Historikertag-Initiative

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herzlichen Dank für die vielen zustimmenden, anregenden und kritischen Reaktionen, die uns zeigen, wie überfällig eine Diskussion zur Lage der NachwuchshistorikerInnen ist, und uns ermutigen, weitere Schritte zu unternehmen.

Als erstes erscheint uns wichtig, ein dauerhaftes Diskussionsforum bei H-Soz-Kult einzurichten. Es sind noch längst nicht alle Argumente auf dem Tisch, der "Aushandlungsprozeß" zwischen den Beteiligten hat ja gerade erst begonnen. Eine Aussprache wird es erleichtern, die Validität der vorgebrachten Argumente zu beurteilen. Überdies wird es mit der Zeit zur Erstellung eines Meinungsbildes unter den jungen HistorikerInnen kommen, das eine eigenständige inhaltliche und politische Qualität besitzt.

Vor allem aber erhoffen wir uns durch die Diskussion eine Politisierung der Nachwuchshistorikerschaft. Viele befinden sich an ihren Universitäten in starken Abhängigkeitsverhältnissen, welche die freie Meinungsäußerung erschweren. Es ist schon sehr bemerkenswert, in welchem Ausmaß im Fach Geschichtswissenschaft unbezahlt oder gravierend unterbezahlt gearbeitet wird. Dennoch funktioniert immer noch das "Prinzip Hoffnung", das vermutlich noch viel drastischer auf den Begriff gebracht werden müßte. Unsere generationellen Interessen werden wir jedenfalls nur gemeinsam erfolgreich verfechten können. Und vielleicht gewinnt ja auch das aus der Mode gekommene Wort "Solidarität" in der Geschichtswissenschaft neuen Klang.

Natürlich geht es uns nicht um die Einführung einer Planwirtschaft, womöglich noch nach sozialistischem Vorbild. Geisteswissenschaftliche Tätigkeit braucht Konkurrenz und Auswahl, sie lebt von der vielfältigen Überlappung mit anderen Gebieten und braucht gesellschaftliche Impulse, wenn sie relevante Einsichten ermitteln soll. Nur bedeutet eine Überproduktion von Nachwuchswissenschaftlern zugleich eine Entrechtung. Und es spricht doch wahrlich nichts dagegen, öffentlich darüber zu debattieren, wie die Geschichtswissenschaft demokratischer, gerechter und zugleich innovationsfreudiger organisiert werden kann!

So macht es keinen Sinn, sich länger gegenüber der Erkenntnis zu verschließen, daß die Sonderforschungsbereiche in unserm Fach weit mehr Nachwuchskräfte produzieren als vernünftig ist. Faßt man die stetig sinkende Zahl der Dauerstellen ins Auge, wirkt es schon grotesk, in welchem Ausmaß in den letzten Jahren Sonderforschungsbereiche gegründet wurden. Wohl wird jeder die Freude über die zeitweise Absicherung durch BAT-Stellen verstehen; doch der Spaß hört auf, wenn die habilitierten Absolventen sich am Ende einem ganzen Heer von Mitbewerbern um die wenigen "Lebensstellen" gegenüber sehen. Und schließlich dürfte auch einmal zu überprüfen sein, ob die inzwischen so zahlreichen geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereiche das Fach inhaltlich tatsächlich weiterbringen. Bis jetzt ist der Eindruck bestimmend, daß sich unter gespreizten Oberbegriffen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zusammenfinden, die weit mehr an den Segnungen der Drittmittelzuwendungen interessiert zu sein scheinen, als an interdisziplinärer Zusammenarbeit. Doch ob probat oder nicht, fest steht: Das mit vollen Händen in den Sonderforschungsbereichen ausgegebene Geld fehlt dringend an anderen Stellen, zur gezielten Förderung von wichtigen Einzelprojekten, zur Einrichtung von Hochbegabtenstipendien oder zur Finanzierung von "Zeitprofessuren", wie sie das Fiebiger-Modell einst vorsah.

Die Diskussion um die Perspektiven der JungwissenschaftlerInnen in unserm Fach muß öffentlich geführt werden. Deshalb haben wir, die Anregung von Karen Hagemann/TU Berlin aufgreifend, eine Diskussionsveranstaltung beim Deutschen Historikertag beantragt. Sie soll parallel zur Sektion "Junge Historiker stellen sich vor" stattfinden, die nach unserer Beobachtung in den letzten Jahren nur noch peinlich war. Das Ziel dieser Veranstaltung soll in der Diskussion und Verabschiedung einer Resolution bestehen, die dem Vorstand des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands vorgelegt werden soll. Sollte sich der Verband diesem Veranstaltungsvorschlag verweigern, müßte umgehend über alternative Formen der Zusammenkunft nachgedacht werden. Der Problemdruck ist gewaltig und es dürfen auch diejenigen im Fach darüber nachdenken, die es "schon geschafft" haben. Wir jedenfalls würden es sehr begrüßen, auch ihre Meinung zu unserem Problem zu hören!

Dr. Anne Chr. Nagel, JLU Gießen, SFB "Erinnerungskulturen", Historisches Seminar

PD Dr. Ulrich Sieg, Philipps-Universität Marburg, Institut für Neuere Geschichte


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

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