Sehr geehrte Damen und Herren!

Leider ist dies zum wiederholten Male eine der vielen Unstimmigkeiten in den Arbeiten von Michael Fahlbusch, der sich offensichtlich in der Diffamierung und subtilen Unterstellung von Behauptungen gefällt.

Erst jüngst wurde sehr ausführlich deshalb von dem Bonner Kollegen Hans Böhm eine kritische Besprechung der Habil-Schrift von M. Fahlbusch vorgenommen, die demnächst in der Geographischen Zeitschrift veröffentlicht wird.

Ein Auszug aus dieser Besprechung finden Sie unter: <http://www.giub.uni-bonn.de/geschichte/diskussion.html>

Fahlbusch hat deutliche Fehler im Umgang mit Quellen und deren Auswertung gemacht. Handwerkliche Fehler sprechen bei gleichzeitiger Emotionalisierung der Debatte eine deutliche Sprache. Diese Art der Enthüllungsforschung, die Fahlbusch praktiziert und deren Wert mehr als zweifelhaft ist, wirft uns in der Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte zurück.

Klaus Kost

Geographisches Institut der Ruhr-Universität Bochum

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[Nachfolgend eine Kurzfassung der 37-seitigen 'Anmerkungen' von Prof. Hans Böhm, die unter der oben genannten URL und der Kopfzeile 'Arbeitskreis Geschichte der Geographie' als PDF-Datei einzusehen ist. Sofern Sie einen Netscape-Browser nutzen, funktioniert das Laden und Anzeigen der PDF-Datei im Acrobat Reader (meist) nicht; die vollständige Version des Manuskripts können Sie nur bei Verwendung des MS Internet-Explorers 5 plus installiertem Acrobat Reader lesen. Die Kurzfassung seiner Rezension überließ uns Hans Böhm mit dem Hinweis, daß das redigierte Manuskript der Langversion demnächst in der 'Geographischen Zeitschrift' zu lesen sein wird.  P. Helmberger]

MAGIE EINES KONSTRUKTES

Anmerkungen zu M. Fahlbusch: "Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die 'Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften' von 1931-1945." Baden-Baden 1999.

von Hans Böhm, Bonn

(Manuskript eingereicht zur Publikation in der Geographischen Zeitschrift)

Auszüge:

Mit der vorliegenden Publikation knüpft Fahlbusch an seine 1994 veröffentlichte Dissertation mit dem Ziel an, die "nationalsozialistische Großinstitution der 'Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften' (VFG)" "erstmals in ihrem vollen Umfang" vorzustellen und "einen wissenschaftlichen Brain trust im Dritten Reich dahingehend zu untersuchen, inwieweit sich wissenschaftliche und politische Verflechtungen personell wie institutionell nachweisen lassen und welche Konsequenzen für die Wissenschaft und die Volkstumspolitik daraus resultieren" (S. 19). Mit dieser Zielsetzung ist ein hoher Anspruch, indirekt aber auch die Unterstellung verbunden, es habe während der NS-Diktatur eine "Wissenschaftsgroßinstitution" gegeben, deren Hauptaufgabe Politikberatung gewesen sei. Mit dem Postulat einer "Institution größeren Ausmaßes […], die die zweckgerichtete ethnohistorische Forschung angeleitet hat" (S. 21) verknüpft Fahlbusch die These, dass die VFG "für die wissenschaftliche Vorbereitung der gewalttätigen Bestrebungen des Dritten Reiches verantwortlich" (S. 20) gewesen seien. Aus der Erkenntnis, dass die VFG während des Krieges der SS als wissenschaftlicher Brain trust angegliedert wurde und dem Faktum, dass die SS bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen "als Hauptakteur der Menschenumsiedlung und -vernichtung […] als verantwortlich für den Holocaust identifiziert wurde" (S. 20) ergibt sich für Fahlbusch nicht nur die Frage nach der Mitverantwortung der beteiligten Wissenschaftler sondern auch die These, dass die Menschenvernichtung nur durch die enge Verflechtung zwischen Wissenschaft und Politik so effektiv gewesen sein konnte. Gewissermassen durch sein eigenes Konstrukt geblendet, stellt Fahlbusch auf keiner der über 800 Seiten die zu erwartende Frage nach der "Modernität" der Wissenschaftsorganisation. Sind Herrschaft, Kontrolle, Unterwerfung und Vernichtung nicht auch Facetten der Moderne? Seine Thesen unterstreicht Fahlbusch durch das Schema einer streng nach dem "Führerprinzip" gestalteten "Organisationsstruktur der VFG" (Abb. 2, S. 83), in welchem er neben einer "strategischen" und "operativen" Führungsebene vier nachgeordnete Ebenen als "Handlungsfelder" unterschiedet, die zusammen mit den zugehörigen Publikationsstellen von der Nordostdeutschen (NOFG), Osteuropäischen (OEFG), Südostdeutschen (SODFG), Alpenländischen (AFG), Westdeutschen (WFG) und der Überseedeutschen Forschungsgemeinschaft (ÜFG) angeführt werden. Ähnlich beurteilt werden muss, allerdings entgegen Fahlbuschs Behauptung (S. 21) [1], die Wirkungsgeschichte der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG). In dieser 1936 gegründeten "Großforschungseinrichtung" wirkten nicht nur Wissenschaftler der VFG, insbesondere die Ostspezialisten der Volksdeutschen Mittelstelle mit, sie war nicht zuletzt auch für den "Generalplan Ost" verantwortlich (Rössler u. Schleiermacher 1993). Auf der Reichsarbeitstagung dieser Arbeitsgemeinschaft trafen sich am 11.-13.4.40 in Berlin die Arbeitskreise II (Umsiedlung), III (Zentrale Orte), IV (Gross-Oberschlesien) und V (Weichsel). Anschließend gab es noch eine Sondersitzung des Arbeitskreises "Kolonialforschung". [2]

