fundierte Politikanalysen aus sowohl für das Münchner Abkommen, die Wiener Schiedssprüche, als auch für alle weiteren Grenzziehungsabkommen nach der Eroberung neuer Territorien.[6] Um das Ziel der ethnischen Segregation der Bevölkerungsgruppen in den besetzten Staaten zu erreichen, wurde die Volkstumspolitik wissenschaftlich durch zahlreiche Forschungsverbünde und hoch spezialisierte wissenschaftliche Einrichtungen beraten. Ihre Tätigkeit konzentrierte sich dabei auf zwei Bereiche: Einerseits lieferten die beteiligten Wissenschaftler der kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen die landeskundlichen Basisdaten zur Begründung bzw. Falsifizierung von Gebietsansprüchen, welche für die ethnische Segregation der einzelnen Bevölkerungsgruppen in den besetzten Gebieten benötigt wurden, insbesondere an der Ausformulierung des NS-Volksgruppenrechts und an dem Volkslistenverfahren; andererseits waren sie als Berater der Nachrichtendienste der SS und der Wehrmacht oder in anderen kulturpolitischen Einrichtungen der deutschen Zivil- und Militärverwaltung in den besetzten Gebieten tätig.
Die Zuarbeit für die Politik bestimmte auch den Aufbau der heuristischen Kerne der in der Politikberatung einbezogenen Disziplinvertreter der völkischen Wissenschaften. Es handelt sich dabei nicht um die "Tarnung politischer Aufgaben als Wissenschaft". Daß Regierungen mit dem Optimum an Informationsfluß arbeiten ist keineswegs neu, denn dies war auch in den USA während des 2. Weltkrieges der Fall.
Beispielsweise erläuterte der amerikanische Soziologe Talcott Parsons bereits 1946, daß der Krieg erstens eine Stimulation für verschiedene Entwicklungen der Soziologie war, und er zweitens durch die Absorption des Lehrkörpers eine Verzögerung in der Ausbildung herbeiführte.[7] Politikberatung auf Kosten der disziplinären Entwicklung kann aber nur durch eine zunehmende Professionalisierung wieder aufgefangen werden. Hierfür standen im Krieg den Kulturwissenschaftlern drei Denkfabriken zur Verfügung: 1. im "Research Branch of the Information and Education Division of the War Departement" unter S.A. Stouffer. 2. in der "Foreign Morale Analysis Division of the Office of War Information" unter Alexander Leighton. 3. im "Research&Analysis Branch of the Office of Strategic Services" beim Statedepartement unter dem Historiker W.L. Langer. Sie waren zur Hauptsache in letzterem Brain Trust mit Feindanalyse befasst, wie wir durch die Studien über die emigrierte Frankfurter Schule wissen. Allein etwa 40 amerikanische Historiker und einige führende Geographen arbeiteten im Research&Analysis Branch des Office of Strategic Services, dem amerikanischen Geheimdienst, das Pendant der deutschen Denkfabrik der SS.[8] Noch stehen wir jedoch erst am Anfang der Erforschung des wissenschaftlichen Supports der SS, um zu aussagefähigen Vergleichen z.B. zur politischen Beratung in den USA zu gelangen, weil dieses Thema in Deutschland schlichtweg tabuisiert wurde.
Die dritte wichtige Erkenntnis über die mittlerweile überholte NS-Forschung ist die Auffassung, es habe keine NS-Wissenschaftspolitik oder Sonderforschungsbereiche gegeben, wie sie von Notker Hammerstein in seiner Studie über die DFG wiederholt wurde. Sie entspricht nicht den Sachverhalten. Sieht man von der NS-Personalpolitik im Hochschulwesen ab, so belegt allein die Förderung der Wissenschaften im Dritten Reich eine forcierte Investition. Das Reichswissenschaftsministerium verdoppelte seinen Etat von 1935 bis 1938 auf 22 Mio. RM. Bis 1942 stieg sein Aufwand sogar auf 97 Mio. RM. Das RMdI trug als zweiter wichtiger Förderer 1935 rund 43 Mio. RM für die Wissenschaft bei; bis 1942 erhöhte sich dessen Betrag auf rund 131 Mio. RM. Das RMdI war damit der Hauptträger der Forschung.[9] Allein die Volkstumsforschung erhielt während des Krieges jährlich mindestens 2 Mio. RM an Zuwendungen, zum Teil auch vom RSHA. Der massive Ausbau der Forschung bildet einen wichtigen Indikator für die Investitionsseite des NS-Wissenschaftssystems, der wegen der knappen finanziellen Ressourcen im Interventionsstaat wohl kaum ohne eine gezielte Wissenschaftspolitik realisierbar gewesen wäre.
Verwaltungspraxis versus Polykratie
Die von der bisherigen Forschung vertretene Polykratiethese, der Nationalsozialismus habe kontraproduktive konkurrierende Reichszentralen hervorgerufen, trifft nicht zu. Aufgrund der Analyse der zentralen Verantwortlichkeiten lassen sich vielmehr die Zusammenhänge aufzeigen, in denen die Volksforschung betrieben wurde. Ich gehe dabei von der These aus, daß unter der Topologie der polykratischen Machtstruktur des NS-Regimes eine rationale bürokratische Struktur existiert hat, die eine effiziente Umsetzung der politischen Entscheidungsprozesse gewährleistete. Übrigens hatte sich bereits Max Weber über die rationale Bürokratie dahingehend geäussert, daß diese zumindest in den Führungsetagen sich nicht immer rational verhalten müsse. Für die Wissenschaftsgeschichte ist die Polykratiethese ohne jeglichen analytischen Wert, weil bereits seit fast einhundert Jahren die Deutschtumspolitik immer den Ressorts von mindestens zwei Reichszentralen, dem Innenministerium und dem Auswärtigen Amt unterstand.
