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Quelle - email <H-Soz-u-Kult>
From: Carsten Timmermann <timmermann@fs4.ma.man.ac.uk> |
Sehr interessant, was Herr Stauf da zum bilingualen Geschichtsunterricht zu sagen hat. Das gab es vor zehn Jahren noch nicht, als ich Abitur gemacht habe (... wie schnell man doch alt wird...).
Vielleicht sollte ich mich als Listenneuling kurz vorstellen: Ich bin Diplombiochemiker und jetzt Doktorand am ' Centre for the History of Science, Technology and Medicine' in Manchester. Ich arbeite an einer Dissertation ueber Mediziner und Biologen in der Weimarer Republik und interessiere mich vor allem fuer die Zusammenhaenge von oekonomischen und intellektuellen 'Krisen' und vermeintlich antimodernen Tendenzen (Stichwort Holismus) in Modernisierungsprozessen.
Geschichtsuntericht sollte in meinen Augen vor allem zwei Dinge leisten:
a) den historischen Rahmen vermitteln, in den Detailwissen dann je nach persoenlichem Interesse eingefuegt werden kann.
b) den kritischen Umgang mit Materialien lehren.
Punkt b) ist mir dabei immer als der wichtigere erschienen. Das kritische Textgefuehl, das ist mein Eindruck, ist auch etwas, was wir zum Beispiel den englischen Kommilitonen voraushaben (ausserdem kommen diese auch kaum in den Genuss von Fremdsprachenunterricht). Fuer den kritischen Umgang mit einem Text ist aber zunaechst Textverstaendnis unerlaesslich, und das kann in der Muttersprache schneller erreicht werden. Wenn man dann ein gewisses Selbstbewusstsein im Umgang mit Quellen erreicht hat, faellt das Umsteigen auf eine andere Sprache gar nicht mehr so schwer. Ich wuerde es allerdings (wahrscheinlich mit Herrn Stauf) fuer sinnvoll halten, im Englisch- bzw. Franzoesischunterricht eine knappe Einfuehrung in englische und franzoesische Nationalgeschichte - mit Originaltexten - zu liefern.
Sprachkenntnis kommt mit dem aktiven Sprechen, das habe ich persoenlich erfahren duerfen, und dafuer liefert der konventionelle Fremdsprachenunterricht ganz gute Voraussetzungen. Vielleicht waere es sinnvoll, diesen schon in der Grundschule anzufangen, anstatt den Geschichtslehrern die Vermittlung von Fremdsprachen aufzuhalsen.
Noch ein Schmankerl aus dem fernen Osten: Japanische Schueler sehen sich recht frueh in ihrer Schulkarriere vor die Entscheidung gestellt, ob sie fast ausschliesslich ueber westliche Geschichte unterrichtet werden wollen, oder aber ueber japanische.
Mit besten Gruessen,
Carsten Timmermann
Centre for the History of Science, Technology and Medicine
University of Manchester
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