Die über 800 Seiten umfassende Publikation ist nach Aufbau und Argumentation ein Beleg dafür, dass die apostrophierte wissenschaftliche Großinstitution ein von Rivalitäten, Kompetenzstreitigkeiten und purem Machthunger geprägtes "Endprodukt" eines 1933 beginnenden Konzentrations- und Gleichschaltungsprozesses gewesen ist. Einen stringenten Beweis für die frühe Existenz der im Organisationsschema angedeuteten Hierarchien und Machtstrukturen und die Größe der Institution liefert Fahlbusch nicht. Die einleitend vorgelegten "quantitativen Kenndaten" und der Verweis auf 800 Mitarbeiter beim "Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums" [3] sind hier kaum beweiskräftig. Angesichts der zentralen Frage nach Mitschuld der in den Forschungsgemeinschaften agierenden Wissenschaftler an den "ethnischen Flurbereinigungen" in Europa und am Holocaust muss die Frage nach der "Truppenstärke" der dem "Kriegseinsatz der Wissenschaft" zuzuordnenden Akademiker eigentlich belanglos sein. Fahlbusch benutzt das Organisationsschema und die darin enthaltene regional differenzierte Struktur als Grobraster zur Strukturierung seines umfangreichen Materials.

Geradezu pedantisch wiederholt er die Sequenz: Forschungsgemeinschaft, Organisationsstruktur, Handlungsfelder und zwingt den Stoff in diese "Schubladen". Dadurch teilt Fahlbusch manche, möglicherweise interessante, für die Fragestellung wenig relevante Details mit, stellt andererseits aber auch Fakten unzulässigerweise nebeneinander, deren Zusammenhang nicht evident ist. Seine Analyse der regionalen Forschungsgemeinschaften leitet er mit allgemeinen Ausführungen über Entstehungsbedingungen und die Entwicklung der VFG von 1931-1945, deren "strategische Führung", die Geschäftsstellen und Publikationsorgane (S. 65-177) ein. Diese Stoffaufteilung, die sich durch die nicht gerade glückliche Gliederung in "Friedenseinsatz" (S. 65-468) und "Kriegseinsatz der Volkswissenschaft" (S. 469-772) auch noch reproduziert, bedingt Wiederholungen und verhindert die wünschenswerte analytische Präzision.