Die Volkstumsforschung deckte ihre Ressourcen aus einem kulturwissenschaftlichen Netzwerk, welches führend am Diskurs der NS-Ethnopolitik beteiligt war. Es handelt sich um eine Gruppe politischer Berater aus dem harten Kern Konservativer, die bereits in der Weimarer Republik ihren Einfluss auf politische Gremien und insbesondere auf die Regierungen durch ihre Think Tanks und durch Lobbying geltend machten. Zu nennen wären zum einen die Arbeitsgemeinschaft der Zeitschriftenverleger für die Interessen des Grenz- und Auslandsdeutschtums um Rudolf Pechel und zum anderen die Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig, die mittels Agenda-Setting frühzeitig das Problem des Deutschtums in das kollektive Bewußtsein der Deutschen brannten.
Die Organisationsstruktur der 1931 gegründeten Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften setzte sich aus sechs regional und funktional getrennten Forschungsverbünden und -instituten zusammen. Es handelte sich um eine Großforschungseinrichtung bisher völlig unterschätzten Ausmaßes mit etwa 1.000 Beteiligten. Aufgrund der auf die Problemfelder der jeweiligen deutschen Anrainerstaaten begrenzten Themen war diese Denkfabrik weder für außenstehende Wissenschaftler noch für die Nachrichtendienste der Alliierten zu verorten. Sie stellte sowohl für das Auswärtige Amt, das Ostministerium und das Reichsministerium des Inneren, für Himmlers Planungsbürokratie als auch für die sogenannten volksdeutschen Verbände, wozu die VDA-Führung und der Bund Deutscher Osten gehörten, sachdienliches Informationsmaterial zur Verfügung. Dabei kam es zu einer interdisziplinären und projektorientierten Kooperation zwischen Geographen und Historikern, Archivaren, Volkskundlern, Soziologen, Rassenkundlern und Kunsthistorikern.
Bisher bekannt sind die Arbeitsgebiete dieser sechs Forschungsgemeinschaften, die sich allesamt auf das deutsche Grenzgebiet, also die Anrainerstaaten des Deutschen Reiches und auf die Überseegebiete mit deutschen Auswanderern konzentrierten. Jede dieser sechs Forschungsgemeinschaften verfügte über eine eigene Geschäftsstelle - die sogenannte Publikationsstelle (P-Stelle). Diese waren für die operationelle Umsetzung des Forschungsprogramms zuständig. Darüber hinaus wurden nach der Besetzung Europas in den jeweiligen Staaten Aussenstellen eingerichtet. Die Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft hatte neben Berlin Filialen in Prag, Königsberg, Danzig, Breslau, Leipzig, Schneidemühl und Erlangen; für die Osteuropäische Forschungsgemeinschaft waren es neben Berlin Minsk und Kiew. Zudem bestanden Kontakte zur Arbeitsgemeinschaft bayrische Ostmark, nach Reichenberg und nach Posen sowie ins Baltikum.
Die regionale Gliederung schlägt sich auch in der hierarchischen, funktionalen Organisationsstruktur dieses Großforschungsbetriebes nieder. Der Vorstand der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften bildete die zentrale strategische Führung. Er setzte sich sowohl aus den Leitern der sechs Forschungsgemeinschaften und deren Publikationsstellen als auch aus den zuständigen Referenten des RMdI und des AA zusammen. Der Einfluß der SS wurde gewährleistet, seit 1937 durch Vertreter der Volksdeutschen Mittelstelle und seit 1943, als die Forscher direkt den Abteilungen III B und VI G des RSHA unterstellt wurden.
Ein Vergleich mit dem DAI, der DA, dem SS-Ahnenerbe und dem Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands zeigt, daß die VFG als kulturwissenschaftliche Einrichtung mit Abstand die großzügigste Finanzierung durch die Bürokratie genossen. Wir können mit Recht von einer wissenschaftlichen Großinstitution im Nationalsozialismus sprechen.
Die Führung: Mythos Generation versus Funktionselite
In der bisherigen Forschung hält sich hartnäckig das Gerücht, junge NS-Kader seien an wichtige Wissenschaftspositionen gelangt. Tatsächlich gehörten aber die jungkonservativen Volkstumspolitiker im NS zu den führenden Experten der Volkstumsforschung und -politik. Sie hatten die strategische Leitung der VFG inne und waren ausserdem im Stiftungsrat der Stiftung F.V.S. des Hamburger Unternehmers Alfred Töpfer. Sie verfügten über einen größeren politischen Handlungsspielraum als bisher angenommen wurde.
Der Teilnehmerkreis der strategischen Führung der VFG entstammte dem Juniklub und dem aus ihm 1924/25 hervorgegangenen Volksdeutschen Klub, jenem völkischen Intellektuellenzirkel, der in der Weimarer Republik die kulturelle Hegemonie übernahm und für den radikalen Revisionismus und die antidemokratische Allianz der konservativen Rechten mit den Nationalsozialisten bei der Anti-Youngplan-Kampagne verantwortlich zeichnete. Aufgrund neuer Ergebnisse wird nachgewiesen, daß viele Volkstumsforscher ihre Karriere nach 1933 ungebrochen fortsetzten. Es sind dies insbesondere Karl Christian Loesch, Max Hildebert Boehm, Rudolf Pechel, Adolf Rein, Hans Grimm, Martin Spahn, Hektor Ammann, Friedrich Metz und Johann W. Mannhardt, die im Deutschen Schutzbund organisiert waren.[10] Der Mitarbeiterstab der VFG umfaßte Ende der 30er Jahre etwa 1.000 Personen. Dazu gehörten etwa 200 Archivare der staatlichen Archivverwaltung, die durch ihre Direktoren Albert Brackmann und dessen Nachfolger Ernst Zipfel, ebenfalls stellvertretender Vorsitzender der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft (WFG), in die VFG eingebunden waren. Weitere 800 Personen, die zugleich Mitglieder der VFG waren, arbeiteten am Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtum (Hdwb) mit. Damit ergibt sich folgende weitere Aufschlüsselung des Personals: Von diesen 800 Mitarbeitern waren allein 300 dem Deutschen Ausland-Institut in Stuttgart unterstellt, welches den Überseeband des Hdwb bearbeitete. Die restlichen 500 Personen teilten sich auf die anderen sechs Forschungsgemeinschaften auf, wobei die NOFG mit über 150 Personen mit Abstand die größte war und über 400 Forschungsprojekte kontrollierte.
