Beitrag zur NachwuchshitorikerInnendebatte hier Antwort zu K. H. Roth.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich moechte Roth in dem Anliegen unterstuetzen, dass fuer eine qualifizierte Diskussion eine verbesserte Datengrundlage unbedingt erforderlich waere. Die Frage ist natuerlich, wie weit dies im Rahmen von h-soz-kult geleistet werden kann. Hier scheint mir wichtig, dass die sich abzeichnende Initiative auf dem Historiker- tag EINEN Schwerpunkt ihrer Arbeit und ihrer Forderungen legt.

Den Zahlen von Karl Heinz Roth stehe ich etwas skeptisch gegenueber und zwar, weil Erhebungen, die wir in Hamburg fuer die Berufsperspektiven unserer AbsolventInnen erhoben haben, ein anderes Bild ergeben.

Wichtigstes Ergebnis dabei:

Die Hamburger HistorikerInnen stellen - etwa im Vergleich zu Juristen und Betriebswirtschaftlern - keine besondere Problemgruppe fuer die Integration in den Arbeitsmarkt unter den HochschulabsolventInnen dar. Eher im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, als HistorikerIn arbeitslos zu werden, ist rein statistisch nur halb so gross wie fuer Studierende der BWL oder der Jura-Studiengaenge.

Damit ist freilich ueber die Perspektiven und die spezifischen Probleme des "Wissenschaftlichen Nachwuchses" noch wenig gesagt (dies gilt natuerlich auch fuer Roths Zahlen). Wichtig daran scheint aber dennoch, dass die Geisteswissenschaften auf dem Gebiet der Qualifizierung fuer den nicht- universitaeren Arbeitsmarkt vermutlich viel leistungsfaehiger sind,  als gemeinhin angenommen wird. Hier koennte man, wenn man nur Roths Zahlen zugrundelegt, zu einem anderen Ergebniss kommen.

Auszuege des Evaluationsberichtes, die sich auf diese Problemstellung beziehen, folgen unten:

Die Grundlage dieses Textes sind vor allem Auswertungen von Absolventenbefragungen, die Martha Meyer-Althoff unter den MagisterabsolventInnenn fuer die Geistes- wissenschaftler aus Hamburg allgemein durchgefuehrt hat (s. dazu die weiterfuehrenden Publikations- nachweise im Text). Sie wurden fuer die HistorikerInnen noch einmal spezifisch umgebrochen. Zweite Grundlage ist eine Studierendenbefragung, die im Rahmen der Evaluation durchgefuehrt wurde. Um ganz aktuelle Zahlen zu haben, muesste freilich neu erhoben werden. Auch ist die Zahl der AbsolventInnen, die hier zugrundeliegt sicher noch sehr klein, um allgemeinere Aussagen ueber Hamburg hinaus zu machen. Einen weiteren Anhaltspunkt koennen diese Daten aber sicher geben.

Jochen  Meissner

Auszug aus:

Eckart Krause; Jochen Meissner: Evaluationsbericht des Faches Geschichte, 2. Aufl. Hamburg 1997

