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From: H-GERMAN EDITOR Norman Goda <goda@oak.cats.ohiou.edu>
Subject: Die Rolle der Wehrmacht (X-post H-German)
Date: Friday, February 28, 1997 16:12:53 MET


Die folgende Mail haben wir uebernommen von der H-Net Liste: H-German@h-net.msu.edu (R. Hohls)


The following is published in the 28 February edition of  `Die Zeit´ freely available at

http://bda.web.aol.com/bda/int/zeit/aktuell/artikel/TABUS.TXT.19970228.html

Muenchner Lektionen: Die Rolle der Wehrmacht laesst sich nicht beschoenigen

von Theo Sommer

Die Bilder einer Ausstellung erregen Deutschland. Sie raeumen ein fuer allemal auf mit dem Mythos, dass die Wehrmacht in Hitlers Reich des Boesen ein unanfechtbarer Hort des Anstands, der Ritterlichkeit und der Ehrenhaftigkeit geblieben sei. Aufs eindruecklichste beweisen sie, dass sich Heereseinheiten im rueckwaertigen Frontgebiet, im Partisanenkampf, bei der Ausrottung der Juden und bei der Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen nicht minder schuldig gemacht haben als die Mordverbaende von SS, SD und Polizei.

Der Schock der Erkenntnis hat in allen fuenfzehn Staedten, wo die Wehrmachtsausstellung gezeigt worden ist, die schrecklichen Vereinfacher auf den Plan gerufen. Wo die einen ihr tumb pauschalierendes "Soldaten sind Moerder!" herbeten, trompeten die anderen ihr toerichtes "Verunglimpfung! Luege! Hetze!" in die Welt. Nirgendwo aber sind die Meinungen krasser aufeinandergeprallt als jetzt in Muenchen, das einst die "Hauptstadt der Bewegung" war, aber auch der Ort, an dem die Weisse Rose ihr Fanal gegen Hitler setzte.

Das Verstoerende an der heftigen Kontroverse ist die Rolle der CSU. Sie wurde vor einem halben Jahrhundert von entschiedenen Nazi-Gegnern wie dem "Ochsensepp" Josef Mueller, Franz Fackler und Werner Mueller angefuehrt, allesamt Opfer der braunen Diktatur. Sie wuerden sich im Grabe herumdrehen, koennten sie sehen, wie primitiv das CSU-Zentralorgan, der Bayernkurier, gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1945" wettert.

Als Versuch wird sie da hingestellt, "die Strafmassnahmen von Nuernberg gegenueber Deutschland noch zu verschaerfen und einen moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk zu fuehren", als "Abscheulichkeit", die unverfroren auf eine Stufe mit der Entfuehrung Jan Philipp Reemtsmas gestellt wird, dessen Hamburger Institut fuer Sozialforschung hinter der Ausstellung steht. Ueber alledem prangt das Photo des Ministerpraesidenten Edmund Stoiber und des CSU-Vorsitzenden Theo Waigel - beim Bier, was den unsaeglichen Stammtisch-Charakter der parteiamtlichen Tiraden zusaetzlich unterstreicht. Nur Peter Gauweiler uebertrifft sie noch. Ausgerechnet am Leitseil dieses staendig entgleisenden Lokalpolitikers mit Haider-Ambitionen laesst sich die CSU-Fuehrung dazu herbei, den Rechtsradikalen im Lande Vorspanndienste zu leisten. Dabei geht ein wichtiges Stueck demokratischen Zusammenhalts verloren: die gemeinsame Haltung der Parteien zur juengsten Geschichte der Deutschen. Differenzieren tut not. Dazu gehoert jedoch, dass man sich drei Einsichten beugt, die uns die Vergangenheit vermittelt.

Die erste Einsicht fusst auf der Natur des Kriegshandwerks. Jeder Krieg schafft Helden, aber auch Verbrecher. In seinem Traktat "Zum Ewigen Frieden" zitiert Immanuel Kant den griechischen Philosophen, der unverbluemt befindet: "Der Krieg ist darin schlimm, dass er mehr boese Leute macht, als er deren wegnimmt."
Die zweite Einsicht lautet: In Hitlers verbrecherischem Regime konnte sich kaum ein Deutscher jeglicher Verstrickung entziehen; ob Arbeiter, Beamter, Wissenschaftler oder Soldat. Objektiv wurden alle mehr oder weniger Beihelfer zum Kriege. Doch macht solche Beihelferschaft sie noch nicht zu Verbrechern. Das moralische Dilemma, in dem sich viele damals fanden, die an ihrem Platz ihre Pflicht taten, wird am deutlichsten an jenen Wehrmachtsoffizieren, die gleichzeitig Hitlers Krieg fuehrten und das Attentat auf ihn vorbereiteten.