Der engere Führungskreis von etwa 18 Personen stellte die strategische Ebene dar und definierte die wissenschaftspolitische Entwicklung der Volkswissenschaft im Dritten Reich. Er setzte sich aus zwölf Historikern, je drei Geographen und Archivaren und je einem Geologen und Wirtschaftswissenschaftler zusammen. Hinzu kamen die Referenten der Ministerien und ein Vertreter der Vomi. Auffällig an dieser Zusammensetzung ist, daß der überwiegende Teil der Führungskräfte vor der Jahrhundertwende geboren worden war, sie waren 40-60jährig. Der Älteste war Albert Brackmann (Jahrgang 1871), zum Zeitpunkt der Machtübernahme bereits 62 Jahre alt. Die Geschäftsführer der P-Stellen, die der operationellen Ebene zuzuordnen sind, waren bis auf Paul Wentzcke nach der Jahrhundertwende geboren, also ca. 35 Jahre alt. Die jüngste Führungskraft war 1937 erst 25 Jahre alt. Von den insgesamt 25 Führungskräften waren sechs nicht Mitglied der NSDAP. Die Bereitschaft, der SS beizutreten, war vor allem bei jüngeren, nach 1900 geborenen Führungskräften hoch.[11] Man wird angesichts der Verteilung der Altersgruppen auf die wissenschaftspolitischen Schlüsselfunktionen sich darüber klar werden müssen, ob wir es hier mit einer Frage der Generationalität zu tun haben, die m.E. ohnehin eine trivialbiographische Konstruktion ohne grösseren Erkenntniswert ist.[12]
Die untersuchte Gruppe von Kulturwissenschaftlern und Archivaren gehörte zum überwiegenden Teil zum vorauseilenden Befehlsgehorsam überangepaßten Beamten, der sich bedingungslos in den Dienst der Politik stellte. Diese Funktionselite lässt sich in drei Typen gliedern. Es sind dies
1. Hochschullehrer, vor 1890 geboren, die z. T. am Ersten Weltkrieg teilnahmen, den Parlamentarismus und die Demokratie für die Verluste des Deutschen Reichs verantwortlich machten. Sie sind dem völkisch-nationalistischem Lager, teilweise den Jungkonservativen zuzurechnen. Sie bildeten in den VFG den strategischen Führungsapparat mit Kontakten zu höchsten Partei- und Regierungsstellen.
2. Die wissenschaftlichen Assistenten, die nach 1890 bis etwa 1905 geboren wurden. Sie erlebten nur teilweise den Ersten Weltkrieg als Frontsoldaten, entstammten hingegen der völkischen Jugendbewegung und öffneten sich bereitwillig dem konservativen bis völkisch, antisemitischen Lager. Sie arbeiteten ohne Umschweife in den völkischen Verbänden und bei den Jungkonservativen mit. Zu Beginn des Dritten Reiches waren sie in der Regel promoviert oder im Habilitationsverfahren. Als künftige akademische Elite stellten sie das Hauptfeld für die Rekrutierung der Volkswissenschaften. Sie bildeten zumeist die operative Führung der VFG und leiteten die P-Stellen.
3. Die jungen nach 1900 geborenen, wissenschaftlichen Assistenten, die zum Beginn des NS ihr Hochschulstudium begannen oder ihre Promotion ablegten. Sie stellten überwiegend das Potential für die SS und ihre Gliederungen. Zum Beginn des Zweiten Weltkrieges waren sie junge, hochmotivierte Wissenschaftler, etwa 30 bis 35 Jahre alt, die zu Spezialaufträgen eingezogen wurden. Sie fanden sich auch im RSHA wieder.[13]
Das Forschungsprogramm der völkischen Wissenschaften - eine unideologische Geisteswissenschaft?
Noch 1989 hat der Historiker Klaus Schwabe festgestellt, im NS-Regime habe es weder schlüssige Vorstellungen vom Wesen der Wissenschaft gegeben, noch sei die Lenkung bestimmter seriöser Wissenschaftszweige gelungen. Neugründungen von Sonderforschungseinrichtungen seien im NS von vornherein unmöglich gewesen, weil solche Bemühungen zwischen den miteinander im Konkurrenzkampf befindlichen Machtzentren des Regimes zerrieben worden wären.[14] Ausserderm ist gerade in der Nachkriegszeit die Darstellung verbreitet worden, daß die Landes- und Volksforschung während des Dritten Reichs seriös und wissenschaftlich innovativ und keiner NS-Infiltration ausgesetzt gewesen sei. Da bis 1990 auch kaum erschöpfende Studien über das Ausmaß der Verstrickung der Volkswissenschaftler mit dem NS erarbeitet wurden, schien die Frage auch nicht sonderlich virulent, welche Bedeutung sie im Rahmen der Volkstumspolitik eingenommen haben.
