Erstmal Lob und Dank an Anne Nagel und Ulrich Sieg dafuer, dass sie einen Anstoss dazu gegeben haben, eine NachwuchshistorikerInneninitiative zu starten. In der letzten Zeit ist unter habilitierten und angehenden PrivatdozentInnen, auch unter einigen weitsichtigen ProfessorInnen angesichts der Bewerbungsflut auf ausgeschriebene Professorenstellen immer mal wieder die Rede davon gewesen, dass eigentlich etwas getan werden muesste. Dabei geht es nicht darum, fuer eine Generation einen Versorgungsanspruch zu formulieren, sondern grundsaetzlich die Rekrutierungsmechanismen und die bisherige Ausgestaltung der Hochschullehrerlaufbahn zu reflektieren. Der Vorschlag, auf dem Historikertag eine Diskussionsveranstaltung anzukuendigen und eine Resolution zu verabschieden, könnte ein Anfang sein.

Hier einige Ueberlegungen, was wir diskutieren bzw. in die Resolution einbringen koennten: Wir braeuchten statistisches Material ueber die Entwicklung der Habilitationszahlen (moeglichst differenziert nach Finanzierungsart, d.h. ueber Assistentur, Projekt, Stipendium, aber auch exemplarisch fuer einzelne Universitaeten) und eine Prognose ueber die freiwerdenden Stellen in den naechsten Jahren. Dies waere wichtig um zu sehen, ob unsere Einschaetzung subjektiv ueberzeichnet ist. Handelt es sich bei der derzeitigen Schwemme um eine weitere Variante des bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts zyklisch wiederkehrenden Phaenomens oder bedeutet der quantitative Ãœberhang im Moment etwas qualitativ Neues? Selbst wenn es sich nur um eine der regelmaessig wiederkehrenden Ueberfuellungskrisen und nichts qualitativ Neues handeln sollte, muesste doch ueberlegt werden, was diese Krisen fuer strukturelle und mentalitaetsmaessige Auswirkungen haben, welche Anpassungszwaenge und welches innovationsfeindliches Potential ihnen innewohnt und wie sich der Wissenschaftsbetrieb (Stichwort Publikationsflut) dadurch veraendert. Die sich ankuendigende PrivatdozentInnenschwemme ist untrennbar mit einem zentralen Problembuendel verknuepft, das weitgehend tabuisiert wird: mit den Bedingungen und Rekrutierungsmechanismen der Hochschullehrerlaufbahn, mit der Hierachie im Lehr- und Forschungskoerper und dem professoralen Selbstverstaendnis (asketischer, harter Berufsweg). Schon Christian von Ferber stellte in den 1950er Jahre in seiner Untersuchung zur Lehrkoerperentwicklung an deutschen Universitaeten fest, dass eine Indifferenz gegenueber den institutionellen Grundlagen der Ergaenzung des Lehrkoerpers bestehe. Er fuehrte dies auf das Ansehen des Professorenberufs und das damit einhergehende Bewusstsein zurueck, beim Nachwuchs eines so angesehenen Standes aus dem Vollen schoepfen zu koennen. Eine Argumentationslinie koennte sein, dass die Nachwuchsfoerderung ueberdacht und transparent gemacht werden sollte. So ungeplant und unreflektiert, wie das momentan geschieht, kann es auch im Hinblick auf die, die sich gerade habilitieren, nicht weitergehen. Lehre und Forschung an der Hochschule sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Heranziehung wissenschaftlichen Nachwuchses ist nicht nur Sache individueller Karrierewuensche. Hier geht es auch um einen bewussten Umgang mit menschlichen und materiellen Ressourcen, um kreatives Potential, das in der Warteschleife und im Konkurrenzdruck verpufft. Die derzeitige Privatdozentenschwemme ist, historisch betrachtet, ein Generationenphaenomen, das eng mit den steigenden Studierendenzahlen, der sozialen Oeffnung des Studiums und der Ausbaugeschwindigkeit des Hochschulsystems zusammenhaengt. Zyklische Schwankungen in den Anstellungschancen der Privatdozenten zeigten sich schon phasenweise Ende des 19. Jahrhunderts. Seit der zweiten Haelfte des 20. Jahrhunderts verschaerften sich diese Zyklen in ihren Auswirkungen, da sich die Hochschullehrerlaufbahn sowie die anderen akademischen Berufe mehr und mehr abschotteten, so dass ein Ende des 19. und im fruehen 20. Jahrhundert noch moegliches Umsteigen zwischen universitaeren und ausseruniversitaeren