Die dritte Einsicht hat der fruehere Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, einmal so ausgedrueckt: "Die Wehrmacht war...auch die Armee einer Diktatur." In der Tat war sie Hitlers Armee. Als Gesamtorganisation war sie ein wichtiger Teil seines verbrecherischen Systems, das auf Eroberung, Vernichtung, Ausrottung angelegt war. Dies besagt nicht, dass die grosse Mehrheit ihrer achtzehn oder neunzehn Millionen Angehoerigen im Kriege persoenliche Schuld auf sich geladen haette. Zu viele jedoch haben sich in die moerderische Ruchlosigkeit von Hitlers Krieg verwickeln lassen - Abertausende, ja Hunderttausende, sagt die Bundeswehrzeitschrift Truppenpraxis.

Jeder, der jemals in den Archiven des Zweiten Weltkrieges gearbeitet hat, hat dies gewusst. Jeder haette es wissen koennen, der im Urlaub nicht nur an den Straenden der Adria oder der Aegaeis gelegen hat, sondern hinaufgefahren ist in die Bergdoerfer des Karsts oder Kretas, die im Kriege total zerstoert, deren Einwohner brutal niedergemetzelt wurden. Der Balkan ist wie der Osten Europas voller Oradours und Lidices; die Blutspur der Wehrmacht ist unuebersehbar.

Nicht von ungefaehr haben ja auch die Verteidigungsminister von Franz Josef Strauss bis Volker Ruehe sich alle gewehrt, die Bundeswehr in die Tradition der Wehrmacht zu stellen. Sie wussten genau, warum. Von den "schwerwiegenden Folgen der Faehigkeit bestimmter militaerischer Fuehrer, sich missbrauchen zu lassen, Befehl und Gehorsam ueber das Gewissen zu stellen", sprach Strauss 1960 vor dem Verteidigungsausschuss. Ruehe befand 1995 (in Muenchen!): "Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten Reiches in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begruenden." Genau dies stand auch schon in Hans Apels Traditionserlass von 1982. Dort hiess es: "In den Nationalsozialismus waren Streitkraefte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht." Der Erlass gilt heute noch.

In schnoeder Verdraengung kann die Bewaeltigung des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte nicht enden. Wie Theodor Litt, der grosse protestantische Theologe, schon gleich nach dem Kriege sagte: "Nicht das Wegsehen, sondern das Hinsehen macht die Seele frei." Hinsehen - das gilt gerade fuer die Wehrmachtsausstellung. Sie spitzt zu, scheut auch Ueberspitzung nicht, obwohl es auf einer Schautafel ausdruecklich heisst: "Die Ausstellung will kein verspaetetes und pauschales Urteil ueber eine ganze Generation ehemaliger Soldaten faellen." Aber sie stoesst die Nachgeborenen, die - Gott sei Dank - nie in eine Lage geraten sind, in der sie Schuld haetten auf sich laden koennen, auf die bittere Erkenntnis, wie duenn der Firnis ueber den Kraeften des Boesen im Menschen ist.

Im Menschen; nicht: im Deutschen. Auch anderwaerts plagen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg die Gemueter; mit Macht brechen sie derzeit in der Schweiz, in Schweden, in Frankreich, in den Niederlanden auf. Und jeder Rundblick ueber den Globus lehrt, dass die Kraefte des Boesen sich an vielen Orten noch immer ungezuegelt und ungestraft austoben. Wir duerfen, wir muessen auch dort hinschauen. Doch damit eine solche Inventur des Infernalischen nicht bloss in billige Selbstentlastung ausartet, kommt es darauf an, zuerst einmal vor der eigenen Tuer zu kehren.

Je eindeutiger wir die Vergangenheit annehmen und je offener wir darueber diskutieren, desto selbstverstaendlicher duerfen wir ein halbes Jahrhundert nach Hitlers Krieg wieder aufrechten Ganges in der Reihe der Voelker auftreten. So betrachtet, koennen uns die Bilder der Wehrmachtsausstellung frei machen. Sie leugnen hiesse dagegen, mit den Scheuklappen, die aus einer unseligen Vergangenheit stammen, blind und unbelehrt in die Zukunft zu stolpern.

(C) DIE ZEIT 28.02.97 Nr.10


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