Es ist erfreulich, dass in dieser Liste auch einmal wieder so etwas wie eine Diskussion stattfindet. Das Problem archivischer Ueberlieferungsbildung/Bewertung/Kassation wird leider ausserhalb der Fachdiskussion der Archivare zu wenig wahrgenommen. (Gleiches gilt uebrigens fuer das verwandte Problem, dass die Denkmalpflegebehoerden im Bereich beweglicher Kulturdenkmale - etwa Adelsbibliotheken - zu wenig Ruecksicht auf die Interessen der Forschung nehmen, vgl. http://www.uni-koblenz.de/~graf/privbib.htm).
Fuer mehr Offenheit der Archivare hinsichtlich Bewertungsentscheidungen spricht sich Robert Kretzschmar in einem lesenswerten Aufsatz aus, der vor kurzem erschienen ist: Archivische Bewertung und Oeffentlichkeit. Ein Plaedoyer fuer mehr Transparenz bei der Ueberlieferungsbildung, in: Archiv und Oeffentlichkeit. Aspekte einer Beziehung im Wandel. Zum 65. Geburtstag von Hansmartin Schwarzmaier, hrsg. von Konrad Krimm/Herwig John (= Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Wuerttemberg A 9), Stuttgart 1997, S. 145-156. Kretzschmar, der (laut Anm. 36) eine Veroeffentlichung zur Einflussnahme auf die archivische Ueberlieferungsbildung in der NS-Zeit vorbereitet, begruesst zwar das gesetzliche verankerte "Bewertungsmonopol" des Archivars (S. 153), meint aber, dass Hinweise von der Anbieter- und Kundenseite, also auch von der Forschung, staerker beruecksichtigt werden muessten. Dem kann man nur beipflichten, auch wenn ich das "Bewertungsmonopol" keineswegs so positiv sehe wie Kretzschmar. Nachdem die Bewertung keine weisungsfreie Taetigkeit darstellt, kann jederzeit von Seiten der Politik und der uebergeordneten Verwaltung Einfluss auf Bewertungsentscheidungen genommen werden. Erinnert sei nur an die Diskussion um die Stasi-Unterlagen.
Dr. Klaus Graf (Assessor des Archivdienstes)
e-mail: graf@uni-koblenz.de
Homepage Stadt Adel Region: http://www.uni-koblenz.de/~graf/
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