Es ist somit in der Tat wert, neben der NS-Wissenschaftspolitik und organisation im Dritten Reich auch die wichtigsten Forschungsprogramme zu untersuchen, denn Zeitzeugen äußerten sich irreleitend dahingehend, es habe im Dritten Reich keine Großforschung gegeben. Die volksdeutsche Forschung, die von Geographen in den frühen zwanziger Jahren gegründet worden sei, habe sich als interdisziplinäres Feld unter Führung der Historiker weiterentwickelt.[15] Die Einschätzung des Geographen Emil Meynen, die er 1947 dem britischen Geheimdienst im Camp Dustbin vortrug, stimmte indes nur zum Teil: Es waren zwar in der Tat deutsche Geographen, die das Forschungsprogramm der Volkstumsforschung während der Weimarer Republik begründeten. Mit Meynen war dem britischen Geheimdienst allerdings kein kleines Licht in die Hände gefallen: Er war bis 1945 in Berlin nicht nur zentraler Koordinator der sechs regionalen Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften (VFG) sowie des Handwörterbuchs des Grenz- und Auslanddeutschtums gewesen, sondern er war in Personalunion Sekretär des Deutschen Geographentags und der Zentralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland, Leiter der Abteilung für Landeskunde, Leiter der Publikationsstelle Ost und Leiter der bevölkerungspolitischen Bestandsaufnahme für den Generalplan Ost. Offensichtlich hatte Meynen mit seiner Inhaftierung die Behauptung parat, daß es in der Volkstumsforschung im NS keine feste organisatorische Wissenschaftsstruktur gegeben habe, obwohl er in Personalunion zahlreiche Funktionen wahrnahm. In den Internierungslagern der Alliierten entstand damit eine Legende, die sich hartnäckig bis in die Gegenwart gehalten hat. Sehr wahrscheinlich erkannte der britische Geheimdienst Meynens Darstellung als Verdrehungen, dies lässt sich aus den dünnen Befragungsakten des Geheimdienstes nicht entnehmen. Doch ist zu vermuten, daß man bei den Alliierten sehr wohl über die deutsche Volkstumsforschung informiert gewesen ist, als die Befragungen durchgeführt wurden, denn für den beginnenden Kalten Krieg wurden auch für die Alliierten die Ostexperten wichtig. Im Gegensatz dazu wurden im Westen eine Vielzahl renommierter aber belasteter Geisteswissenschaftler aus Rücksicht auf die neuen Verbündeten nicht mehr in ihre Ämter eingesetzt.
Das Forschungsprogramm beinhaltete einerseits die Ansiedlung in Preußen im Volkstumskampf gegen die slawischen Völker als staatliche Aufgabe und andererseits die Kulturpolitik in den grenznahen Gebieten und in jenen Ländern, wo sich nur irgendwelche vermeintlichen ethnischen Deutschen aufhielten. Hieraus ließ sich ohne große Umschweife jede beliebige Revisionspolitik entwickeln. Der Konnex zum Generalplan Ost wurde jedoch unterschlagen.
Auswärtige "Kulturpolitik": Die Kollaborateure
Bisherige Untersuchungen Hans-Adolf Jacobsens, Helmut Heibers oder jüngst Carlo Lejeunes über die deutsche Irredenta-Politik bzw. über die geheime Kulturpolitik in den vermeintlichen Feindstaaten spielten deren Bedeutung herunter oder blendeten sie ganz aus. Die Volkstumspolitik ist einerseits Revisionismuspolitik, die aus den Pariser Vorortsverträgen hervorging und sich an allen deutschen Reichsgrenzen nachweisen läßt. Sie knüpft andererseits in ihrem Traditionsbestand an den Expansionismus des Kaiserreichs an. Von Beginn an aber zielte die geheime Außenpolitik auf den Aufbau einer Irredenta was in der bisherigen Forschung geleugnet wurde -, sowohl in den abgetretenen Territorien des Deutschen Reichs, den daran angrenzenden Ergänzungsräumen wie die baltischen, ostmittel- und südosteuropäischen Staaten, als auch in den teilweise neutralen Staaten, die nach Auffassung der völkisch-nationalsozialistischen Reichsideologie bereits immer deutsch beeinflußt waren: Die Benelux-Staaten, Elsaß-Lothringen, die Schweiz sowie Süddänemark und Oberitalien, die immer wieder das Interesse deutscher auswärtiger Kultur- und Irredentapolitik erregten.
Die VFG unterhielten wichtige Kontakte zu volksdeutschen Organisationen und separatistischen Bewegungen, die unmittelbar nach Kriegsausbruch mit den Nationalsozialisten kollaborierten. Sie nahmen Einfluß auf die deutschen Volksgruppenführungen und auf separatistische Gruppierungen und Volksgruppenorganisationen in den besetzten Staaten. Sie kontrollierten zudem die Minderheiten im Deutschen Reich und ermittelten ihre Stellung zum Deutschtum. Schließlich unterstützten die VFG den Aufbau und die wissenschaftliche Legitimation der Volksgruppenpolitik des Deutschen Reichs.[16]
Es handelt sich um über 30 Kulturorganisationen, die mehr oder weniger vom Deutschen Reich abhängig waren. Die Vertreter der volksdeutschen Organisationen waren zugleich Ansprechpartner der VFG. Über sie gelangten die wesentlichen Informationen in das Deutsche Reich und ins Ausland. Bei den separatistischen Verbänden handelte es sich in der Regel um Organisationen, die durch das Deutsche Reich, respektive den VDA oder die Vomi gefördert wurden. In Westeuropa existierte eine flächendeckende Organisationsstruktur: in den Benelux-Staaten, in Frankreich und selbst in der Schweiz. Gemeinsam war den Organisationen, daß sie eine mehr oder minder feste Anbindung an das Dritte Reich suchten. Zählten in der Schweiz eher kulturpolitische Aspekte (deutsche Sprache und Kultur im Mittelalter und in der Neuzeit) als Argumente für eine politische Annäherung, waren es in den Benelux-Staaten und bei den flämischen Separatisten in Nordfrankreich die Ursprünge der germanischen Sprache und Kulturgeschichte (Vorgeschichte). In den ost- und südosteuropäischen Staaten dienten hingegen die Volksgruppen der hegemonialen Kulturpolitik des Dritten Reichs. Die Volksgruppenführungen wurden ausserdem durch die VFG wissenschaftlich unterstützt.
