Der Artikel Unsichere Zukunft" über den Streit um das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (FAZ vom 6. Oktober 2000) stellt die Sachlage verzerrt dar und überzieht meine Person mit falschen Behauptungen. Der Vorwurf lautet, ich hätte als bisheriger Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats die Durchführung einer Evaluierung verhindert und ich sei deshalb auch verantwortlich dafür, daß der am 11. September dieses Jahres gefaßte Beschluß des Kuratoriums, Prof. Klaus-Dietmar Henke als Direktor nicht mehr wiederzuwählen, ohne vorherige Evaluierung erfolgt ist.
Dazu ist folgendes zu sagen. Der Beirat hat die Arbeitsberichte des Direktors und die Arbeitspläne des Instituts in jeder seiner jährlichen Herbstsitzungen bewertet, zuletzt noch am 6. Oktober dieses Jahres. Außerdem sieht die Satzung eine große Evaluierung im Dreijahresrhythmus vor; die nächste steht im Frühjahr 2001 an. Zur Vorbereitung dieser Evaluierung hatte der Beirat eine Sitzung für März 2000 vereinbart. Mehrere Monate zuvor brach nun der bekannte Konflikt im Direktorium des Instituts aus, der auch im Beirat gravierende Gegensätze aufriß. Ich stelle fest: Ich habe es nicht abgelehnt", die März-Sitzung einzuberufen, wie der Verfasser behauptet. Vielmehr hat der Beirat im Umlaufverfahren beschlossen, diese Sitzung ausfallen zu lassen. Der Grund lag nicht in Eitelkeiten, wie der Verfasser spekuliert, sondern die Mehrheit hielt es für besser, wenn die große Evaluierung von Wissenschaftlern durchgeführt werde, die nicht in den Streit involviert sind. Als Aufsichtsorgan hatte das Kuratorium sich die Verfahrenshoheit vorbehalten, insbesondere hinsichtlich der Beteiligung von externen Wissenschaftlern; es hat aber bis heute nichts entschieden. Es hätten auch drei, nach Klärung des Rücktritts von Prof. Saul Friedländer vier vakante Plätze des Beirats besetzt werden können, damit hauptsächlich neue Mitglieder evaluieren. Mit der am 11. September 2000 erfolgten Festlegung, Herrn Henke nach seiner ersten Amtszeit Ende Januar 2002 nicht wiederzuwählen, kam das Kuratorium jedoch einem Evaluierungsvotum zuvor - mit der Folge, daß das Institut jetzt 16 Monate lang von einem ´Direktor auf Abruf´ geleitet werden muß. Daß ich eine rechtzeitige Evaluierung verhindert hätte, ist angesichts dieser Sachlage eindeutig falsch.
Dem Verfasser ist allerdings darin zuzustimmen, daß der Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands besser beraten gewesen wäre, sich aus dieser Sache herauszuhalten. Wieso es zu den Aufgaben seiner Mitgliederversammlung gehören soll, das Verhalten des Dresdner Kuratoriums zu be- und zu verurteilen, ist ziemlich unerfindlich. Am September-Beschluß der Kuratoriumsmehrheit, Herrn Henke nicht wiederzuwählen, hätte übrigens auch eine bestmögliche Evaluation der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts wahrscheinlich nichts geändert. Denn ohnehin ist es so gut wie unbestritten und die jährlichen Bewertungen haben es kontinuierlich betont, daß das Institut unter Henkes Leitung ein hohes Forschungsniveau und zu Recht viel Ansehen in der nationalen und internationalen scientific community gewonnen hat. Die eigentlichen Beweggründe müssen daher woanders gesucht werden. Da das Kuratorium es als geschickt befand, seine Entscheidung nicht zu begründen, hat es der Spekulation Tür und Tor geöffnet. Dabei werden der Führungsstil des Direktors und seine Art der öffentlichen Debattenführung genannt. Daß Herr Henke Fehler gemacht hat, bestreitet er selber nicht. Die Beiratsmehrheit befürchtet indessen mit konkreten Gründen, daß ein wesentlicher Teil des Aufsichtsgremiums die Gelegenheit benutzen möchte, um den Charakter des Instituts zu verändern: weniger autonome Grundlagenforschung, mehr Zulieferung von Ergebnissen, die für die Zwecke landespolitischer Aufgabenstellungen leichter verwertbar sind, Beeinflussung der Themenwahl. Eine solche Verquickung von Wissenschaft und Politik lehne ich im Rahmen eines unabhängigen Forschungsinstituts grundsätzlich und auf das entschiedenste ab.
Die Konfliktgeschichte des Hannah-Arendt-Instituts ist seit November des letzten Jahres so verworren verlaufen, daß der Beirat sie schon bald nicht mehr wirksam zu beeinflussen vermochte. Daher wollten drei Mitglieder, darunter auch ich, schon vor Monaten zurücktreten, sahen davon aber ab, als wir gebeten wurden, keine neue Beunruhigung in die sich zeitweise etwas glättenden Wogen zu bringen. Am Ende der Beiratssitzung vom 6. Oktober haben wir jedoch unseren Rücktritt erklärt. Wir scheiden aus mit dem Wunsch, dass dem für die so wichtige Totalitarismusforschung verdienstvollen Institut ein neuer Anfang gelingen möge. Ein neuer Anfang setzt freilich voraus, daß die politische Dominanz im Kuratorium eingeschränkt wird.
Prof. Dr. Hans Günter Hockerts, München
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