Noch eine Anmerkung zur Frage der Archivwuerdigkeit. Zum einen ist das Problem ja allgemein. Wenn historischen Instituten Nachlaesse vermacht werden, ergibt sich auch oft eine Grenzfrage: einzelnes erscheint mitnichten wertlos, aber man kann aus rein technischen Gruenden trotzdem nicht alles in den Bestand aufnehmen. Zum anderen finde ich den Aspekt interessant, inwieweit (bezogen z. B. auf "amtliche Schriftstuecke") die Praxis des Ablieferns an Archive sowie die Praxis des Archivierens eben dort fuer die HistorikerInnen, die damit arbeiten, einsichtig ist, z. B. in Hinsicht darauf, was man schließlich vor der Nase hat und was nicht. Oft heißt es, die Bestaende seien lueckenhaft (wg. Krieg etc.); aber auch die Akten zu einem bestimmten Gegenstand, Vorgang, die man schließlich bekommt, muten mitunter etwas zufaellig zusammengestellt an.
Wenngleich das noch eng damit zusammenhaengen mag, daß man als
Nicht-Archivwissenschaftler die Systematik nicht richtig durchschaut, spiegelt
sich darin nicht zuletzt die Tatsache, daß es "vorherrschende Meinungen"
gibt, was Archivwuerdigkeit betrifft.
Wenn man z. B. zu einem politikgeschichtlichen Thema arbeitet, dessen Gegenstand
zeitgenoessisch aus bestimmten Gruenden heruntergespielt oder moeglichst
nicht zur Kenntnis genommen werden sollte, dann verwundert es nicht, wenn
man dazu heute nicht viel in Archiven findet. Vielleicht ist aber einst viel
mehr "Papier beschrieben worden".
Ich muß gestehen, daß mich diese Ueberlegungen auch nicht zu einer Antwort fuehren, ob man Kassenbelege nicht vielleicht doch aufheben sollte. Der Hinweis Thomas Beckers, daß dort, wo eben keine eindeutige theoretische Position gegeben ist, intern entschieden wird, verleitet mich aber zu der Frage: wer entscheidet eigentlich, was je als "banal" gelten kann oder nicht? Ist das verfahrensmaeßig streng kodifiziert? Die Einschaetzung zwischen Aussagekraft und Archivwuerdigkeit ist ja nicht "objektiv" - außer im Lehrbuch - .
Wilfried Witte
Institut fuer Geschichte der Medizin
der Universitaet Heidelberg
e-mail: wilfried.witte@urz.uni-heidelberg.de
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