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From: woell@berlin.snafu.de (Andreas Woell)
Subject: Muenchner Proteste wegen "Wehrmacht"-Ausstellung
Date: Wednesday, February 26, 1997 14:52:59 MET


Was in Muenchen geschieht

Ueberlegungen zu den Protesten gegen die "Wehrmacht-Ausstellung des Hamburger Institut fuer Sozialforschung

Andreas Woell

In einer Kritik der landlaeufigen Rede, die Deutschen haetten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Vergangenheit erfolgreich "verdraengt", hat Guenther Anders darauf aufmerksam gemacht, dass ein solcher psychischer Prozess bei den meisten Deutschen gar nicht habe stattfinden brauchen, weil man sich schon zu Zeiten des Nazi-Regimes erfolgreich geweigert habe, die Realitaet der Verbrechen wahrzunehmen (Anders, "Nach Holocaust", 1985, 186). Nach dem Krieg habe man diese Weigerung u.a. deshalb aufrechterhalten koennen, weil man auf den Flugblaettern und in den Filmen der Alliierten "immer nur die Ergebnisse der Verbrechen, also die Leichenberge, gezeigt hatte (und nichts anderes hatte zeigen koennen), aber nicht die Verbrecher in actu, und nicht die Opfer in actu, richtiger 'in passione', ihres 'Behandeltwerdens';" (187).

Es ist dieser Hinweis von Anders, der uns etwas ueber die Wirkungen erklaeren kann, die die in Muenchen angelangte Ausstellung des Hamburger Instituts fuer Sozialforschung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" ausgeloest hat.

Erstaunlich an den wuetenden Protesten weiter CSU-Kreise im allgemeinen und des Lokalmatadors Gauweiler im besonderen ist ja nicht deren unverhohlener Interessencharakter bzw. die Koketterie mit rechtsextremen Positionen. Erstaunlich ist vielmehr, mit welcher Dummheit die Agitation vollzogen wird.

Da ist zum einen der staendig wiederholte Vorwurf, die Ausstellungsmacher wollten mit der Publikation von Photographien und Dokumenten die Deutschen insgesamt diffamieren ("moralischer Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk"). Da ist zum anderen die daran auf kuriose Weise angeschlossene Behauptung, bei den Photographien handele es sich um Faelschungen.

Jeder Besucher der Ausstellung und jeder Leser des dazugehoerigen Kataloges kann den Vorwurf einer kollektiv gerichteten Diffamierungsabsicht leicht ad absurdum fuehren. Von "den Deutschen" ist nirgendwo die Rede. Thema ist eine praezise benannte Organisation und deren Angehoerige. Diese sieht sich allerdings mit massiven Anschuldigungen und diesbezueglich mit nicht minder eindrucksvollem Beweismaterial konfrontiert. Die Echtheit dieses Materials ein ums andere Mal in Frage zu stellen, mag in einem bestimmten politischen Kalkuel sinnvoll erscheinen - serioes sind solche Behauptungen nicht. Das Material jedenfalls hat bisher noch alle fachlichen bzw. gutachterlichen Pruefungen bestanden.

Wenn man sich einmal nicht nach der politischen Akzeptabilitaet des Protests fragt, sondern danach, wie sich die Dummheit der Agitation erklaeren laesst, dann rueckt der von Anders deutlich gemachte Zusammenhang noch einmal in den Vordergrund.

Die Wehrmacht-Ausstellung erspart niemandem den Blick auf die Taeter und auf ihr Tun. Selbst wer sich intensiv mit der Geschichte des nationalsozialistischen Deutschland befasst hat, wer um die Verbrechen des Regimes, um die weitreichende Beteiligung an diesen Verbrechen durch Funktionseliten und um die noch weitreichendere Billigung dieser Verbrechen durch die Bevoelkerung weiss, wird von vielen hier veroeffentlichten Bildern beschaemt sein. Das gilt - wenn man denn noch unterscheiden will - besonders fuer die Photographien, die die obszoene Hinrichtung von Einheimischen in den Staedten dokumentieren (Katalog S. 98 f.) oder fuer die Bilder von den Massenexekutionen.

Insofern MUSS die Ausstellung Affekte ausloesen. Sie ueberfuehrt abstraktes Wissen in emotional schwer auszuhaltende Konkretion. Sie macht es damit unmoeglich, das Thema einfach beiseite zu wischen bzw. nicht Stellung zu beziehen. Es werden auch diejenigen zu einer Reaktion gezwungen, die sich mit dem Nationalsozialismus am liebsten nicht mehr auseinandersetzen wuerden.

Gauweiler selbst macht diesen Sachverhalt offenbar, indem er unablaessig behauptet, das Material sei gefaelscht. Er selbst weiss also um die ungeheuerliche Dimension dieser Photographien. Weil die Wirklichkeit so grauenhaft gewesen ist, muss sie in eine Faelschung "umgelogen" werden. Die Tiraden deuten auf die mit dem eigenen Ich nicht kommunizierbare Einsicht, dass die Ausstellung einen Nerv beruehrt und dass darueber nicht oberflaechlich hinweggegangen werden kann.

Guenther Anders hat seine Ueberlegungen zum Verdraengungsbegriff im eingangs genannten Essay um einen Gedanken erweitert. Vor dem Hintergrund naemlich, dass viele Deutsche sich erfolgeich haetten weigern koennen, die Realitaet der Verbrechen wahrzunehmen, muesse auch der Sinngehalt der Rede von der "Bewaeltigung" der Vergangenheit eine Veraenderung erfahren: "Da die Ehemaligen mit ihrer Vergangenheit, noch ehe sie damit auch nur begonnen hatten, bereits fertiggeworden waren, verstehen wir unter 'Bewaeltigung', dass sie mit ihrer Vergangenheit nun endlich einmal nicht fertig werden, dass sie sich nun endlich ein Trauma schlagen oder schlagen lassen. Nicht 'Heilung' heisst die Aufgabe, sondern 'Wunde'".

Mit Gauweiler und der CSU ist der bundesdeutsche Vergangenheitsdiskurs in eine Dimension eingetreten, die vollkommen neue Perspektiven eroeffnet.


Andreas Woell

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