Dritter Rundbrief - 4. Juli 2000

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor es in die Sommerpause geht, wollen wir uns noch einmal in Sachen "HistorikerInnen-Nachwuchsinitiative” zu Wort melden und ueber die naechsten Schritte informieren.

Als erstes duerfen wir eine erfreuliche Nachricht uebermitteln: Auf unsere Anfrage an den HistorikerInnenverband, der Initiative Raum und Zeit fuer eine eigene Veranstaltung auf dem Historikertag in Aachen zu gewaehren, gab der Verbandsvorsitzende Johannes Fried seine uneingeschraenkte Zustimmung. Wir werden also Gelegenheit haben, unsere Argumente im persoenlichen Austausch zu waegen und nach Loesungsmoeglichkeiten zu suchen.

Ob diese Veranstaltung nun wirklich unserer urspruenglichen Idee nach zum selben Zeitpunkt wie "Junge Historiker stellen sich vor” stattfinden wird, ist gegenwaertig noch offen, wird sich aber bald klaeren. Mit unserer Skepsis gegenueber dieser Sektion wollten wir keinen totalen Konfliktkurs einschlagen. Natuerlich braucht Wissenschaft eine breitere Öffentlichkeit und selbstverstaendlich steht es jedem Kollegen und jeder Kollegin frei, die Moeglichkeiten, die gerade dieses breite Forum bietet, nach Kraeften zu nutzen. Unser Eindruck war lediglich, dass die schlechten und sich zusehends verschlechternden Berufsaussichten gerade auf diese Veranstaltung durchgeschlagen haben. Die von Cornelia Rauh-Kuehne beklagte Abwesenheit der mit "Berufungsmacht ausgestatteten Professoren” ist doch ein bezeichnendes Indiz fuer die Marginalisierung hochqualifizierter NachwuchswissenschaftlerInnen. Wir hoffen also, dass die oeffentliche Debatte ueber die Zukunftschancen von HistorikerInnen auch die unseres Erachtens ziemlich in die Jahre gekommene Veranstaltung neu belebt. Und natuerlich bietet sie allen Beteiligten die Moeglichkeit, oeffentlich zu unseren Ideen und Konzepten Stellung zu beziehen.

In der Vorbereitung zur Historikertagssitzung arbeiten wir mit Sylvia Paletschek/Tuebingen zusammen. Es erscheint uns wichtig, dass der "Nachwuchs” in Aachen nicht nur "unter sich” bleibt. Wir fassen die Einladung von zwei ProfessorInnen ins Auge, von denen eine Persoenlichkeit nach Moeglichkeit eine Funktion im Historikerverband innehat. Daneben wuenschen wir uns die Teilnahme eines DFG-Vertreters, der ueber die aktuellen Inhalte und Planungen der Forschungspolitik im geisteswissenschaftlichen Bereich informiert. Und schliesslich werden wir versuchen, wie Karen Hagemann vorschlug, auf der Mitgliederversammlung des Verbandes praesent zu sein. Einen Antrag auf Errichtung eines entsprechenden Tagesordnungspunktes haben wir bereits gestellt.

In der bislang gefuehrten Diskussion wurde immer wieder die Dringlichkeit praeziser Übersichten zur Lage von NachwuchswissenschaftlerInnen herausgestellt. Inzwischen hat Karl Heinz Roth dankenswerterweise Zahlenmaterial zur Verfuegung gestellt, das einen wichtigen Ausgangspunkt bietet. Freilich reichen die Daten nur bis 1995 und muessen unbedingt durch aktuelle Angaben ergaenzt und praezisiert werden, damit sie fuer verbandspolitische Zwecke tauglich sind. Daher haben wir zum einen eine Anfrage an den HistorikerInnenverband gerichtet, ob die Zahlen der "Habilitiertendatei” der Initiative zur Verfuegung stehen. Man wird sich vielleicht nicht bedingungslos auf diese Daten verlassen koennen, die ja entscheidend von den "Selbstmeldungen” abhaengen, wird ihnen aber immerhin einen Trend entnehmen koennen. Zum anderen wollen wir versuchen, mit Hilfe des "Vademekums der Geschichtswissenschaft” und weiterer Verzeichnisse genauere Angaben ueber die Zahl der PrivatdozentInnen und HabilitandInnen zu ermitteln. Auch dies wird kaum umfassenden Aufschluss bieten, weshalb wir Euch bitten, zusaetzliche Erhebungen an Historischen Seminaren, Graduiertenkollegs, SFBs, Max-Planck-Instituten etc. vorzunehmen und die Ergebnisse dem Diskussionsforum zugaenglich zu machen. Viele Dekanate fuehren interne Statistiken, die fuer die Nachwuchs-Initiative sehr hilfreich sein koennen. Eine Analyse der "lokalen Ebene” ist schliesslich auch deshalb wichtig, damit das erhobene Material an Anschauungskraft gewinnt und so das konkrete Einzelschicksal nicht in einem Meer aggregierter Zahlen untergeht.

Was die Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld des Historikertages anbelangt, sollten wir fuer einen "Schulterschluss” zwischen Geschichtswissenschaft und anderen Kultur- und Sozialwissenschaften sorgen. Denn die Politik der DFG richtet sich nicht nur gegen unsere Disziplin, sondern gegen die sogenannten Geisteswissenschaften generell. Diese Foerderpolitik ist zunehmend von harten Kosten-Nutzen-Kalkuelen bestimmt und offenbar blind dafuer, welcher Preis fuer ein verengtes Wissenschaftsverstaendnis mittel- und langfristig zu zahlen sein wird. Die schematische Bewertung von Kultur- und Sozialwissenschaften nach ihrem aktuellen Nutzwert droht das intellektuelle Kapital einer Generation zu vernichten. Dagegen muessen wir uns gemeinsam wehren und zwar nicht nur aus naheliegendem und absolut legitimem Eigeninteresse. Eine Gesellschaft verarmt kulturell und brutalisiert sich, wenn sie ihr geistiges Erbe vernachlaessigt. Im Zeitalter rascher Globalisierung ist die Pflege des kultuellen Gedaechtnisses und die Faehigkeit zur kritischen Reflexion dringend erforderlich.

Dr. Anne Chr. Nagel/Giessen
PD Dr. Ulrich Sieg/Marburg


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Anne.C.Nagel@geschichte.uni-giessen.de
Subject: NachwuchshistorikerInnen-Initiative
Date: 04.07.2000


       

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