Durch die Kontaktaufnahme zur Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) wurde z. B. erreicht, daß wichtige Werke prominenter Kollaborateure durch die P-Stellen Ost und Dahlem übersetzt wurden, wodurch sie die nationale Spaltung von der Sowjetunion förderten. In Südosteuropa bestand jedoch trotz der Bemühungen des zuständigen Leiters der SODFG, Hugo Hassinger, nur eine geringe Bereitschaft einheimischer Wissenschaftler, mit den NS-Wissenschaftlern zu kollaborieren. Dies gilt im übrigen auch für Skandinavien, wo es trotz größter Anstrengungen der Leitung der NOFG kaum gelang, Wissenschaftler zur Zusammenarbeit anzuregen. Um so wichtiger waren die neueingerichteten deutschen wissenschaftlichen Institute, die, zumeist von Mitgliedern der VFG geleitet, die deutsche Präsenz in diesen Ländern erhöhte, wenn nicht eine eigene deutsche Kulturabteilung in der Besatzungsverwaltung eingerichtet wurde. In der Regel kontaktierten die Leiter der VFG die fremden Wissenschaftler, um sie für eines der Projekte für den "Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften" zu gewinnen.[17]
Rassen- und Ethnopolitik
Der Wissenschaftsverbund der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften wurde bereits Ende der 60er Jahre durch Hans-Adolf Jacobsen und Ernst Ritter als rein wissenschaftlich arbeitende Institute dargestellt. Rückblickend wurde die Suche nach objektiven Kriterien des wissenschaftlich abgesicherten Rassismus von Emil Meynen euphemistisch als registration of remnants of German settlements according to population-hygenic viewpoints bezeichnet.[18]
Die Volkstumsforschung erfüllte neben der deutschen Volkstumspolitik eine entscheidende bevölkerungspolitische Aufgabe. Sie zielte auf die Separierung einzelner Bevölkerungsgruppen in den besetzten Staaten nach ethnischen, politischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten. Dabei sollten nach 1939 jene ethnischen Minderheiten aus den okkupierten Gebieten ausgesondert werden, die bereits durch die Nürnberger Gesetze ausgegrenzt wurden oder die aus strategischen Gründen durch das NS-Volksgruppenrecht nicht zu germanisieren waren. Gleichzeitig konzentrierte sich die Volkstumspolitik auf die Sondierung der Volksdeutschen und der kulturellen Einordnung der sogenannten Zwischenvölker, also der Wenden in der Lausitz, der Schlonsaken, der Masuren, der Windischen oder der sogenannten Wasserpolen in Oberschlesien zum Zweck ihrer Eingliederung in den deutschen Lebensraum.
Das Ziel des ethnopolitischen Ansatzes bezeichnete der Leiter der NOFG, Albert Brackmann, als Umvolkung.[19] Umvolkung stand als Synonym für die Germanisierung deutschfreundlicher Bevölkerungsgruppen in den eroberten Gebieten und die Zuweisung von bestimmten Völkern in ihnen angemessene Siedlungsräume. Inwieweit Minderheiten überhaupt als solche definiert wurden, blieb in der politischen Definitionsmacht der VFG. Zur Siebung dieser Minderheiten nach deutschem Blut verwaltete die P-Stelle Dahlem die Kopie der deutschen Volksliste.
Die deutsche Volksliste wurde unmittelbar nach der Besetzung Polens eingeführt, als mit der Änderung des deutschen Staatsbürgergesetzes das neue System völkisch-rechtlicher Eindeutschung und Aussonderung zu greifen begann. Der Erlaß des RMdI über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aus Anlaß der Vereinigung der Ostgebiete mit dem Deutschen Reich vom 25. November 1939 sah - unter Aussonderung nicht assimilierbarer Bevölkerungsgruppen der verbleibenden Bevölkerung in den annektierten polnischen Gebieten - vor, generell nur polnischen Bürgern deutscher Volkszugehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit zuzuerkennen. Das effiziente Mittel der Selektion war die Deutsche Volksliste, die ursprünglich vom SD für den Warthegau entwickelt worden war, um ethnische Deutsche, sogenannte Volksdeutsche, zu erfassen. Sie diente der Aussortierung von Bevölkerungsgruppen und wurde wenig später auf andere annektierte Gebiete auch im Westen und Süden angewandt.[20]
Die P-Stelle Dahlem erhielt aufgrund des Erlasses des RMdI neben der Volkstumskartei laufend die Zweitschriften der Fragebögen zur deutschen Volksliste, von denen 1941 bereits 0,5 Mio. Karteikarten vom RSHA eingetroffen waren. Auf das Rundschreiben hierzu verwiesen bereits Karl-Heinz Roth und Götz Aly 1984: Auf meine und des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD gemeinsame Anregung hat das Statistische Reichsamt aus dem Urmaterial der Volkszählung vom 17. Mai 1939 eine Kartei der Reichsangehörigen nichtdeutscher Volkszugehörigkeit (Volkstumskartei) hergestellt. Die einzelne Karte enthält den Namen (auch Mädchennamen), die Vornamen, die Wohnung (auch Kreis und Gemeinde), das Geschlecht, den Geburtstag und die Angaben des Gezählten betr. Religion, Muttersprache, Volkszugehörigkeit, Beruf, bei Haushaltungsvorständen die Zahl ihrer im Haushalt lebenden Kinder unter 14 Jahren und eine Erklärung (ja oder nein) ob eine Bodenfläche bewirtschaftet wird. Die mir unterstehende Publikationsstelle (Berlin-Dahlem, Gelferstraße 11), die diese Kartei verwahrt, ist angewiesen, auf Anfrage einzelne Auskünfte daraus zu erteilen.[21]
Die Publikationsstelle Berlin-Dahlem war die Geschäftsstelle der NOFG und verwaltete die Zweitexemplare der Volkslistenkartei.[22] Die Volksliste verfügte über vier Kategorien: Die Reichsangehörigkeit wurde Personen zuerkannt, die sich zur deutschen Volksgruppe bekannten oder solchen, die sich direkt um die deutsche Kultur verdient gemachten hatten, während Personen der Gruppe III nur die Staatsangehörigkeit erhielten und die letzte Gruppe diese nur auf Widerruf bekamen. Alle übrigen Personen (etwa 6 Mio. Polen) wurden als Fremdstämmige zu Schutzangehörigen degradiert und sollten abgeschoben werden. Die Umsetzung erfolgte schrittweise und wurde zwecks Erfassung aller Menschen fremder Nationalität auf das gesamte Reichsgebiet ausgedehnt. Im Zuge der Erfahrungen der Germanisierungspolitik in den anderen besetzten Staaten wurde die Deutsche Volksliste zunehmend verschärft. Die bei der durchgeführten Rasseprüfung des Rasse- und Siedlungshauptamtes nicht zuzuordnenden, alle erbbiologisch minderwertigen Personen, politisch Unzuverlässigen oder rassisch oder religiös Verfolgten wurden normalerweise in KZ deportiert und sonderbehandelt.[23] Im Rahmen der Durchführung der Deutschen Volksliste, die in den annektierten polnischen Gebieten bis 1944 auf rund 2,8 Mio. Personen anwuchs, wurde die P-Stelle von den Eindeutschungskommissionen (EWZ Litzmannstadt und Posen) entsprechend in Anspruch genommen, da das RSHA Einspruch gegen die Volkszugehörigkeitsfeststellung erheben konnte.
