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From: kvogel@pelagus.it
Subject: "Ein Trauma schlagen?" G. Anders u.d. "Wehrmachts"-Ausstellung
Date: Thursday, February 27, 1997 18:31:11 MET


Zu Andreas Woell:

Was in Muenchen geschieht. Ueberlegungen zu den Protesten gegen die "Wehrmacht"-Ausstellung des Hamburger Instituts fuer Sozialforschung (vom 25.2.97)

Ich stimme dem Ausgangspunkt der Analyse von Andreas Woell zu - die Heftigkeit der Reaktion auf die Wehrmachts-Ausstellung in Muenchen (ebenso wie zuvor in Bremen, Berlin und anderswo) und die Dummheit der Agitation ihrer Gegner lassen sich wohl nur damit erklaeren, dass hier Wirklichkeit verdraengt wird, weil ein sehr wunder Punkt beruehrt wurde und wird. Doch der abschliessend zitierte Satz von Guenther Anders laesst mich schaudern:

"Da die Ehemaligen mit ihrer Vergangenheit, noch ehe sie damit auch nur begonnen hatten, bereits fertiggeworden waren, verstehen wir unter 'Bewaeltigung', dass sie mit ihrer Vergangenheit nun endlich einmal nicht fertig werden, dass sie sich nun endlich ein Trauma schlagen oder schlagen lassen. Nicht 'Heilung' heisst die Aufgabe, sondern 'Wunde'".

In den zitierten Ueberlegungen von Anders liegt, wie mir scheint, ein nicht ungefaehrlicher analytischer Kurzschluss vor, denn er stellt - in der verstaendlichen Absicht, aufzuruetteln - die Entwicklungslogik von Trauma, Verdraengung und Gewalt auf den Kopf. Wer seine eigene Wehrmachtszugehoerigkeit (oder die seines Vaters oder Grossvaters) in besonderer Weise als traumatisch erfahren hat (und dies duerfte gerade fuer die von Browning, Goldhagen und anderen geschilderten Taetergruppen gelten), wird am ehesten zur Verdraengung neigen - zumal wenn ihm, intellektuell und / oder sozial, subjektiv keine Loesungsmoeglichkeiten zur Verfuegung stand oder steht. Das Trauma aeussert sich in Abwesenheit von Empathie mit der "Gegenseite" und in der Heftigkeit, mit der die verdraengte ("abgespaltene") Wirklichkeit verleugnet wird. Unbearbeitete Traumata koennen an die nachfolgende Generation weitergegeben werden (hierzu: Dan Bar-On, Die Last des Schweigens. Gespraeche mit Kindern von Nazi-Taetern (The Legacy of Silence. Encounters with Children of the Third Reich, 1989), Frankfurt 1993). Sie koennen Ursache fuer neues Gewaltverhalten werden. Dass all diese "Ehemaligen" (die einem Kritiker durchaus mit verletzender Selbstgerechtigkeit entgegentreten koennen, beruflich vielleicht durchaus erfolgreich sind) mit ihrer Vergangenheit "fertiggeworden" sind, mag nach aussen hin so scheinen. Tatsaechlich tragen sie an der Last des Traumas, viele nehmen es mit ins Grab.

Wenn es in diesem Zusammenhang also eine Aufgabe gibt, so wuerde sie meines Erachtens heissen: die selektive Wahrnehmung und "selektive Empathie" der manchmal so unertraeglich Selbstgerechten mit dem Anspruch zu konfrontieren, die ganze, komplizierte Wirklichkeit wahrzunehmen und das Leid der jeweils anderen zu erkennen. Dies bedeutet freilich in der Konsequenz, auch die Leidensgeschichte der Taeter wahrzunehmen - die, das sei betont, mit der Leidensgeschichte der Opfer keineswegs symmetrisch ist. Guenther Anders, der darauf hofft, dass die anderen "sich ein Trauma schlagen oder schlagen lassen", wuerde sich seinerseits diese Wahrnehmung ersparen. Aus den Grabenkaempfen der wechselseitig Selbstgerechten fuehrt sein Ansatz nicht heraus.

Michael Frank hat dazu bereits am 11. Dezember 1996 in der Sueddeutschen Zeitung (S. 4) formuliert:

"Menschen, denen tiefes Leid zugefuegt wurde, haben oft wenig Sinn fuer das gleichgeartete Schicksal anderer. (...) So tief sitzen Verletzungen aus Krieg und Diktatur, dass Betroffene verschiedener Nationen einander auch noch den Opfer-Status neiden, dass man auf das gespenstische Privileg pocht, im allgemeinen Unglueck selbst der Ungluecklichste gewesen zu sein."


Klaus Vogel

z.Zt. Deutsches Historisches Institut

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