Fahlbuschs Ausführungen beginnen mit der Auflösung der Leipziger Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung 1931und schließen mit der abschließenden Aussage, dass viele Wissenschaftler, vor allem Volkskundler, Historiker und Geographen während der NS-Zeit durch ihre "ex ante- und ex post-Bevölkerungsanalysen" mittelbar am Holocaust beteiligt waren. Bereits in dem einleitenden, "Ziele dieser Arbeit" überschriebenen Kapitel konstatiert Fahlbusch: "Insbesondere durch umfangreiche Quellenstudien wurde ermittelt, in welchem Umfang die Wissenschaftler an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt waren und ob sie sich über die Konsequenzen ihres Handelns bewußt waren, dem NS-System zu Diensten zu sein." (S. 27). Hiermit nimmt er nicht nur ein Ergebnis seiner Untersuchung vorweg sondern unterstellt auch, dass Wissenschaftler an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt waren und über die Folgen ihres Handelns reflektierten. Fahlbusch liefert in seiner Arbeit zahlreiche Argumente dafür, dass die Geschäftsstelle der VFG spätestens 1941 eine "Abteilung" des Reichssicherheitshauptamtes wurde und damit den Anweisungen der SS unterworfen war. Die aus dieser institutionellen Nähe geschlossene aktive Teilnahme der Forschungsgemeinschaften an Ermordungsaktionen der SS kann Fahlbusch jedoch nicht belegen. Es bleiben nur Vermutungen, wie viele seiner "Beweisführungen". Nicht zu bestreiten ist, dass sich viele Wissenschaftler aus Überzeugung oder Opportunismus mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten während der NS-Zeit an der Verwirklichung von Kriegszielen beteiligt haben und damit Maximen einer "kämpfenden Wissenschaft" gehorchten. Bedenklich an Fahlbuschs Argumentation und Beweisführung ist, dass er auf der Suche nach und Identifikation von "Tätern" wirksame Netzwerke sowie Kontexte unzureichend oder verzerrt abbildet.

Der von Fahlbusch programmatisch geforderte institutionengeschichtliche Ansatz wäre tragfähiger geworden, wenn er bereits zu Beginn seiner Arbeit deutlich zwischen Institutionen im Sinne bestehender Organisationsstrukturen und Institutionen im Sinne von Regel- und Normensystemen, die aus intendierten und nicht intendierten Folgen absichtlicher Handlungen verschiedener Akteure resultieren, unterschieden und die Wechselbeziehungen zwischen Institutionen und individuellem Handeln deutlicher hervorgehoben hätte. Fahlbuschs Verweis auf M. Webers "Bürokratietheorie" (S. 31/32) und dessen Begriff der "Rationalität" ist mehr eine Replik und weniger ein tragfähiges Theoriekonzept für die folgenden Analysen. Die der Arbeit vorangestellten forschungsleitenden Hypothesen (S. 28ff) erlauben aufgrund ihrer Apodiktik ebensowenig wie die auf S. 469f formulierten Fragestellungen, denen die fertige Antwort z.T. gleich angefügt wird, einen differenzierenden Diskurs.

Entgegen den Behauptungen Fahlbuschs hat sich die geographiegeschichtlichen Forschung in den vergangenen Jahrzehnten sehr ausführlich damit auseinander gesetzt, dass sich zahlreiche Vertreter der Hochschul- und Schulgeographie dem neuen Regime bereitwillig und mit Überzeugung andienten. Da sich NS-Ideologeme offenkundig leicht mit den "alten und neuen Paradigmen und Themen der Disziplin" verbinden ließen, "konnten die politischen Slogans leichter als in manch anderen Disziplinen direkt an die traditionelle Problematik [des Faches] angeschlossen und sozusagen wissenschaftlich sublimiert werden" (Hard 1993, 126, 127). Unverständlich bleibt, warum vergleichbare ideologiekritische Argumentationen, die die Wurzeln der Deutschtumsideologie in die Weimarer Republik und das Kaiserreich zurückverfolgen, von Fahlbusch beschuldigt werden, die Frage nach dem spezifischen Beitrag der Fachvertreter zur NS-Ideologie zu ignorieren. Durch eine differenzierende paradigmengeschichtliche Analyse in Anlehnung an Eisel (1980) und Schultz (1980) hätte Fahlbusch sogar begreiflich machen können, warum sich unter den Geographen gerade die Völkisch-Konservativen und Staatsautoritär-Deutschnationalen nach 1945 als Verteidiger der unpolitisch-reinen Wissenschaft ausgeben konnten und als solche auch akzeptiert wurden. Derartige disziplingeschichtliche Erklärungen schließen Bewertungen zugrundeliegender Handlungsweisen als "Verleugnung", "Verschweigen" oder "Verdrängen" keineswegs aus, da im biographischen Kontext zu klären bleibt, ob die beteiligten Wissenschaftler "Fehleinschätzungen" unterlagen oder genau wussten, wem sie mit ihrer Arbeit dienten und welche möglichen Folgen ihre Arbeiten haben konnten. Innerhalb eines totalitären Regimes wird die Unterscheidung von "reiner" und "politisierter" Wissenschaft zwangsläufig problematisch, was am Beispiel der "Aktion Ritterbusch" für die Geographie aufgezeigt werden soll.