Die P-Stelle Dahlem errechnete, daß bis 1942 in die Deutsche Volksliste mehr Bürger deutscher Herkunft aufgenommen wurden, als in der deutschen Selbstzählung vor dem Krieg vermerkt waren. Sie analysierte dabei alle eingegliederten Ostgebiete und benannte die genauen Unterschiede im Bereich der Volksgruppenpolitik.[24] Dies beweist, daß die P-Stelle das Korrektiv zwischen den Gauen und der zentralen Planung gewesen ist.
Die Verwendung dieser Volksliste stellt offenbar heute kein Problem dar. Nach der Beschlagnahmung der Materialien der P-Stelle Dahlem durch die Alliierten ist diese Kartei nun im Computer des Bundesverwaltungsamtes in Köln existent. Sie wird gegenwärtig immer noch im Staatsangehörigkeitsverfahren der Bundesrepublik Deutschland angewendet. Auch die amerikanische Repatriierungsbehörde stützte sich bereits auf die SS-Unterlagen ab.[25] Aufgetaucht sind auch die kartographischen Unterlagen über Volksdeutsche in Osteuropa, die von den VFG erarbeitet wurden und heute als Hilfsmittel in den Abteilungen Staatsangehörigkeit und Vertriebene im Bundesinnenministerium benutzt werden, um Rußlanddeutsche anzuerkennen.[26]
Fazit
Bilanziert man die Resultate bisheriger Forschung mit den neuen, aus der Täterforschung und speziell der Analyse von Forschungsprogrammen stammenden Ergebnissen der jüngsten Wissenschaftsgeschichte, sind erschreckende Divergenzen festzustellen. Bei meinen Darlegungen fallen die wissenschaftlichen Institute auf, die dem RSHA VI angeschlossen waren. Es überrascht dabei, daß sich der SD die wichtigsten und renommiertesten landeskundlichen Institute sicherte und sich eines Informationsdienstes umfangreichsten Ausmaßes bediente. Die Anlagerung von hochkarätigen Wissenschaftlern im Archipel des SD, denen zum überwiegenden Teil auch eine glanzvolle bundesrepublikanische Nachkriegskarriere gelang, stützt die Vermutung, daß gerade der hochtechnisierte Vernichtungsapparat notwendigerweise eines entsprechenden rationalen Planungsapparates bedurfte, der die benötigten Daten aufbereitete, damit der Vernichtungsprozeß überhaupt anlaufen konnte. Deswegen mußte auf bestehende Institute und funktionierende Institutionen zurückgegriffen werden. Die VFG lieferten die inhaltlichen Rechtfertigungen und Argumente für die Politik und Ideologie des NS.
Die vorliegenden Ausführungen zu erweitern und um komparative Studien zu ergänzen sowie durch Regionalstudien zu vertiefen, sollte das künftige Ziel der wissenschaftshistorischen Forschung sein. Erkenntnisgewinnend erscheint mir die Notwendigkeit, gerade die Synthese von Opfer- und Täterforschung voranzutreiben, um den Professionalisierungsschub der Wissenschaft im Dritten Reich überhaupt erst fassbar zu machen. Eine rein auf Paradimgen- oder Personengeschichte reduzierte Forschung würde wieder nur zu neuen Verkürzungen führen.
Zweifelsohne besteht keine Diskussion mehr um den Grad der Schuld und Mitverantwortung der beteiligten Akteure am Holocaust. Sie leisteten eine nicht zu bestreitende Mitarbeit im NS-System und lieferten durch ihren Schulterschluß mit der NS-Führung während des Krieges einen Beitrag zur physischen Vernichtung von Bevölkerungsgruppen. Die Volkstumsforscher trugen als Tathelfer nicht nur zur Vertreibung von Nationalitäten bei, sondern sie antizipierten in ihren Denkschriften auch die Ermordung osteuropäischer Menschen. Ihre "wissenschaftlichen" Legitimationen beinhalteten sowohl die Vertreibung von Juden aus dem öffentlichen Leben Osteuropas (die "judenfreie Universität" in Prag, Friedrich Metz) und die "Entjudung Restpolens und de[n] Aufbau einer gesunden Volksordnung" in einem nach deutschen Vorstellungen geplanten Polen (Theodor Schieder), als auch die Entfernung polnischer Einwohner aus den einzudeutschenden polnischen Westgebieten (die "polnischen Läuse im Pelz", Otto Reche). Diese menschenverachtenden "population hygienic viewpoints" (Emil Meynen) flossen unbekümmert in die Feldstudien der VFG ein, welche für die Besatzungsverwaltungen erstellt wurden. Es läßt sich kaum behaupten, daß die beteiligten Akteure nicht gewußt hätten, was sie schrieben. Die Volkstumsforscher entzogen sich jedoch in der Nachkriegszeit immer wieder der Verantwortung ihres Beitrages zum NS, indem sie entweder behaupteten, die Wurzeln dieser Forschung reichten in die Weimarer Republik und teilweise bis ins Kaiserreich zurück, oder sie entzogen sich der Pflicht zur Rechenschaft über ihr politisches Handeln.