BERUFSCHANCEN DER ABSOLVENTINNEN

DER STUDIENGÄNGE DER FACHRICHTUNG GESCHICHTE IN HAMBURG

Die Frage der Berufschancen von HistorikerInnen darf nicht auf die Gruppe der AbsolventInnen reduziert werden. Die Übergänge zwischen Studium und Beruf sind zum Teil fließend. So geben 33% der Studierenden im Hauptstudium an, daß ihre neben dem Studium betriebenen Erwerbstätigkeiten häufiger (17%) oder sogar mehrheitlich (16%) etwas mit ihrem Studium zu tun haben. Zumindest ein Teil dieser Studierenden tritt auch ohne Abschluß in eine dauerhafte Berufstätigkeit ein. Hinzu kommt, daß ein erheblicher Teil der Studierenden schon vor dem Beginn des Studiums eine Berufsausbildung abgeschlossen hat. Dies gilt für 24,4% der Befragten im Hauptstudium und 25,6% der ProseminarteilnehmerInnen. Ein Teil der Lehrenden interpretiert vor diesem Hintergrund das Phänomen der hohen Abbrecherquoten als eine nicht nur negativ zu sehende Form der Studienwahlkorrektur. Gute Verdienstmöglichkeiten und hohe Berufszufriedenheit sind nicht nur an formale Universitätsabschlüsse gebunden. Einige Lehrende wiesen darauf hin, daß das Geschichtsstudium auch ohne Examen positive Bildungswirkungen auf Studierende haben könne. Viele Studierende erfüllten die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Studienabschluß nicht. Die Kritik an den Schwächen, die viele Studienanfänger in elementaren "Kulturtechniken" zum Beispiel des schriftlichen Ausdrucks aufweisen, gipfelte in dem Vorschlag, sie zum Ziel einer "Alphabetisierungskampagne" zu machen. Es sei allerdings zu überlegen, ob die offene Studienorganisation die in vielen Fällen notwendige Studienwahlkorrektur zu lange hinauszögere und welche "Rationalisierungsmaßnahmen" hier sinnvoll zu ergreifen seien.

Graphik 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung der AbsolventInnenzahlen zwischen dem 1.10.1990 und dem 30.9.1995 und dem Verhältnis zwischen Magister- und Lehramtsabschlüssen. Sie macht deutlich, daß nach einer Phase, in der die Magisterabschlüsse deutlich überwogen, nun wieder ein Trend zurück zum Übergewicht der Lehramtsstudierenden erkennbar wird. Über den Verbleib der LehramtsabsolventInnen haben wir keine gesicherten Daten. Auch auf direkte Nachfrage sah sich weder die Schulbehörde noch das Statistische Landesamt zu fachspezifischen Angaben zur Übernahme der Hamburger AbsolventInnen des Ersten Staatsexamens in das Refendariat und der erfolgreichen Hamburger Refendare in den Schuldienst in der Lage. (1) Sicher ist lediglich, daß unter anderem angesichts des Mangels an Referendariatsplätzen und der restriktiven Einstellungspolitik der Kultusbürokratien eine wachsende Zahl von AbsolventInnen der Lehramtsstudiengänge in Berufsfelder außerhalb der Schule strebt. Mit Einschränkungen dürften die nachfolgenden Ausführungen über den Verbleib der MagisterabsolventInnen auch Gültigkeit für einen Teil der LehramtsabsolventInnen haben.


Graphik 1 AbsolventInnenzahlen  (ohne Nebenfächer und Promotionen)

Quelle: Erhebung in der Fachbereichsverwaltung

Über die Magistri und Magistrae sind wir dagegen dank der Forschungen der Geschäftsführenden Direktorin des Hamburger Interdisziplinären Zentrums für Hochschuldidaktik (IZHD), Frau Prof. Dr. Martha Meyer-Althoff, erheblich besser informiert.(2) In insgesamt bisher vier Befragungen (eine fünfte wird zur Zeit vorbereitet) von Hamburger MagisterabsolventInnen verschiedener geisteswissenschaftlicher Fächer (darunter auch der Historiker) ist die Autorin der Frage nach deren Berufsverbleib nachgegangen. Dankenswerterweise hat sie für diese Evaluation dieses umfassende Material noch einmal "Historiker-spezifisch" ausgewertet. Auf diesen Informationen fußen die nachfolgenden Ausführungen.

Der Anteil der HistorikerInnen an den in die Untersuchung einbezogenen Fächern ist bis zur Absolventenjahrgangsgruppe 1987/9 kontinuierlich gestiegen und hat sich jetzt bei rund einem Viertel eingependelt. Graphik 2 gibt einen Überblick über die Entwicklung der Magisterabsolventenzahlen und ihrer Differenzierung nach Geschlechtern seit 1981.(3) Von 247 MagisterabsolventInnen der Jahrgänge 1981 bis 1989 konnten 188, also rund drei Viertel, befragt werden. Die folgenden Zahlen zum Berufsverbleib beziehen sich jeweils auf den Zeitpunkt der Befragung, nicht auf ein übergreifendes Stichdatum.


