Diskussion: Beruehmter Teppich - Adenauers Aussenpolitik

Es liegt die Vermutung nahe, dass Adenauer die Ereignisse um die Entgegennahme des Besatzungsstatuts in seinen _Erinnerungen_ dramatischer darstellte als sie tatsaechlich abliefen, um seinem Selbstbild als Kaempfer  fuer die bundesrepublikanische Souveraenitaet im Sinne groesstmoeglicher aussenpolitischer Handlungsfreiheit naeher zu kommen.

Der Teppich kann von Ausstellungsbesuchern als Symbol der Staerke Adenauers, seiner Prinzipientreue und mutigen Herausforderung der Allierten wie auch seiner Schlaeue betrachtet werden. Er wird zum Objekt nationalen Stolzes und Behauptungswillens, zur Reliquie deutscher Staatsbildung. Die Geschichte um den Teppich passt damit in die Gesamtmythologie der bundesrepublikanischen Gruenderzeit, in der Deutschland als Objekt der Willkuer der Besatzer betrachtetet wird und erst hartnaeckiger deutscher Widerstand fuer eine wirklich freie Bundesrepublik sorgte.

Dem wuerde ich entgegenhalten, dass der Schritt auf den Teppich vor allem die fehlende Bescheidenheit und Einsicht eines Landes symbolisiert, das sich vier Jahre nach der Kapitulation so weit wie moeglich von seiner Verantwortung fuer die deutsche Vergangenheit loesen wollte und die Wiederaufnahme in die Voelkergemeinschaft sowie die Anerkennung der Bundesrepublik arrogant als Selbstverstaendlichkeit betrachtete. Es fehlte voellig an der Einsicht, dass die Beschraenkung der Souveraenitaet durch das Besatzungsstatut vor allem aus der historisch berechtigten Angst entsprungen war, dass ein wiedererstarkendes Deutschland Europa ein drittes Mal mit Krieg ueberziehen koennte. Wie es der Economist ausdrueckte: "[A] German government of the Allies' dream - modest, grateful and accommodating - does not exist and never will. As the memory of defeat fades, each successive German government is likely to become more unmanageable." ("After the German Elections," Aug. 20, 1949, 386.) Das Besatzungsstatut war weniger Unterdrueckung als Bewaehrungsauflage und bot den Deutschen erstaunlich fruehzeitig eine grossartige Moeglichkeit zur Selbstregierung.

Was die Historizitaet des Teppichtritts angeht, habe ich den Eindruck, dass dieses Ereignis zuerst von Adenauer selbst in seinen _Erinnerungen_ erwaehnt wurde. Soweit ich das sehen kann findet sich zur damaligen Zeit kein Hinweis auf diesen Akt in der Presse. Sicherlich ist die Symbolik seiner Geste jedenfalls den Amerikanern voellig entgangen. Weder in den regierungsinternen amerikanischen Berichten zur Uebergabe des Besatzungsstatuts noch in der Memoirenliteratur findet sich ein Hinweis darauf. Die Uebergabe wird im Gegenteil als Befreiung der Deutschen gesehen, als die geglueckte Rueckgabe der Treuhandschaft an eine legitime deutsche Regierung zur groesstmoeglichen Wiederherstellung deutscher Selbstregierung. Waehrend die Photos zum Ereignis in den _Erinnerungen_ Adenauer und die Hohen Kommisare eindeutig konfrontativ darstellen - besonders beeindruckend das Bild auf dem Adenauer mit boeser Mine vom Blatt liest - zeigt ein Bericht im _Time Magazine_, 3. Okt. 1949, S. 20, einen entspannten Adenauer, der gleichberechtigt zusammen mit den gluecklich strahlenden Hohen Kommissaren steht.

Raimund Lammersdorf

Dr.phil. Raimund Lammersdorf
German Historical Institute
1607 New Hampshire Ave., NW
Washington, DC 20009
U.S.A.

Tel. (202) 387-33 55
Fax (202) 483-34-30
rlammers@idt.net
www.ghi-dc.org


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Raimund Lammersdorf <rlammers@idt.net>
Subject: Re: Anfrage: Beruehmter Teppich
Date: 26.3.1998


       

Copyright ©1996-2002, H-Soz-u-Kult Humanities Sozial- und Kulturgeschichte

Diskussionen