Fahlbusch weist unter Bezug auf zahlreiche Belegstellen darauf hin, dass die "Friedensarbeit" der Forschungsgemeinschaften in der "Abwehrarbeit" und in der Zusammenstellung von Literatur, Statistiken, Karten und Tabellen zu sog. landeskundlichen Studien für "interessierte Dienststellen" bestanden habe. Auf dieses jeweils präzisierte Aufgabenspektrum stößt man in zahlreichen Dokumenten im Politischen Archiv des AA (PAAA), in den Berichten des DAI oder - bereits im "Kriegseinsatz" - in den Protokollen der Arbeitstagungen der Kolonialwissenschaftlichen Abteilung des Reichsforschungsrates, den Berichten der AFL oder den Beschreibungen der "Handlungsfelder" in der Arbeit von Fahlbusch. Wie und warum sich diese landeskundliche Informationsbeschaffung nach dem "Anschluss" von Österreich und der Annexion des Sudetenlandes sowie Böhmens und Mährens verändert haben soll (S. 469), wird nicht einsichtig. Könnte Fahlbusch damit meinen, dass die von den VFG gesammelten und bearbeiteten Materialien erst mit diesem Zeitpunkt in einem politischen Handlungs- und Wirkungszusammenhang gesehen werden müssen? Wie Briefen des Generalsekretärs der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, A. Haushofer [4], der als Mitarbeiter des AA an der Ausfertigung und Umsetzung des Münchener Abkommens 1938 beteiligt war, zu entnehmen ist, waren die von der Vomi bereitgestellte Karten Grundlage für die Grenzziehungen. Wissenschaftliche Arbeit und politische Beratertätigkeit vermischen sich in der Folgezeit zusehends. Erstere wird zur kriegswichtigen Auftragsarbeit, bei der der Unterschied von Auftraggeber und Auftragnehmer immer undeutlicher wird. Fahlbusch sind nicht zuletzt deshalb bei der Präsentation von Fakten sowie der Interpretation einzelner Quellen Fehler unterlaufen, weil er als Gefangener seines eigenen Konstruktes zugehörige Kontexte nicht hinreichend bedachte oder ignorierte. Ein Beispiel hierfür ist der Bericht des SS-Obersturmführers W. Krallert von 1941. Nach diesem bildete die "vollständige Tarnung gegenüber fremdvölkischen Stellen" eine "wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit" des SODFG. Daher sollten die Mitarbeiter der Forschungsgemeinschaft im Ausland "grundsätzlich als Einzelwissenschaftler" auftreten. [5]

Merkwürdigerweise erwähnt Fahlbusch in diesem Zusammenhang nicht den "Fall März". J. März wurde Anfang 1939 als Leiter der außenpolitischen Schriftleitung des "Neue[n] Wiener Tagblatt" von Berlin nach Wien versetzt [6], "weil das Wiener Pressewesen in voller Umgestaltung [war] und man für [das] Blatt, das das deutsche Sprachrohr nach dem Südosten sein soll[te], einen Südostspezialisten von Rang benötigt[e]". K. Haushofer hatte ihn gleichzeitig hinsichtlich einer möglichen Habilitation für Politische Geographie an die Wiener Kollegen Srbik, Hassinger und Oberhummer empfohlen. Hintergrund war die Tatsache, dass die Deutsche Universität in Prag bereits "vor dem Umschwung" in Berlin um die Einrichtung eines Lehrstuhls für Zeitungswissenschaft ersucht hatte, der "in Wirklichkeit aber der Beobachtung verschiedener Fäden dienen soll[te], die wissenschaftlich und anderweitig zwischen den Tschechen und den südöstlichen Slawenvölkern, Rumänien usw. hin und her laufen. Besonders die Wehrmacht [war] sehr interessiert an einer solchen Beobachtungsstelle und hätte andernfalls selbst eine eingerichtet." [7]