Graphik 2: Entwicklung der AbsolventInnenzahlen  (Magisterhauptfach Geschichte) nach Geschlecht

Quelle: Datenbank Martha Meyer-Althoff.

Der größte Teil der zum Zeitpunkt der Befragung nicht berufstätigen MagisterabsolventInnen war nicht arbeitslos, sondern steckte in einer Umschulung, Fortbildung, promovierte oder absolvierte ein Zweitstudium bzw. war als Hausfrau und Mutter tätig. Keine/r der 21 befragten AbsolventInnen der Prüfungsjahrgänge 1981 bis 1983, fünf der 43 der Jahrgänge 1984 bis 1986 und nur drei der 124 der Jahrgänge 1987 bis 1989 bezeichnete sich selbst als arbeitslos. Der Anteil der berufstätigen Historiker lag dagegen bei 71% für die Absolventenjahrgänge 1981 bis 1983, bei 74% für die Jahrgänge 1984 bis 1986 und sogar bei 87% für die Jahrgänge 1987 bis 1989. Graphik 3 gibt einen (vereinfachten) Überblick über die Anteile der einzelnen Sparten, in denen die 108 berufstätigen MagisterabsolventInnen der Jahrgänge 1987 bis 1989 tätig waren. Tabelle 1 liefert dazu eine Einzelaufstellung nach Berufen. Tabelle 2 listet die Kategorien noch einmal in ihrer Verteilung auf die Geschlechter auf.


Graphik 3: Berufstätige Hamburger HistorikerInnen mit M. A. nach Berufsbereich (Absolventenjahrgänge 1987 bis 1989, n = 108, vereinfacht)

Quelle: Datenbank Martha Meyer-Althoff.


Tabelle 1: Berufstätige Hamburger HistorikerInnen mit M. A. nach Einzelberufen

Beruf Absolvent. Berufsbereich Absolvent.
Doz./Erwachsenenbildung  1 Bildung 1
Wiss. Ang./Hochsch., Stift. 6 Wissenschaft 7
Freiberuflicher Historiker 1
Buchverlagslektor/-angest. 2 Buch 12
freiberufl. Lektor 2
Buchhändler 2
Bibliothekar 4
Büchereiangest. 2
Hist. Archivar 3 Archiv/

Dokumentat.

11
Dokument. Volontär 1
Dokumentar 7
Printmedienjournalist 19 Journalismus 30
Hörfunkjournalist 3
Fernsehjournalist 4
Fr. Journ./Publ. (div. Medien) 3
Fotojournalist 1
PR-Referent/-Berater 3 PR/

Werbung

Marketing

5
Werbetexter, Kontakter u. ä. 1
Marketing-Fachmann, -assist. 1
Therapeut, Alt.pfleg., Betreu. 2 Therapie/

Betreuung

3
Krankengymnastin 1
Referent/ Partei, Behörde 1 Referent o. ä.

Org. o Erw.

6
Arbeitsberater 1
Gesch. führer/Sportverband 1
Programmkoord./Begl.dienst 1
EDV-Berater/ Kammer, Behörde 2
Verwaltungsbeamter 1 Verwaltung 4
Verw.ang./ Univ., Behörde 3
Trainee 1 Wirtschaft 22
Ltd. Position (Filialleiter, area manager in Industrie, Handel, Dienstleistung) 4
Unternehmensberater 1
EDV-Berat., Anw. Entwickler 4
Buchhalter 1
Kaufm. Ang. (Eink., Verk.) 3
Sonstige kaufm. Berufe 4
Bürokaufmann
Chefsekretärin, Sekretärin 2
selbständig/ freiberuflich (Bereiche: EDV) 2
Taxifahrer 1 Sonstige 5
Landwirt 1
Arbeiter/Post, Einzelhandel 3

Quelle: Einzelaufstellung über die Historiker von Martha Meyer-Althoff.