Schließlich stieg diese politische Beratergruppe ein weiteres Mal wie der Phönix aus der Asche des Zusammenbruchs auf, um ihr in totalitären Machtstrukturen geschultes ethnopolitisches Wissen nach Kriegsende der modernen, bundesdeutschen Demokratie westlichen Musters zur Verfügung zu stellen. Nicht nur etablierten sich die alten Seilschaften wieder in soziologisch genau definierbaren Forschungseinrichtungen wie dem Göttinger Arbeitskreis, dem Herder-Institut in Marburg, der Lüneburger Akademie und der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa; es wurden auch ganze Forschungseinrichtungen, die sich bereits in der NS-Zeit bewährt hatten, unversehens voll übernommen, wie z. B. die Landesstellen für Nachkriegsgeschichte. Sie wurden vom Vertriebenenministerium unter Theodor Oberländer nunmehr als Forschungsstellen für Vertriebenenpolitik weitergeführt. Bekannt sind Namen wie Erich Keyser oder Theodor Schieder, die Leiter dieser Stellen bis 1945 waren. Noch warten wir jedoch vergeblich auf die von Götz Aly während des Frankfurter Historikertages geforderte Dokumentation über die NS-Historiker. Der Band von Rüdiger Hohls und Konrad Jarausch kann kaum Ersatz bieten. Er ist nur das einseitige Bekenntnis der jetzigen Nestoren der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft, die anstehenden methodischen und konzeptionellen Probleme der Forschung abermals auszusitzen und zu verdrängen. Darin zeigen diese Historiker eine Beharrlichkeit, die nur dadurch zu erklären ist, dass sie entweder einer akademischen Fronde angehörten, der sie ihre Karriere verdanken, oder aber es handelt sich um direkte Verwandtschaften. Dies wäre dann aber der neue Geschichtsrevisionismus, wie Moshe Zuckermann im letzten Frühjahr darlegte. Ihm zufolge wendet sich das Problem zur reinen Apologie, wenn die Nichtanerkennung der Tatverstrickung der deutschen Historiker in der NS-Vergangenheit nicht diskutiert wird.[27] Auf dem Weg von einer Zunft zu einer Disziplin, den die deutschen Historiker noch hinter sich bringen müssen, liegt die Aufarbeitung ihrer Einbindung im NS. Als Skeptiker auf dem Trümmerhaufen der Wissenschaftsgeschichte versuche ich das, was Adorno 1959 in seinem Aufsatz über "Aufarbeitung der Vergangenheit" bezeichnet hat als "dem Entsetzen standzuhalten durch die Kraft, selbst das Unbegreifliche noch zu begreifen". Es findet meist in der Gegenwart statt.
[1]
Eberhard Rondholz, Rechtsfindung oder Täterschutz, in: Loukia Drouli/Hagen
Fleischer (Hg.), Von Lidice nach Kalavrita. Widerstand und Besatzungsterror.
Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin
1999.
[2]
Athener Zeitung v. 7. und 14. April 2000; sowie Athens News v. 30. April
2000.
[3]
Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.), Deutsche Historiker im
Nationalsozialismus. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M.
1999.
[4]
Man wird die folgenden Beiträge im Sammelband von Winfried Schulze/Otto
Gerhard Oexle (Hg.) (wie Fn. 3) insgesamt als eine späte Bestätigung
Götz Alys lesen können, auch wenn die Kritik an Alys Vordenker-These
nachwievor berechtigt erscheint: Wehler zitiert in Götz Aly, Theodor
Schieder, Werner Conze oder die Vorstufen der physischen Vernichtung, S.
174, vgl. dazu die
Einschätzung Wehlers und Mommsen über Schieder im selben Sammelband:
Hans-Ulrich Wehler, Nationalsozialismus und Historiker, S. 318; sowie Wolfgang
J. Mommsen, Der faustische Pakt der Ostforschung mit dem NS-Regime. Anmerkungen
zur Historikerdebatte, S. 207f.
[5]
Vgl. Rüdiger vom Bruch, Weltpolitik 1982.
[6]
Vgl. hierzu die beiden Aufsätze von Wolfgang J. Mommsen und Hans Mommsen
in Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (wie Fn. 3).
[7]
Talcott Parsons/Bernard Barber, Sociology, 1941 - 46, in: The American
Journal of Sociology, Vol. LIII, Jan. 1948, p.
245-257.
[8]
Michael Burleigh, Germany turns Eastwards, Cambridge 1988; Barry M. Katz,
Intelligence Service, Oxford University Press, Oxford 1989; Alphons Söllner
(Hg.), Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland. Analysen politischer
Emigranten im amerikanischen Geheimdienst. Bd.1 1943-1945, Frankfurt/M.
1982.
[9] Die DFG wandte jährlich
einen etwa gleichbleibenden Betrag auf. Vgl. Kurt Zierold,
Forschungsförderung in drei Epochen. Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Geschichte - Arbeitsweise - Kommentar, Wiesbaden 1968,
vgl. auch Notker Hammerstein, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, München 1999. In diesen
Beträgen ist der Etat des Deutschtumsfonds, über den wesentliche
Mittel in die völkischen Wissenschaften flossen, nicht enthalten. Frank
R. Pfetsch, Datenhandbuch zur Wissenschaftsentwicklung, Die staatliche
Finanzierung der Wissenschaft in Deutschland 1850-1975, Köln 2. Auflage
1985, S. 352.
[10]
Bundesarchiv Koblenz (BAK) NL 77/ 1, Lebenserinnerungen, S. 143-164, 194-211
und 221. Zu den jungkonservativen Vorläufern des NS vgl. Heide
Gerstenberger, Der revolutionäre Konservatismus. Ein Beitrag zur Analyse
des Liberalismus, Berlin 1969, Hans-Dietrich Schultz, Die deutschsprachige
Geographie von 1800-1970. Ein Beitrag zur Geschichte ihrer Methodologie,
Berlin 1980, Martin Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland,
in: Grebing, Helga u.a. (Hg.), Konservatismus - eine deutsche Bilanz,
München 1971, Willi Oberkrome, Volksgeschichte, methodische Innovation
und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft
1918-1945, Göttingen 1993, Michael Fahlbusch, Wo der deutsche
... ist, ist Deutschland! Die Stiftung für deutsche Volks- und
Kulturbodenforschung in Leipzig 1920 1933, Bochum
1994.