An verschiedenen Stellen weist Fahlbusch auf historiographische Unkorrektheiten und Legenden hin, die entgegen dem aktuellen Forschungsstand in der wissenschaftlichen Literatur eine erstaunliche Persistenz aufweisen. Nun beteiligt sich aber gerade der Kritiker Fahlbusch an nicht unwesentlichen Stellen selbst an der Widergabe von Unkorrektheiten indem er behauptet, dass "im Januar 1942 […] auf der Wannsee-Konferenz der Entschluss zur endgültigen Massenvernichtung der Juden gefaßt" (S. 576, ähnlich S. 91, 530) worden sei. Auf Seite 533 belegt er diese Aussage merkwürdigerweise durch den völlig irrigen Verweis auf G. Aly (1995), um über die an dieser Konferenz nachgewiesene Teilnahme G. Leibbrandts einen Zusammenhang mit den bevölkerungspolitischen Tagungen der VFG herzustellen und die abschließende Aussage eines direkten Zusammenhanges der Volkstumsforschung mit dem Holocaust zu stützen. In der einschlägigen Literatur ist spätestens seit 1991 unbestritten, dass auf der Wannsee-Konferenz keine Debatte der geladenen Ministerialbürokraten mit dem Ziel einer Beschlussfassung über die "Endlösung der Judenfrage" stattgefunden hat, es vielmehr nur noch um die Entgegennahme einer längst getroffenen Entscheidungen und die Besprechung von Durchführungsmodalitäten ging. Die Wannsee-Konferenz war der letzte Schritt auf dem Weg zur Realisierung der "Endlösung" (Aly u. Heim, 1991; Pätzold u. Schwarz, 1992; Jäckel, Longerich u. Schoeps 1993).

Aufgrund von Sekundärquellen konstatiert Fahlbusch, dass die Volkstumsarbeit der WFG "in umfangreichen Deportationen der Bevölkerung nach Frankreich oder in die KZ" (S. 721) mündete. Mit dieser Feststellung bezieht er sich auf die 1940 von den Reichsstadthaltern bzw. Gauleitern J. Bürckel und R. Wagner angeordneten Umsiedlungen und "Ausweisungen", die Bestandteil der "bevölkerungspolitischen Maßnahmen" zur "Germanisierung" von Elsaß, Lothringen und Luxemburg waren (S. 712ff). In diesem Kontext vermutet Fahlbusch eine Beteiligung von W. Christaller aufgrund der von diesem für den Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums erstellten "Vorschläge zur Neuordnung der Siedlungsstruktur" und glaubt auch eine "Tätigkeit Friedrich Metz' in unmittelbarem Zusammenhang des Arbeitskreises Umsiedlung der RAG zu sehen" (S. 712). Hätte Fahlbusch die von ihm an anderer Stelle zitierte Arbeit von Meyer (1993) aufmerksamer gelesen, dann wäre ihm nicht entgangen, dass auf Anordnung der Gauleiter in der Nacht zum 22.10.1940 "sämtliche Juden aus Baden und der Saarpfalz in ihren Wohnungen […] festgesetzt und unmittelbar danach in bereitgestellten Eisenbahnzügen [nach Südfrankreich] abtransportiert" wurden. [8] Hier hätte denn auch in Anlehnung an Meyer (1993, S. 82ff) die Tätigkeit des Amtes Ausland/Abwehr unter Canaris und damit eine korrektere Einordnung des "Kolonialgeographen Borchardt" erfolgen müssen. Nicht nur diesem, als Agenten getarnt, sondern auch anderen Verfolgten aus der Pfalz und dem Elsass hatten D. Bonhoeffer und sein Schwager H. v. Dohnanyi seit 1940 im Einvernehmen mit Canaris zur Flucht verholfen.