Tabelle 2: Berufstätige Hamburger HistorikerInnen mit M. A. nach Berufsbereich und Geschlecht

Berufsbereiche männlich weiblich Summe
Bildung - 1 1
Wissenschaft 4 3 7
Buch 7 5 12
Archiv & Dokumentation 6 5 11
Journalismus 6 5 11
PR / Werbung / Marketing 18 12 30
Kultur & Film 1 4 5
Therapie & Betreuung 2 - 2
Referent o. ä. in Organisationen ohne Erwerbszweck 3 3 6
Verwaltung 1 3 4
Wirtschaft 17 5 22
Sonstiges 4 1 5
Summe 63 45 108
58% 42% 100%

Quelle: Einzelaufstellung über die Historiker von Martha Meyer-Althoff.

Der Anteil der befragten Frauen entspricht mit 41% genau ihrem Anteil an den MagisterabsolventInnen dieser Jahrgangsgruppe insgesamt und liegt nur unbedeutend unter dem Anteil der berufstätigen Frauen dieser Gruppe (s. Tabelle 2). Der Frauenanteil an den Studierenden des Faches insgesamt schwankt in den letzten Semestern um die 45%, ohne eine klare Tendenz nach unten oder nach oben aufzuweisen. Der Anteil der berufstätigen Frauen spiegelt also in etwa ihren Anteil an den Studierenden. Drei Viertel der berufstätigen HistorikerInnen der Prüfungsjahrgänge 1987 bis 1989 waren zum Zeitpunkt der Befragung vollzeitbeschäftigt, 21% teilzeitbeschäftigt. 13 teilzeitbeschäftigten Frauen standen 10 Männer der gleichen Gruppe gegenüber. Sofern diese kleinen Zahlen noch Aussagen zulassen, ist also festzuhalten, daß die Frauen überdurchschnittlich in der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten vertreten sind.

Die Hamburger HistorikerInnen sind - verglichen mit der Gesamtzahl der befragten Hamburger Magister und mit Ausnahme der Prüfungsjahrgänge 1984 bis 1986 - im Schnitt leicht überdurchschnittlich stark berufstätig. Sie sind, gemessen an derselben Vergleichsgruppe, etwas schwächer im PR-Bereich und im Kultur- und Filmsektor vertreten, dafür steht bei ihnen das Buchgewerbe, dicht gefolgt vom Archiv- und Dokumentationswesen an zweiter bzw. dritter Stelle in der Rangfolge ihrer Betätigungsfelder. Generell weisen die HistorikerInnen aber keine nennenswerten Abweichungen zu den von Meyer-Althoff insgesamt untersuchten Hamburger MagisterabsolventInnen auf. Für eine umfassendere Analyse kann hier deshalb auf ihre bereits zitierten Schriften zu den Hamburger Magistern verwiesen werden. Auch die Hamburger HistorikerInnen bestätigen also, daß die geisteswissenschaftlichen Magister keine besondere Problemgruppe für die Integration in den Arbeitsmarkt unter den HochschulabsolventInnen darstellen. (4) Allerdings sind ihre Tätigkeitsfelder außergewöhnlich breit gestreut. Eigeninitiative und persönliche Kontakte, die möglichst schon frühzeitig während des Studiums aufgebaut werden sollten, sind wichtigste Voraussetzung für den Berufseinstieg. Schon allein angesichts der Bandbreite der Tätigkeitsfelder wäre das Geschichtsstudium überfordert, stärker berufsorientiert auszubilden. Die vermittelten Universalqualifikationen und die hohe Mobilisierung zur Selbständigkeit scheinen aber eine gute Grundlage für das "Leben nach dem Studium" zu legen.

Trotz dieser an sich positiven Trends müssen aber fünf Problembereiche herausgestellt werden:

