Liebe Nachwuchshistoriker-Initiatioren,

grundsaetzlich finde ich die vorgestellte Initiative insofern sehr begruessenswert, als sie ein ueberreifes Thema auf die Tagesordnung setzt: die Berufsaussichten von promovierten und habilitierten Historikern. Eine Mischung aus paranoider Konkurrenzangst und Hoffnungslosigkeit sorgt nach meinem Empfinden bislang dafuer, dass das Thema jenseits von Kaffeefluesterrunden praktisch tabu ist. Insofern habe ich die bisherigen Diskussionsbeitraege auch deswegen mit grossem Interesse gelesen, weil die Schreiber sich vielfach dem Problem konkret stellten, anstatt ins Allgemein-Rosige auszuweichen. Auf der Makroebene ist ja vielfach festgestellt worden, das Geschichte "Konkjunktur" hat und die "Wachstumsaussichten" auch in Zukunft eigentlich nicht schlecht aussehen. Offenbar klafft aber hier zu den individuellen Berufsaussichten eine Luecke, die vielleicht durch die geplante Initiative oder eine Fortsetzung des begonnenen Diskussionsforums ueberbrueckt werden koennte. Ob allerdings in dieser Diskussion Seminarstil-artig zunaechst "alle Argumente auf den Tisch" gebracht und dann "auf ihre Validitaet zu pruefen" werden sollten (von wem auch immer), bevor konkretere Schritte unternommen werden, darf angesichts der Tatsache, daß es sich hier eigentlich nicht um ein wissenschaftliches, sondern ein hochschul- und forschungspolitisches Problem handelt, bezweifelt werden; neben der zurecht eingeforderten Solidaritaet koennte auch ein Schuss Pragmatismus in der Vorgehensweise nicht schaden. Auch die Frage, ob durch Drittmittelforschung zu viele Nachwuchshistoriker in Sackgassen gelenkt werden, waere noch genauer zu debattieren. Angesichts ihrer eigenen Erfahrungen moegen die Initiatoren in Bezug auf SFBs vielleicht richtig argumentieren; andererseits scheint mir aus der Perspektive eines Doktoranden die Einwerbung von Drittmitteln fuer Promotionsstellen gerade wegen der erwaehnten "Geschichtskonkjunktur" noch mehr als ausbaufaehig. Wenn man sich in anderen nicht-geisteswissenschaftlichen Faechern umsieht, so ist es doch eher unueblich ist, eine Doktorarbeit nicht von einer bezahlten Stelle aus zu betreiben. Ein eigenes Unterkapitel waere hier ausserdem das Stipendienwesen; mir ist es schwer verstaendlich, warum die Doktorandenfoerderung in so grossem Masse von Parteienstiftungen "gemanagt" wird. Auch wenn politisches Engagement durchaus eine förderungswürdige Sache ist, scheint mir hier doch ein Mißverhältnis zu bestehen, das ungesunde Verrenkungen mancher Bewerber hervorrufen muss. Eine Verlagerung zumindest eines Teils der Mittel, der bislang der Parteienstiftungen fuer diese Zwecke zugewiesen wird, auf rein wissenschaftsbezogenen Vergabestellen wie z.B. die Landesgraduiertenfoerderung erscheint mir deshalb wuenschenswert.

Herzliche Gruesse,

Stefan Hemler (Muenchen)


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Stefan Hemler <ue303cl@mail.lrz-muenchen.de>
Subject: Re: NachwuchshistorikerInnen-Initiative auf dem Historikertag
Date: 21.06.2000


       

Copyright ©1996-2002, H-Soz-u-Kult Humanities Sozial- und Kulturgeschichte

Diskussionen