[11]
Die Altersstruktur der NS- und SS-Mitglieder weist eine große
Ähnlichkeit zu der der Volkstumsforscher auf. Vgl. Ulrich Herbert, Best.
Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft
1903-1989, Bonn 1996, sowie Jens Banach, Heydrichs Elite. Das Führerkorps
der Sicherheitspolizei und des SD 1936-1945, Paderborn u. a.
1996.
[12]
Vgl. dazu auch den Beitrag Jürgen Reuleckes über
"Generationalität und die West-/Ostforschung im Dritten Reich -
ein Interpretationsversuch"
auf der DFG-Tagung über Wissenschaft und Wissenschaftspolitik an der
Humboldt-Universität zu Berlin vom 17.-20.5. 2000.
[13]
Die von mir gewählte Einteilung in die drei soziologischen Gruppen basiert
auf den biographischen Angaben der etwa 25 Führungspersonen der VFG.
Eine aufschlußreiche Studie über die Königsberger Akademische
Gilde, aus welcher sich die Volkstumsforscher für die Ostforschung
rekrutierte, erarbeitete Ingo Haar, Revisionistische Historiker
und Jugendbewegung: Das Königsberger Beispiel, in: Schöttler, Peter
(Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft, Frankfurt a. M.
1997, S. 52-103. Zu den typischen Lebenszyklen von Akademikern in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. Christian Ferber, Die Entwicklung des
Lehrkörpers der deutschen Universitäten und Hochschulen 1864-1954,
Göttingen 1956.
[14]
Klaus Schwabe, Deutsche Hochschullehrer und Hitlers Krieg (1936-1940), in:
Martin Broszat/ders. (Hg.) Die deutschen Eliten und der Weg in den Zweiten
Weltkrieg, München 1989, S. 297.
[15]
Public Record Office London (PRO) FO 1031/140, Bericht E. Meynen u. a.,
Der Drang nach dem Osten, Dustbin 1947, S. 82.
[16] Vgl. Hessiches Staatsarchiv
Marburg 340 NL Papritz, C 12d6 E. Meynen, Die VFG. Ein Zehnjahresbericht.
1.4. 1941, S. 27.
[17]
Vgl. auch Frank Rutger Hausmann, Deutsche Geisteswissenschaft im Zweiten
Weltkrieg. Die Aktion Ritterbusch
(1940-1945), Dresden
1999.
[18]
PRO FO 1031/140, Bericht E. Meynen u.a., Der Drang (wie Anm. 2), S.
108.
[19]
In seinem Rundschreiben an die Beiräte der NOFG bekundete Albert Brackmann,
daß die Anteilnahme der Ämter an den Fortschritten unserer
bevölkerungsgeschichtlichen Studien, namentlich an den Forschungen
über Umvolkung nach wie vor groß sei. Zu diesem
Zweck hatte die NOFG 1943 ein bevölkerungspolitisches
Sofort-Programm aufgelegt. Politisches Archiv des Auswärtigen
Amts (PAAA) Inl. II C 33/1 NOFG Bd. 10, Brackmann Rundschreiben an die
Beiräte der NOFG Nr. 20 v. 6.8. 1943, Bl. D630914.
[20]
Vgl. Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945, Frankfurt
a. M. 1961, S. 118-127, und besonders zu den Umsetzungsproblemen der
Zuerkennung der Volkszugehörigkeit vgl. Czeslaw Madajczyk, Die
Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945, Berlin 1987, S. 93ff.,
454ff. und 474-522. Vgl. ferner Ingeborg Fleischhauer, Das Dritte Reich und
die Deutschen in der Sowjetunion, Stuttgart 1983, S. 66-74, 115f., 130-134,
163ff. und 185-192, sowie dies., Die Deutschen in der Sowjetunion, Geschichte
einer nationalen Minderheit im 20. Jahrhundert, Baden-Baden 1987, S. 211-214
und Bruno Wasser, Die Neugestaltung des Ostens. Ostkolonisation und Raumplanung
der Nationalsozialisten während der deutschen Besetzung in Polen 1939-1944,
Diss. Aachen 1993, S. 108ff., Michael Burleigh, Germany turns Eastwards.
A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988, S. 185f. Vgl.
E. Wetzel, G. Hecht, Die Frage der Behandlung der Bevölkerung der ehemaligen
polnischen Gebiete nach rassenpolitischen Gesichtspunkten. Hrsg. von
der Reichsleitung, Rassenpoltisches Amt, Berlin 25.11. 1939. In:
Documenta Occupationis V Poznan, Institut Zackodni 1952, S.
2-28.
[21]
Bayerisches Hauptstaatsarchiv München MA 106/1228, Rundschreiben des
RMdI v. 10.12. 1942, zitiert in Götz Aly/Karl-Heinz Roth, Die restlose
Erfassung, Berlin 1984, S. 78f.
[22]
BAK R153/1522, Herbert Ulbricht, Jahresbericht v. 1.4. 1942-31.1. 1943, S.
3.
[23]
Geheimes Staatsarchiv Dahlem, Rep. 178 VII/3A4 NOFG Bd. 1, Aktennotiz Zipfels
der Tagung in Posen, Bl. 131f.
[24]
Vgl. Bundesarchiv Berlin Lichterfelde R153/286, F. Doubek, Entwicklung des
deutschen Volkstums in den Ostgebieten von 1910 - 1942, v. 5.4.
1943.
[25]
Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Götz Aly, Berlin.
[26]
Wie der Spiegel im März 1998, Nr. 12, S. 80-82 mitteilte, liegen zur
Zeit gegen über 1.000 russische Spätaussiedler Verfahren wegen
Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Auch hier holen uns
wieder die Schatten der Vergangenheit ein.
[27]
Moshe Zuckermann, Gedanken und Kulturindustrie. Ein Essay zur neuen deutschen
Normalität. Berlin, Bodenheim 1999, darin insbesondere sein Essay "Von
Lernprozessen und Apologie".