a) Der Berufseinstieg von Magistern dauert häufig ausgesprochen lange. 44% benötigen länger als ein halbes Jahr, um den Berufsübergang zu schaffen. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß es an nüchterner Aufklärung über die Berufsperspektiven im Studienverlauf mangelt. Die Verdrängung des Problems wird jenem Teil der Studierenden, die ihm ausweichen wollen, offensichtlich zu leicht gemacht. Bei der Befragung unter den Studierenden, die sich bereits im Hauptstudium befinden, machte rund ein Viertel keinerlei Angaben zu den angestrebten Berufsperspektiven. Gefragt ist also nicht eine stärkere, "stromlinienförmige" Ausrichtung auf vermeintlich eindeutige Anforderungen des Arbeitsmarktes, wohl aber eine deutliche Verstärkung der Anstrengungen, Studierende frühzeitig für das Problem ihrer späteren Berufstätigkeit zu sensibilisieren und auf die zentrale Bedeutung ihrer Eigeninitiative in diesem Bereich hinzuweisen. Ein guter oder auch überdurchschnittlicher Studienabschluß allein bietet längst keine Garantie mehr für einen späteren Arbeitsplatz. Sowohl in den Gesprächskreisen als auch in der Befragung hat das Fach in dieser Hinsicht - durchaus verdient - schlechte Noten von seiten der Studierenden bekommen. Keines der in der Studienordnung festgeschriebenen Studienziele wird als weniger eingelöst beurteilt als die "Vorbereitung auf eine künftige Berufstätigkeit". Die Studierenden sollten also während des Studiums stärker gezwungen werden, sich frühzeitig "über die Vielfalt der Berufe, die Individualisierung des Berufsverbleibs und die Notwendigkeit der Eigeninitiative beim Berufseinstieg zu orientieren". (5) Auf die hierzu vom IZHD durchgeführten Veranstaltungen sollte verstärkt hingewiesen werden (s. unten 5.10).

b) Unter den nicht berufstätigen Hamburger HistorikerInnen könnte sich in der Gruppe der "Weiterstudierenden (Promotion oder Zweitstudium)" eine potentiell von Dauerarbeitslosigkeit bedrohte Klientel verbergen. Offensichtlich wird der Weg der Promotion nicht allein von den leistungsstärksten HistorikerInnen eingeschlagen, sondern erleichtert manchen den Aufschub des Berufseinstiegsproblems für einige Jahre, ohne es zu lösen, einer Lösung näher zu bringen, ja oft sogar um den Preis des Verlustes vieler lebensweltlicher Bezüge. Da die Promotion als eine Zusatzqualifikation, die die eigenen Berufschancen erhöht, außerhalb des engeren Wissenschaftsbereichs immer mehr entwertet zu sein scheint, droht manchen Promovierenden nicht der Gewinn an Berufsperspektiven, sondern der Verlust entscheidender Jahre für den Berufseinstieg. Die betreuenden Professoren sollten diesen Zusammenhang fest im Auge haben und sich im übrigen um eine intensive persönliche Betreuung der Promovierenden bemühen, wenn sie eine Promotion anbieten und zusammen mit den KandidatInnen das Thema festlegen. Sie sollten jeweils die Frage, wer den Nutzen von dieser Arbeit hat und wie er im Verhältnis zu den persönlichen Risiken und Lebensperspektiven steht, genau erörtern. Die zahlreichen Gegenbeispiele beruflich sehr erfolgreicher promovierter HistorikerInnen, die es natürlich ebenso gibt und die es darüber natürlich nicht zu vergessen gilt, entkräftet dabei das Argument nicht, daß gerade in dieser Gruppe eine realistische "Risikofolgenabschätzung" erfolgen sollte.

c) Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, daß das potentielle Berufsfeld von HistorikerInnen sehr differenziert ist. Bezieht man die Lehrämter ein, dürfte aber dem Staat noch immer eine Spitzenposition unter den potentiellen Arbeitgebern von HistorikerInnen zukommen. Solange die angespannte Finanzlage der öffentlichen Haushalte anhält und also kaum mit einer den künftigen AbsolventInnenzahlen entsprechenden Expansion dieses Beschäftigungssektors gerechnet werden kann, solange muß auch mit einer Verschlechterung der allgemeinen Berufsperspektive von HistorikerInnen kalkuliert werden. Dieser Situation haben sich die Hamburger HistorikerInnen bisher einigermaßen erfolgreich stellen können, indem sie anderen Arbeitgebern die Vorteile ihrer spezifischen Fähigkeiten deutlich machen konnten. Die Lehrenden tragen aber Mitverantwortung dafür, daß Studierenden auch in Zukunft die Anpassung an diese äußeren Zwänge gelingen kann. Ein pauschaler Verweis auf die Überlegenheit von HochschulabsolventInnen auf dem Arbeitsmarkt, der zum Teil sogar die gefährliche Tendenz zeigt, ins Ständische überhöht zu werden, wird der komplexer gewordenen Beschäftigungssituation von HistorikerInnen sicher nicht gerecht. Er war allerdings während des Erhebungsverfahrens in Hamburg auch kaum zu vernehmen. Hinzu kommt, daß eine verstärkte Auseinandersetzung des Faches mit diesem Problemkomplex dazu beitragen könnte, die Rückkoppelung an gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und außeruniversitäre Lebenswelten zu stärken.