Berufsstellungen immer schwieriger wurde. Mit den 1960er Jahren, der Bildungsexpansion und der Schaffung zahlreicher Assistentenstellen in den Geisteswissenschaften setzten neue Reproduktionsmechanismen und eine enorme Steigerung der Privatdozentenzahlen ein, die nie reflektiert wurden. Die Privatdozentensteigerung konnte zunaechst durch den Stellenausbau bis Mitte der 1970er Jahre aufgefangen werden, danach zeigten sich Ueberfuellungsphaenomene. Seit den 1980er Jahren wurde die Nachwuchsproduktion nochmals durch SFBs und Drittmittelfoerderung gesteigert. Gleichzeitig kamen die geburtenstarken Jahrgaenge, die zudem in der Phase der Bildungsexpansion aufgewachsen waren, an die Universitaet, d.h. damit erhoehte sich wiederum die Habilitationsneigung. Gleichzeitig stagnierte der Stellenausbau seit den 1980er Jahren, eine Risikoabfederung ueber Hausberufungen und Mittelbaustellen schied aus, damit verschlechterte sich die Berufssituation nochmals. Wie koennte man hier Abhilfe schaffen? Grundsaetzlich muesste man eine Umstrukturierung der Hochschullehrerlaufbahn fordern mit einer Absicherung in juengerem Alter, da Anfang oder Mitte Dreissig ein Umschwenken in ein anderes Berufsfeld viel eher moeglich ist als nach der Habilitation mit Anfang, Mitte oder nach laengerer Privatdozentenzeit mit Ende Vierzig. Die Habilitation, die die Abhaengigkeitsphase verlaengert, muesste abgeschafft werden, zumal die hochschulpolitischen Vorgaben darauf hinauslaufen werden. Bleibt dann die Frage, wer nach welchen Kriterien die Ausleseentscheidungen trifft, wie eine soziale Verengung der Zugangschancen zum HochschullerInnenberuf vermieden werden kann und wie das Konkurrenzverhaeltnis gestaltet wird, da nicht eins zu eins ausgebildet werden kann. Eventuell muesste auch ein Teil der Assistententuren als feste Stellen verankert werden, da nicht nur ueber die SFBs sondern eben auch ueber die Assistentenstellen eine "Ueberproduktion" geschaffen wird. Solche Ueberlegungen beruehren Prestige sowie persoenliche Einfluss- und Foerdermoeglichkeiten von Professoren. Damit einhergehen muesste auch eine Veraenderung der Hierarchie im Lehrkoerper, so dass ein vollberechtigtes, "ehrenvolles" Verweilen auf mittleren Positionen moeglich wuerde. Ob die Einrichtung von 3/4 Stellen, eine Mischfinanzierung ueber stundenreduzierte feste Stellen bei gleichzeitiger Projektarbeit, Stipendiengenuss bzw. freiberuflicher Taetigkeit eine ernsthafte Moeglichkeit waere, und nicht nur eine Verminderung des Gehalts bei letztlich nicht gesteigerterter Stellenzahl bedeuten wuerde, muesste ueberlegt werden. Eine Neustrukturierung der Hochschullehrerlaufbahn umzusetzen, geht aber ueber die Einflussmoeglichkeiten der Historikerzunft und des Verbandes hinaus, betrifft ebenso die anderen philosophisch-historisch-philologischen Disziplinen und ist letzlich Sache der Hochschulpolitik von Universitaeten, Laendern und Bund. Doch Nachdenken ueber moegliche Loesungen, ein Bewusstmachen der derzeitigen Mechanismen der Nachwuchsrekrutierung und innerhalb der bestehenden Verhaeltnisse Milderungen und Verbesserungen zu schaffen, ist sehr wohl moeglich. Also: wer Zeit hat, vor Ort Zahlen und Quellen zur Entwicklung der Privatdozentenzahlen, zur wissenschaftlichen Nachwuchsproduktion und der Bewerberzahlen am eigenen Insitut sammeln - ist hilfreich, illustriert die Argumentation und macht uns unsere Situation klarer. Es koennte in der Resolution vorgeschlagen werden, dass der Historikerverband eine entsprechende Erhebung zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses und zur Entwicklung der Privatdozentenzahlen in den letzten Jahrzehnten als historisches Projekt in Auftrag gibt und finanziert.

HD Dr. Sylvia Paletschek
Universitaet Tuebingen
Historisches Seminar
Wilhelmstr. 36
72074 Tuebingen


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Sylvia Paletschek <Paletschek@aol.com>
Subject: NachwuchshistorikerInneninitiative
Date: 19.6.2000


       

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