Fahlbusch beabsichtigte, wie er in der Zusammenfassung seiner breit angelegten, materialreichen Untersuchung herausstellt, die "Behauptung Meynens gegenüber den Briten zu widerlegen, daß es keine feste organisatorische Struktur gegeben habe" (S. 787) [9] Diesen Nachweis erbringt Fahlbusch nicht. Seine Rekonstruktionsversuche belegen allenfalls einen losen Verbund von Forschern, die sich gut kannten und sich auch in wechselnder Zusammensetzung bei Arbeitssitzungen trafen, aber nicht als ein "Brain Trust" agierten oder als solcher rekrutiert wurden. Dass Fahlbusch trotzdem glaubt, einen solchen ausmachen zu können, liegt an seinem relativ freien Umgang mit historischen Fakten und argumentativen Konjekturen, die sich nicht selten als analytische Stolpersteine erweisen. Äußerungen werden aus ihren Zusammenhängen herausgenommen, um das Konstrukt zu stützen. Fahlbusch unterstellt, dass Volkstumskarten und -atlanten sowie einzelne Denkschriften unmittelbar der Durchführung des Genozids dienlich waren. Dabei zwingt ihn die Magie des Konstruktes immer wieder, auch dort direkte Zusammenhänge zwischen den VFG und der systematischen Ermordung zu unterstellen, wo diese zwar denkbar, aber nicht beweisbar sind und unter Bezugnahme auf Handlungsfolgen Handlungen zu erklären. Völlig unbeachtet bleibt bei ihm die Frage nach möglichen Verbindungen zwischen seinen Funktionseliten ("Brain Trust") und den traditionellen agrarischen und industriellen Machteliten, die zugleich in der Wehrmacht und der Diplomatie dominierten. Mit den Einwänden und Anmerkungen, die hier nur aufgrund der fachspezifischen Literatur- und Aktenkenntnis vorgetragen werden konnten, soll weder bestritten werden, dass sich Wissenschaftler bewusst der NS-Diktatur als Experten zur Verfügung gestellt haben, noch die Frage nach Schuld und Mitschuld der mittelbar Beteiligten übergangen werden. Fahlbusch hat diese Frage, entgegen seiner zusammenfassenden Feststellungen, nicht beantworten können. Möglicherweise muss man ihm dies sogar als Verdienst anrechnen, denn unbeantwortet wird sich die Schuldfrage dem kollektiven Gedächtnis immer wieder neu stellen müssen.

Anmerkungen

[1] Fahlbuschs Aussage hinsichtlich der Überschätzung der Raumforschung gründet sich möglicherweise auf den Freispruch K. Meyers durch den Nürnberger Militärgerichtshof im Jahr 1948. Die historiographische Forschung der vergangenen 50 Jahre hat dieses Bild aber entschieden revidiert (vgl. Rössler u. Schleiermacher 1993).

[2] Tagungsprogramm der Sitzung vom 11.-13.4.40 (Archiv Geogr.Inst.Bonn, I-15).

[3] So im Gegensatz zu Fahlbusch und anderen Autoren der korrekte Titel. Von diesem Handbuch erschienen die ersten drei Bände 1933-1938. Die Fortsetzung des Projekts wurde zwar bis 1945 mit erheblichen Mitteln unterstützt (S. 124), die aber nach Kriegsbeginn zunehmend auch zweckfremd verwendet wurden (z.B. Druck einer Vegetationskarte Schmithüsens).

[4] Am 19.8.38 hatte A. Haushofer an C. Troll u.a. geschrieben: "[…] Ich bin in diesem Jahr sehr viel häuslicher gewesen als die meisten anderen Herren, bin allerdings immer in der mehr oder weniger angenehmen Lage, jederzeit auf Abruf hoher Herrschaften bereitsitzen zu müssen. Das ist eben Dienst; man kann nichts daran ändern. Aber nachdem ich schon darüber schreibe, will ich auch Ihnen gegenüber nicht verheimlichen, dass wir uns aussenpolitisch zur Zeit in einer Lage befinden, die in ihrer ganzen Unheimlichkeit nur mit einem Sommermonat vor vierundzwanzig Jahren verglichen werden kann. Angesichts der Sorgen, und der Verantwortungen, die sich daraus ergeben, fällt es mir manchmal schwer, andere Dinge in den Proportionen zu sehen, in denen sie vom Standpunkt der alten voraussetzungslosen Wissenschaft und vom Standpunkt der geographischen Personalpolitik an deutschen Hochschulen wohl gesehen werden müssen […]". Am 21.9.38 ergänzte er: "[…] Ich selbst bin im Augenblick mit geographischen Fragen von äusserster akuter Bedeutung befasst. Wenn Sie aus meinem letzten Brief den Eindruck einer schwierigeren Zusammenarbeit gewonnen haben, dann halten Sie es bitte der Tatsache zugute, dass mich eine Reihe von Dingen, die der deutschen Öffentlichkeit erst in den letzten Tagen zum vollen Bewusstsein gekommen sind, […]aufs tiefste beschäftigt haben. Sie werden mir zugeben, dass die Zeiten, in denen neue Grenzen für drei Millionen deutscher Menschen vorbereitet werden müssen, nicht alltäglich sind. Glauben Sie mir, dass auch ich zuweilen den dringenden Wunsch habe, zu ruhigerer Arbeit zurückkehren zu können." Am 6.10.38 konnte er mitteilen: "[…] Ich selbst kehre im Augenblick mit dem Gefühl tiefster Erleichterung an die Arbeiten meines regulären Schreibtisches zurück. Die neue Grenze liegt in grossen Zügen fest; wirtschaftlich und geographisch nimmt sie sich sonderbar genug aus, aber wir waren an die politischen Beschlüsse von München doch sehr stark gebunden. Eine spätere Generation von Historikern und Geographen wird ja dann Gelegenheit haben, die gesamten von uns verübten Dummheiten in Dissertationen an den Pranger zu stellen." (Archiv Geogr. Inst. Bonn, II-32).

