Digitale Archive

Digitale Archive sind nicht eindeutig definiert. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich dabei um die Zugaenglichkeit elektronisch erzeugter Schriftstuecke handelt, die im Zuge papierloser Buero-Automation entstanden sind, dann gibt es in Deutschland derzeit noch kein einziges Archiv, das derartige Materialien vorhaelt geschweige denn ueber das Internet zugaenglich macht. Das war zumindest die Information auf dem letzten "Deutschen Archivtag" Ende September in Ulm.

Etwas anderes ist die Frage nach digital vorgehaltenen "images" von gescannten Archivalien. Da hat derzeit meines Wissens das Goettinger Max- Planck-Institut die Nase vorn. Dort ist in einem Pilotprojekt mit dem Stadtarchiv Duderstadt Archivmaterial aus dem 17 Jh. eingescannt und auf CD- ROM uebertragen worden. Auf dem Rheinischen Archivtag in Bergisch Gladbach ist das Verfahren in diesem Sommer vorgestellt worden. Ich gehe davon aus, dass im "Archivkurier" der Archivberatungsstelle Rheinland das entsprechende Referat demnaechst veroeffentlicht wird. In der deutschen Archivlandschaft wird die Digitalisierung vorhandener (papierner) Archivbestaende noch sehr vorsichtig diskutiert. Der Grund sind die berechtigten Zweifel an der Haltbarkeit der Traegermaterialien. Waehrend die Mikroverfilmung von Archivalien trotz der geradezu unzumutbar schlechten Wiedergabequalitaet der Lesegeraete schon ueberall verbreitet ist, zweifeln viele Kolleginnen und Kollegen daran, dass sich ueber einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren die Abspielbarkeit von CD-ROM, WORM oder DVD garantieren laesst. Die stattdessen notwendigen Umkopierungen der magnetischen oder optischen Speicher sind aber Serviceleistungen, die von den Archiven derzeit nicht selber sichergestellt werden koennen, was die Skepsis noch erhoeht. Fuer den Benutzer waeren die digitalisierten Archivalien ein Segen, denn sie sind durch Zoom-Funktionen und Veraenderung der Helligkeitsgrade besser lesbar als die Originale. Eine Abrufbarkeit im Internet (wie z.B. fuer das schon vorgehaltene Original der "Bambergensis", des Vorlaeufers der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.) wuerde die Arbeitsmoeglichkeiten noch mehr erleichtern. Allerdings warne ich vor der Vorstellung einer Reduzierung von Archivstudien auf "virtuelle Besuche", denn die Beratung durch das Archivpersonal erschliesst immer wieder Archivalien, die ohne Hinweise nicht durch Findmittel oder Suchmaschinen aufgespuert werden koennen.

Zum Schluss noch eine Bemerkung: Ich freue mich sehr ueber die Moeglichkeit, einmal Diskussionen zu archivischen Themen in dieser Mailinglist zu erleben. Aber allmaehlich frage ich mich, ob es nicht wieder einmal ein anderes Thema gibt, das wir diskutieren koennen. Ist denn niemand mehr da, der mal ueber Jesuitinnen, Volksforschung, Werwoelfe oder sonst ein historisches Thema reden will? Das kann ich gar nicht glauben.

Thomas Becker

Bonn


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: TomBeee@aol.com
Subject: Re: Anfrage: Digitale Archive
Date: 11.11.1997


       

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