Eigentlich sollte man sich ja freuen, wenn die beruflichen Probleme, denen sich angehende Historiker gegenueber sehen, einmal zur Diskussion gestellt werden, selbst wenn dies 'nur' im Rahmen der begrenzten Teiloeffentlichkeit einer fachspezifischen Mailingliste geschieht. Und in der Tat zeigt die lebhafte Reaktion auf die Thesen von Anne Nagel und Ulrich Sieg, dass hier anscheinend ein Thema von allgemeinem Interesse beruehrt wurde. Allerdings mindert sich die anfaengliche Freude nicht unerheblich, wenn man die Ideen und Forderungen ihres Aufrufs ein wenig naeher betrachtet. Es ist unstrittig, dass die beruflichen Perspektiven fuer den wissenschaftlichen Nachwuchs im Fach Geschichte eine eher komplizierte Gestalt haben. Diese Situation hat sich aber nicht vor einigen wenigen Tagen ueberraschend und unvorhersehbar eingestellt, sondern sie besteht seit Jahren, um nicht zu sagen: seit Jahrzehnten. Wer immer seine berufliche Zukunft als wissenschaftlich arbeitender Historiker suchen will, muss sich darueber im Klaren sein, dass er/sie einen Weg vor sich hat, der mit erheblichen Risiken verbunden ist. Im Laufe meines Studiums musste ich aber mehr als einmal die Erfahrung machen, dass viele Kommilitonen und Mitpromovenden in dieser Hinsicht ueber gut funktionierende Verdraengungsmechanismen verfuegten. Moegliche Alternativen zur angestrebten Taetigkeit als Wissenschaftler wurden erst gar nicht in Betracht gezogen, andere Berufsfelder nicht erkundet oder der Zugang zu ihnen durch die Wahl des Studienabschlusses (MA anstelle des Staatsexamens) sehr erschwert, wenn nicht  sogar unmoeglich gemacht. Dadurch, dass sich auch die Initiative von Nagel und Sieg wiederum einseitig auf die wissenschaftliche Taetigkeit kapriziert, wird der Blick dafuer verstellt, dass die grosse Mehrheit der an den Universitaeten im Fach Geschichte Ausgebildeten ihre berufliche Zukunft anderswo hat. Von den drei klassischen Berufsfeldern fuer Historiker - Wissenschaft, Archiv, Schule - ist das letztgenannte in quantitativer Hinsicht erheblich bedeutender als die beiden anderen. Hinzu kommt der weite, wenngleich etwas diffuse Bereich der tertiaeren Aus- und Weiterbildung sowie vielfaeltige Taetigkeiten im stark expandierenden Mediensektor. Bei letzterem sollte man die Anregung von Elfie Rembold metaphorisch zu nehmen: Hollywood kann durchaus auch ein Fernsehunternehmen in Koeln, das Lokalradio von Lueneburg, eine Filmfabrik in Muenchen oder irgendein Redaktionszimmer sein.

Fuer alle diese Berufe, einschliesslich der wissenschaftlichen Taetigkeit, gilt aber, dass Aufgeschlossenheit, Eigeninitiative, (Selbst)disziplin, Realitaetssinn und Stehvermoegen unerlaessliche Voraussetzungen fuer den gewuenschten Erfolg darstellen. Allein aus dem Erwerb einer formalen Qualifikation (hier: Doktortitel) - und sei dies mit einer noch so guten Bewertung erfolgt - den Anspruch auf eine "angemessene" und bitte schoen gleich nach C 2 besoldete Stelle abzuleiten, ist gelinde gesagt naiv. Ebenso wie in den in sich widerspruechlichen Ausfuehrungen zur zahlenmaessigen Staerke des wissenschaftlichen Nchwuchses - man kann nicht einerseits dessen Foerderung durch die DFG und vergleichbare Institutionen als verfehlte "Nachwuchsplanung" beklagen und andererseits die in der Tat oft strangulierenden Sparmassnahmen der oeffentlichen Hand im universitaeren Bereich kritisieren - kommen hier kaum verhuellte Statusaengste zum Ausdruck. Diese mitunter merkwuerdig anmutende Mixtur aus wenig realistischen Forderungen, unzutreffenden und widerspruechlichen Ursachenanalysen und einer gehoerigen Portion allgemeinen Gejammers stellt meiner Ansicht ohnehin die gravierende Schwaeche dieser NachwuchshistorikerInnen - Initiative dar. Hinzu kommt, dass manche Replik sich diesem Niveau angepasst hat. Da wird munter die Globalisierung beklagt, deren Folge angeblich eine "radikale materielle Entwertung wissenschaftlicher Arbeit" sei (M. Fahlbusch), nebenher noch schnell auf Guido Knopp eingehauen (M. Meyer), denn schliesslich ist nichts so ekelhaft wie ein auch kommerziell - welch grausames Wort - erfolgreicher Historiker, und ueberhaupt sei die Geschichtswissenschaft durch den schnoeden Mammon und den boesen Markt bedroht und muesse alles kritisch hinterfragen. Als ob gerade die deutsche Geschichtswissenschaft an zuviel Marktgaengigkeit litte! Insgesamt wird mit dieser Initiative einem wichtigen und der Sache nach berechtigten Anliegen kein guter Dienst erwiesen. Der simple Ruf nach einem "Generationswechsel" wird weder den speziellen Problemen des wissenschaftlichen Nachwuchses noch den allgemeinen Problemen des universitaeren Wissenschaftsbetriebes gerecht.