[5] […] Bericht, den SS-Obersturmführer Dr. Krallert auf der vom Auswärtigen Amt vom 29. Sept.-1.Oktober 1941 veranstalteten Tagung über die Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft erstattet hat; PAAA Inl. II g 288, Bl. 65138 [Microfiche] (mehrere Kopien unter D 653134, D 653138, D 653139).

[6] März hatte sich für diese Aufgabe als Mitglied der Deutschen Akademie, Wissenschaftliche Abteilung (Sektion IV) und Südostausschuss empfohlen.

[7] J. März an C. Troll 23.3.39 (Archiv Geogr. Inst. Bonn, I-12). Ein Jahr später (31.3.40) teilte der inzwischen habilitierte J. März Troll mit: "Allerdings fahren wir am 14. nach Prag, wo ich mein Lehramt aufnehme. Ich war bereits zweimal drüben und habe viel mit Etatangelegenheiten zu tun, da ich nicht nur mein Institut aufbauen, sondern auch drei andere für die noch nicht eingetroffenen Inhaber (Dölger, Block, Czajka) zu betreuen und mit Büchern zu versorgen habe, außerdem der Etat 1940 aufgestellt werden muß, in dem bereits die Forschungsgemeinschaft vorgesehen ist, die ich zu leiten haben werde." (Archiv Geogr. Inst. Bonn, IV-1).

[8] Hierzu auch: "Bericht über Verschickungen von Juden deutscher Staatsangehörigkeit nach Südfrankreich" Karlsruhe, den 30.10.1940. In dem Bericht, dessen Herkunft unbekannt ist (Nansen Komitee?), heißt es u.a.: "Auf Grund einer zwischen der Wiesbadener Waffenstillstandskommission unter General v. Stülpnagel und der französischen Delegation unter General Huntziger bezw. der Regierung von Vichy getroffenen Vereinbarung sind alle Juden französischer Staatsangehörigkeit aus Elsass und Lothringen ins unbesetzte Gebiet Frankreichs abzuschieben, und die französischen Behörden sind verpflichtet, die Evakuierten aufzunehmen. […] soweit hier bekannt, [ist] von der französischen Regierung die Weiterleitung der Deportierten nach Madagaskar unmittelbar nach Oeffnung der Seewege in Aussicht genommen." (Sven Hedin Archiv Stockholm, Vol. 627). Die Deportation von Juden aus dem besetzten Elaß-Lothringen sowie aus Baden und der Saar-Pfalz erwähnt auch Herbert (1996, S. 265 f.). In der Fußnote 50 verweist Herbert auch auf den "Bericht..." vom 30.10.1940, allerdings mit dem Quellenverweis PA/AA Inl. II geh. 189.

[9] Gemeint ist der von Meynen, Pillewitzer, Schneider, Sievers und Otremba während der Internierung im "Camp Dustbin" 1946/47 unter dem Titel "Der Drang nach Osten" verfasste, nicht publizierte Rechenschaftsbericht. Der Name des Lagers steht für Kransberg bei Usingen (falsch bei Fahlbusch S. 135 "Kranzberg", S. 774 "Krannhals").


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Klaus Kost" <Klaus.Kost@ruhr-uni-bochum.de>
Subject: Re: Vortragsmanuskript M. Fahlbusch: "Fuer Volk, Fuehrer ..."
Date: 31.05.2000