d) Sowohl in den Gesprächskreisen als auch in den Untersuchungen von Meyer-Althoff wurde deutlich, daß die Hamburger HistorikerInnen zuweilen dazu neigen, ihre eigenen Leistungen und ihre Leistungspotentiale überkritisch einzuschätzen. Es muß deshalb auch Aufgabe der Lehrenden sein, mit dazu beizutragen, daß die Absolventinnen und Absolventen sich selbstbewußt, ihren Neigungen und Begabungen entsprechend, in Bewerbungsgesprächen präsentieren können. An die Fachrichtung insgesamt sollte in diesem Zusammenhang die Aufforderung gerichtet werden, vermehrt über Möglichkeiten zu einer Stärkung der corporate identity nachzudenken sowie - etwas konkreter - die Einübung moderner mündlicher Präsentationsformen wieder zu stärken. Die durchgeführten Erhebungen weisen jedenfalls darauf hin, daß das Fach einigen Grund hat, eine gesunde Selbstachtung gegenüber dem hier Geleisteten zu empfinden.

e) Einer allgemeinen Forderung nach Stärkung von direkt berufsqualifizierenden Studienanteilen fehlt dagegen, aufgrund der großen Bandbreite potentieller Arbeitsfelder, die faktische Grundlage. Eine Ausrichtung des Studiums auf die immer konjunkturabhängige Arbeitsmarktlage würde für die Geschichte deshalb ohne operationalisierbare Konkretisierung bleiben müssen.

[1] Damit soll nichts Negatives über die grundsätzliche Auskunftsbereitschaft beider Behörden gesagt werden. Im Gegenteil: Beide Ämter zeigten sich bei den Recherchen ausgesprochen offen und hilfsbereit. Die Schulbehörde versorgte uns darüber hinaus mit einigen der für die Feststellung der AbsolventInnenzahlen notwendigen Prüfungslisten.

[2] Martha Meyer-Althoff: Magisterabsolventen im Vergleich, in: BMBWFT: Absolventenreport, a. a. O., S. 43 - 52; dies.: Studium mit Magister-Abschluß, in: ibv Doku 12/ 94, S. 40795 - 40832; dies: Nicht der Beruf ist das Problem, sondern die Wege dahin, in: Beiträge zur Hochschulforschung 3/ 1995, S. 257 - 292. Vgl. aber auch die methodisch weniger ausgefeilte, als Fallstudie dennoch interessante Schrift der Münchner Fachschaft Geschichte: Stephan Hofmann, Georg Vogler: Geschichtsstudium und Beruf, Ergebnisse einer Befragung der Absolventen des Magisterstudienganges in München 1987 - 1992, München 1995.

[3] Die leichten Abweichungen zu den Zahlen in Graphik 1 ergeben sich aus der Differenz zwischen akademischen Jahren (auf die sich die Graphik 1 bezieht) und den Kalenderjahren, die Grundlage der Erhebungen von Meyer-Althoff sind.

[4] Vgl. hierzu auch die bundesweiten Vergleichszahlen; Bundestagsdrucksache 13/1714, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage (...) „Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventinnen und -absolventen“.

[5] Meyer-Althoff 1994, a. a. O., S. 40816.


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: meissner@uni-hamburg.de
Subject: Beitrag zur Nachwuchshitorikerdebatte
Date: 29.06.2000


       

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