Hierbei gilt es genauer hinzuschauen, um die sicherlich vorhandenen und sattsam bekannten institutionellen Verkrustungen und hierarchischen Abhaengigkeiten auf der einen Seite sowie die staatliche Finanzmisere und deren Folgen auf der anderen Seite voneinander zu trennen. Denn selbst wenn die deutschen Universitaeten und deren Mechanismen zur Nachwuchsrekrutierung vorbildlich organisiert waeren - was fuer beide zweifelsohne nicht zutrifft - wuerden sie unter den Bedingungen einer seit mehr als zwei Jahrzehnten andauernden und in den letzten Jahren auch noch zunehmenden Unterfinanzierung dauerhaft nicht funktionieren koennen. Hier liegt die Verantwortung eindeutig bei der Politik, und da der Bund und die Laender sich diese teilen, betrifft dies direkt oder indirekt alle, die in den letzten 25 Jahren zu irgendeiner Zeit irgendwo Regierungsverantwortung getragen haben. In dieser parteiuebergreifenden Koalition der Problemleugner, Reformverhinderer, Symptomherumdoktorer, Schoenredner und Semantik - Artisten (man denke nur einmal daran, dass die nordrhein - westfaelische Landesregierung sich nicht entbloedet hat, eine generelle Kuerzung der Finanzmittel und des Stellenplans der Hochschulen in NRW allen Ernstes als 'Qualitaetspakt' zu bezeichnen) wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit niemand finden, der bereit waere, politisch dafuer zu kaempfen, dass oeffentliche Mittel aus anderen Bereichen zugunsten der Universitaeten abgezogen werden. Bleibt als Alternative die Erschliessung neuer Finanzquellen, sprich Drittmittel und Studiengebuehren. Wenngleich ersteres ein vermutlich noch ausbaufaehiger Bereich ist, sollte man in dieser Hinsicht keine allzu uebertriebenen Erwartungen hegen. Mit letzterem geraet man hingegen in ein politisches Minenfeld. Zumal Studiengebuehren nur dann ein sinnvolles Finanzierungsinstrument waeren, wenn mit ihrer Einfuehrung tiefgreifende institutionelle Veraenderungen verbunden waeren. Ansonsten waere die Gefahr zu gross, dass sich an den jetzt herrschenden und in weiten Teilen unbefriedigenden Zustaenden nichts aendert, ausser dass diese dann auch noch viel Geld kosten. Es bleibt allerdings zu fragen, ob es die Aufgabe angehender Wissenschaftler sein sollte, politische Denkverbote der Vergangenheit am Leben zu erhalten. Wie man an diesen knappen und lange nicht vollstaendigen Ueberlegungen zu den Problemen des Wissenschaftsbetriebes sieht, ist es mit einer Nachwuchsinitiative allein im Bereich der Geschichte nicht getan. Wenn diese dann auch noch mit den oben geschilderten Maengeln behaftet ist, wird das Vorhaben auch nicht einfacher. Um dem wissenschaftlichen Nachwuchs insgesamt bessere Chancen zu verschaffen, sollte zum man einen ueber die Fachgrenzen hinaus schauen und Verbuendete suchen, denn die strukturellen Probleme gleichen sich in vielen Disziplinen. Zum anderen ist es unerlaesslich, politischen Druck aufzubauen, damit der Bildungssektor zu einem politischen Thema wird, an dem sich Wahlen entscheiden koennen. Sofern und so lange dies nicht gelingt, ist es utopisch, auf ein bessere Finanzausstattung von oeffentlicher Seite zu hoffen. Im uebrigen sollte sich jeder, der eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt, zuvor sehr kritisch pruefen, ob er bereit und in der Lage ist, die damit verbundenen Risiken zu tragen.

Mit freundlichen Gruessen, Ulrich Rosseaux


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Ulrich Rosseaux <uzs7fl@uni-bonn.de>
Subject: Zur NachwuchshistorikerInnen - Initiative
Date: 15.06.2000


       

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